Das Altpapier am 27. November 2023: Porträt des Altpapier-Autoren Klaus Raab
"Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren im aktuellen Altpapier die wichtigsten Medienthemen des Tages. Bildrechte: MDR | MEDIEN360G

Kolumne: Das Altpapier am 27. November 2023 Beachtung fand statt

27. November 2023, 09:40 Uhr

Nur "Wetten, dass..?" wurde besprochen wie "Wetten, dass..?": mit Kleidungsanalysen, werkimmanenten Referenzen und Verweisen auf die Kinderwahrnehmung der Show. Am Ende von Thomas Gottschalks letzter Sendung stand ein fernsehhistorischer Moment. Nicht der beste. Heute kommentiert Klaus Raab die Medienberichterstattung.

Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.

Woran es nicht fehlt: an Resonanz auf "Wetten, dass..?"

Die eine oder der andere wird es vielleicht ganz am Rande mitbekommen haben: Am Samstag lief die letzte Ausgabe von "Wetten, dass..?". Jedenfalls die letzte mit Thomas Gottschalk. Jedenfalls wahrscheinlich die letzte. Und was soll man sagen: Falls man Relevanz in den Maßeinheiten "Gewählte Formulierungen" und "Journalistische Resonanz" messen kann, dann ist am Samstagabend im ZDF wirklich Bedeutsames passiert.

"Der gestrige 25. November war ein historischer Tag" ist zum Beispiel einer dieser sachlich zwar nicht falschen, aber doch grandios überdrehten Sätze, die man im Nachgang der Show am Sonntag zu lesen bekam. Und der stand noch nicht einmal in einer deutschen Zeitung, sondern im Schweizer "Sonntagsblick". Der es auch nicht anders hielt als viele deutsche Medien mit Onlineseiten: Warum nur einen Beitrag über "Wetten, dass..?" bringen, wenn das Publikumsinteresse auch für drei oder sieben ausreicht? Beim "Blick" stieg zusätzlich zur Rezension zum Beispiel eine Royal- und People-Expertin in die Bütt, die ausgewähltes Gottschalk-Gequatsche von anderen Promis einordnen ließ. Andere hatten, zusätzlich zu ihren Kritiken, ihr Liveblog (spiegel.de), ihren Quotennachbericht (dwdl.de), ihr Baggerwetten-Expertinneninterview (tagesspiegel.de), ihre X-/Twitter-Nacherzählung (rnd.de)…

Das Wochenende brachte damit Bestätigung für ein ehernes Gesetz: Wer über diese Sendung nichts zu sagen hat, ist jedenfalls kein tagesaktuelles Medium mit überregionalem Anspruch. Selbst die "taz", die nach eigenem Verständnis wohl eher nicht gegründet wurde, um Scheite auf bürgerliche Lagerfeuer zu werfen, versteckt zumindest eine kleine Anspielung in ihrem wöchentlichen Interview mit Fernsehproduzent Friedrich Küppersbusch: "Wenigstens die Grünen glaubten noch an 'Wetten, dass’ und legten ihre Migrationsdebatte auf Samstagabend." Und auch wer sonst nichts machte, machte dann doch irgendetwas ("Übermedien" etwa einen Cartoon). Es war also, was die Resonanz angeht, noch einmal wie eigentlich immer in der Geschichte dieser Sendung: Breite Beachtung fand statt.

Charakteristika der "Wetten, dass..?"-Kritik

Was auffällt, wenn man sich durch die zum Teil sehr detaillierten Rezensionen liest, ist, dass es sich nicht einfach um Fernsehkritiken handelt, sondern, spezifischer, um typische "Wetten, dass..?"-Kritiken. Sie sind in den vielen Jahren eine eigene Untergattung der Fernsehkritik geworden, weil sie je einige charakteristische Elemente enthalten, die Besprechungen von "Klein gegen Groß" oder "Wer stiehlt mir die Show?" nicht unbedingt enthalten. Eine nicht vollständige Liste dieser Elemente:

  • Enthalten sind häufig Rezeptionserfahrungen mit Kindern, die gar nicht verstehen, was dieses "Wetten, dass..?" sein soll. Man findet sie diesmal in den Texten von Peter Huth auf welt.de (€) ("Als ich gestern sagte, ich müsse den Geburtstag einer Freundin früher verlassen, weil ich über 'Wetten, dass..?' schreiben sollte, hatten alle Erwachsenen dafür Verständnis, meine Tochter aber – sie ist zehn – schaute mich an und fragte: 'Was ist 'Wetten, dass..?'?") und im Gastbeitrag von "Stern"-Kolumnist, Fernsehmoderator und Podcaster Micky Beisenherz in der "Süddeutschen" (€): "Für meine Tochter ist die goldene Vergangenheit vorbei, bevor sie begonnen hat. Sie schaut mit ihrer Freundin irgendwas nicht Kindgerechtes bei Netflix, während sich der freudig erregte Vater mit anderen Erwachsenen auf dem Flatscreen im Wohnzimmer eines Freundes diese seltsame Show ...

  • Unverzichtbar sind Analysen von Thomas Gottschalks Kleidung: Die gibt es beim alle Register ziehenden Beisenherz ("Der letzte Vorhang also. Der Gastgeber hat ihn zum Sakko umschneidern lassen, um ein letztes Mal den Zirkusdirektor zu machen") oder bei Anja Rützel in ihrer Besprechung auf den Onlineseiten (€) des "Spiegels": "Gottschalks Sakko, das farblich leicht hughheffnerige Assoziationen weckt, mit einem Querrevers, das man auch als über die Brust gespannte Ehrenschärpe lesen kann."

  • Standardmäßig gibt es zudem sendungsimmanente historische Referenzen: Mit Querverweisen auf zurückliegende Sendungen wird herausgearbeitet, dass "Wetten, dass..?" mit Gottschalk immer Bezug auf das Unterhaltungsfernsehen von früher nimmt. Diesmal etwa von Michael Hanfeld in der "FAZ" ("Cher trägt mit siebenundsiebzig Jahren ein Outfit, das gar nicht so entfernt an ihren Halbnacktskandalauftritt bei 'Wetten, dass ..?' aus dem Jahr 1987 erinnert") oder Daniel Gerhardt bei "Zeit Online", der über den Auftritt von Take That schrieb: "2010 hatten sie zuletzt bei Gottschalk auftreten sollen, in jener Sendung, die nach einem Unfall des Wettkandidaten Samuel Koch abgebrochen wurde."

Und dass zur Einstimmung vor der eigentlichen Sendung in ordentlicher Frequenz Vorglühtexte erscheinen, gab es in der "Wetten, dass..?"-Geschichte auch sehr oft – nicht nur vor Gottschalks letzter Ausgabe. Diesmal gab es etwa Beiträge von Alexander Kühn auf spiegel.de (€), der über seine Zeit als Praktikant der Show schrieb ("Aus einem Beatles-Buch kopierte ich die 181 Lyrics. Damit beklebte ich die Rückseite von 181 Vinylplatten, die in der Sendung als Deko in einem überdimensionalen Plattenregal stecken würden und von denen Gottschalk ablesen sollte"), und von Aurelie von Blazekovic, die in der "SZ" (€) die ehemalige Co-Moderatorin Michelle Hunziker würdigte: "Hunziker, heute 46 und in mehreren europäischen Ländern eine feste Fernsehgröße, spricht fließend fünf Sprachen und wurde viele Jahre lang unterschätzt. Vielleicht liegt es daran, dass es bei ihr auch so etwas wie Selbstreflexion gibt."

Ob sie diese Show also nun mochten oder nicht: Journalistinnen und Journalisten – auch solche, die unverdächtig sind, die Vergangenheit zu verklären – arbeiteten in all den Jahren mit an der Ritualisierung der Sendung. Indem sie jede Ausgabe ins "Wetten, dass..?"-Gesamtwerk einordneten, schrieben sie die Show auch als wichtiges Gesamtwerk fort.

Anja Rützel schreibt in ihrer epischen "Spiegel"-Rezension, "Wetten, dass…?" habe "uns all die Jahre" gefangen gehalten – "wenn nicht als konkrete, drei Stunden lang abgesessene Fernsehsendung, dann doch zumindest als Thema". Und das gilt natürlich auch oder sogar in erster Linie für Journalistinnen und Journalisten, die Sendungen rezensierten. Stets galt es, "den entscheidenden Suppenwürfelkrümel" zu finden, "mit dem die ganze folgende Brühe aromatisiert wird". Oder eine andere geheime Zutat, die 12 Millionen Menschen trotz allem vor dem Fernseher hielt.

Der letzte fernsehhistorische Moment

Was "Wetten, dass..?" nicht war: eindeutig. Die Show war onkelig, ja, aber dann blitzte wieder ein Schalk auf, der sie besonders machte. Thomas Gottschalk ist gewiss ein eitler Gockel, ja, aber einer, der, im Cabrio sitzend, auf der Autobahn breit und fröhlich grinsend den Seniorinnen in dem Bus winkte, den er überholte. Oder ein Beispiel vom Samstag: Da war ein Junge im Rollstuhl unter den Wettkandidaten. "Wie viele andere hätten aus dem Schicksal des Jungen eine klebrige Herz-für-Kinderei gemacht, um sich unter die Haut des Publikums zu pilchern", lobt Micky Beisenherz den Moderator. Aber er sagt eben unnötigerweise auch, ergänzt Anja Rützel, der Junge sei "'gefesselt an den Rollstuhl’ und dass er ein lustiges Kerlchen sei, dem man seine Behinderung gar nicht anmerke – als sei ein Handicap gleichbedeutend mit ewiger Trübnis".

Für "Wetten, dass..?" galt, es war "genauso lustig, dumm, unberechenbar, warmherzig, herablassend, schlagfertig, übergriffig und absolut liebenswert war wie wir selbst: schön. Eben auch mal schön doof" (Beisenherz). Vielleicht war das der Suppenwürfelkrümel, der die Show ansehbar machte: dass jede Ausgabe immer all das zugleich sein konnte.

Das Traurige an Gottschalks letzter Sendung war dann nur, welchen Ausgang er sich zu nehmen entschied, als er, ganz zum Schluss, begründete, warum er die Sendung künftig nicht mehr moderiere. Ein Grund: dass er "immer im Fernsehen das gesagt habe, was ich zu Hause auch gesagt habe. Inzwischen rede ich zu Hause anders, als im Fernsehen – und das ist keine dolle Entwicklung." Er habe keine Lust, Shitstorms herbeizulabern, dann sage er lieber gar nichts mehr.

Was sind das für (fast) letzte Worte nach einer solchen Sendungskarriere? "Sein 'Wetten, dass…?'-Vermächtnis schrumpft am Ende zur eben immer auch ein bisschen beleidigten, präventiven Selbstcancelung, das ist natürlich schade", findet Anja Rützel. "Das hört sich mutig an, ist aber eine Kapitulation. Wäre genau das nicht eher ein Grund, weiterzumachen?", meint dagegen Peter Huth bei Welt.de. Aufgefallen ist die Kleinheit der Szene jedenfalls fast allen, die am Wochenende über die Sendung schrieben.

"Kaum ein Format produzierte in ihrer Laufzeit vergleichbar viele fernsehhistorische Momente", meint Christian Richter in einer lesenswerten "Telegeschichte" über "Wetten, dass..?" bei DWDL. Dieser Abgang war womöglich auch so ein bleibender Moment.


Altpapierkorb (Bundesregierung und Medienpolitik, Bild TV, Beitragskontroverse, BBC-Debatten)

+++ Dass Verlegerverbände eine Förderung der Zustellung von Presseerzeugnissen fordern, ist bekannt. Dass die Bundesregierung bislang nicht liefert, auch (zuletzt in diesem und diesem Altpapier). Georg Mascolo hat nun für die "Süddeutsche Zeitung" (Abo) nicht nur über dieses, sondern auch über andere medienpolitische Vorhaben der Koalition geschrieben: "Schaut man in den Koalitionsvertrag, finden sich vor allem im Kapitel sechs (…) eine Reihe ambitionierter Vorhaben. Zusammen ergeben sie das Versprechen, die Medien in diesem Land in schwieriger Zeit nachhaltig zu stärken. Bei manchen Vorhaben geht es um Geld, oft aber bräuchte es nur den notwendigen politischen Willen: etwa um die Auskunftsansprüche von Journalistinnen und Journalisten zu stärken oder sie besser vor der Überwachung durch neue und raffinierte Spionagetechniken zu schützen. Aber nichts davon ist bisher umgesetzt, manches nicht einmal auch nur ansatzweise auf den Weg gebracht", kritisiert er. Am Ende zitiert er die grüne Medienpolitikerin Tabea Rößner, die auf Kritik mit einer Gegenfrage reagiert habe: "Warum eigentlich Medien so wenig über Medienpolitik berichten würden, sie wüssten doch, dass Öffentlichkeit und manchmal auch nur Öffentlichkeit helfe, die Politik zum Handeln zu bewegen."

+++ Das lineare Programm von "Bild TV" wird zum Jahresende eingestellt, und Axel Springer gebe die Sendelizenz an die Medienanstalt Berlin-Brandenburg zurück, teilte der Konzern mit. Das Bewegtbildangebot konzentriere sich ab 2024 "auf die eigenen digitalen Plattformen". Ein paar Hintergründe gibt es bei sueddeutsche.de oder, mit Agenturmaterial, bei spiegel.de u.a..

+++ Markus Ehrenberg kommentiert für den "Tagesspiegel" die "Kontroverse zwischen Intendanten und Politikern zur Höhe des Rundfunkbeitrags". BR-Intendantin Katja Wildermuth habe als erste hochrangige Führungspersönlichkeit der ARD "mit sehr deutlichen Worten das Vorgehen der Politiker" kritisiert. Einerseits habe sie einen Punkt, so sinngemäß Ehrenberg: "Die KEF legt als unabhängige Kommission den Rundfunkbeitrag für die nächste Beitragsperiode fest. Die Landesparlamente müssen dem zustimmen. Die Politik hat keinen Hebel, um etwas anderes durchzusetzen. Dafür hat das Bundesverfassungsgericht gesorgt". Andererseits: "Es schadet der öffentlichen Debatte und der Akzeptanz des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, wenn auch nur der Anschein erweckt wird, Politiker seien nun beim Thema Rundfunkbeitrag mit einer Art Maulkorb unterwegs."

+++ "Die ganze Mär vom unpolitischen oder neutralen Journalismus ist ohnehin überholt (falls sie überhaupt je gestimmt hat). Gerade die Zeiten, in denen Populist*innen und Demagog*innen aller Couleur die Errungenschaften der Aufklärung wieder einreißen wollen, verlangen klare, transparente Kante. Journalist*innen sollten ihre Position offenlegen und gleichzeitig fair und ausgewogen arbeiten. Die Trennung von Bericht und Meinung hilft da schon eine ganze Menge weiter." Das findet Steffen Grimberg in seiner "taz"-Kolumne und steht am Ende einer Kolumne, die mit denDiskussionen bei der BBC darüber beginnt, ob jüdische Mitarbeitende an der großen Demo gegen Antisemitismus in der britischen Hauptstadt teilnehmen dürfen.

Am Dienstag schreibt das Altpapier Christian Bartels.

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