Das Altpapier am 16. Januar 2024: Porträt des Altpapier-Autoren Christian Bartels 4 min
"Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren im aktuellen Altpapier die wichtigsten Medienthemen des Tages. Bildrechte: MDR | MEDIEN360G
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Die Spannung auf die Ideen des Zukunftsrats steigt. Die Gehälter im Rundfunkanstalten-Management sollen sinken. Die NDR-Redaktion "STRG_F" bittet um Entschuldigung.

Di 16.01.2024 12:55Uhr 03:48 min

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Kolumne: Das Altpapier am 16. Januar 2024 In Kürze beginnt die Zukunft

16. Januar 2024, 09:44 Uhr

Die Spannung auf die Ideen des Zukunftsrats steigt. Die Gehälter im Rundfunkanstalten-Management sollen sinken. Die NDR-Redaktion "STRG_F" bittet um Entschuldigung. Die Wissenschaft stellt fest: "Journalisten sind linker und grüner als die Bevölkerung". Und im Iran wurden Journalistinnen freigelassen und werden gleich wieder bedroht. Heute kommentiert Christian Bartels die Medienberichterstattung.

Porträt des Altpapier-Autoren Christian Bartels
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Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.

Zukunftsrat, KEF, Sondergutachten (ÖRR-Papiere)

Achtung, übermorgen geht die Zukunft los. Zumindest wird der "Rat für die zukünftige Entwicklung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks", etwas bekannter verkürzt als Zukunftsrat, am Donnerstag seinen Bericht vorlegen. Kurz vor zwölf (nicht fünf, sondern fünfzehn Minuten) sind Fototermin und Pressekonferenz in der Berliner Vertretung des Landes Rheinland-Pfalz angesetzt.

Über diesen Rat war in der jüngeren Vergangenheit allerhand berichtet worden, bis er sich dann im November attraktiv rar machte. Noch immer ist öffentlich unbekannt, was er rät. Insofern ist durchaus spannend, ob es nach dem 18. Januar dann endlich losgeht, also mit echten Reformen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, oder doch bloß weiter wie immer.

Heike Raab, die den Bericht entgegennehmen wird (während Ministerpräsidentin Malu Dreyer nur zugeschaltet sein wird), erläutert im "FAZ"-Interview (Abo) das weitere Vorgehen: Die Rundfunkkommission, die vor allem aus den Medienpolitikern der Bundesländer besteht, wird Ende Januar tagen und dann "die KEF um ein Sondergutachten bitten, in dem die verschiedenen Reformvorschläge bewertet werden und die Überlegungen mit 'Preisschildern' versehen werden". Dieses "Sondergutachten" versteht sich zusätzlich zum eigentlichen, 24. Bericht der Finanzbedarfs-Ermittlungs-Kommission KEF, der Ende Februar erwartet wird. Wobei die KEF-Berichte, anders als die Zukunftsrats-Ideen, immer schon zirkulieren, bevor sie (auch immer in der rheinland-pfälzischen Berliner Vertretung) offiziell vor Fotografen übergeben werden. Weil sie sehr detailliert und lang sind, was für Aufmerkeitsspannen ja nicht gilt, ist das auch sinnvoll.

Nun hat Volker Nünning den vorläufigen, mit vorläufig nur 313 Seiten vergleichsweise kurzen KEF-Bericht vorliegen und schreibt bei medieninsider.com (Abo) unter der Überschrift "So sollen ARD und ZDF im mittleren Management sparen" darüber. Der Bericht enthalte erstmals "Angaben über die Ausgaben, die nur für Führungskräfte anfallen", schreibt er. Im Jahr 2022 hatten die Rundfunkanstalten

"rund 24.000 Mitarbeiter, davon waren 335 außer- oder übertariflich bezahlt ... Von den 335 außer- und übertariflich Angestellten gehörten 63 den Geschäftsleitungen der elf Anstalten an. Im Jahr 2022 lagen die Brutto-Gehälter der Intendanten in der Spanne von 245.000 bis 414.000 Euro. Die Direktoren als weitere Mitglieder der Geschäftsleitung erhielten der KEF zufolge Vergütungen zwischen 156.000 und 270.000 Euro. An die übrigen 272 außer- und übertariflich Beschäftigen wurden Gehälter gezahlt, die von 117.000 bis 172.000 Euro reichten. Die Personalausgaben für die 335 außer- und übertariflich Angestellten bezifferte die KEF damit auf insgesamt 63,4 Millionen Euro, darin enthalten waren auch Sozialversicherungs- und Personalnebenkosten."

Der medieninsider.com-Bericht enthält also sehr viele Zahlen, weil es in den Anstalten eben auch sehr viele Manager gibt. Außerdem erinnert Nünning daran, dass beim RBB und beim Saarländischen Rundfunk Gehaltsobergrenzen für die Intendanten an den Anstalten-Spitzen eingeführt wurden. Der aktuelle ARD-Vorsitzende, SWR-Intendant Kai Gniffke, werde in seiner zweiten Amtszeit ab September "sogar weniger Geld erhalten" als in seiner laufenden ersten. Das wiederum hatte die ehrpusseligen SWR-Gremien bei Gniffkes Wiederwahl gar nicht öffentlich gemacht. Sinnvoll sind solche Schritte schon daher, weil die Intendanzen dann natürlich darauf achten, dass auf den Hierarchiestufen darunter ebenfalls weniger verdient werden wird.

Zugespitzt lautet eine öffentlich-rechtliche Zukunftsfrage also auch: Wird Tom Buhrow, der noch das ganze Jahr hindurch amtierende, dann ein halbes Jahr vor seinem eigentlichen Ruhestand zurücktretende WDR-Intendant, mit seinem Grundgehalt von 414.000 Euro als bestbezahlter Intendant in die Mediengeschichte eingehen, weil seine Nachfolgerinnen und Nachfolger (auf lange Sicht zumindest inflationsbereinigt) weniger verdienen werden?

"STRG_F" zeigt sich "durchgeschüttelt"

Im Altpapier "Glaubwürdigkeit verspielt" ging es zuletzt ausführlich um den Streit zwischen dem Youtuber Rezo und dem NDR/Funk-Format "STRG_F". Nun ist die NDR-Redaktion zurückgerudert und bittet "Rezo und euch für diese Fehler um Entschuldigung". Ihr langer Post auf Instagram wird in allerhand Meldungen (z.B. spiegel.de) zitiert und ist dort auch eingebunden.

Offenkundig, wie ja schon der fürs eigentlich schnelle Medium Internet auffällige Zeitverzug zeigt, wurde reiflich überlegt. Formulierungen wie "Es war falsch, gegenüber Rezo so misstrauisch und nicht offen genug gewesen zu sein" bezieht die Selbstkritik erst mal nur auf diesen einen Fall. Es werde aber weiter geprüft, klingt emotional ("Wir sind gerade schlicht bestürzt darüber ...") und partiell ganz sympathisch in der bekundeten Ratlosigkeit. Okay, manchmal ("Gebt uns hierfür bitte noch ein bisschen Zeit") klingt's eher wie Zugbegleiter der Deutschen Bahn, die persönlich überhaupt nichts für die marode Infrastruktur können, aber trotz aller Beschimpfungen immer noch den Mut aufbringen, irgendwas durchzusagen. Aber auch Ratlosigkeit ("Offenbar mussten wir erst einmal so richtig durchgeschüttelt werden") kann ganz sympathisch klingen.

Ob der gesamte öffentlich-rechtliche Rundfunk auf sinnvolle Weise so "durchgeschüttelt" wird, dass seine viele Vorzüge und das viele Geld, das er bekommt, besser zum Vorschein kommen, lautet eine der größeren Zukunftsfragen.

Wie ticken deutsche Journalisten politisch?

Jenseits der Medienmedien-Nische sind es gerade bewegte Zeiten. Die Frage, ob Themen wie Thronbesteigungen oder auch Bauern-Demonstrationen mit Bundesregierungs-Reden-Beteiligung zu viel Medien-Aufmerksamkeit bekommen, etwa im Vergleich mit viel größeren, bloß ohne Traktoren statffindenden Demonstrationen gegen Rechtsextremismus (wie gerade z.B. in Leipzig), wurde gestern hier gestellt. Die Frage, ob die Kür des gerade erst auf die Medien-Agenda geschnellten Wortes "Remigration" zum "Unwort des Jahres" das Beschönigende, Verschleiernde des "harmlos daherkommenden Begriffs" decouvriert, wie die Jury argumentiert, oder eher die Empfehlungsalgorithmen scharf stellt, können Feuilletons diskutieren.

Da passt der uebermedien.de-Beitrag "Journalisten sind linker und grüner als die Bevölkerung. Ist das ein Problem?" (Abo) wie die Faust aufs Auge in die bewegte Echtzeit. (Ob Fäuste, rein sprachbildlich, auf Augen passen oder gerade nicht, liegt sozusagen in den Augen der Betrachter; im echten Leben passen Fäuste selbstverständlich nicht auf Augen). Die Überschrift bringt den Inhalt auf den Punkt. Tanjev Schultz, einst Redakteur der "Süddeutschen", nun Journalismus-Professor in Mainz, fasst eine von ihm mit angestellte "empirische Analyse von Persönlichkeitsmerkmalen und politischen Einstellungen auf Basis des Sozio-oekonomischen Panels", hier bei journalistik.online verfügbar, zusammen:

"In der neuen SOEP-Studie, die auf Daten aus den Jahren 2014 bis 2020 beruht und sich auf alle Medientypen bezieht (die Öffentlich-Rechtlichen konnten nicht gesondert erfasst werden), kommen die Grünen auf 29 Prozent, während die Union an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern könnte."

Die Antwort auf die auch noch titelgebende "Ist das schlimm?"-Frage lautet, straff gespoilert: Jein. Es ist nicht unproblematisch, denn, so Schultz:

"Erstens spielen die eigenen Einstellungen mindestens im Meinungsjournalismus eine Rolle. Und dieser ist keineswegs auf klassische Kommentare beschränkt ..."

Manche Beobachter, z.B. ich, würden sagen, dass die weithin entschwundene Trennung zwischen Bericht und Kommentar zu den größeren inhaltlichen Problemen des deutschen Journalismus zählt. Und dass insgesamt etwas weniger journalistische Meinungsäußerung in dafür trennschärferen Formen fundierten journalistischen Meinungen wieder zu mehr Gewicht verhelfen könnte, als sie derzeit besitzen.

Richtig schlimm findet Schultz die Ergebnisse aber auch nicht. Vor allem arbeitet er in salomonisch zustimmungsfähigen Sätzen ("Wer links ist, empfindet den Journalismus gern als zu rechts – und wer rechts ist, hält ihn für zu links") heraus, dass sie "weder zu überschätzen noch zu unterschätzen" seien. Und dass "die Mitte", in der sich bei Selbsteinschätzungen viele gerne verorten, "weder ein neutraler noch ein per se vernünftiger Ort in politischen Auseinandersetzungen" sei, passt dann punktgenau unmittelbar in gegenwärtige Diskurse.

Freilassungen und Anklagen im Iran

Bei allem, was schief läuft in Deutschland, es gibt eine große und weiter wachsende Zahl von Staaten, in denen vieles viel schlimmer steht. Ob darüber angemessen berichtet wird, auch dazu ließe sich lange streiten.

Allenfalls identische Agenturmeldungen wie diese gab es zur guten Nachricht von der Freilassung der Journalistinnen Nilufar Hamedi und Elaheh Mohammadi im Iran. Gerade diese beiden hatten die Nachricht vom Tod Jina Mahsa Amini, die von sogenannten Sittenwächtern des steinzeitlichen Regimes misshandelt und worden war, öffentlich gemacht, was dann zu einer revolutionären Situation geführt hatte (über die in Deutschland vergleichweise wenig berichtet wurde, s.o.). Daher waren Hamedi und mehr Mohammadi als 400 Tage eingekerkert gewesen. Hier ein Video nach der Freilassung.

Auf der Suche nach der eher versteckten Meldung kann nicht nur auffallen, dass der österreichische "Standard", der ebenfalls via Agentur meldet, auf die enorme Höhe der Kaution hinweist, "umgerechnet rund 180.000 Euro", sondern vor allem auf eine neue, nun wieder schlechte Wendung in derselben Meldung:

"Kurz nach ihrer Freilassung im Iran ist ein neues Verfahren gegen die beiden preisgekrönten Journalistinnen Nilufar Hamedi und Elaheh Mohammadi eingeleitet worden. Hintergrund sind im Internet veröffentlichte Bilder, die beide Frauen ohne das obligatorische Kopftuch zeigen, wie die iranische Nachrichtenagentur Isna am Montag berichtete."

Die revolutionäre Situation im Iran besteht weiter – und verdient weiterhin Aufmerksamkeit, mehr als sie hierzulande bekommt. (Und dass eine weitere, ebenfalls schlechte Nachricht zur nachnamensgleichen Friedensnobelpreisträgerin Narges Mohammadi, auch etwas Aufmerksamkeit erhält, macht es nicht unbedingt besser).


Altpapierkorb (Ermagan vs. Baé, Taiwans polarisierte Mediendebatte, Böhmermanniana,  BSI-"Zielkonflikt", "Business Insider"-Probleme)

+++ Was auch noch Aufmerksamkeit verdient: die von Ninve Ermagan, ihrem  Twitter/X-Account zufolge "Journalistin mit assyrischen Wurzeln", für zdf.de erstellte Recherche zum "derzeit ... wohl bekanntesten deutsch-muslimischen Polit-Influencer" Tarek Baé. Darüber wurde auf Twitter/X heftigst gestritten, bis es so endete. +++

+++ Obwohl (oder weil?) in Taiwans "polarisierter Mediendebatte" "pro- und anti-chinesische Medien ... teils komplett konträr" berichten, ist die kleine Insel dennoch der bestplatzierte asiatische Staat auf der Medienfreiheits-Rangliste der Reporter ohne Grenzen, sagt Korrespondent Felix Lill im Deutschlandfunk. +++

+++ ZDF-Entertainer Jan Böhmermann wird heute "voraussichtlich nicht vor Gericht erscheinen", wenn in Dresden seine Klage gegen einen sächsischen Imker verhandelt wird ("Tagesspiegel"). +++

+++ "Ein besonders schlechtes Beispiel ist Jan Böhmermann, der gerne Journalist sein möchte und in seiner Sendung Leute wie Friedrich Merz in infamer Weise in die Nähe von Nationalsozialisten stellt, aber beim Terror von Muslimen in Deutschland gegen Juden nicht die Zähne auseinander bekommt", sagt "Jüdische Allgemeine"-Chefredakteur Philipp Peyman Engel im auch sonst ("Die Fehlleistungen der DPA beim Thema Israel und Nahostkonflikt sind ebenso bezeichnend wie zahlreich") lesenswerten Interview der "Neuen Zürcher Zeitung". Seine Mutter, erfährt man, floh 1979 aus dem Iran. +++

+++ Nachdem Bundesinnenministerin Faeser den BSI-Chef Arne Schönbohm auch mit freundlicher Unterstützung des schon erwähnten Entertainers Böhmermann losgeworden war, wird nun ein neues Bundesregierungs-Konzept für diese sehr wichtige Behörde, das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik, bekannt. Netzpolitik.org und vor allem der Chaos Computer Club sehen darin den "Zielkonflikt des BSI ..., für IT-Sicherheit in deutschen Firmen, der Zivilgesellschaft und Behörden einzutreten und gleichzeitig Schwachstellen für die digitalen Kriegsphantasien ihrer Schwesterdienste mit Geheimnishintergrund zu horten". +++

+++ Auch enorm schwer zusammenzufassen: die Geschichte vom milliardenschweren Hedgefonds-Manager Bill Ackman, seiner Frau, der auch wegen Ackman-unterstützte Kampagnen abgelösten ehemaligen Harvard-Präsidentin, Plagiats-Vorwürfen, Antisemitismus-Vorwürfen und dem US-amerikanischen Springer-Medium "Business Insider" (Altpapierkorb). "Ackman ist auf einem Kreuzzug gegen Unis und Medien. Der Axel-Springer-Verlag steht ihm bei", versucht's nun der alte Springer-Gegner von schräg gegenüber, die "taz". +++

Das nächste Altpapier schreibt am Mittwoch René Martens.

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