Kolumne: Das Altpapier am 22. Februar 2024 Darf's ein bisschen weniger sein?
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22. Februar 2024, 09:41 Uhr
Alle Intendantinnen und Intendanten verzichten gemeinsam auf Gehalt: Diese Idee für öffentlich-rechtliche Krisen-PR kommt leider zu spät. HR-Intendant Florian Hager, einer der Weniger-Verdiener, verteidigt derweil sein Sparprogramm. Die Medienthemen des Tages kommentiert Annika Schneider.
Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.
Gute Idee: Konzertierter Gehaltsverzicht der Intendanten
Diese Woche steht im Zeichen des Rundfunkbeitrags: Morgen wird die Finanzkommission KEF ihre Empfehlung zu seiner zukünftigen Höhe öffentlich machen (der aktuellste Stand findet sich in der FAZ). Gern diskutiert werden in diesem Zusammenhang die Intendantengehälter, die zwar nur einen kleinen Teil der Senderbudgets ausmachen, aber einen hohen Symbolwert haben. Außerdem ist das Thema griffiger als Strukturdebatten – bei Schlagworten wie "Kompetenzzentren" besteht ja schnell die Gefahr, dass Menschen nicht weiterlesen.
Dass Kai Gniffke bald weniger Gehalt bekommen soll, stand schon vergangene Woche im Altpapier. Aus Sicht des SWR-Intendanten und ARD-Vorsitzenden ist es wohl ein guter Zeitpunkt, kurz vor der KEF-Verkündung Bescheidenheit zu signalisieren. Für den Deutschlandfunk-Kolumnisten Matthias Dell kommt diese Ankündigung allerdings anderthalb Jahre zu spät. Er hat sich in der gestrigen Mediasres-Sendung mit der Krisen-PR der Öffentlich-Rechtlichen befasst und unter anderem kritisiert, dass die Intendantinnen und Intendanten auf den rbb-Skandal direkt mit Gehaltssenkungen hätten reagieren sollen – also in einem "gut lancierten Auftritt" gemeinsam hätten verkünden sollen, dass sie ab sofort weniger Gehalt bekommen.
"Wie toll wäre es gewesen, die Intendanten hätten im Herbst 2022 mit Sinn für diesen Auftritt gemeinsam gesagt, wir haben verstanden, wir packen das an und gehen mit gutem Beispiel voran. Gerade weil die Bezahlung der Führungskräfte der größte Aufreger ist, der vom RBB-Skandal übrigblieb. Man hätte den populärsten Kritikpunkt selbstbewusst abgeräumt, hätte seiner symbolischen Bedeutung Rechnung getragen und, das auch, schon mal effektiv Geld eingespart. Mit solch einem Auftritt hätte sich die bevorstehende Diskussion über die Höhe des Rundfunkbeitrags viel leichter bestreiten lassen."
Dass ein solcher Schritt die Debatte um den Rundfunkbeitrag tatsächlich merklich entschärft hätte, würde ich in Frage stellen – dafür geht es um zu viel. Vermutlich wären die Sender trotzdem in der aktuellen Situation gelandet, in der mehrere Bundesländer sich der Beitragserhöhung verweigern wollen. Aber der Schritt hätte populistischen Akteuren einigen Wind aus den Segeln genommen und wäre ein wichtiges Signal an die Beitragszahlenden gewesen.
Gutes Gespräch: Florian Hager zu anderen Sparmaßnahmen
Interessant ist in diesem Zusammenhang ein Blick nach Hessen: Florian Hager, Intendant des HR, erklärte im August 2022, unmittelbar nachdem Patricia Schlesinger in die Schlagzeilen geraten war, dass er 50.000 Euro weniger bekomme als noch sein Vorgänger (nachzulesen bei der FR).
Die 255.000 Jahresgehalt seien das Ergebnis seiner Vertragsverhandlungen mit dem Verwaltungsrat gewesen. Es war also nicht so, dass Hager sein Gehalt in Reaktion auf die Vorwürfe beim rbb abgesenkt hat – stattdessen hatten die Sendergremien wohl schon einige Monate vorher die Zeichen der Zeit richtig interpretiert. Heute steht Hager in Sachen Gehalt bei der ARD auf dem vorletzten Platz, dahinter kommt nur noch die Intendanz des Saarländischen Rundfunks. (Bei der Größe der Sendeanstalten steht der HR auf Platz 6 von 9.)
Es gibt weitere Gründe, Florian Hager für einen Intendanten zu halten, von dem andere noch etwas lernen können. Er kommt als ehemaliger Funk-Chef nicht nur aus dem Digitalen, sondern hat in einem Interview für den Regionalteil der FAZ nun auch Klartext gesprochen. Die PR-Phrasendichte in dem Text ist erfrischend niedrig, dafür scheut er sich nicht vor klaren Ansagen: Wer sparen wolle, müsse auch Stellen abbauen bzw. freie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter weniger beschäftigten. Anlass für diese Klarstellung ist ein Offener Brief der Gewerkschaften, der schon etwas älter ist. Hager sagt dazu:
"Wir müssen als hessischer Rundfunk damit umgehen, dass wir weniger Geld haben. Wir müssen sparen. Wir müssen kleiner werden. Fakt ist, es werden keine Reporterstellen abgebaut. Es steht auch kein Regionalstudio zur Disposition […]."
In dem Brief ging es laut DWDL unter anderem um den Vorwurf, dass die Zentralredaktion des HR den Radiowellen in Zukunft weniger Beiträge zuliefern solle, vor allem keine Beiträge mehr "zu Kultur, Sport, Service- und Kirchen-Themen". Die Unterzeichnenden kritisieren, dass zu viele Beiträge einseitig vom SWR übernommen würden. Hager verteidigt das:
"Um den Hörerinnen und Hörern weiterhin ein gutes Angebot machen zu können, übernehmen wir Inhalte von anderen. Das ist an sich nichts Neues, in der Nacht gibt es schon lange gemeinsame Hörfunkschienen. Im Zuge des ARD-Reformprozesses nehmen diese Programmübernahmen zu, und das ist richtig so!"
Der Teufel steckt natürlich im Detail: Auch bei einer guten Gesamtstrategie kann vor Ort immer noch am falschen Ende gespart werden, wenn regionale Expertise und Profil verloren gehen. Aber das Beispiel zeigt mal wieder, wie schwierig es ist, ein über Jahrzehnte gewachsenes System neu auszurichten. Und dass es – bei allen Rufen nach Einsparungen in der Verwaltung – auch ans Programm gehen wird und gehen muss. Eine nicht zu unterschätzende Rolle spielt in dem Prozess die große Zahl an freien Mitarbeitenden. Dass die bei jeder Reform um ihre Zukunft und ihr Einkommen fürchten müssen, macht Anpassungen umso schwieriger. Jetzt rächt sich, dass viele zentrale, programmentscheidende Aufgaben seit Jahren immer mehr an Freie outgesourct wurden.
Zu der Konkurrenz zwischen Zeitungen und öffentlich-rechtlicher Regionalberichterstattung äußert sich Hager auch noch – angesprochen auf einen neuen Hessen-Newsletter des HR, der dem Interviewer Manfred Köhler zufolge aussieht, "als hätten Sie ihn zum Beispiel bei unserem eigenen Newsletter für Rhein-Main abgekupfert". Der Intendant sagt dazu:
"Das sehe ich völlig anders. Zu einer digitalen Bildberichterstattung gehört auch der Text. Es gibt klare Abmachungen mit den Verlegern, an die wir uns halten. Die Seite hessenschau.de basiert, wie gemeinsam festgelegt, sehr auf Audio- und Videobeiträgen, sicherlich gibt es dort auch Textzeilen. Es gibt aber auch Forschungsarbeiten, die aufzeigen, dass die Nachfrage nach den Angeboten der Zeitungshäuser keineswegs unglaublich in die Höhe schnellen würde, wenn wir solche Angebote nicht mehr machten."
Darauf, dass auch Verlagshäuser inzwischen Podcasts, Videos und Dokus produzieren, weist er dann auch noch hin.
Altpapierkorb
+++ Kurz bevor sich die Festnahme des US-Korrespondenten Evan Gershkovich in Russland zum ersten Mal jährt, ist sein Fall wieder öfter Thema – heute auch in der "Zeit". Alice Bota schreibt dort über den inhaftierten Journalisten: "Sollte er vergessen werden, sollte der Druck auf Wladimir Putin nachlassen, dann ist Evan Gershkovich verloren."
+++ In dem Zusammenhang interessant: Eine zweite westliche Journalistin, die ebenfalls als US-Bürgerin in Russland inhaftiert ist, bekommt sehr viel weniger Aufmerksamkeit. Alsu Kurmasheva hat für Radio Free Europe in Tschechien gearbeitet, ihre Geschichte war zuletzt bei "Bild" zu lesen ("100 Tage im Russen-Knast"), mehr dazu auf Englisch auch bei Reuters. Sie aus gesundheitlichen Gründen in den Hausarrest zu verlegen, hat ein Gericht diese Woche erst abgelehnt. Im Gegensatz zu Gershkovich hat Kurmasheva für ein weniger prominentes Medium gearbeitet und vermutlich keine so professionelle Unterstützerkampagne hinter sich, wie sie das "Wall Street Journal" für Gershkovich organisiert.
+++ Wie viel mehr Geld ein Arbeitnehmer im Vergleich zu einem Bürgergeldempfänger hat, kann jetzt jeder selbst nachschauen: "Zeit online" hat dazu einen "Sozialleistungsrechner" gebaut, in dem sich verschiedene Faktoren anpassen lassen. Eine Erkenntnis: Arbeit lohnt sich immer, der Umstieg von Teilzeit auf Vollzeit nicht unbedingt. Ich bin großer Fan von solchen interaktiven Tools: Wer damit ein bisschen spielt, behält die Ergebnisse vermutlich im Kopf – anders als nach so mancher Lektüre eines ausführlichen Berichts, der zahlenlastig verschiedene Szenarien durchspielt.
+++ Der Strafrechtsverteidiger Alexander Stevens setzt sich gerade in einem prominenten Ingolstädter Mordfall für die Angeklagte ein – und spricht darüber regelmäßig in einem True-Crime-Podcast des BR, bei dem er Teil des Teams ist. Ob das nicht ein Interessenkonflikt ist, fragt Lisa Kräher bei "Übermedien".
+++ "Dieser Mann ist ein Gefährder", schreibt Stefan Kornelius heute in der "Süddeutschen Zeitung" über Wikileaks-Gründer Julian Assange, dem die Auslieferung in die USA droht. Im Kommentar heißt es: "Die Publikation von einer Viertelmillion Datensätzen hält keinen Vergleich stand, in ihrer Maßlosigkeit und Radikalität widerspricht sie allen journalistischen Grundsätzen."
+++ Mehr Vielfalt, weniger Trash: Was der Berlusconi-Sohn Pier mit der Mediengruppe Media for Europa vorhat und was das mit dem deutschen Medienmarkt zu tun hat, ist heute im Wirtschaftsteil der "Süddeutschen Zeitung" nachzulesen. In Italien profitiere sein Sender auch von der neuen Regierung, schreibt Ulrike Sauer: "Die Ministerpräsidentin Giorgia Meloni hat sich seit ihrem Amtsantritt im Oktober 2022 mit einer systematischen Okkupation des Staatsfernsehens RAI die Sendeanstalt gefügig gemacht. Über den Schaden, den sie dabei anrichtete, kann sich Berlusconi freuen."
+++ Die in der Ukraine gedrehte Serie "In Her Car" über den Alltag im Krieg sei großen Streamingdiensten zu heikel gewesen, berichtet Timo Niemeier bei DWDL – weswegen sie beim ZDF gelandet sei. "Große Streamer sind generell zurückhaltend, sobald Projekte zu politisch sind", sagt dazu der Produzent der Serie, Andreas F. Bareiss. Auch in anderen europäischen Ländern läuft die Serie bei öffentlich-rechtlichen Sendern. Eine Rezension findet sich auch in der SZ.
+++ Einen "Frühjahrsputz in den sozialen Medien" fordert Livio Koppe in der taz – er ist genervt von "sexistischem Bullshit" auf TikTok, konkret vom "Body-Count", der öffentlich zählt und kommentiert, mit wie vielen Männern Frauen angeblich Sex hatten.
Das Altpapier am Freitag schreibt Johanna Bernklau.