Das Altpapier am 19. Januar 2024: Porträt der Altpapier-Autorin Annika Schneider 3 min
"Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren im aktuellen Altpapier die wichtigsten Medienthemen des Tages. Bildrechte: MDR | MEDIEN360G
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Kolumne: Das Altpapier am 19. Januar 2024 Auffällig wenige Instanzen fürs große Ganze

19. Januar 2024, 09:16 Uhr

Dass ARD, ZDF und Deutschlandradio wieder mehr "gemocht" werden, wünscht sich der Zukunftsrat. Seine Reformvorschläge triggern wenige Schlagzeilen, dafür spricht aus den Empfehlungen einiges an Management-Erfahrung. Die Medienthemen des Tages kommentiert Annika Schneider.

Porträt der Altpapier-Autorin Annika Schneider
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Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.

Öffentlich-rechtliche Beharrungstendenzen

In der Pressekonferenz in Berlin, in der der Zukunftsrat gestern seine Ideen für einen besseren öffentlich-rechtlichen Rundfunk vorstellte (Altpapier), gab es diesen einen entlarvenden Moment. Julia Jäkel, Vorsitzende des Rates, hatte flott durch alle Reformpunkte geführt, als einer der zugeschalteten Journalisten wissen wollte, wo denn die geplante ARD-Anstalt, in der sich alle neun Landesrundfunkanstalten zusammenschließen sollen, ihren Sitz haben könne.

"Also, wo sie sitzt, ist uns ganz ehrlich…", setzte Jäkel zu einer Antwort an, schluckte das "scheißegal" wohl gerade noch herunter und endete stattdessen mit: "Das müssen die Länder am Ende entscheiden."

Übersetzen lässt sich das mit: Schluss mit dem Klein-Klein der Provinzfürst-Diskussionen. Die acht Expertinnen und Experten des Zukunftsrats sind nach eigenem Bekunden angetreten, um das öffentlich-rechtliche System komplett neu aufzustellen. Wie ehrgeizig das Vorhaben ist, zeigt eine Zielvorgabe aus dem gestern präsentierten Abschlussbericht des Gremiums (dessen 37 Seiten einen Klick lohnen):

"Die Öffentlich-Rechtlichen müssen überdurchschnittlich innovativ sein und Standards für hochwertige und substanzielle Angebote setzen. Nicht überwiegend Altbewährtes, sondern mehr Neues, Kühnes ist gefragt – im linearen und ganz besonders im non-linearen Bereich."

Soweit die Wunschvorstellung der Medienfachleute. Dem gegenüber steht der Status quo, den das Gremium aus Gesprächen mit Menschen innerhalb und außerhalb der Sender herausgefiltert hat. Hier ein kleines Best-of an Formulierungen: Laut Bericht konnte in den Funkhäusern "ein ganz eigenes System mit sehr eigenen und unausgesprochenen Verhaltensregeln wachsen, das viel Energie nach innen lenkt". Geprägt seien die Sender von "Beharrungstendenzen und unzureichende[r] Agilität".

Besonders schlecht kommt die föderal zerstückelte ARD weg, die "zwar modernisierungswillig, aber nur bedingt modernisierungsfähig" sei:

"In der ARD gibt es auffällig wenig Instanzen, die die Aufgabe haben, das Große und Ganze im Blick zu behalten. Soweit dies doch der Fall ist, verbringen sie einen erheblichen Teil der Zeit damit, ihre Kolleginnen und Kollegen in den anderen Landesrundfunkanstalten in Koordinationssitzungen ‚abzuholen‘."

Alles für den Auftrag

Was der Zukunftsrat nun vorschlägt, um Abhilfe zu schaffen, lässt sich seit gestern Nachmittag an diversen Stellen nachlesen (unter anderem taz, Tagesschau, RND, DWDL), am besten womöglich im Bericht selbst, der schön übersichtlich mit zehn knappen Empfehlungen beginnt.

Im Mittelpunkt steht für den Zukunftsrat der Auftrag der Öffentlich-Rechtlichen, der nicht nur schärfer formuliert, sondern auch besser kontrolliert werden müsse – anhand von messbaren Kriterien und durch gleich mehrere neue Akteure. Dazu gehört für ARD, ZDF und Deutschlandradio je ein Medienrat, der die bisherigen Rundfunk-, Hörfunk- und Fernsehräte ersetzen soll.

In den "kollegialen Geschäftsleitungen" der dann drei Anstalten soll außerdem je eine Person speziell für den Programmauftrag und den Publikumsdialog zuständig sein. Zusätzlich gibt es einen finanziellen Anreiz: In Zukunft sollen die Sender ihren Finanzbedarf nicht mehr an die KEF melden, sondern bekämen schon vorab Geld zugeteilt – das in der nächsten Runde allerdings gekürzt würde, wenn die mit mehr Fachleuten erweiterte KEF zu dem Schluss kommt, das Angebot sei dem Auftrag nicht gerecht geworden.

Skepsis bei den Zeitungskollegen

Und wie kommen diese lang erwarteten Vorschläge der Expertinnen und Experten nun an? Der ARD-Vorsitzende und der ZDF-Intendant fühlen sich "bestärkt" (DWDL), der DJV und die Akademie für Fernsehen sind auch ganz zufrieden, anders als Verdi. Allzu groß fällt die mediale Resonanz ansonsten nicht aus, fast schon hat man das Gefühl: So richtig Lust hat auf das Thema keiner mehr. Michael Hanfeld sieht in seinem FAZ-Kommentar wenig Gutes an den Empfehlungen:

"Die Grundsatzfrage, ob es ein erstes, zweites, die dritten Programme, Dutzende Radiokanäle, Plattformen und unzählige Angebote im Netz braucht, stellen sie nicht. Das ZDF – der mit einem 2,5-Milliarden-Etat teuerste Sender – bliebe fast unbehelligt. Die gigantische Textproduktion der Sender, mit der sie der Presse das Wasser abgraben, nähme nicht ab."

Zu allen diesen Punkten äußert sich das Gremium im Bericht durchaus, lehnt eine Fusion von ARD und ZDF ab, mahnt aber "sichtbare Unterscheidbarkeit" an. Auch dass die Öffentlich-Rechtlichen für die Krise des Geschäftsmodells werbefinanzierter Medien "gewiss nicht verantwortlich" seien, ist im Bericht festgehalten.

Cornelius Pollmer klingt auf der SZ-Medienseite eher resigniert (während er in der dort leider inzwischen üblichen Weise Bericht und Kommentar munter durcheinandermengt):

"[A]n hehren Absichten und grundsätzlicher Wertschätzung für einen starken öffentlich-rechtlichen Rundfunk bleibt kein Zweifel. Diesem Papier liegt aber auch ein Menschenbild sowie speziell ein Glaube an Verhandlungs-, Veränderungs- und Kompromissbereitschaft zugrunde, die sowohl die politisch zuständigen Bundesländer als auch die Mitarbeiter der Öffentlich-Rechtlichen erst noch werden unter Beweis stellen müssen. Die Erfahrung gerade bei Reformbemühungen um den öffentlich-rechtlichen Rundfunk besagen: Auch die bissigsten Papiertiger sind bislang noch immer in Schubladen und Abstimmungsprozessen verendet."

Daraus spricht die Genervtheit von den ständig wiedergekäuten Reformfloskeln, mit denen bei Pressekonferenzen rund um die Öffentlich-Rechtlichen regelmäßig um sich geworfen wird. In diesem Fall waren es aber keine Intendanten oder Medienpolitikerinnen, sondern ein hochkarätig besetztes Gremium, das sich Gedanken gemacht hat – und nun die bisher wohl fundierteste Diskussionsgrundlage zum Thema anbietet. So manches grundlegende (Management-)Problem scheinen die Expertinnen und Experten jedenfalls ganz gut verstanden zu haben. Auch Timo Niemeyer lobt bei DWDL, dass der Bericht zu einer "Versachlichung der Debatte" beitrage, auch wenn ihm konkrete Vorschläge vor allem zum Inhaltlichen fehlen. Immerhin steht zum Auftrag im Bericht auf Seite 8:

"Neben Information, Bildung und Kultur sind Fiktion, Unterhaltung und Sport unerlässlich, weil sich nur so ein breites Publikum erreichen lässt. Auch sie gehören zum Angebotsauftrag der Öffentlich-Rechtlichen. Fiktion, Unterhaltung und Sport können eine Klammer um weite Teile der Gesellschaft bilden und das Publikum binden. Erst das Zusammenspiel aller Bereiche vermag einen wichtigen Beitrag zur Selbstverständigung dieser Gesellschaft zu leisten."

Die eigentliche Schwäche liegt aus meiner Sicht nicht in den Vorschlägen – die ja nach medienpolitischen Maßstäben geradezu in Rekordzeit zusammengestellt wurden und in der Diskussion nun weiter geschärft werden können –, sondern in der Frage, ob die Bundesländer willens sind, das Ganze anzupacken und weiterzudenken. Vor allem da es, wie Cornelius Pollmer richtig schreibt, keinen festen Zeitplan gibt. Julia Jäkel mahnt in jedem Fall zur Eile, bevor das jüngere Publikum den Sendern vollends abhandengekommen ist.

Was das Gremium ebenfalls betont: Dass sich die Politik aus den Vorschlägen nun die Rosinen herauspickt, sei nicht Sinn des Ganzen – der Bericht sei als Paket gedacht. Gut möglich, dass die Länder sich am Ende stattdessen doch wieder in Debatten verhaken, in denen sie vor allem ihre eigenen Standorte im Blick haben. Mal sehen, wann der erste Ministerpräsident sein Land für die ARD-Dachorganisation ins Rennen schickt.


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