Das Altpapier am 20. Februar 2024: Porträt des Altpapier-Autoren Christian Bartels 3 min
"Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren im aktuellen Altpapier die wichtigsten Medienthemen des Tages. Bildrechte: MDR | MEDIEN360G
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Noch mehr newsletternder, podcastender Hauptstadtjournalismus: Nun gibt's "Politico" auf deutsch. Will Ursula von der Leyens EU-Kommission zum "Digital-Sheriff" werden?

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Kolumne: Das Altpapier am 20. Februar 2024 Briefings, Digital-Sheriffs, Presse-Pathos

20. Februar 2024, 10:32 Uhr

Noch mehr newsletternder, podcastender Hauptstadtjournalismus: Nun gibt's "Politico" auf deutsch. Will Ursula von der Leyens EU-Kommission zum "Digital-Sheriff" werden? Lässt sich vergleichen, was Alexej Nawalny und Julian Assange widerfuhr und widerfährt? Heute kommentiert Christian Bartels die Medienberichterstattung.

Porträt des Altpapier-Autoren Christian Bartels
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Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.

"Politico" jetzt auch auf deutsch

Juhu, es gibt mehr Lesestoff, und zwar werktäglich: Das US-amerikanische Onlinemedium "Politico", das der deutsche Springer-Konzern 2021 teuer eingekauft hatte – unbestätigt kolportiert wurde eine Milliardensumme zumindest in Dollars – erschien am gestrigen Montag erstmals auf deutsch. Richtig leicht zu finden ist der neue Newsletter namens "Berlin Playbook" im auch unter der Adresse politico.de englischsprachigen Internetauftritt nicht. Aber hier lässt sich die Start-Ausgabe "Europas mächtigste Frau" nachlesen, der am heutigen Dienstag um kurz nach 7.00 Uhr "Taurus: Jein, danke" folgte.

In der Debüt-Ausgabe ging's oben los mit der (nicht zu detailversessenen) Menüfolge eines "rustikalen Sterne-Essens", wie sie seit jeher journalistische Recherche symbolisiert. Damit einher ging aber die dann überall oben vermeldete, am heutigen Dienstag viele Titelseiten gedruckter Zeitungen zierende Nachricht, dass EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen weiter machen und bei der EU-Parlamentswahl im Sommer kandidieren möchte. Und dass ihre deutsche Partei, die CDU, das auch will. Das war also eine handfeste News.

Weiter unten neckt der Newsletter ein konkurrierendes Medium, indem er schreibt, dass das, was "der Spiegel ... am Samstag" schrieb, "aber ... nur die halbe Wahrheit" gewesen sei, und dann "die wahre Geschichte" erzählt. (Um Personalienrangeleien in der SPD geht es). Das geschieht in der etwas obskuren Rubrik "Inside Baseball". Echte Hardcore-Insidereien bietet die Rubrik namens "Spotted" ("Beim Kickerturnier der Münchner Sicherheitskonferenz ..."). Wer da drin nicht auftaucht, wird wohl kaum mehr zu Sandra Maischberger eingeladen. Am Rande sind blinkende, aber nicht zu nervtötend bewegte Google-Anzeigen zu sehen. Lob verdient, dass der Newsletter externe, also auch zu Wettbewerbern führende Links enthält, was sich ja auch längst nicht mehr von selbst versteht.

"Das Wissen aus Brüssel, London, Paris und Washington nach Deutschland zu holen", nannte der Leiter des "Redaktionsteams in Berlin, das im goldfarbenen Axel-Springer-Hochhaus sitzt", Gordon Repinski, in der Agenturenmeldung (sueddeutsche.de/dpa, "Standard"/APA) als Ziel. Repinski wurde schon, als er noch beim Halb-Rivalen, dem teilweise auch Springer-besessenen "Pioneer" wirkte, auch durch Talkshows bekannt. Nun gibt es also neben Gabor Steingart sowie Michael Bröcker und Helene Bubrowski vom Vollrivalen Table Media noch mehr morning-briefend newsletternde, podcastende und Talkshow-bekannte Hauptstadtjournalisten.

Richtig viele Einschätzungen zum deutschen "Politico"-Start gab es bisher noch nicht. Das dürfte auch damit zusammenhängen, dass die nach Eigeneinschätzung "15" bzw. "14 mins read" erfordernden neuen Newsletter die Rivalität um die Aufmerksamkeit desselben, begrenzten Publikums weiter verschärfen. Ob so viel Konkurrenz noch das Geschäft belebt, das eigentlich ja weitestgehend vom Plattformkapitalismus dominiert wird (und deshalb in die Nische der E-Mail-Newsletter auswich, weil man sich nur darin noch ganz gut selbstständig vermarkten kann), wird spannend.

Von der Leyens EU-Kommission & die Medien

Ist es denn gut oder zu begrüßen, dass Ursula von der Leyen weiter machen will? Na ja, so la la, lautet grob zusammengefasst der Tenor der meisten Kommentare, die nun auf den Meinungsseiten der Zeitungen stehen. Diese Kommentare schauen entweder aus der Sicht der aktuellen Ampel-Bundesregierung (deren Parteien von der Leyen ja nicht angehört, obwohl eigentlich immer die jeweiligen nationalen Regierungen jemand in die EU-Kommission senden, der dann dort ihre Interessen vertreten soll) oder aus der Sicht der derzeit oppositionellen CDU, die mit der Brüsseler Arbeit ihres Mitglieds von der Leyen auch kaum zufrieden sein kann. Schon das zeigt, dass für einen breiten internationalen, aber deutschsprachigen Blick, wenn "Politico" so was hinkriegt, Spielraum besteht.

Aufmerksamkeit verdient der "taz"-Artikel des Brüsseler Korrespondenten Eric Bonse. Nicht unbedingt, weil der von der Leyens Arbeit sehr kritisch sieht (oder nochmals vertieft, dass von der Leyen bei der Europawahl 2019 ja überhaupt nicht kandidiert hatte ...), sondern weil es auch um die Medienarbeit der Präsidentin geht:

"Gleich nach ihrem Wechsel nach Brüssel heuerte sie die PR-Agentur Story Machine an, die ihr Aufmerksamkeit in den so­zia­len Medien sichert. Bezahlt wurde die Firma, die vom früheren Bild-Chef Kai Diekmann gegründet wurde, angeblich aus eigener Tasche – mit einem 'privaten' Beratervertrag. Fortan wurden fleißig Videos mit von der Leyen als Hauptdarstellerin veröffentlicht. Auf dem Höhepunkt der Coronakrise zeigte die approbierte Ärztin ihren Followern, wie man richtig die Hände wäscht. Die eigentlich zuständige EU-Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides kam in dem Clip nicht vor. Auch später sollte sich von der Leyen immer wieder in den Vordergrund drängen ..."

Außerdem Aufmerksamkeit verdient, dass die so ambitiösen wie umstrittenen Digital-, also Medien-Gesetze der EU, also der Digital-Services- und der Digital-Markets-Act im keineswegs kurzen Text gar nicht auftauchen. Dazu hat heute Michael Hanfeld auf der "FAZ"-Medienseite (Abo) ein noch größeres Stück geschrieben – mit noch mehr Furor als gewohnt, "Asterix"-Pathos in der Überschrift und einem Katzenfoto als Online-Illustration:

"Am Mittwoch steht im Digitalausschuss des Deutschen Bundestages eine wichtige Beratung an. Es geht um das 'Digitale-Dienste-Gesetz'. Mit dem soll der 'Digital Services Act' (DSA) der EU in nationales Recht gegossen werden. Das EU-Gesetz formuliert für Plattformanbieter im Netz umfangreiche Pflichten und gewährt der EU-Kommission Kontrollbefugnisse in bislang nicht gekanntem Ausmaß. Sie will eine Art digitaler Weltsheriff werden. In der Rolle gefällt sich insbesondere der EU-Kommissar Thierry Breton ..."

Und den Franzosen drängt von der Leyen, die schließlich eher vom französischen Präsidentin als von der damaligen Bundeskanzlerin in ihr Amt gehoben worden war, nicht in den Hintergrund. Während Hanfeld der EU-Kommission also Digital-Sheriffs-Ambitionen zuschreibt, unterstellt er der aktuellen deutschen Bundesregierung das "heimliche Ziel, den Bundesländern die Zuständigkeit für die Rechtsaufsicht im Internet komplett wegzunehmen". Da geht es um die Frage, wer in Deutschland für den DSA zuständig sein soll: die Landesmedienanstalten der Bundesländer, denen inzwischen Hanfelds Sympathie gehört ("letzter Rest staatsferner und funktionierender Medienaufsicht"), obwohl sich an deren komplizierten überkommenen Strukturen ja auch allerhand kritisieren ließen, oder aber die Bundesnetzagentur, die "keinerlei Kompetenzen in Fragen inhaltlicher Medienkontrolle" besitzt und eng mit Robert Habecks Wirtschaftsministerium verknüpft ist.

Um solche Fragen ging es auch schon in diversen Altpapieren, etwa diesem. Darüber ließe sich lange streiten – aber besser, wenn sich mal herausgestellt haben wird, ob die mit hohen Ambitionen formulierten EU-Gesetze grundsätzlich geeignet sind, um mit nicht in der EU ansässigen, abermilliardenschweren Plattformkonzernen sinnvoll umzugehen. Indizien dafür, dass sie es sind, hat die EU-Kommission bisher nicht geliefert.

Was Julian Assange blüht

Gestern hier ging es bereits um Julian Assange. Derzeit erscheinen jede Menge aufrütteln wollender Beiträge zum Schicksal des in London unter Folter-ähnlichen Umständen eingekerkerten Australiers.

"Am kommenden Dienstag und Mittwoch schlägt Assange seinen womöglich letzten in Großbritannien möglichen Rechtsweg ein", schreibt Großbritannien-Korrespondent Daniel Zylbersztajn-Lewandowski in der "taz". "Schlimmstenfalls könnte der Wikileaks-Gründer seine letzte Reise antreten", setzt Edo Reents im "FAZ"-Feuilleton (Abo) fort:

"Assange ist seit 2010 kein freier Mann mehr und auch nicht bei guter Gesundheit. Nach wie vor ist sogar zu befürchten, dass unter den Augen der westlichen Wertegemeinschaft ein Mensch stirbt – an den jedenfalls für ihn folterähnlichen Haftbedingungen im Londoner Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh, an Erschöpfung oder an der an diesem Dienstag und Mittwoch vor dem dortigen Obersten Gerichtshof letztmalig verhandelten, sein Schicksal dann wahrscheinlich besiegelnden Auslieferung an die Vereinigten Staaten."

Da muss Alexej Nawalny gar nicht explizit erwähnt werden, um bei aller Unterschiedlichkeit – schon weil sich in westlichen Staaten Unterstützung für Assange gefahrlos formulieren lässt – auch Parallelen ziehen zu können.

"Die Staaten der Europäischen Union, allen voran Deutschland, verkennen beharrlich, dass eben nicht nur Russland und China verantwortlich für die Erosion des Völkerrechts sind",

sagt der Jurist Wolfgang Kaleck vom European Center for Constitutional and Human Rights im Interview bei netzpolitik.org. Und der "Guardian", der eng mit den "Collateral Murder"-Veröffentlichungen verknüpft ist, appelliert:

"This newspaper’s journalism, and that of potentially every newspaper based in the US or an allied country, would be at risk too. If the prosecution succeeds, the New York Times lawyer in the Pentagon Papers case has said, 'investigative reporting based on classified information will be given a near death blow'".

Was es mit dem aus dem Jahre 1917, also der Zeit des Ersten Weltkriegs stammenden Spionagegesetz auf sich hat, nach dem Assange angeklagt wird, und wie es weitergehen dürfte, schildern die unermüdlichen Reporter ohne Grenzen:

"Das Gericht wird seine Entscheidung wahrscheinlich erst einige Wochen nach der Anhörung bekanntgeben. Die Richter können Assanges Berufungsantrag ganz oder teilweise stattgeben. In dem Fall könnte eine weitere Anhörung stattfinden. Wird er komplett abgelehnt, könnte Assanges Auslieferung unmittelbar bevorstehen. Dann bleibt ihm nur noch der Gang vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ..."

Zu befürchten bzw. zu beobachten ist erstens, dass das Presse-Pathos etwa um die vom "Guardian" erwähnten "Pentagon Papers", das auch dank Hollywood-Verfilmungen etwa der Watergate-Affäre ja lange Zeit zur Popkultur gehörte, keine sehr große Wirkung mehr entfaltet. Sei es, weil es insgesamt überstrapaziert wurde, sei es, weil die Presse und überhaupt nachrichtliche Medien immer mehr zum Ziel vieler, oft ungerechter Kritik wurden. Und zweitens, dass genau diese Unsicherheit – jahrelang entwürdigenden Verfahren ausgesetzt zu sein, an die sich günstigenfalls ein weiteres langes Verfahren anschließt (oder ungünstigenfalls jahrhundertelange, noch Folter-ähnlichere Haft in den USA) – das eigentliche Ziel ist, das die US-amerikanische Regierung, ob nun von Trump oder von Biden geführt, und ihre Verbündeten etwa aus dem traditionsreichen Rechtsstaat Großbritannien erreichen wollen. Die abschreckende Wirkung, die es entfaltet, ist der Zweck.


Altpapierkorb (Grimme-Institut, Müller von Blumencron, Böhmermann,  Mai Thi Nguyen-Kim, Eisenach, ESC-Show)

+++ Neues vom Grimme-Institut: Nicht von konkurrierenden Kandidaten für den Spitzenposten, den Direktorin Frauke Gerlach in zwei Monaten nicht ganz freiwillig frei macht, aber von konkurrierenden Personalberatungen, die Leute dafür finden sollen, berichtet "epd medien". Zu allerhand wichtigen Fragen wollte "der Deutsche Volkshochschul-Verband (DVV), der den Vorsitz in der Gesellschafterversammlung hat", sich nicht äußern. +++

+++ Länger nichts gehört von Mathias Müller von Blumencron, der als langjähriger "Spiegel Online"-Chefredakteur den deutschen Onlinejournalismus durchaus prägte. Inzwischen wirkt er in der Schweiz als publizistischer Leiter des Tamedia-Konzerns. In diesem interessanten republik.ch-Stück über die Depublikation des "Tages-Anzeiger"-Artikels "Zwei schwere Unfälle, zwei Todes­fälle, eine verprügelte Betreuerin", kommt auch er vor. +++

+++ "Was irritieren muss, ist die Haltung des ZDF", kommentiert Joachim Huber zur neuesten Böhmermann-Aufregung, die nicht nur, aber auch mit angeblicher Mehrdeutigkeit des Verbs "Keulen" spielen möchte. "Offensichtlich ... fürchtet das ZDF, dass jede Äußerung in die Pro- oder Contra-Richtung ausgelegt wird. Besser die Drei-Affen-Rolle spielen: Nichts sehen, nichts hören, nichts sagen. Für mich ist der Akt der Zurückhaltung ein Akt der Feigheit", schreibt Huber im "Tagesspiegel" weiter.

+++ ZDF-Kollegin Mai Thi Nguyen-Kim geht doch nicht in die Politik, sondern machte bloß Werbung für ihre Show. "Doch was hat die Wissenschaftsjournalistin mit der Aktion entlarvt? Dass man am Ende niemanden glauben kann, auch ihr nicht, die Wissenschaftlichkeit und strenge Faktentreue zu ihren Unique Selling Points zählt? Und das soll gegen den Populismus und seine Zersetzung des öffentlichen Diskurses helfen?", äußert sich Aurelie von Blazekovic in der "SZ" (Abo) enttäuscht. +++

+++ "'Bild' feiert die 'klare Meinung' der Anti-AfD-Demos, hat aber selbst keine", notiert der leidenschaftliche "Bild"-Beobachter Stefan Niggemeier bei uebermedien.de. +++

+++ "Der Rundfunkbeitrag wird ab dem kommenden Jahr wohl sehr wahrscheinlich steigen", schreibt Timo Niemeier bei dwdl.de in Erwartung des KEF-Berichts, der am Freitag gewiss medienöffentlich überreicht werden wird, und sieht daher allerhand Bundesländer-Politiker in einer "ausweglosen" Lage. +++

+++ Auch das ist Medienjournalismus: Ein "Lehrstück" der "taz" darüber, "wie schlechte Zustände in der Gaming-Industrie zu schlechten Spielen führen", und zwar anhand eines Computerspiels, das die französische Firma Ubisoft aus steuerlichen Gründen in Singapur produzieren ließ. +++

+++ Die Eisenacher Ermittlungen "gegen einen Fotografen, der mehrfach über Rechtsrock-Konzerte berichtet und dessen Teilnehmer fotografiert hat", um die es hier im Altpapierkorb ging, sind "bereits Anfang des Monats mangels hinreichenden Tatverdachts gegen den Beschuldigten nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt worden", meldet "Zapp" auf Twitter/X. +++

+++ Und "dem NDR jedes Jahr dabei zuzuschauen, wie er sich verzweifelt aller erdenklichen Mittel bedient, um das Stammpublikum der ARD mit einer musikalisch abwechslungsreichen Fernsehshow bloß nicht zu überfordern, frustriert ungemein", heißt es in einer schön scharfen "epd medien"-Kritik zur ESC-Show der ARD. +++

Das nächste Altpapier schreibt am Mittwoch René Martens.

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