Das Altpapier am 23. Februar 2024: Porträt der Altpapier-Autorin Johanna Bernklau 3 min
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Kolumne: Das Altpapier am 23. Februar 2024 von Johanna Bernklau Reingefallen!

Kolumne: Das Altpapier am 23. Februar 2024 – Reingefallen!

Wissenschaftsjournalistin Mai Thi Nguyen-Kim wollte Populismus mit Populismus aufklären. Medien berichteten trotz vager Fakten über ihren vermeintlichen Einstieg in die Politik, ärgerten sich später über den "PR-Stunt".

Fr 23.02.2024 13:12Uhr 03:15 min

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Kolumne: Das Altpapier am 23. Februar 2024 Reingefallen!

23. Februar 2024, 10:21 Uhr

Wissenschaftsjournalistin Mai Thi Nguyen-Kim wollte Populismus mit Populismus aufklären. Medien berichteten trotz vager Fakten über ihren vermeintlichen Einstieg in die Politik und ärgerten sich später über den "PR-Stunt". Doch der eigentliche Sinn des Experiments wird verkannt. Heute kommentiert Johanna Bernklau die Medienberichterstattung.

Porträt der Altpapier-Autorin Johanna Bernklau
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Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.

"PR-Stunt" oder soziales Experiment?

Vergangene Woche veröffentlichte die Wissenschaftsjournalistin Mai Thi Nguyen-Kim ein Video auf ihrem seit 10 Monaten stillgelegten YouTube-Kanal "maiLab". Die Freude der Fans: groß. Ist Mai zurück? Seit ihrer Trennung von "funk" war sie jedoch nie ganz von der medialen Bildoberfläche verschwunden, sondern versorgte mit ihrer eigenen ZDF-Show "Maithink X" ihre Fans weiter mit Wissenschaftsjournalismus.

Umso verwunderlicher also, ein Video in alter YouTube-Manier von ihr in den Feed gespült zu bekommen. In dem Video, das sie "Statement" nennt, drückt sie ihre Unzufriedenheit zum politischen Klima in Deutschland aus, warnt vor Populismus und kündigt an, selbst in der Politik mitmischen zu wollen – oder?

Wer den Altpapierkorb von vor drei Tagen gelesen hat, weiß es freilich schon: Nguyen-Kim geht nicht in die Politik. Was sich knapp eine Woche nach Veröffentlichung des Videos als "PR-Stunt", "PR-Gag" bzw. Eigenwerbung für ihre erste Folge der neuen "Maithink X"-Staffel herausstellte, in der es um populistische Rhetorik in der Politik ging, hinterließ einen faden Beigeschmack in vielen Medienhäusern.

Sowohl die "SZ", der "Spiegel" als auch die "FAZ" murrten im Nachhinein über Nguyen-Kims Populismus-Experiment und zeigten sich enttäuscht, dass der "Stunt" auf Kosten eines in die Wissenschaftsjournalistin vertrauenden Publikums ging.

Das Ganze ist aber doch etwas zu vielschichtig, um es als "haha, reingefallen!" abzutun. Es ist sowohl verkürzt zu sagen, dass es sich dabei lediglich um Eigenwerbung gehandelt habe als auch, dass Medien auf Nguyen-Kims Äußerungen, in der Politik mitmischen zu wollen, reingefallen wären.

Wie Medien auf Populismus (nicht) reinfallen

Letzteres behauptet zum Beispiel der Meinungsblogger und YouTuber Alexander Prinz, der schon vor der offiziellen Auflösung in der "Maithink X"-Sendung alles genau gewusst haben will. Auf seinem Reaction-Kanal "Prinz" erklärte er seinen Zuschauern in einem nicht minder populistisch betiteltem Video ab Minute 20 seine Theorie, die sich vier Tage später als "spot on" (Zitat Ngyuen-Kim) herausstellte.

Anhand dieses "Focus"-Artikels exerziert Prinz durch, wie "weniger seriöse Medien" auf die eigenen populistischen Äußerungen von Nguyen-Kim reingefallen wären: Mit dem im Bericht zitierten "Hallo Berlin? Hier unten, die vernünftige Mehrheit" sei der "Focus" genau auf eine der Äußerungen aufgesprungen, vor denen Nguyen-Kim in der "echten" Politik-Welt eigentlich warnen will.

Blickt man auf die Meldungen anderer Medienhäuser, entdeckt man auch dort die prägnanten Wort-Schnipsel, die Nguyen-Kim in ihrer ersten "Maithink X"-Folge als populistische Äußerungen nochmal aufgreift: "Also Nerds an die Macht" und "Manchmal ist es gar nicht so verkehrt, einen festgefahrenen Betrieb mit einem Außenseiterblick aufzuwirbeln" steht sowohl im "Spiegel" als auch in der "SZ". die "Süddeutsche" schreibt den "Wir gegen die da oben"-Frame mit "Nerds an die Macht" sogar in den Titel.

Trotzdem: So ganz "reingefallen" sind die seriösen Medien dann doch nicht. Denn der letzte Satz im "SZ"-Artikel lautet: "Ein Gespräch lehnte Mai Thi Nguyen-Kim am Dienstag ab. Es bleibt vage." So ganz genau, was Nguyen-Kim da vorhabe, wisse man also noch gar nicht.

Falsche Medienlogik

Und damit sind wir beim viel tiefer liegenden Problem angekommen. Eine Sache kann man "den Medien" dann nämlich doch vorwerfen. Blickt man kurz zurück auf das Journalismus-Einmaleins, das wir alle in der Ausbildung gelernt haben, erinnert man sich vielleicht daran, was eine gute Nachricht ausmacht: Wer, was, wann, wo, wie, warum, woher?

Naiverweise könnte man jetzt also fragen: Wenn auf die Frage "Was?" die Antwort "Es bleibt vage" lautet, warum wird daraus dann eine Meldung? Und wenn das ZDF auf die Frage "Was?" mit einem Verweis auf die nächste "Maithink X"-Sendung antwortet – warum wartet man dann nicht bis zu jener Sendung?

Die Antwort ist natürlich klar: Weil alle melden und man möchte nicht der Letzte sein. Schade eigentlich: Man hätte sich in dem Fall nicht nur eine zweite, berichtigende Meldung gespart, sondern auch den Vervielfachungseffekt des "PR-Stunts", der im Nachhinein in den Kommentaren der "SZ" und "FAZ" durch die Blume ein bisschen mitbeweint wurde.

Nur warum werden halbgare Nachrichten vermeldet?

Vergangenen Sommer gab es dafür ein schönes Beispiel: Medien berichteten schier Hals über Kopf über eine Umfrage, bei der jeder dritte Mann es ok fände, im Streit handgreiflich gegenüber einer Frau zu werden. Blöd nur, dass zu diesem Zeitpunkt keiner die Studie wirklich vorliegen hatte.

Obwohl in diesem Beispiel eine andere W-Frage (Woher?) nicht ganz beantwortet werden konnte als in unserem Fall heute, kann man die Erklärung zu der Berichterstattung über die Männlichkeits-Umfrage vom letzten Jahr auch auf die Berichterstattung über Mai Thi Nguyen-Kim übertragen.

Im detektor.fm-Podcast vom Juni 2023 antwortete Deutschlandfunk-Journalistin Kathrin Kühn auf die Frage, warum Medien trotz unklarer Quellenlage berichtet hätten, dass sich Medien gegenseitig befeuern würden:

"Wenn es mehrere machen, entstehen so Kettenreaktionen, sodass einer dem anderen nachfolgt, keiner will der letzte sein, der Druck wird dann größer."

Außerdem sollten die News aus dem eigenen Medienhaus kommen, damit niemand abwandere.

"Und da dann zu sagen: Stopp, das machen wir nicht, bis sich alles geklärt hat – da braucht man schon Beharrungskräfte."

Dazu sei gesagt: Je relevanter, wichtiger, aufregender die Nachricht, desto eher könnte man eine vorerst lückenhafte Berichterstattung noch rechtfertigen. Aber die Meldung, dass eine Wissenschaftsjournalistin irgendwie in die Politik gehen will, hätte doch tatsächlich noch ein paar Tage warten können?

Außerdem konnte die Berichterstattung zum Zeitpunkt des ersten Videos eigentlich keinen richtigen Mehrwert bringen. Alles, was man zu diesem Zeitpunkt wusste, war sowieso schon Thema des Videos, das auf dem "maiLab"-Kanal mit über 1,4 Millionen Abonnenten veröffentlicht wurde. Öffentlichkeit herstellen konnte die Wissenschaftsjournalistin also schon selbst, auch ohne Berichterstattung. 

Ausgenutzte Glaubwürdigkeit?

Moralisch kann man das Experiment natürlich ein bisschen verwerflich finden. Besonders, weil man die Wirksamkeit von Populismus nur schwer wieder umkehren kann. Trotzdem: Die "Aufklärungsfolge" von Nguyen-Kim hat auf YouTube zumindest 500.000 Aufrufe mehr als ihr "Statement"-Video. Dass hier hoch gepokert wurde, ist klar. In der "FAZ" kommentiert Kira Kramer:

"Dass Populismus wirkt, dürfte spätestens seit Trumps Wahl 2016 klar sein, es hätte nicht noch eine Wissenschaftlerin mit besserer Frisur, aber ähnlicher Rhetorik gebraucht, um das zu verdeutlichen."

Zwei Probleme habe ich mit dieser Aussage.

Erstens: Der völlig unpassende Fokus auf Nguyen-Kims Frisur (übrigens auch im Titel: "Populistin, nur besser frisiert") geht komplett am Thema vorbei und ist als Vergleich mit Donald Trumps markanter Frisur mindestens an den Haaren herbeigezogen. Ein schönes Beispiel dafür, wie eine Frau – mal wieder – auf ihre Äußerlichkeiten reduziert wird.

Zweitens, und diesmal geht es um den Inhalt: Dass Populismus funktioniert, ist selbstverständlich mittlerweile klar geworden. Aber eben vor allem bei "den anderen". Ich würde behaupten, dass viele zumindest unterschätzt haben, wie anfällig man selbst für populistische Aussagen sein kann, wenn sie aus der eigenen Bubble kommen.

Auch der "SZ"-Kommentar verfehlt die eigentliche Aussage. Aurelie von Blazekovic schreibt:

"Wer ihrem Statement Glauben schenkte, ist nicht den Mechanismen des Populismus aufgesessen, sondern seinem Vertrauen in die ZDF-Moderatorin."

Nicht ganz. Der Kniff des Experiments war nicht, dem Statement Glauben zu schenken. Denn dass man das – sowohl als Privatperson als auch als Medium – macht, liegt bei so einem Video erstmal auf der Hand. Stattdessen ging es um die populistischen Aussagen ("Nerds an die Macht"), denen man sich insgeheim anschließt, die man gut findet, obwohl man starke Vereinfachungen, ein "Wir gegen die" oder Strohmann-Argumente bei anderen eigentlich doof und gefährlich findet.


Altpapierkorb ("Super-Mediathek", Presseförderung, funk-Doku, vice)

+++ Eine "Super-Mediathek" (DWDL) soll sie werden, die Plattform "Joyn" von ProSiebenSat.1. Das zumindest wünscht sich deren CEO Bert Habets, der die Angebote von RTL und öffentlich-rechtlicher Anstalten gerne in einer gemeinsamen Plattform zusammenfügen möchte. Obwohl die Idee nicht neu und die Ablehnung von ARD und ZDF wegen diverser Gründe (siehe DWDL-Artikel) eigentlich bekannt ist, fanden laut DWDL dennoch in jüngerer Vergangenheit Gespräche zwischen ProSiebenSat.1. und der ARD statt. Vorbild für Habets sei Österreich, wo man trotz fehlender Einigung mit dem ORF dessen Angebote mittels Verlinkung auf "Joyn" abrufen kann. Laut dem EuGH sei das rechtlich zulässig, warum das deutsche "Joyn" das nicht genauso macht, will ProSiebenSat.1. aber anscheinend nicht beantworten.

+++ Im KNA-Newsletter ist die Presseförderung Thema, nachdem am Montag Experten mit dem DJV Berlin und dem Institut für Medienpolitik über die Details einer brauchbaren Förderung diskutiert hatten. Christopher Buschow, Professor für digitalen Journalismus, merkte laut KNA an: Es "müsse klar sein, was genau gefördert werden solle: Lokaljournalismus, Redaktionen oder Innovation. Die Zustellförderung bringe die Branche nach seiner Sicht in keinem dieser Felder weiter, sondern zementiere eher den Status quo und sei daher innovationshemmend."

+++ Das ehemalige "funk"-Format "Simplicissmus" hat mit seinem früheren Arbeitgeber "funk" für eine Doku über russische Hacker zusammengearbeitet. Die ist seit gestern exklusiv in der ARD Mediathek zu sehen und sehr sehenswert. So kann man das junge Publikum natürlich auch in die Mediathek locken.

+++ Die Plattform vice.com wird nach großen finanziellen Schwierigkeiten nun seine Seite schließen, meldet dwdl.de. +++

Das Altpapier am Montag schreibt Klaus Raab. Schönes Wochenende!

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