Kolumne: Das Altpapier am 20. November 2023 Haie und kleine Brötchen
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20. November 2023, 09:39 Uhr
Der Rundfunkbeitrag könnte übernächstes Jahr um den Preis einer Handwerksbäcker-Schrippe steigen. Der Zukunftsrat verdient schon mal Respekt. Das Grimme-Institut steckt in finanziellen Nöten. Und ein Fernseh-Megatrend wird zum Problem. Heute kommentiert Christian Bartels die Medienberichterstattung.
Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.
Neues zum Rundfunkbeitrag
Am Freitagnachmittag ging sie rum, die gespannt erwartete Zahl von Cents, um die nach Berechnungen der Finanzbedarfs-Ermittlungs-Kommission KEF der monatliche Rundfunkbeitrag ab 2025 erhöht werden sollte: 58, lautet sie nach einem der dpa (z.B. "Tagesspiegel") bekannt gewordenen KEF-Entwurf.
Früher wurden Rundfunkgebühren-Erhöhungen gerne mit Brötchenpreisen verglichen, etwa 2014, als die Gebühr, die seinerzeit auch noch offiziell so hieß, historisch bislang einmalig gesenkt wurde. Da ging's um 48 Cent. "Ein Brötchen pro Monat", lautete eine Überschrift. Schon wegen der gestiegenen und steigenden Inflation ließe sich auch jetzt von einer Handwerksbäcker-Schrippe pro Monat sprechen. Mehr Rechenspielchen: Die nächste Erhöhung soll niedriger ausfallen als die letzte, die noch 86 Cent (von 17,50 Euro auf 18,36 Euro) betrug. Der monatliche Rundfunkbeitrag insgesamt bliebe 6 Cent unter der 19,00-Euro-Marke. "Damit würden ARD, ZDF und Deutschlandradio um knapp sieben Euro im Jahr teurer", errechnete die "SZ".
All das ist vorläufig kein neuer Anlass für größere Aufregung. Selbst die "FAZ", die zweifellos nicht für eine Erhöhung ist, zählt in ihrer Meldung noch mal wieder auf, welche Bundesländer-Regierungen bereits ausdrücklich betonten, gegen jegliche Erhöhung zu sein. Da setzt eine andere Meinungsbekundung an: Von einem "wichtigen Signal gegenüber all jenen Politikerinnen und Politikern, die sich gegen eine Erhöhung des Rundfunkbeitrags stark gemacht haben, obwohl das Bundesverfassungsgericht eine Abweichung nur in sehr wenigen Ausnahmefällen zulässt, die aber nicht gegeben sind", spricht die Journalistengewerkschaft DJV (in Gestalt ihres neuen Bundesvorsitzenden Mika Beuster, der auf den umtriebigen Frank Überall folgte). Das nutzt die andere größere Journalistengewerkschaft gleich zur Distinktion: DJU/Verdi bezweifelt, "dass dabei die inflationsbedingten Kostensteigerungen und realistisch nötige Tariferhöhungen für angestellte und freie Rundfunkschaffende mit bedacht wurden", hält die vorgeschlagene Erhöhung also für zu niedrig.
Stärker zur Interpretation schritt die "SZ", die schon am Samstag (€) in der Unterzeile betonte, dass es zur Erhöhung "kaum kommen wird". Da zählte Claudia Tieschky die bekannten Gründe auf, die gegen Beitragserhöhungen sprechen; zu den RBB-Skandalen käme nun noch, "dass sich ... ein prominenter Filmemacher vom Oligarchen bezahlen ließ" (mehr zu Hubert Seipel im Korb). Und als alles klang, als würde auch die "SZ" gegen eine Erhöhung votieren, warf Tieschky doch noch Argumente in die andere Waagschale: "Eine ganz andere Frage ist, wie viel Gleichgültigkeit gegenüber demokratischen Sicherungssystemen man dabei demonstriert. Die Beitragsermittlung ist mit Grund dem Zugriff der Regierungen entzogen. Es geht letztlich um den Ernstfall, also die Rundfunkfreiheit: Hätte Deutschland eine Regierung, die - ein bewusst abwegiges Beispiel - keine Nachrichten über ihre Energiepolitik zulassen will, dann soll die staatsferne Finanzierung verhindern, dass dem öffentlich-rechtlichen Journalismus, wenn er trotzdem informiert, das Geld entzogen wird."
Das ist großes Dialektik-Kino, das am heutigen Montag gleich weitergeht. Da (€) interviewt Tieschky den Brandenburger Medien-Staatssekretär Benjamin Grimm, der kräftig bei der Position seines Ministerpräsidenten Woidke (SPD) bleibt, auch eine Erhöhung um nur 58 Cent abzulehnen. Dem – ebenfalls lange bekannten – Argument, dass die Bundesländer den Beitrag leicht hätten "senken können, indem sie den Auftrag der Öffentlich-Rechtlichen verkleinern" (Tieschky), hält er entgegen:
"Diese Argumentation finde ich unterkomplex. Es gibt tausend Möglichkeiten, wie man im System des öffentlichen Rundfunks Geld einsparen kann. Das fängt mit einer gemeinsamen Mediathek von ARD und ZDF an, geht über Gemeinschaftseinrichtungen und Gehälter bis hin zu den Immobilien."
Feuer ist also trotz der eher niedrigen Brötchen-Summe in der Debatte.
Neues vom Zukunftsrat
So dürfte es über weite Teile des kommenden Jahres (und die Wochen bis dahin) weitergehen, weil ja alle Landtage abstimmen müssen und nächstes Jahr gespannt erwartete Landtagswahlen anstehen. Weshalb Tieschky auch noch mit der Idee eines inoffiziellen Moratoriums sympathisiert, also: "die Entscheidung in den Ländern über den Beitrag um ein paar Monate zu verschieben". Was damit gewonnen wäre? Zeit, die bislang noch unbekannten Ideen des "Zukunftsrats" zur Öffentlich-Rechtlichen-Zukunft von der KEF durchrechnen zu lassen.
"Die Arbeiten des von den Bundesländern eingesetzten Zukunftsrats für ARD und ZDF befinden sich in der Schlussphase. Im Januar werde der Zukunftsrat seinen Bericht vorlegen, erklärte der Sprecher des Gremiums, Frank Thomsen",
heißt's in einer Meldung der aktuellen "epd medien"-Ausgabe. Da förderte Volker Nünning gleich mehrere bemerkenswerte News zutage. Frank Thomsen, einst Chefredakteur von stern.de und später Sprecher von Gruner + Jahr (als es diesen Zeitschriftenverlag noch gab), sei nun Sprecher dieses Zukunftsrats. Was damit zusammenhängen dürfte, dass die ehemalige G+J-Chefin Julia Jäkel dem Rat vorsitzt. Thomsen sagte noch nicht viel Konkretes, aber: "Der Zukunftsrat hat sich darauf verständigt, während der laufenden Beratungen keine Zwischenstände zu kommunizieren."
Wow! Dieser Rat tagte offenbar schon öfters, ohne dass die diskutierten Ideen in sog. sozialen oder klassischen Medien landeten und öffentlich zerredet wurden. Das verdient mal etwas, das es in der und für die deutsche/n Medienpolitik seit vielen Jahren aus Gründen selten gibt: Respekt. Als Stichtermin für den Zukunftsrats-Bericht wird der "25. und 26. Januar 2024 in Bingen am Rhein" genannt. Warum denn Bingen? Dazu später mehr im Korb ...
Neues vom Grimme-Institut
Hier geht's zum Überblick über die Gesellschafter des Grimme-Instituts, das gerade seinen 50. Geburtstag begeht. (Falls sich wer wundert: Der Grimme-Fernsehpreis, für den das Institut vor allem bekannt ist, ist älter und feierte schon früher). Mehr Aufsehen erregt sowieso die Finanzkrise, in der das Institut steckt. Am Wochenende kam eine Art Brandbrief bzw. ein "dringender Appell an die Gesellschafter:innen und Aufsichtsrät:innen" von Mitgliedern der Nominierungskommissionen und Jurys der Grimme-Preise, den Altpapier-Autor René Martens als ein Unterzeichner hier veröffentlichte:
"Die aktuellen Nachrichten aus Marl sind ein Schock: Ein Drittel der Arbeitsplätze im Institut soll wegfallen. Das ist nicht nur für die Betroffenen katastrophal, die betriebsbedingten Kündigungen werden auch den Kernauftrag des Grimme-Instituts schwächen: die Preise ..."
Welche aktuellen Nachrichten? Da berichten, jeweils hinter Bezahlschranken, die "Marler Zeitung" und der KNA-Mediendienst. Die Zeitung schreibt von einem "verwickelt formulierten Statement aus dem Kreis der Gesellschafter". Im KNA-Mediendienst nennt Stefan Laurin unter der Überschrift "Die Zukunft des Grimme-Instituts hängt in der Luft" Details von Spar-Vorschlägen der eingeschalteten Münchener Wirtschaftsberatung Actori:
"Das traditionelle Bergfest des Grimme-Preises, bei dem die Jurys nach der Hälfte ihrer Beratungsphase gemeinsam mit zahlreichen Nominierten zum Diskutieren und Feiern zusammenkommen, soll ersatzlos gestrichen werden. Auch bei der Preisverleihung mit anschließender Party, die bereits heute wenig glamourös im Theater der Stadt Marl stattfindet, soll gespart werden. Der Grimme-Online-Award, mit dem herausragende Internetangebote ausgezeichnet werden, soll künftig nur noch alle zwei Jahre vergeben werden ..."
Bekannt ist schon länger, dass dem Grimme-Institut "in diesem Jahr 320.000 Euro, im kommenden Jahr ... 430.000 Euro fehlen". Darum geht's auch im langen Interview mit Institutsdirektorin Frauke Gerlach, das bei "epd medien" inzwischen online steht. Obwohl "epd medien" mit dem Institut gemeinsam einen Podcast produziert, stellt Diemut Roether auch kritische Fragen. Gerlachs Antworten wurden gleich wieder kritisiert. "Erkenntnisse von anno Tobak verkauft Frauke Gerlach als heiße News", ätzte Micha Hanfeld vorige Woche in der "FAZ". Laurin findet im KNA-Text Gerlachs Antworten, ob sie weitermachen will, "schmallippig".
Wozu ergänzt gehört, dass Hanfeld seit jeher gerne gegen das Marler Institut schießt (und das schon im vorigen Jahrtausend tat). Laurin begleitet Gerlach kritisch ungefähr, seitdem sie 2014 seiner Ansicht nach "als einstige Justiziarin der NRW-Landtagsfraktion der Grünen ... vor allem aus politischen Gründen" zur Institutsdirektorin wurde, wie dieser ruhrbarone.de-Artikel aus dem Juli zeigt. (Und der "Ruhrbarone"-Blog befasst sich mit dem Institut, weil dessen Sitzort Marl im Norden des an strukturschwachen Städten reichen Ruhrgebiets liegt).
Falls noch was fehlt für den Eindruck, dass rund um das unscheinbare Grimme-Institut, dessen Institutsgebäude tatsächlich den Traditionsnamen "Insel" trägt, ein ganz schöner Haifischteich schwappt, lässt sich noch das Staunen des "Marler Zeitung"-Redakteurs Heinz-Peter Mohr erwähnen, dass "in der Festschrift '50 Jahre Grimme-Institut' ... Ulrich Spies mit keinem Wort erwähnt" wird. Dabei hieß Spies doch einst "Mr. Grimme" ... "Alles, was das Grimme-Institut und seine Preise retten kann, sollte diskutiert werden. Manchmal bringen Krisen sinnvolle Lösungen hervor", schreibt die "Marler Zeitung" in einem weiteren Beitrag dann noch.
[Transparenzhinweis: Ich selbst saß zuletzt bis Frühjahr '23 mehrere Jahre in Nomkomms und Jurys des Grimme Online Awards; im Juni hatte ich publik gemacht, dass ich eine ausgebliebene Nachnominierung von Mastodon für diesen GOA für ziemlich falsch halte ... ]
Ein Fernseh-Megatrend wird zum Problem
Wie sagt Frauke Gerlach im oben erwähnten Interview, in dem es auch um die generelle Entwicklung des Fernsehens geht?
"Wir können Politik nicht nur darüber erklären, indem wir sie satirisch aufbereiten. Ich mag Satire-Formate, aber auch davon nicht zu viel."
Da hakt Peer Schader mit seiner dwdl.de-Kolumne ein und schildert mit der gewohnten Detailfreude, was außer Jan Böhmermann eine weiter wachsende Schar ebenfalls öffentlich-rechtlicher Epigonen alles so will:
"'Schroeder darf alles', sagt der SWR, 'konfrontiert mit den aktuellen Problemen der Welt' und widmet sich 'Themen, die die Gesellschaft bewegen'. 'Bosetti Late Night', sagt 3sat, macht 'Satire, die mehr ist, als nur Unterhaltung', nämlich 'über gesellschaftlich relevante Themen'. Und 'Reschke Fernsehen', sagt der NDR, 'geht jede Woche einem Thema auf den Grund, das die Gesellschaft bewegt' – kurz: 'Journalismus trifft Unterhaltung'. Okay, aber: warum? Weil sich plötzlich alle zu schade sind für kluge Popkulturnachäffung oder simple Wochenreflektion? Oder weil die Situation schon so verfahren ist, dass die Zuschauer:innen, wenn sie aus Selbstschutz schon die Nachrichten nicht mehr einschalten, wenigstens beim Unterhaltenwerden noch mit der Gegenwart kollidieren sollen?"
Na ja, um Grimme-Preise zu gewinnen, ließe sich hier kontextsensitiv ergänzen. In den Anstalten gelten die ja als harte Währung, die sogar niedrige Einschaltquoten ein bisschen ausgleichen kann ... Tatsächlich besteht eines der größeren, in den Anstalten selbst leider kaum erkannten Probleme des öffentlich-rechtlichen Rundfunk darin, dass seine nicht wenigen Programme sich weniger den publizistischen Wettbewerb liefern, von dem Anstaltenspitzen manchmal gerne reden, sondern mit ziemlich identischen Haltungen gegenseitig ihre relativen Erfolgsrezepte kopieren. Und, schließt Schader freundlich:
"So neu- und großartig die Lust vieler Redaktionen und Präsentator:innen auch ist, mehr bewirken zu wollen, als ihrem Publikum einen heiteren Abend, so anstrengend wird es gerade, dabei zuzusehen, wie alle das gleiche wollen."
Altpapierkorb (AfD in Thüringen und Hamburg, Seipel, "Wajib", Raab)
+++ Wie es zuging in Pfiffelbach im Weimarer Land, nachdem die Thüringer AfD "Monitor" Zugang zu ihrem Landesparteitag gestatten musste, davon zeugen u.v.a. dieser Tweet und was darunter abgeht. +++ Im ebenfalls thüringischen Plothen wurde ein Journalist der "Ostthüringer Zeitung" ebenfalls bei einer AfD-Veranstaltung "erst beschimpft und dann geschlagen", melden die "taz" und die "OTZ" selbst. Es handele sich um den voriges Jahr bereits in Bad Lobenstein attackierten Kollegen (Altpapier). +++ Währenddessen wird in Hamburg beim NDR diskutiert, ob für die dortige AfD-Bürgerschaftsfraktion eine Funkhausführung veranstaltet werden soll, berichtet Andreas Speit wiederum in der "taz". +++
+++ "Sein oft als prorussisch bzw. pro Putin verstandener Ansatz, die russische Seite zu Wort kommen zu lassen, war schon immer umstritten. Jetzt erscheint er durch die Zahlungen in einem anderen Licht, egal was Seipel beteuert. Glaubhaft ist das nicht. Woher kommt diese Hybris zu glauben, mit dieser absurden Differenzierung durchzukommen? Der lupenreine Journalist Seipel hat sich komplett aus der Umlaufbahn geschossen", schreibt in der "taz" Steffen Grimberg zum Fall Hubert Seipel (Altpapier). +++
+++ Wenn Arno Frank bei spiegel.de "das Vorgehen der ARD 'Zensur'" nennt, "schießt er damit über das Ziel hinaus", wägt Joachim Huber im "Tagesspiegel" zur am Freitag schon hier erwähnten vorläufigen Absetzung des eigentlich für heute Nacht im ARD-Programm eingeplanten Films "Wajib" +++
+++ Das oben erwähnte Bingen am Rhein liegt in Rheinland-Pfalz. Dessen Ministerpräsidentin Malu Dreyer und vor allem deren Staatssekretärin Heike Raab koordinieren die deutsche Medien- und vor allem Rundfunkpolitik. Raab allerdings steht inzwischen selbst in der Kritik. Zumindest Michael Hanfeld in der "FAZ" legte nochmals nach ("'Wir'? Das klingt kumpelinnenhaft, hat vielleicht auch damit zu tun, dass Raab beim SWR stellvertretende Verwaltungsratsvorsitzende, stellvertretende Chefin des Finanzausschusses, Mitglied des Landesrundfunkrats Rheinland-Pfalz und des Programmausschusses ist. Ein 'Jedermann' ist sie im SWR also nicht."). +++ Immerhin hat Raab, berichtet der epd aus der Landtagsausschuss-Sitzung, den umstrittenen Brief "bei sich zu Hause geschrieben und eine privat gekaufte Briefmarke verwendet". +++
Das nächste Altpapier erscheint am Dienstag.