Kolumne: Das Altpapier am 26. Februar 2024 Auftrag kommt vor Beitrag
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26. Februar 2024, 10:47 Uhr
Der Rundfunkbeitrag soll um 58 Cent steigen. Das ist a) zu wenig, b) moderat, c) zu viel und d) völlig unangemessen – je nachdem, wen man fragt. Relevant ist aber vor allem, wie es nun weitergeht. Wird am Ende noch der öffentlich-rechtliche Auftrag präzisiert? Heute kommentiert Klaus Raab die Medienberichterstattung.
Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.
Rundfunkbeitrag: Von "weit unter der Inflation" bis "Rekordhöhe"
Eine Neuigkeit mit wenig Neuigkeitswert beschäftigte am Wochenende die Medienredaktionen. Die Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten, kurz KEF, hat ihres Amtes gewaltet, ermittelt, wie viel Geld die Öffentlich-Rechtlichen zur Erfüllung ihres Auftrags brauchen – und nun offiziell bekannt gegeben, was längst kursierte: Sie empfiehlt, dass der Rundfunkbeitrag ab 2025 von 18,36 Euro auf 18,94 Euro pro Monat und Haushalt steigen soll, also um 58 Cent.
Wie immer hat sie sich dafür angeschaut, was die öffentlich-rechtlichen Anstalten an Finanzbedarf angemeldet hatten und dann einiges weggekürzt, begutachtet und dies und das empfohlen. Das ist Teil des Verfahrens, das die Politik festgelegt hat. Aber je nachdem, wie man drauf schaut, kommt man zu ziemlich unterschiedlichen Bewertungen des Vorgangs und seines Ergebnisses. An Perspektivenvielfalt fehlt’s in der Hinsicht jedenfalls nicht: Eine Erhöhung um 58 Cent ist zu wenig, sparsam, moderat, zu viel sowie angesichts des angebotenen Programms und der Gesamtsituation völlig unangemessen – je nachdem, wen man fragt.
Zu wenig ist es für "Blickpunkt:film", wo die Perspektive des ARD-Vorsitzenden Kai Gniffke nach vorne gerückt wird, der naturgemäß lieber mehr hätte (weil: "große Herausforderungen", Schwierigkeiten bei der "Finanzierung aller anstehenden Zukunftsaufgaben" etc.). Was die KEF, ebenfalls naturgemäß, anders sieht: ARD, ZDF und Deutschlandradio bräuchten den erhöhten Beitrag, um ihren "gesetzlichen Auftrag in seiner derzeitigen Form erfüllen" zu können, aber mit 18,94 Euro gehe das schon. "SZ"-Medienjournalistin Claudia Tieschky nennt (Abo) die KEF "sparsam", Diemut Roether in epd Medien die empfohlene Steigerung "moderat" angesichts des von den Sendern gemeldeten Bedarfs, der eine Steigerung des Beitrags nicht auf 18,94, sondern auf 19,94 Euro bedeutet hätte.
Helmut Hartung setzt in der "FAZ", gewohnt kritisch in Beitragsfragen, andere Schlaglichter und etwa das Wort "Finanzbedarf" konsequent in Anführungszeichen, vier Mal in seinem Artikel. Was bedeuten könnte, dass es aus seiner Sicht gar keinen "Finanzbedarf" gibt, sondern nur etwas, das so genannt wird, eine Art Wunschzettel. Ist das gemeint? Man weiß es "nicht". Wer wissen will, wie man "Rekordhöhe" schreibt, wird bei ihm ebenfalls fündig. Denn die KEF-Empfehlung bedeutet ja nicht nur eine Steigerung um lediglich 0,8 Prozent pro Jahr, "weit unter den aktuellen Preissteigerungsraten", wie die ARD in ihrer Pressemitteilung hervorhebt. Sondern tatsächlich auch einen Gesamtbedarf der Öffentlich-Rechtlichen in Höhe von 10,4 Milliarden Euro pro Jahr. Was, auch im internationalen Vergleich, nun mal richtig viel ist. (Weil man leicht stolpern kann über die Zahl: 0,8 Prozent meint die Steigerung pro Jahr, gemessen an vier Jahren Laufzeit.)
Die deutsche Redaktion der Neuen Zürcher Zeitung kommentiert auch und lehnt eine Beitragserhöhung grundsätzlich ab. Der aus "Presseclub", "Maischberger" und "Phoenix nachgefragt" bekannte Alexander Kissler führt unter anderem das "Einladungsmanagement für Talkshows" an, um zu belegen, dass in den Öffentlich-Rechtlichen "an zu vielen Stellen ein linker oder grüner Blick auf Welt und Politik" dominiere, und zwar "faktisch". Das Beitragsverfahren spielt in seiner Argumentation nicht wirklich eine Rolle. Hier ist trotzdem der Link zu seinem Text. Und hier das Altpapier über die jüngste Studie über das nur vermeintlich einseitige Programm der Öffentlich-Rechtlichen, über das er klagt.
Wie weiter?
Was im Beitragsfestsetzungsprozedere nun folgt, ist das eigentlich Interessante. Oder eher Brisante. Oder auch Populistische. Nenne man es "Tanz", wie epd Medien, oder "Zoff", wie der Tagesspiegel. Jetzt kommt jedenfalls die föderale Medienpolitik dran. "Damit der jetzige KEF-Vorschlag Gesetz wird, müssen die Länder einen Finanzierungsstaatsvertrag abfassen. Dem müssen die Landtage zustimmen. Ob das gelingt, ist fraglich." So fasst Helmut Hartung die Lage zusammen. Denn: "Mehrere Regierungschefs haben ihr Veto schon angekündigt." Horse-race-mäßig kam im Lauf der vergangenen Monate immer nochmal ein Land dazu; derzeit sind es sieben.
Die Verweigerungshaltung der sieben CDU/CSU- und SPD-geführten Länder sei, schreibt Christian Buß für den Online-"Spiegel",
"weniger der Analyse der finanziellen Ansprüche der Sendeanstalten geschuldet als dem Glauben, dass man den Menschen einen höheren Rundfunkbeitrag derzeit schlicht nicht zumuten könne. Nicht zu unterschätzen ist, dass im September gleich drei Wahlen in Ostdeutschland stattfinden. Dabei könnte der Rundfunkbeitrag nicht nur für die AfD relevant werden. Auch die Unionsparteien haben darin längst ein schlagkräftiges Wahlkampfthema gefunden. Kaum anzunehmen, dass die Frontleute von ARD und ZDF da noch Bewegung hineinbringen."
Am Ende könnte daher wieder das Bundesverfassungsgericht aktiv werden, wie schon beim letzten Beitragsverfahren. Das ist mehr als spekulatives Herumgemeine. Die dpa nimmt diese Mutmaßung sogar in ihre Nachricht über die KEF-Empfehlung auf, weil sie quasi die Antwort auf eine W-Frage ist: Wie weiter?
Mehr als darüber, wie hoch der Beitrag exakt sein soll, mehr als über Anstaltsimmobilien, Altersversorgung und die stattliche Zahl der Krimiproduktionen, müsste man daher darüber sprechen, was die Länder medienpolitisch nicht gebacken kriegen. Claudia Tieschky sagt es in der "SZ" so:
"Die Bundesländer pfeifen schon jetzt drauf, was ihre eigene Expertenkommission sagt. Sie wollen ARD, ZDF und Deutschlandradio weniger teuer haben und das nicht dadurch bewerkstelligen, dass sie Sender streichen (das können nur die Länder), sondern mit finanziellem Druck bei bislang unveränderten Strukturen."
Aber Auftrag kommt vor Beitrag. Oder käme. Die KEF ermittelt, wie die Öffentlich-Rechtlichen finanziert sein müssen, um tun zu können, wozu sie beauftragt sind. Wer eine Beitragserhöhung verhindern kann, ist die Politik – allerdings nicht mit Bierzelt-Geschwätz in Postings, sondern indem sie den Auftrag verändert. Rechtzeitig. Nicht erst, wenn die KEF schon ihre Arbeit macht.
Diemut Roether zitiert dazu in epd Medien auch den KEF-Vorsitzenden Martin Detzel:
"Die politisch diskutierten Vorschläge zum zukünftigen Auftrag und der Struktur des öffentlich-rechtlichen Rundfunks können erst dann von der Kommission in einer Beitragsempfehlung berücksichtigt werden, wenn diese konkret in einem Staatsvertrag der Länder geregelt sind."
Aber, so Roether:
"In den vergangenen vier Jahren haben die Länder genau das versäumt: Sie haben drei Medienstaatsverträge verabschiedet, in denen sie Auftrag und Struktur der Sender weitgehend unangetastet ließen. Es wurde viel von Reformen geredet, doch nicht einmal auf die Streichung von ein oder zwei Digitalkanälen konnten sich die Ministerpräsidenten einigen."
Tja nun. Es gibt allerdings ein Szenario, das die "SZ" erwähnt und auf das sich Christian Meier in der "Welt" (Abo) konzentriert, der dort einen "Ausbruch aus der Erhöhungsspirale" fordert. Er schreibt:
"(E)s ist es doch sonnenklar, dass mit den bestehenden Strukturen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks keine signifikante Senkung und noch nicht mal eine Stabilisierung des Beitrags möglich ist."
"Mit den bestehenden Strukturen" ist der entscheidende Begriff. Das Szenario zu einer Art Konfliktbefriedung wäre ein Reformstaatsvertrag im Herbst, wie er in der Medienpolitik seit einigen Monaten schon (besser: "schon") diskutiert wird – inklusive Präzisierung des Auftrags und der Struktur der Öffentlich-Rechtlichen. Anderer Auftrag, andere Beitragshöhe – toll, auf was für originelle Lösungen die Menschheit kommen kann!
Wie es in einem solchen Szenario dann konkret weiterginge, davon gibt es allerdings wiederum unterschiedliche Ideen. Christian Meier meint in der "Welt", in dem Fall "müssten die Anstalten für eine Übergangszeit ihre Unterfinanzierung durch Rücklagen ausgleichen. Ob die Rücklagen allerdings reichen würden, ist unklar". Während Claudia Tieschky in der "SZ" davon ausgeht, die jetzt empfohlene Erhöhung um 58 Cent würde dann eben nicht für vier Jahre gelten, sondern nur für zwei. "(D)ann könnte schon der Zwischenbericht zur finanziellen Situation, den die KEF alle zwei Jahre vorlegt, eine Beitragssenkung ab 2027 bringen".
Es bleibt also weiter spannend: eine Art öffentlich-rechtlicher Auftrags-Krimi.
Korrekturhinweis: In einer früheren Version hieß es, die Beitragsmittel für die Öffentlich-Rechtlichen würden sich nach der KEF-Empfehlung auf 10,4 Milliarden Euro pro Jahr belaufen. Es handelt sich aber dabei nicht um die Beitragseinnahmen, sondern um den von der KEF anerkannten "finanzbedarfswirksamen Aufwand".
Altpapierkorb (KI-Themen, Correctiv-Berichterstattung, AfD auf TikTok, Nadia Kailouli, "Plagiatsjäger" Weber)
+++ "Technologische Entwicklungen haben keine gültigen Jahrestage, aber wenn man einen sucht, dann wäre der 26. Februar 2024 ein guter Kandidat für den Tag, an dem das Ende der Web- und App-Ära endete und das Zeitalter der KI-Kommunikation begann." Das wäre heute. Holla. Andrian Kreye versteht es in der "Süddeutschen Zeitung" (Abo) jedenfalls, große Pflöcke in die Welt zu rammen. Was heute nämlich vorgestellt werde: das Smartphone ohne Apps – das "KI Phone". Und damit, so Kreye, "das Ende der Web- und App-Ära". Um Journalismus geht’s auch in seinem Text: "Auch der Journalismus steht nicht nur vor einer Herausforderung, sondern vor einer Klippe, weswegen es nicht leichtfällt, neutral über diese Entwicklung zu schreiben. Aber Fortschritt lässt sich nun mal nicht aufhalten. Das Problem wird jedenfalls sein, dass all die Medien, die es in den vergangenen 15 Jahren geschafft haben, die Digitalisierung zu überleben oder gar zu meistern, noch einmal von vorn anfangen müssen. Es wird keine Zeitungs-Apps mehr geben, keine Mediathek, höchsten noch auf altmodischen Fernsehgeräten und Laptops."
+++ Peter Limbourg, Intendant der steuerfinanzierten Deutschen Welle, der im Kreis der ARD-Leitungen die Sonderstellung genießt, sich für eine Rundfunkbeitragserhöhung nicht beruflich interessieren zu müssen, spricht im "FAZ"-Interview (Abo) auch über Künstliche Intelligenz – und zwar KI im Propaganda-Einsatz: "Es werden immer wieder vermeintliche DW-Videos und Nachrichten gefälscht. Wir können nicht mit Sicherheit sagen, ob Russland dahintersteckt, aber es spricht einiges dafür. Noch werden Videos, die so aussehen sollen, als stammten sie von uns, so gefälscht, dass man es erkennen kann und unsere Experten das schnell entdecken. Mit zunehmendem Einsatz von KI wird es aber immer einfacher, unsere Angebote zu fälschen. Unsere Beiträge brauchen entweder ein Wasserzeichen oder eine Verschlüsselung. Wir befinden uns mitten in einer weltpolitischen Auseinandersetzung, und am Ende des Tages wird diese nicht nur über Inhalte gewonnen, sondern auch über Technik." Weshalb Limbourg von der Politik Investitionen in Forschung und Technologie fordert.
+++ Noch mehr KI: in der "Süddeutschen" (Abo), wo wiederum Andrian Kreye über die Position des Deutschen Journalisten-Verbands berichtet hat, der zur Vorsicht mahnt…
+++ … während für die Seiten des Deutschen Journalisten-Verbands Hendrik Zörner das Landgerichtsurteil gegen ein KI-generiertes Kanzlervideo kommentiert: Aussagen des Gerichts würden über den Fall hinausreichen, etwa, dass "die Gewährleistung der eindeutigen und zutreffenden Zuordnung von Informationen zu deren Quelle (…) elementare Voraussetzung des demokratischen Meinungsbildungsprozesses" sei und "Regierungshandlungen jederzeit und sofort eindeutig als solche" erkennbar und zuordenbar sein müssten. Zörner: "Das unterstreicht die Forderungen all derer, die eine Kennzeichnungspflicht für KI-Inhalte fordern."
+++ KI auch anderswo in der "FAZ" (Abo): Da geht es um Googles Bildgenerator, der – wohl im Bemühen, Diskriminierung entgegenzuwirken, die auf dem Bias sorgloser Programmierer beruht – nun auch "asiatische Frauen und schwarze Männer im Wehrmachtsuniformabklatsch" zeigte. Google habe ihn erstmal gestoppt, berichtet Axel Weidemann.
+++ Die Correctiv-Berichterstattung über das Potsdamer Remigrationstreffen bleibt ein Thema – weil Teilnehmer des Treffens sich "mit besonders originellen Tricks" wehren würden, so Harald Staun in der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung": "Sie treten vor Gericht gegen Behauptungen an, die der Artikel gar nicht aufgestellt hat."
+++ Was Staun in einer Zeitungsspalte anreißt, erklärt lang und fundiert Felix W. Zimmermann von "Legal Tribune Online". Er schreibt – auch veröffentlicht bei "Übermedien" –, worum es bei dem Verfahren "wirklich geht" und worum nicht: "Der Tatsachenkern der Correctiv-Berichterstattung wird juristisch nicht angegriffen." Das "unstreitig bedeutsame Rechercheergebnis des Correctiv-Berichts zu einem gesellschaftlichen Rechtsruck" sei ohnehin "nicht von der Hand zu weisen: Ins bürgerliche Lager hinein (…) wird diskutiert, wie durch Anpassungsdruck erreicht werden kann, dass auch deutsche Staatsbürger Deutschland verlassen". Die Lektüre lohnt sich. Bis zum Ende, wo es unter anderem heißt: "Der Correctiv-Bericht basiert also klar auf Fakten und nicht auf bloßen Meinungsäußerungen. Gleichsam erscheint die These plausibel, dass die große Wirkkraft des Artikels nicht allein durch diesen Tatsachenbefund, sondern gerade durch die starken Wertungen im Beitrag getragen wird."
+++ Wie erfolgreich AfD-Inhalte auf TikTok sind, wurde kürzlich breit berichtet und stand auch hier. Nun hat sich das Social Media Watchblog ins Thema vertieft.
+++ "Frau Kailouli, gibt es in der ARD nun Rassismus gegen Moderatorinnen und Moderatoren mit Migrationshintergrund?", fragt Senta Krasser für dwdl.de Nadia Kailouli, die ehemalige "Mittagsmagazin"-Moderatorin des RBB. Die hatte öffentlich kitisiert, mit welcher Begründung der MDR sie nicht besetzte, als er das "MiMa" übernahm. Wer sich nicht an den Fall erinnert: Hier ist ein Altpapier dazu.
+++ Der "Spiegel" (Abo) hat versucht, aus aktuellem Anlass den sogenannten "Plagiatsjäger" Stefan Weber zu treffen. Das Treffen misslang laut Autor Alexander Kühn, aber es ist trotzdem ein porträtierender Text herausgekommen, in dem Weber zitiert wird: mit einer Reporterbeleidigung per WhatsApp.
Am Dienstag schreibt das Altpapier René Martens.