Kolumne: Das Altpapier am 30. Januar 2024 Medienpolitik ist wie die Bahn
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30. Januar 2024, 10:15 Uhr
Die Medienpolitik traf sich voller "Reformgeist" am Rhein. Der Zukunftsrat scheint schon ein bisschen passé. Bayern hätte gerne 3sat und Arte zusammengelegt. Kai Gniffke senkt sein Intendanten-Gehalt selber etwas. Die ZDF-Gremien sind eigentlich gegen Stargagen-Transparenz. Aber die größten ZDF-Millionäre heißen Markus Lanz und Horst Lichter. Heute kommentiert Christian Bartels die Medienberichterstattung.
Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.
Die Medienpolitik hat getagt
Gibt es ein eingängigeres Bild für schnellen Fortschritt oder zumindest pünktliches Vorankommen als die gute alte Eisenbahn? Immerhin fahren im Deutschland der 2020er Jahre immer mal wieder Züge (wenn nicht gerade gestreikt wird oder ein Stellwerk kaputt ist oder Bauarbeiten fürs Deutschlandtakttempo der 2070er Jahre laufen oder es schneit ...). Vielleicht daher wählte Sachsen-Anhalts wichtigster Medienpolitiker Rainer Robra lauter Zug-Metaphern, wenn er heute für die "FAZ"-Medienseite (Abo) den Zwischenstand der Öffentliche-Rechtlichen-Debatte nach den Zukunftsrats-Vorschlägen zusammenfasst. "Der Reformzug rollt, und die Richtung stimmt", heißt der Beitrag. Die Bundesländer hätten "die Weichen für weitere Reformen gestellt", heißt's darin.
Die vor anderthalb Wochen vorgestellten Zukunftsrats-Ideen wurden zunächst freundlich aufgenommen, nicht zuletzt, weil sie bis dahin kaum wer gekannt hatte. Inzwischen wird auch allerhand Kritik laut. Neben der gestern hier erwähnten, sozusagen organisationswissenschaftlichen von Jürgen Bremer, der den Aufbau einer neuen "Zentral-ARD" befürchtet, wäre noch schärfere von Leonhard Dobusch zu nennen. "Der 'Zukunftsrat' hat seinen Namen verfehlt", beklagte das ZDF-Verwaltungsrats-Mitglied beim KNA-Mediendienst (Abo), nicht nur, aber auch wegen des "völligen Fehlens von Ideen und Vorschlägen zur Öffnung öffentlich-rechtlicher Digitalplattformen (auch was Publikumsinteraktion betrifft)". Vor allem, was Dobusch zum von Plattformkonzernen gekaperten Begriff des "Ökosystems" im Medien-Sinne schreibt, würde zu einer größeren öffentlich-rechtlichen Zukunft gehören.
Unterdessen hat die Medienpolitik, die bekanntlich aus den Staatskanzleien der Bundesländer heraus im Paket mit jeweils anderen Ressorts miterledigt wird, sich in Bingen am rheinland-pfälzischen Rhein (gegenüber von Rüdesheim) versammelt, um die laufenden Diskurse zusammenzubringen. Davon berichtet Robras Gastbeitrag ganz begeistert ("der Reformgeist, den die Länder in Bingen gezeigt haben"). Was er eher nur zart andeutet ("Wir, die Länder, sind uns nicht in allem einig"), führt der offenbar nur online erschienene eigentliche faz.net-Bericht zum Thema weiter aus:
"Auf eine Änderung des Beitragsverfahrens, wie vom Zukunftsrat vorgeschlagen, konnte man sich nicht verständigen. Keine Einigung besteht bei den Ländern auch hinsichtlich einer Kernfrage der Zukunftsratsvorschläge: Die Gründung einer ARD-Dachorganisation, sozusagen einer neuen ARD."
Heißt: Die "Zentral-ARD" bzw. "das zweite Zweite", wie Bremer es jeweils nannte, bzw. "die sogenannte zwölfte Anstalt", wie die "SZ" (Abo) in ihrem Bericht formulierte, kommt doch nicht. Womit die prägnanten Zukunftsrats-Formulierungen, die einen Unterschied zwischen gewiss bestehender Reformwilligkeit, aber praktisch kaum vorhandener Reformfähigkeit machten (z.B. in diesem "FAZ"-Interview), sozusagen weggewischt sind. Auf seiner eigenen Seite medienpolitik.net steigt "FAZ"-Autor Helmut Hartung tiefer in die aktuellen Streit-Details ein: Unterschiedliche Ideen
"prallten in der zweitägigen Beratung aufeinander. Das Resultat ist ein Beschluss, der die Länder nicht zufrieden stimmt, weil in vielen Punkten kein Konsens zu erkennen ist und die Erwartungshaltung der Öffentlichkeit somit enttäuscht wird. Die Differenzen zeigen sich auch darin, dass Bayern – ungewöhnlich für eine Beratung der Rundfunkkommission – eine Protokollerklärung zum Beschluss durchsetzte."
Tatsächlich hat die – nicht gerade durch Transparenz überzeugende – Rundfunkkommission zu ihrem jüngsten Treffen nicht einen, sondern gleich zwei Beschlüsse als PDF veröffentlicht. Beim derzeit hier an zweiter Stelle stehenden handelt es sich um die spezielle "Protokollerklärung des Freistaat Bayerns", in der "eine deutliche Reduzierung der Programme in Fernsehen und Hörfunk", u.a. "arte und 3sat zu einem Programm weiterzuentwickeln" gefordert wird. Was offenbar keiner Mehrheitsmeinung der Länder entspricht, aber immerhin den prozedural sowieso langen Wegen hin zu weiteren Rundfunkstaatsverträgen, noch eine Komplexitätsschleife hinzufügt ...
Die insgesamt wichtigste Medienpolitikerin, die rheinland-pfälzische Staatssekretärin Heike Raab, wird in der "Süddeutsche"-Zusammenfassung zu einem der Themen, über die seit Jahren diskutiert wird, mit dem Spuch zitiert, das sei eben "kein Thema, das man mal eben zwischen Frühstück und Mittagspause gelöst bekommt". Damit ist die deutsche Medienpolitik echt fulminant auf den Punkt gebracht.
Öffentlich-rechtliche Spitzenverdiener
Heute steht im "Tagesspiegel" (Abo) ein doppelseitiges Interview mit dem ARD-Vorsitzenden und SWR-Intendanten Kai Gniffke. Es enthält viele interessante Aussagen ("Nehmen wir doch mal an, wir haben in diesem Jahr den ersten Ministerpräsidenten, der der AfD angehört. Ministerpräsidenten sind für Medienpolitik zuständig. Soll ich dann nicht mehr mit denen reden?"), und zeigt auch, dass Gniffke gut Rahmen zu setzen versteht. Statt der kritischen Zukunftsrats-Aussagen über Reformwilligkeit und Reformfähigkeit (s.o.) übernimmt er lieber das ähnlich klingende, viel freundlichere "reformwürdig und reformfähig", das die Rundfunkkommission der ARD und sich selbst bescheinigt.
Nach seinem eigenen Gehalt als Intendant, das zwar knapp unter 0,4 Mio. Euro im Jahr liegt, aber hinter Spitzenreiter Tom Buhrow doch das zweithöchste im ARD-Verbund ist, wird Gniffke am Ende auch gefragt. Schließlich hieß es kürzlich, dass er ab Herbst "weniger Geld erhalten" solle (Altpapier). Das habe nicht etwa das Kontrollgremium verlangt, als es Gniffke für eine zweite Amtszeit wiederwählte, sondern er selbst habe "dem Verwaltungsrat angeboten, meine Vergütung abzusenken", so der Intendant. Recht deutlich stößt Gniffke immerhin zur Rundfunkkommission Bescheid, dass es höchst sinnvoll wäre, Gehalts-Obergrenzen für Intendanten festzulegen, schon weil die Aufsichtsgremien von alleine auf solche Ideen offenbar weiterhin nicht kommen.
Noch mehr als in den Chefetagen kann vor den Kameras verdient werden, wofür ja schon der Marktwert der Prominenz spricht. Dazu hatte das Investigativressort der "Welt" als "WamS"-Titelgeschichte eine Menge Zahlen, und zwar übers ZDF:
"Spitzenreiter bei den Moderationshonoraren ist demnach Talkmaster und Quotenkönig Markus Lanz erhält demnach in diesem Jahr knapp 1,9 Millionen Euro. Im kommenden Jahr sollen es dann sogar rund zwei Millionen Euro sein. Ein weiterer Topverdiener ist Koch und Moderator Horst Lichter ('Bares für Rares') ..."
Womit Markus Lanz, über dessen Quotenkönigtum sich streiten ließe, noch deutlich vor Jan Böhmermann liegt (der ja immerhin auch singt und tanzt). Selbst Wissenschaftsjournalistin Mai Thi Nguyen-Kim "kommt auf 349.000 Euro", liegt also auf gutem Intendanten-Niveau...
Sicher, zur Bewertung solcher Zahlen kann bis muss eine Menge berücksichtigt werden. Zum Beispiel die Anzahl der Sendungen (bei denen Lanz ja tatsächlich zur Spitzengruppe zählt), ihr Aufwand und wie der sich zu öffentlich-rechtlichen Ansprüchen verhält. Ebenfalls herangezogen werden müssten Zahlen von ganz unten. "Telepolis" zitiert in seiner Zusammenfassung einen Tweet/X-Post von Peter Welchering:
"Für einen Beitrag für heute.de liegt das Honorar für Angehörige des journalistischen Maschinenraums bei 250 Euro. Durchschnittlicher Arbeitsaufwand dafür: 1,5 Tage".
Jenseits solcher Diskussionen erst recht bemerkenswert ist, wie bemüht und lange erfolgreich die Spitzensummen geheimgehalten wurden. Und offenbar hätten werden sollen: "Nach Informationen von 'Welt am Sonntag' entschied sich allerdings nun der Verwaltungsrat des ZDF dagegen, die Höhe der Honorarzahlungen an seine Moderatoren öffentlich zu machen", schreibt die "Welt" auch. Dabei dürfte die vielleicht einst vorhandene Gefahr, dass privatwirtschaftliche Wettbewerber den Öffentlich-Rechtlichen Koryphäen wie Lanz und Lichter wegkaufen, sobald sie erst wissen, wie wenige Millionen Euro im Jahr es dafür bräuchte, längst überschaubar sein. Bertelsmanns RTL muss Geld, das es ausgibt, ja auf dem freien Markt einnehmen. Und US-amerikanische Streamer setzen sowieso lieber wieder auf US-amerikanische Produktionen.
Bei einer größeren Umfrage stießen die "Welt"-Journalisten immerhin auf eine größere Koalition, die sich nun auch für Transparenz ausspricht. Dazu gehören der schon erwähnte CDU-Mann Rainer Robra und der Linke Benjamin-Immanuel Hoff, also Thüringens Medienpolitiker, die beide außer zur Rundfunkkommisson auch zum ZDF-Fernsehrat gehören. "Da die Sender von der Gesellschaft finanziert werden, müssen sie auch offenlegen, wofür sie die Gelder einsetzen", sagt MDR-Rundfunkrat Heiko Hilker (der keinem der anderen Gremien angehört) dazu mit Recht.
Also: erstens eine Obergrenze für Intendanten-Gehälter zu setzen (die ja automatisch auch zu niedrigeren Obergrenzen auf den zahlreichen Hierarchieebenen weiter unten in den Anstalten führen würde), und zweitens festzuschreiben, dass außertarifliche Spitzengehälter für Fernsehnasen der Öffentlichkeit transparent gemacht werden müssen (wie Robra es in seiner eingangs erwähnten Weichen-Stellung auch mal wieder ankündigt ...), das müssten doch Aufgaben, die sogar die deutsche Medienpolitik hinbekommen könnte, sein. Zumindest, wenn sie nach dem Frühstück vor der Mittagspause nicht erst noch mal wieder die grundsätzliche Bedeutung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks für die Demokratie rekapituliert, sondern den Koffeinschwung dafür ausnutzt.
Der BfDI muss gehen
Die Ampel-Bundesregierung bekommt, obwohl sie manche föderalistischen Schlaufen nicht mitmachen muss, auch nicht viel hin. Aber manches doch, zum Beispiel für ihr Spitzenpersonal zu sorgen. Über besonders viele Beförderungen wunderte sich table.media im Dezember,
"... wenn in Zeiten großer finanzieller Not (Haushaltskrise) ungewöhnlich viele an einem einzigen Tag in den Genuss kommen. An diesem Mittwoch wird das Kabinett 72 Beförderungen im Range eines Referatsleiters beschließen, alle klettern von A15 auf A16 ..."
Zu so einer Personalpolitik gehört natürlich auch, Posten freizumachen, die dann anders besetzt werden sollen. Aufmerksamkeit verdient insofern die Ablösung des Bundesdatenschutz- und informationsfreiheitsbeauftragten – obwohl Ulrich Kelber der SPD angehört (und 2020, als die SPD noch andere Koalitionspartner hatte, gar in dieser Funktion vom Bundesinnenminister Seehofer verklagt wurde ...)
"Kelber ist seit 2019 Behördenchef, er und seine Leute füllen wichtige Kontrollfunktionen aus und sind auch der Anlaufpunkt für die anderen europäischen Datenschützer. Sie sind in Deutschland zugleich eine vernehmbare Stimme der datenpolitischen Vernunft, die öffentlich für den Datenschutz und auch die Informationsfreiheit spricht, die Expertise in politische Prozesse einbringt und die nicht selten einfach nur auf das gern ignorierte geltende Recht pocht ...",
hebt Constanze Kurz bei netzpolitik.org zu einer Würdigung an (zu der dann auch gehört, dass Kelber sich für das echt soziale Medium Mastodon einsetzte).
"In der Ampel aber wird die Wichtigkeit des Datenschutzes erneut dem Postengefeilsche und Ämterkarussell untergeordnet. Der erfolgreiche Amtsinhaber ist abserviert",
schließt Kurz dann. Darunter in der Diskussion, die bei netzpolitik.org "Ergänzungen" heißt, hagelt es Vermutungen, dass gegen Kelber vor allem Minister seiner SPD selbst gewesen sein könnten. (Dass auch die CDU den Umgang mit Kelber "beschämend" findet, steht bei heise.de.) Das ist nur ein Randaspekt, aber einer, der zum Gesamtbild der gegenwärtigen deutschen Politik auch beiträgt.
Altpapierkorb (Attacken auf Journalisten, in Talkshows sparen, Pressekonzentration, Block-Kinder, Hochhaus-Denkmal)
+++ Vom "schweren Angriff" auf einen Journalisten "am Rande einer propalästinensischen Demonstration in Leipzig" vorige Woche berichtet die "FAZ" , nachdem das der MDR meldete.
Greta Thunberg sei bei der Demo auch dabei gewesen. +++ Außerdem geht es auf der "FAZ"-Medienseite um die im Iran eingekerkerte Nichte des in Deutschland lebenden Exil-Journalisten Farhad Payar (reporter-ohne-grenzen.de). +++
+++ Wer oben zu "Telepolis" klickte, könnte auch auf Peer Schaders Analyse gestoßen sein, "wie SWR und RBB ihre Flaggschiff-Talks deklassieren", nämlich im weiterlaufenden Betrieb der Sendungen "Nachtcafé" und "Thadeusz und die Beobachter" Einsparungen vornehmen (dwdl.de). +++
+++ Vom praktischen Voranschreiten der Pressekonzentration in Sachsen berichtet die "taz". Mitarbeiter der "Sächsischen Zeitung" denken, dass es noch schlimmer kommen können als von Madsack gekauft zu werden. "Für Lars Radau vom DJV Sachsen ist es schon schlimm genug gekommen". +++ Von voranschreitender Konzentration in Westfalen, wo unter anderem Lensing Media das "Bocholter-Borkener Volksblatt" kaufte, berichtet "epd medien".
+++ Wer noch nie ein Stück über die "Die Medienschlacht um die Block-Kinder" las, könnte sich nach Lektüre des langen uebermedien.de-Artikels (€) wundern, dass auch der Name Gerhard Delling auftaucht (der übrigens nicht nur "viele Jahre lang als Sportmoderator für die ARD gearbeitet" hat, sondern einst auch die NDR-Mediensendung "Zapp" moderierte). +++
+++ Und aus dem 15. Stock des brutalistischen, jetzt offiziell denkmalgeschützten Kölner Deutschlandfunk-Hochhauses befragt Altpapier-Autorin Annika Schneider Deutschlandradio-Verwaltungsdirektor Kampmann zu den aktuell auf 290 Millionen Euro taxierten Sanierungskosten – und zur vom Zukunftsrat gestellten Frage, ob solch Denkmalschutz eine Aufgabe der Öffentlich-Rechtlichen sein sollte. +++
Das nächste Altpapier schreibt Annika Schneider am Mittwoch.