Das Altpapier am 18. Januar 2024: Porträt der Altpapier-Autorin Jenni Zylka 4 min
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Was dem einen seine Prime Time, ist dem anderen seine Schnullerkette: Die Berichterstattung über den Fernsehpreis Emmy ist flacher als sein Anlass.

Do 18.01.2024 12:41Uhr 04:15 min

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Kolumne: Das Altpapier am 18. Januar 2024 Die "Succession", wir "Dschungelcamp"

18. Januar 2024, 09:40 Uhr

Was dem einen seine Prime Time, ist dem anderen seine Schnullerkette: Die Berichterstattung über den Fernsehpreis Emmy ist flacher als sein Anlass. Heute kommentiert Jenni Zylka die Medienberichterstattung.

Porträt der Altpapier-Autorin Jenni Zylka
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Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.

Gute Serien zu besten Zeiten

Wird die Welt durch Fernsehen geformt? Oder ist es andersrum? Man könnte mal wieder darüber nachdenken, selbst wenn lineares Fernsehen nur noch ein kleines nostalgisches Glitzern im Auge eines betagten Zuschauers ist.

Am Montag wurden in den USA nämlich die 75. "Prime Time Emmys" verliehen, eine aufgrund des Drehbuchautoren- und Schauspielstreiks um Monate verspätete jährliche Veranstaltung, die schon im Titel ahnen lässt, wie wichtig das Medium für das große, krisengeschüttelte Land ist: Anders als bei Fernsehpreisen in unserer kleinen, zwar ebenfalls krisengeschüttelten, aber dagegen fernsehtechnisch eher mager bestückten Heimat, gibt es in den USA extra Auszeichnungen für Inhalte der "Prime Time", dem zeitlich eingegrenzten Sahnestückchen der linear-televisionären Kultur. Der dort geehrte Content jedoch, und das ist bezeichnend für die strukturellen Unterschiede der Länder und Systeme, läuft hier in Deutschland ausschließlich auf (US-amerikanischen) Streaming Plattformen, und damit quasi nur in der persönlichen Prime Time. Bei uns laufen andere Dinge zur Prime Time (aber dazu später).

Der Spiegel war jedenfalls eines der wenigen Medien, die in der Preisverleihungs-Berichterstattung nicht nur stoisch Zahlen und dpa-Kurzsynopsen wiederholten, sondern stattdessen einen Variety-Artikel zitierte, der einen ganz anderen Rekord aufstellte:

"Better Call Saul" Ended Forever as the Most Snubbed Series of All Time!

We’re picturing Jimmy McGill now, yelling "Zero for 53?!" Yes, Jimmy/Saul, you did not win a single Emmy. Not for Bob Odenkirk, who was nominated six times for drama lead actor for his iconic, fan-favorite character from "Breaking Bad," around whom the AMC prequel was based. Not Rhea Seehorn for her exceptional, nuanced portrayal of Kim Wexler, Jimmy’s friend and partner, and then wife. Not for the show’s superlative writing, nor its directing, nor for any of the supporting cast (Jonathan Banks, Giancarlo Esposito). And not the show itself, which was nominated seven times since its 2015 premiere.

Gute Serien, die nichts abkriegen

53 Nominierungen habe es im Laufe der Zeit für "Better Call Saul" gegeben, hatte das US-Branchenblatt vorgerechnet, und keinen einzigen Prime Time Emmy. Und nun ist die Serie nach sechs Staffeln finis – mehr kommt nicht. Das schmerzt bestimmt – auch wenn man gebetsmühlenartig wiederholen muss: Wo sehr viele Akademiemitglieder (in der US-Fernsehakademie sind es über 23 000!) wählen, die keine Zeit für lange Fernsehabende haben, weil sie auf ihren eigenen TV-Baustellen ackern (die Mitglieder stammen aus 31 Bereichen der Branche und müssen beim Aufnahmeprozess ihren aktuellen, öffentlichen, aktiven Status nachweisen), geht es bei der Entscheidung auch nicht unbedingt gerechter zu, als in einer überschaubaren Jury mit Allianzen bildenden Auserwählten.

Dennoch ist natürlich neidlos anzuerkennen, dass "the most snubbed series" irgendwie auch eine wunderschöne Auszeichnung, und nebenbei gar nicht so einfach zu übersetzen ist – die meistbrüskierte Serie? Die meist übergangene? Vor den Kopf gestoßene? Ignorierte?

Die 75. Ausgabe der wichtigsten US-Fernsehpreisverleihung war von nostalgischen Rückblicken auf beliebte Fernsehsendungen der Vergangenheit geprägt. Stars wie Harrison Ford und Joan Collins waren auf dem Roten Teppich vor dem Peacock Theater im Zentrum von Los Angeles zu sehen.

druckte der Tagesspiegel zudem eine nur teilweise sachliche dpa-Meldung, eventuell ohne sich richtig bewusst zu machen, wie stark das Wörtchen "nostalgisch" für den Zustand der gesamten Angelegenheit den Nagel auf den Kopf trifft. Emmy-Moderator und Komiker Anthony Anderson jedenfalls spielte in seinem "Opening Monologue" auf der Aussage

"Television has shaped the world and more importantly – it shaped me"

herum – von seiner Mutter habe er zwar viel gelernt, erklärte er danach, aber mindestens genauso viel durch die Glotze. Eieiei - was würde nur das Grips-Theater sagen!?

Im Übrigen setzte Anderson seine Mutter später während der Show anstatt der so genannten "Play Off-Music" ein, die normalerweise soundlich-zurückhaltend andeuten soll, dass man langsam zum Ende gelangen müsse mit seiner Dankesrede: "Wenn ihr nicht aufhört zu quatschen, kommt meine Mutter!" drohte er. Die tatkräftige Mrs. Anderson musste zum großen Vergnügen des Publikums tatsächlich ein paar Mal eingreifen.

Gute Serien, die schlecht beschrieben werden

Noch etwas zum Thema: In der umfassenden nationalen und internationalen Berichterstattung wurde zu selten erwähnt, dass es sich bei "The Bear", dem Gewinner des Emmys für die beste "Comedy Serie", mitnichten um Comedy handelt – stattdessen um ein glänzend gespieltes, von traumatisierten Menschen bevölkertes Familiendrama, dessen Schauplatz eine enge, heiße, fettige Sandwichküche ist. (Aber auch bei uns wird die Frage nach der Definition des Formats "Comedy" für sämtliche Preisfindungen immer obsoleter – ohnehin kann etwas nur lustig sein, wenn es zwischendurch traurig ist.)

Die (wie hier im ZDF) meistens als "Mediensatire" betitelte Gewinnerserie "Succession" ist darüber hinaus keine Mediensatire, sondern ebenfalls ein Familiendrama, die Familie verdient einfach nur ihr Geld mit Medien… ach ja, so ist das mit der für den Konflikt der Figuren eigentlich unwichtigen "Welt", also dem Setting, in dem etwas spielt, und dem "Konflikt" selbst, der theoretisch überall entstehen kann.

Immerhin war aber die mehrfach (2020 und 2022) mit Prime Time Emmys ausgezeichnete, großartige Sendung "The Morning Show" höchstwahrscheinlich eine "Mediensatire", spielte sie doch tatsächlich größtenteils in einem Fernsehstudio und dealte mit fernsehtypischen Dilemmas: Wieviel Verantwortung hat ein Sender für seine Angestellten? Wie ehrlich dürfen Moderator:innen sein? Welche Kräfte stehen eigentlich hinter der Auswahl der News und der Fernsehgesichter? Wie wichtig sind Quoten?  Andererseits war "The Morning Show" sehr nah dran an der Realität. Als Beweis ein kleines abschließendes Zitat des Senderchefs vom imaginären Serien-Network "UBA" angesichts des designierten Abstiegs der Anchor-Vorzeigeblondine, gespielt von Jennifer Aniston:

"Dem Zusammenbruch einer geliebten Frau zuzuschauen, ist zeitlose amerikanische Unterhaltung."

Schlechte Formate, die zu viel Platz wegnehmen

Gleich ein zweites, vergnügliches Fernsehthema drangehängt, wo die Röhren gerade so gut warmgelaufen sind und das Sprachbild "Beim Zusammenbruch zuschauen" bereits in der Welt ist: Im Tagesspiegel war am Tag der Emmy-Verleihung ganz schön was los in der Medienredaktion. Oder auch gar nichts - dort fand anscheinend ein interner kleiner Wettkampf namens "Emmy vs Dschungelcamp" statt. Was nicht von ungefähr kommt: Hie ist die Pseudo-Promi-Reality-Show ein Garant für gute Quoten, dort werden die Quoten in der Prime Time dagegen mit großartigen fiktionalen Serien geholt, die "die Welt formen" oder umgekehrt.

Konkreter: Am 16.1. wurde im Tagesspiegel ein einziger Emmy-Text, dafür aber vier (eigentlich sogar fünf) Artikel über das Dschungelcamp veröffentlicht. Zur Einstimmung die mit Fragen gespickten Titel und Unterzeilen (die ehrlich gesagt auch fast schon reichen…):

1. Cora Schumacher, David Odonkor oder Sarah Kern?: Welcher Dschungelcamp-Promi 2024 eine Rekord-Gage bekommen könnte

Ein Blick auf die Kandidaten-Liste des Dschungelcamps verrät: Zur Abwechslung sind sogar mal Promis dabei, die man kennt. Hier erfahren Sie, wer sich 2024 die Rekord-Gage gesichert haben könnte.

2. Vaseline, Wimpernzange, Schnullerkette: Welche Luxusgegenstände die IBES-Stars mit ins Dschungelcamp nehmen

Die eine will Lipgloss mit ins Dschungelcamp nehmen, der andere eine Schnullerkette. Worauf wollen die Stars nicht verzichten? Und welcher Luxusgegenstand wird am häufigsten gewählt?

3. Dschungelcamp 2024: Start und Sendetermine der 17. Staffel IBES

Neues Jahr, neues Dschungelcamp. Auch 2024 schickt RTL wieder zwölf Kandidaten in den australischen Busch. Wir verraten Ihnen das Startdatum und die genauen Sendetermine.

4. Dschungelcamp-Kandidaten 2024: Zwei Teilnehmer haben bereits das Bett geteilt

Die diesjährige Dschungelcamp-Staffel dürfte interessant werden. Unter anderem stoßen hier zwei Promis aufeinander, die sich zuvor schon in einem anderen RTL-Format nähergekommen sind.

(Den letzten Artikel gibt es identisch in zweifacher Ausführung von 12 und 13 Uhr – einmal betitelt mit "Zwei Teilnehmer waren schon zusammen im Bett", einmal mit "…haben bereits das Bett geteilt", kicher. Ich mein ja bloß.)

Aber damit niemand vor Neugier ohnmächtig wird, habe ich die Antworten der interessanten Titel-Fragen all dieser Artikel zu einem – silbentechnisch natürlich nie ganz korrekten, Verzeihung, liebe japanische Poeten! – Haiku verdichtet:

Coras Halbmillion.

Doch das Kissen ist weicher.

Morgen Kim und Mike.

Ich bin gespannt, ob der Tagesspiegel das heavy media covering der Reality-Show beibehält, und biete zur Motivation einfach mal einen Strauß weiterer bunter Titel und Unterzeilen an, for free, versteht sich:

1. Dschungelcamp 2024: Welche Promis gar nicht gefragt wurden

Dabei hat Judith Rakers gerade bei der ARD gekündigt – wieso RTL auch 2024 wieder die besten Promis ignoriert.

2. Wechselkopfzahnbürste, Champagnerquirl, Kettensäge: Welche lebensnotwendigen Dinge die IBES-Stars aus Blättern und Ästen nachbauen müssen

Wie handwerklich geschickt sind die Kandidaten? Und woraus wollen sie die Champagnerblasen quirlen?

3. US-Vorwahlen, KEF und die Folgen der Correctiv-Recherche – die Dschungelcamp-Teilnehmer 2024 und ihre Themen

Hier erfahren Sie, was die IBES-Stars der diesjährigen Staffel wirklich interessiert. Kleiner Tipp: Die genannten Titelthemen haben es nicht leicht.


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  • Die FAZ berichtet, dass der ZDF-Moderator Theo Koll nicht in den Ruhestand, sondern zu Phoenix geht. Work-Life-Balance ist schließlich eine subjektive Empfindung.
  • Nicht nur die SZ (Bezahlartikel hier) findet schade, dass die beiden Münchner Tatort-Kommissare Leitmayr und Batic gehen. (Immerhin nicht ins Dschungelcamp.)
  • Die taz weist hier auf eine Recherche des NDR hin, nach die Geschichte mit der Fähre mit Robert Habeck an Bord (am 4.1. in Schlüttsiel) kein Erstürmungsversuch war, und endet mit der wichtigen Bemerkung: Ob künftig auch mit Pressemeldungen korrigiert wird, wenn sich Meldungen über Aktionen von Klimaaktivst*innen oder Antifaschist*innen im Nachhinein als falsch herausstellen, bleibt offen.

Das Altpapier am Donnerstag schreibt Annika Schneider.

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