Das Altpapier am 12. Dezember 2023: Porträt des Altpapier-Autoren Christian Bartels
"Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren im aktuellen Altpapier die wichtigsten Medienthemen des Tages. Bildrechte: MDR | MEDIEN360G

Kolumne: Das Altpapier am 12. Dezember 2023 Blumenstrauß zur Wiederwahl

12. Dezember 2023, 10:46 Uhr

Kann Künstliche Intelligenz journalistisch menschliche Arbeitskraft ersetzen? Das größte bekannte Experiment in Deutschland dazu startet Axel Springer. Was öffentlich-rechtlichen Rundfunk angeht, sollte die historisch gut begründete "Gerade jetzt"-Floskel gerade jetzt nicht überstrapaziert werden. Und Aufsichtsgremien-Vorsitzende sollten weniger rumposen. Heute kommentiert Christian Bartels die Medienberichterstattung.

Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.

Entlassungen bei Zeitungs-Betrieben

Schon gestern ging es hier um die Lage bei einer traditionsreichen Tageszeitung. Die "Frankfurter Rundschau" hatte in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts zu den wichtigen überregionalen gehört. Und sie galt als das vielleicht gewerkschaftsnahste Blatt der BRD. Nun wurde die nach allerlei Eigentümerwechseln zum Ippen-Konzern gehörende Redaktion (die gestern u.a. mit dem Überschriften-Wortspielchen "PiS-Posse" glänzte) für einen Tarifvertrag bewarnstreikt. Und es wurden, womöglich nicht in arbeitsrechtlichem, aber in engem zeitlichen Zusammenhang, mehrere junge Redaktionsmitglieder entlassen (darunter die vormalige netzpolitik.org-Journalistin Jana Ballweber).

Die Methoden mögen besonders brachial anmuten. Doch passt's ins Bild: Eine weitere Zeitungs-basierte Medienmarke spart ein, wie es eben geht. Solche Meldungen kommen laufend. Wenn es um Druckereien geht, wie neulich beim "Kölner Stadtanzeiger" (der inzwischen im gut 100 km entfernten Koblenz gedruckt wird), merkt in den Medienmedien kaum noch wer auf. Gerade meldete medieninsider.com, dass der Berliner Verlag das gleiche Muster anwenden wird, bloß auf sozialverträglichere Art: Ab Frühjahr werden die "Berliner Zeitung" und deren Boulevard-Schwester "Kurier" in Dresden gedruckt. Betroffen seien "rund 90 Mitarbeiter". Besonders umweltverträglich ist es nicht, wenn lokale Zeitungen in diesem Fall sogar 200 km über die Autobahn kutschiert werden müssen. Andererseits: Sehr viele Lkws wird es nicht brauchen, und die Zahl der Zeitungen wird weiter stetig sinken.

... und bei einem Medien-Zukunfts-Dings

Völlig andere, in der Höhe ähnliche Einsparungs-Entlassungen, nicht im naturgemäß rückwärtsgewandten Zeitungsgeschäft, sondern auf dem 2023 am gespanntesten betrachteten Zukunftsfeld, werden auch vermeldet. Da geht es um die Springer-Firma Upday. Nachdem im Sommer etwa "ein Drittel der Belegschaft" entlassen wurde, folgt nun der Rest, wohl 74 Leute. Das war am Freitagvormittag ein Wettlauf zwischen wiederum medieninsider.com ("Springer macht Upday dicht") und Springers Pressemitteilung ("Axel Springer wird mit UPDAY KI-basierte Nachrichtenplattform testen"). So unterschiedlich der Sound, der Inhalt unter beiden Überschriften umkreist das gleiche: Der Start-up-ähnlich benannte und beworbene Nachrichten-Aggregator, der dank eines Abkommens mit Samsung auf vielen Mobilgeräten vorinstalliert ist und sich daher hoher Reichweite erfreute, macht zwar weiter, aber ohne menschliche journalistische Arbeitskraft.

"Das Aus ist auch damit zu erklären, dass es dem Management nicht gelungen war, neue Geschäftsmodelle aufzubauen. Upday war vor allem von zwei Faktoren abhängig: Der Aggregator setzte fast ausschließlich auf Werbevermarktung ... Nun litt das Geschäft zuletzt an Einbußen in der Werbevermarktung und darunter, dass die exklusive Partnerschaft mit Samsung ausgelaufen war",

schrieb Marvin Schade bei medieninsider.com. In der Springer-PM können sich Fans konstruktiv-gut(klingend)er Nachrichten auf der Zunge zergehen lassen:

"Axel Springer wird die Marke UPDAY künftig für einen neuen, ausschließlich auf Künstlicher Intelligenz basierenden Trend-News-Generator nutzen. Damit testet das Medienunternehmen die Chancen, die sich für den Journalismus und die Nachrichtenbranche aus dieser Technologie ergeben ..."

Die Chance könnte offenbar darin bestehen, dass das, was Upday leistet, auch durch KI ohne menschliche Intelligenz geleistet werden kann. Was genau dieses Upday macht(e), steht hier nebenan. Im Februar interviewte die Medien360G-Redaktion Aneta Nowobilska, ihres Zeichens "Chief Product Officer" bei Upday. Die "Leidenschaft und Hingabe", die die Springer-PM kurz rühmt, kommt rüber. Und auf die Frage "Was macht der Mensch dann da, in diesem Maschinensystem, KI-System?" antwortete Nowobilska: "Trotzdem noch alles. Ich würde behaupten, dass die Technologie die Menschen auf jeden Fall heute noch nicht ersetzen kann und sicherlich auch in einigen Jahren nicht." Da hatte sie sich offenbar getäuscht.

Was sagt die Medienpolitik gerade?

Die Öffentlich-Rechtlichen-Debatte schnurrt weiter. Nachdem das neue CDU-Papier (Altpapierkorb gestern) breit gestreut wurde, klingt es nicht geradezu defensiv, wenn im jüngsten "FAZ"-Interview (€) der Oliver Schenk aus der sächsischen Staatskanzlei (CDU also), sagt: "Ich sehe die Erhöhung noch nicht"?

An sonstigen Wortmeldungen mangelt es nicht. Der bayerische Staatskanzleichef Florian Herrmann (der übrigens nicht mit dem überregional bekannteren bayerischen Innenminister Joachim Herrmann zu verwechseln ist) schickte gerade mal wieder die Idee, vielleicht doch die "zwei sehr kleinen Sender, Radio Bremen und den Saarländischen Rundfunk", einzugemeinden, ins Rennen. Und sogar die Staatsministerin für Kultur und Medien, Claudia Roth, deren Haus eigentlich abwägt, ob solche Sachen wie die Documenta und die Berlinale noch eine Zukunft haben, und alles mit Medien-Zusammenhang weit von sich weist, sagte was ("Tagesspiegel") dazu. Da spottet nicht nur Michael Hanfeld ("scheinriesenhaft"), da staunt auch Joachim Huber. Was Roth sagte:

"Gerade in diesen Zeiten bräuchte es eine Stärkung und keine Schwächung der Medien, und dazu gehöre Vertrauen in die Medienlandschaft und in die Öffentlich-Rechtlichen."

Wozu perfekt dieses gerade zirkulierende Sample passt:

"Von Sympathisanten des öffentlich-rechtlichen Systems ist in Festreden und Aufrufen immer das Stereotyp zu hören: Es sei gerade jetzt wichtiger denn je. Kritik an diesem System und seinen Elementen halten sie zurück, weil sie wohl mit Angriffen auf die öffentlich-rechtlichen Medien nicht identifiziert werden wollen, die deren Bestand fundamental infrage stellen. Aber dadurch, dass sie das bestehende System in seiner Form und in seinen einzelnen Komponenten und Aspekten nicht kundig, radikal und umfassend kritisieren, verhindern sie Legitimationsbemühungen der Anstalten auf einem angemessenen Niveau."

Das sagte Hermann Rotermund kürzlich bei einer Veranstaltung der Deutschen Akademie für Fernsehen (die "alle Gewerke der Bewegtbildindustrie" vertritt). Heißt: So gut die "Gerade jetzt"-Floskel historisch auch begründet ist, gerade jetzt sollte sie nicht überstrapaziert werden.

Was die Aufsichtsgremien gerade jetzt beachten sollten

Ebenfalls gestern im Korb erwähnt wurde die Wiederwahl des SWR-Intendanten Kai Gniffke, der außerdem gerade der ARD vorsitzt. Das rundfunkstaatsvertraglich vorgeschriebene Blumenstrauß-Foto ist hier zu sehen. Außer den Strauß zu bewundern, lohnt auch ein Blick in den Text darunter:

"Ich gratuliere dem SWR-Intendanten zu seiner Wiederwahl. Prof. Gniffke kann jetzt seine erfolgreiche Arbeit nicht nur im Sender, sondern auch in seiner Funktion als amtierender ARD-Vorsitzender fortsetzen. Unter seiner Federführung ist der ARD-Reformprozess bereits ein gutes Stück vorangekommen ...",

wird da der Vorsitzende des SWR-Rundfunkrats, Engelbert Günster, zitiert. Und der Vorsitzende des SWR-Verwaltungsrats, Hans-Albert Stechl:

"Das Votum des Wahlgremiums ist ein Vertrauensbeweis für Prof. Gniffke und gibt ihm Rückenwind für die nächsten Jahre. Gerade in Zeiten immer schwieriger werdender Rahmenbedingungen ist die Kontinuität an der Senderspitze ein wichtiger Faktor ..."

Dabei ist Professor Gniffke gar kein forschender Akademiker, der sein Labor nur selten verlässt, sondern wurde mal in Mittweida in Sachsen zum Honorarprofessor ernannt. Und die Gremien und deren Vorsitzende gehören nicht zu Gniffkes keineswegs kleinem Kommunikations- und Beraterteam. Vielmehr haben diese Gremien, zumal seit anderthalb Jahren, also seit Öffentlich-Werden der RBB-Skandale, den Auftrag, die Rundfunkanstalten und ganz besonders deren Intendanten zu kontrollieren. Ihnen auf die Finger zu schauen, statt erwartungsgemäß, schon weil ohne (nominierte) Gegenkandidaten wiedergewählten Amtsträgern Blumensträuße in die Hände zu drücken. Merkt in den Gremien denn niemand, dass solch vorgestriges Rumgepose weder dem Ansehen des öffentlich-rechtliches Rundfunks nützt, noch dem Prof. Intendant? Gniffke könnte auf manchen seiner vielfältigen Baustellen überzeugender auftreten, wenn die Öffentlichkeit den Eindruck gewönne, er müsste sich in seiner Heimat-Anstalt mit echten Kontrolleuren auseinandersetzen.

Vielmehr bietet das Gepose Material, über Papstwahl-Prozeduren zu spotten (wie "Telepolis" in Anlehnung an den Peter-Welchering-Tweet "Verglichen mit der SWR-Intendantenwahl ist ein Konklave eine hochtransparente Angelegenheit") . Und allen, die den ÖRR überhaupt abschaffen wollen, bieten sie es auch. Die zahlreichen Aufsichtsgremien der zahlreichen öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten müssten echt beginnen, darauf zu achten, wie sie selbst in der Öffentlichkeit auftreten. Gerade jetzt.

Mehr Öffentlich-Rechtlichen-Stoff, der auch weiter in die Vergangenheit ausgreift, wird es morgen an dieser Stelle geben, wenn mehr Nachrufe auf den verstorbenen, nicht nur langjährigen, sondern geradezu jahrzehntelangen ZDF-Intendanten Dieter Stolte erschienen sind. Am Dienstagmorgen ist nur Micha Hanfelds "Mister ZDF ist tot" schon am Start.


Altpapierkorb (Emotionserkennung, Gefangenen-Bilder, Jeremy Fragrance, Böhmermann, Superreiche)

+++ "Emotionserkennung" ist ein Begriff, an den sich die Öffentlichkeit wohl gewöhnen muss. Er steht in der KI-Verordnung bzw. dem AI Act der EU. "Die Freude darüber", dass ein Kompromiss gefunden wurde, "ist sowohl in der Kommission als auch in Rat und Parlament groß", meldet netzpolitik.org. Und fasst zusammen, was drin steht, z.B., dass das Erkennen von Emotionen durch KI zwar nicht am Arbeitsplatz und im Bildungswesen, aber "außerhalb dieser Bereiche nun anscheinend erlaubt sein" wird. +++ Interessenverbände sind weniger zufrieden, etwa der Zeitungsverlegerverband BDZV ("Allem Anschein nach wurde nicht sichergestellt, dass Medien und Urheber ausreichende Informationen über die Nutzung ihrer Inhalte durch KI-Systeme erhalten") und der Internetwirtschaftsverband eco ("vertane Chance für die Aktivierung eines innovativen KI-Ökosystems in Europa"). +++

+++ Gefangene Palästinenser, "die mit verbundenen Augen auf dem Boden knien und bis auf ihre Unterhosen nackt sind": Solche Fotos wurden in Israel "ganz bewusst gezeigt", um zu zeigen, dass der Verteidigungskrieg gegen die Hamas-Terroristen erfolgreich sei, sagte Deutschlandfunk-Korrespondent Jan-Christoph Kitzler zu "medias@res". Zukünftig sollen sie nicht mehr verbreitet werden. +++ "Bilder wie aus Abu Ghraib", schrieb (und zeigte) die "SZ". +++

+++ Das Phänomen namens Jeremy Fragrance, das für Sky und Aldi zum Problem wurde, während der "Flügel" der AfD von einem "metapolitischen Erfolg" spricht, umreißen die "FAZ" (€) und spiegel.de im Nachklapp zur "Spiegel"-Story. +++

+++ Ausgiebig mit der inzwischen aus der Mediathek entfernten Ausgabe der Böhmermann-ZDF-Show zu "sogenannter ritueller Gewalt" (AP-Korb gestern) befasst sich uebermedien.de: Zwar "entsteht der Eindruck, dass sich Böhmermann über Betroffene lustig macht", die unter Symptomen einer dissoziativen Identitätsstörung leiden. Doch treffe er andererseits "einen Punkt: Er spricht das Problem der Suggestion in der Therapie an." +++

+++ Und die "SZ" (€) empfiehlt ausführlich die seit heute früh in der ZDF-Mediathek verfügbare, um 20.15 Uhr abends linear ausgestrahlte ZDF-Doku "Die geheime Welt der Superreichen – Das Milliardenspiel", für die ein Auftritt der Leiterin des Bundesfinanzministeriums-Referats für Erbschafts- und Vermögensteuer vor solchen Superreichen mit versteckter Kamera gefilmt wurde.

Das nächste Altpapier folgt am Mittwoch und kommt auch von Christian Bartels.

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