Das Altpapier am 13. Dezember 2023: Porträt des Altpapier-Autoren Christian Bartels
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Kolumne: Das Altpapier am 13. Dezember 2023 Als Helmut Kohl noch Bundeskanzler war

13. Dezember 2023, 10:17 Uhr

... machte Dieter Stolte das ZDF zu dem, was es noch immer ist. Macht sich der Kultursender 3sat als lineare "Resterampe" überflüssig? Zur Bundes-Finanzpolitik ist dem ZDF ein publizistischer Coup gelungen. Um die Bundes-Digitalpolitik steht es finster. Heute kommentiert Christian Bartels die Medienberichterstattung.

Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.

Nachrufe auf Dieter Stolte

Sage und schreibe zwanzig Jahre lang war Dieter Stolte, der am vergangenen Wochenende starb, Intendant des ZDF gewesen. "Wetten, dass?..", die 19.00-Uhr-"heute"-Nachrichten, "Das Traumschiff"  – viele, äh, starke Marken, die das ZDF weiterhin prägen, was immer man davon hält, sind mit seinem Namen verknüpft. In seiner Amtszeit "starteten viele große Programmmarken des ZDF wie zum Beispiel 'Terra X', 'Der Fernsehfilm der Woche' oder der 'Samstagskrimi'. Das 'ZDF-Mittagsmagazin' wurde 1989 aus der Taufe gehoben, 1992 folgte das 'ZDF-Morgenmagazin'", heißt's im schriftlichen ZDF-Nachruf.

Er war die "vielleicht prägendste Gestalt an der Spitze des öffentlich-rechtlichen Senders", schreibt Michael Hanfeld unter der Überschrift "Mister ZDF". "Er musste für das ZDF einen Epochenwechsel bewältigen, der heute wie ein Kapitel aus der Frühgeschichte der Medien wirkt", lautet der vielleicht prägendste Satz in seinem "FAZ"-Nachruf. Stolte kam in der Zeit ins Amt, in der  Helmut Kohl noch knapp nicht Bundeskanzler war, 1982. Kohl kündigte als Kanzler ja dann

"eine 'geistig-moralische Wende' an. Viel wurde nicht aus dieser Wende, dafür kam aber das Privatfernsehen nach Deutschland. Stolte ließ sich das Geistig-Moralische besonders angelegen sein und konnte deshalb sogar noch vier Jahre länger als Kohl amtieren. 2002, bei seinem Abstieg vom Lerchenberg, fiel dem 'Spiegel' auf, dass Stoltes bester Quotenbringer 'Wetten, dass..?' 'nach 21 Jahren Patina angesetzt' habe. Seitdem sind weitere 21 Jahre vergangen, 'Wetten, dass..?' lief gerade - zumindest unter Thomas Gottschalk - zum jetzt wirklich endgültig allerletzten Mal ...",

schreibt Willi Winkler hübsch süffisant auf der "SZ"-Medienseite/ €. (Und dass das Privatfernsehen auch ohne Kohl nach Deutschland gekommen wäre, braucht hier vielleicht nicht erwähnt zu werden). Und Stolte wurde, genau wie Kohl, viermal wiedergewählt. Wobei Intendanten schon damals nicht vom Volk, sondern vom – damals noch stärker als heute – politisch besetzten Fernsehrat gewählt wurden. Insofern hatte Stolte seine Wiederwahlen gewiss auch als "Der Diplomat", der "charmierte, ... handelte und verhandelte" ("Tagesspiegel") gesichert. Aber überdies, indem er nicht nur publikumsstarke Sendungen ins Programm nahm, sondern auch welche heraus:

"Schon 1980 verordnete er der Kabarettsendung 'Notizen aus der Provinz' mit Dieter Hildebrandt eine 'Denkpause' - um seine Wahl zum Intendanten sicherstellen zu wollen, wie ihm Kritiker unterstellten. Hildebrandt wechselte daraufhin zum SFB und widmete sich dem 'Scheibenwischer', während das ZDF erst 2007, fünf Jahre nach Stoltes Abschied ... wieder politisches Kabarett ins Programm nahm."

Daran erinnert dwdl.de. Der "Welt"-Nachruf ist eher knapp gehalten, obwohl Stolte "nach seiner Zeit beim ZDF ... für den Axel-Springer-Verlag" arbeitete, etwa als  Herausgeber der "Welt" (die ja schon immer so' ne und solche Experimente veranstaltete). Im Audio-Nachruf des Deutschlandfunks ist nicht nur zu hören, dass Stolte "zu gerne" das Deutschlandradio ins ZDF integriert hätte, sondern auch, aus Stoltes eigenem Mund, dass in den frühen Jahren des ZDF dort "entsetzlich viel getrunken", also "gebechert" worden sei, was Stolte nicht so behagte und dann wohl auch nachgelassen hat.

Jedenfalls gerieten öffentlich-rechtliche Sender in Dieter Stoltes langer Amtszeit in wesentlich schärferen Wettbewerb als es ihn vorher für sie gegeben hatte. Da hatte Stolte viele Weichen gestellt oder sogar: Gleise verlegt, auf denen die Öffentlich-Rechtlichen heute noch fahren. Auch weil seinerzeit, als das knappe Frequenzspektrum überwunden wurde, jede Menge weitere Sender gegründet wurden. Er "errichtete hochwertige Spartenkanäle", schreibt Winkler in der "SZ", mindestens leicht ironisch. Die erwähnten Arte, Kika, Phoenix wurden und werden von ARD und ZDF gemeinsam betrieben, weil die Medienpolitik (die damals auch nicht wesentlich vorausschauender handelte als heutzutage) sie damit beauftragt hatte. Bloß das ebenfalls erwähnte 3sat wurde deutscherseits zunächst nur vom ZDF mit ORF und Schweizer Fernsehen gegründet (wobei es ein äquivalentes ARD-Dings auch gab, "Eins Plus" ...).

Wie geht's dem Kultursender 3sat?

Hier passt perfekt ein langer Beitrag, den vergangene Woche, also ganz ohne Stolte-Zusammenhang, Dietrich Leder für den KNA-Mediendienst verfasste: "Was die Kultursender 3sat und Arte wert sind". Leder beschreibt und beurteilt mit der bekannten Akribie und Kenntnis, was die beiden Sender linear so anstellen. An 3sat lobt er Sendungen wie "Kulturzeit" ("bietet ... ein gediegenes Fernsehfeuilleton an, das sich regelmäßig fast aller Künste annimmt..."), "Nano" und "Scobel". Er kritisiert aber auch scharf, und zwar besonders das Abendprogramm, in dem die

"die Künste ... nur selten vor[kommen]. Stattdessen laden hier vor allem die ARD, aber auch zunehmend das ZDF alles ab, was sie anderswo nicht unterbringen können: So laufen hier Wiederholungen klassischer Polit-Talkshows wie 'Hart aber fair', 'Maischberger' (beide ARD) oder 'Precht' (ZDF) oder von Magazinen wie 'Auslandsjournal extra', '37 Grad' oder vom 'Aktuellen Sportstudio' (alle ZDF). Nicht zu vergessen viele Fernsehkrimis, die hier - man möchte sagen: fast besinnungslos - wiederholt werden. Eine Resterampe, die angesichts der Mediatheken heute wenig sinnvoll erscheint."

Arte wiederum "gleicht tagsüber 3sat wie ein Ei dem anderen". Und sein Hauptabendprogramm sei "deutlich popularisiert worden. Dennoch überstrahlt der in Straßburg angesiedelte Sender deutlich seine deutsch-österreichisch-schweizerische Binnenkonkurrenz", was freilich, wie Leder ebenfalls schreibt, an der finanziellen und personellen Ausstattung des immer weiter runtergesparten Beibootsenders liegt:

"Waren 3sat und Arte bis 2017 beim ZDF einer eigenen Direktion Europäische Satellitenprogramme unterstellt, gibt es heute gemeinsame Redaktionen mit den anderen ZDF-Programmen. Außerdem wurden und werden Sender wie One (ARD) und vor allem ZDFneo deutlich mehr unterstützt als der Drei-Nationen-Sender 3sat. Dieser steht in der Gefahr, sich selbst überflüssig zu machen."

Herrje, wenn sogar One, das seit Monaten (zumindest bei denen, die es kennen) als das relativ überflüssigste bzw. demnächst abgeschaltete öffentlich-rechtliche Programm gilt, "mehr unterstützt" wird als 3sat, muss es um den Noch-auch-Kultursender ja wirklich übel stehen.

Millionen, Milliarden, Digitalpolitik

Harter Schnitt. Nun geht's noch um die Bundesregierung, ihre fehlenden Milliarden und ihre überforderte Digitalpolitik. Oder doch gar kein Schnitt? Zu ersterem Thema ist dem ZDF mit "Die geheime Welt der Superreichen – Das Milliardenspiel" gerade etwas gut gelungen. Gestern früh hatte die "SZ" (Altpapierkorb gestern) auf den erst seit gestern nonlinear zu sehenden 45-Minüter aufmerksam gemacht. Tagsüber liefen ähnliche Schlagzeilen dann prominent platziert von "Bild" ("Skandal im Finanzministerium? Spitzen-Beamtin gibt Reichen Steuertipps") bis "taz" ("Steuerskandal um Lindners Spitzenbeamtin: Konsequenzen für Tipps für Reiche") fast überall, und in den sog. soz. Medien wurde kräftig, aber auch differenziert diskutiert –punktgenau zur linearen Ausstrahlung zur besten Sendezeit (wie Dieter Stolte gesagt hätte). Das kann als publizistischer Coup betrachtet werden.

Drohen Deutschland neue "Strafzahlungen"? Na ja, sicher bloß in niedriger Millionenhöhe, wie ein Bundesministerium sie aus der Portokasse bezahlt. Trotzdem verdient der Gastbeitrag dreier CDU-Politikerinnen auf der "FAZ"-Medienseite (€) Aufmerksamkeit. Die MdB Catarina dos Santos-Wintz, die hessische Ministerin für Digitale Strategie und Entwicklung, Kristina Sinemus, und die nordrhein-westfälische für (unter vielem anderem) Digitalisierung, Ina Scharrenbach, schreiben bemerkenswert zurückhaltend über frische Probleme rund ums Digitale-Dienste-Gesetz/DSA. Das gilt ja seit über einem Jahr EU-weit. Morgen nun wolle sich das Bundeskabinett damit befassen:

"... eine dem Thema angemessene Debatte im Bundestag und im Bundesrat kann kaum noch erfolgen. Schon jetzt ist klar, die Verzögerungen innerhalb der Bundesregierung werden Bundestag und Bundesrat unter zeitlichen Druck setzen. Eine intensive Diskussion ist nicht möglich, ohne die Umsetzungsfrist der EU zu reißen, was potentiell Strafzahlungen nach sich zieht ..."

Womit sich in Deutschland jemand Entscheidungsbefugtes befassen muss: mit der Frage, wer denn wie genau das groß angelegte und alles andere als unkomplizierte Gesetz in die Praxis umsetzen soll. 

"Die Komplexität der digitalen Dienste und die erforderliche Fachexpertise kann die Bundesnetzagentur in der aktuellen Ausgestaltung eventuell nicht in vollem Umfang abdecken. Bürokratie und Verwaltungsaufwand müssen in einem vertretbaren Rahmen gehalten werden",

schreiben die Politikerinnen freundlich. Na ja, Bürokratie und Verwaltungsaufwand aufzublähen, das macht auch die derzeitige Bundesregierung mit links. Z.B. schuf sie eine noch kaum bekannte "Behörde, deren einziger Zweck es ist, digitale Souveränität zu erreichen". Zentrum für digitale Souveränität (Zendis) heißt sie. Wobei die Regierung in der täglichen Praxis dann doch lieber langfristig horrende Summen an US-amerikanische Konzerne wie Oracle und Microsoft vergibt, und damit eben nicht für Open-Source-Software, wie dieses Zendis ("Innovationstreiber einer technologisch unabhängigen Verwaltung in Deutschland") sie eigentlich befördern sollte. Und hier geht es nicht um Mios, sondern um 13,6 Milliarden Euro, berichtet netzpolitik.org mit Bezug auf eine Kleine Anke Domscheit-Berg-Anfrage. Die aktuelle Regierung gibt unter sehr vielen Detailaspekten ein erbärmliches Bild ab.


Altpapierkorb (Großes Gniffke-Interview, "Frankfurter Rundschau", Play-Store-Monopol, gemeinnütziger Lokaljournalismus, "kommende Ununterscheidbarkeit")

+++ "Ola Källenius, der Daimler-Chef, sagte einmal im Gespräch: 'Whatever you do, do it faster!' Und so schief liegt er damit nicht. Das ist der eine Pol. Der andere Pol ist, dass wir die ARD momentan an den Rand der Belastbarkeit führen ...": Da gibt der ARD-Vorsitzende Kai Gniffke dwdl.de ein sehr großes Interview. (Ob es eine gute Idee war, zum Thema "publizistischer Wettbewerb" ausgerechnet den Stuttgarter "Tatort" die ZDF-Serie "SOKO Stuttgart" heranzuziehen, lässt sich allerdings bezweifeln. So schlimm steht es um öffentlich-rechtliche Publizistik im engeren Sinne noch nicht, dass die Krimiflut zu welcher erklärt werden müsste). +++

+++ Aber das ist mal 'ne gute Idee des von Kai Gniffke geleiteten SWR bzw. aus dessen rheinland-pfälzischem Funkhaus: "größere Distanz zur Mainzer Landesregierung" zu suchen. Das meldet der epd. +++

+++ Zur zuletzt gestern hier erwähnten Lage bei der "Frankfurter Rundschau" verdient "Bronski – Das FR-Blog" unbedingt Aufmerksamkeit. Dort diskutieren Redaktion und viele Leser bemerkenswert offen, wie auch die ebenfalls erwähnte Jana Ballweber auf Mastodon zeigt. +++

+++ Das könnte global Folgen haben: "Im Kartellverfahren zwischen Google und Epic um Vorwürfe, dass der Play Store für Android als illegales Monopol fungiert, hat ein Geschworenengericht zugunsten von Epic entschieden" (heise.de).

+++ "Können gemeinnützige Start-ups den Lokaljournalismus retten?". Der Frage geht Altpapier-Autorin Annika Schneider bei uebermedien.de (€) nach. Wichtiger als die Politik (die sich jenseits von Floskeln ja seit Jahren nicht ums Gemeinnützigkeits-Thema kümmert) "sei vor allem Überzeugungsarbeit bei Stiftungen, dass Journalismusförderung Demokratieförderung sei", sagt etwa Journalismus-Professor Buschow. +++ Natürlich geht's in Annikas Text auch um correctiv.org. Das alarmiert gerade in eigener Sache: "Der Demokratieförderung in Deutschland droht ein herber Rückschlag. Direkt zu Beginn des Superwahljahrs 2024 mit Kommunal-, Landtags- und Europawahlen platzen Finanzierungen, drohen Pleiten und tausende Entlassungen."

+++ "Und ist die vielleicht kommende Ununterscheidbarkeit zwischen künstlich generierten Texten und dem, was wir heute unter Journalismus verstehen, der von real existierenden, lebenden Menschen gemacht wird", vor allem "eine narzisstische Kränkung für den Berufsstand, der ohnehin unter Druck steht"? Zur gestern hier erwähnten Medien-Zukunfts-Frage, ob Künstliche Intelligenz Journalismus ersetzen kann, verdient dann noch die WDR-Diskussion (Audio) "Ist das KI oder von dir? Journalismus im Wandel" von Lutz Hachmeister u.a. mit Nadia Zaboura und Hans-Jürgen Jakobs Aufmerksamkeit. +++

Das nächste Altpapier schreibt am Donnerstag René Martens.

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