Kolumne: Das Altpapier am 10. November 2023 Die Newsletterisierung der Medien
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10. November 2023, 10:09 Uhr
Der Trend zum fachspezifischen Newsletter ebbt nicht ab: Auch die "SZ" bietet ab nächster Woche das erste ihrer "Fachdossiers" an. Während der sogenannte "deep journalism" für Medienunternehmen finanziell sehr attraktiv sein kann, ist er das publizistisch eher weniger. Heute kommentiert Johanna Bernklau die Medienberichterstattung.
Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.
Ein Newsletter-Überblick
Ich bin ehrlich: Hätte ich von meinen Altpapier-Kollegen nicht Tipps und Links zu guten Medienmedien-Newslettern bekommen, würde ich heute wohl noch ziemlich einsam als "Übonenntin" und mit meinen SZ- und FAZ-Medienseiten dastehen. (Bezahlte) Newsletter werden immer mehr, deren Publikum immer spezifischer und die breite Masse fragt sich: Woher wissen die das denn alles? Also zumindest hab ich mich das oft gefragt.
Die Antwort lautet eben: Newsletter. Oder Verticals, wie die fachspezifischen Informationen per Mail auch genannt werden. Bei der "Süddeutschen Zeitung" heißt das ab nächster Woche "Fachdossier" – der Verlag der Südwestdeutschen Medienholding steigt dann auch in den "Medientrend Abo-Newsletter" ein, wie kress berichtet. Das neue Angebot soll mit dem Fachdossier "Digitalwende" starten, im nächsten Jahr sollen weitere Themenbereiche "zu Zukunftsfragen" dazukommen.
Der Trend zur Newsletterisierung ist nicht neu, tatsächlich steigt die "SZ" relativ spät in das Game ein: Vorreiter ist wohl "Politico" aus den USA mit seinem Angebot "Politico Pro", das Politiker, große Entscheider und andere "wichtige Leute" mit passgenauen und fachlich tief recherchierten Informationen versorgen will. 2021 hat Axel Springer das US-Nachrichtenunternehmen für 881 Millionen Euro gekauft und möchte im kommenden Jahr auch einen Newsletter für die deutsche Politik anbieten (kress.de).
Das deutsche Äquivalent zu "Politico Pro" ist wohl "Table Media", ein digitales Verlagshaus, das 2019 für die Verbreitung dieser Fachnewsletter gegründet wurde und seitdem fleißig Journalisten einstellt und das eigene Angebot erweitert. Zuletzt wurde bekannt, dass Michael Bröcker von "Media Pioneer" und Helene Bubrowski von der "FAZ" in die Chefredaktion des Medien-Start-Ups geholt wurden.
Beide kommen auch aus Medienhäusern, in die die Fachnewsletter bereits ihren Weg gefunden haben: "Media Pioneer" mit dem "Pioneer- bzw. Hauptstadtbriefing" zu deutscher Wirtschaft und Politik und die "FAZ" mit dem "D:ECONOMY-Briefing" zu digitaler Wirtschaft.
Finanziell attraktiv – für die Verleger
Warum die Abo-Newsletter (auch "deep journalism" genannt) in letzter Zeit einen solchen Hype erfahren haben, lässt sich ziemlich wahrscheinlich auf einen Grund zurückführen: Medienunternehmen können damit nochmal ordentlich Geld machen. "Mit den Dossiers erschließen wir ein neues Geschäftsmodell", wird auch SZ-Geschäftsführer Christian Wegner im kress-Beitrag zitiert.
Laut Sebastian Turner, dem Herausgeber von "Table Media", nehmen solche Angebote "hohe Preise für die Abonnements – 1.000 Euro und mehr im Jahr – und vermitteln ihren Kunden dafür auch den entsprechenden Mehrwert."
Bei "Table Media" selbst zahlt man für ein Abo zu einem der neun Themen zwischen 1.800 und 2.400 Euro im Jahr. Bei der "FAZ" und "Media Pioneer" hat das Finanzielle allerdings noch keine riesigen Ausmaße angenommen: Mit dem sogenannten Pro-Abo der "FAZ" bekommt man für rund 280 Euro/Jahr den Newsletter inklusive Zugang zu allen F+ Artikeln. "Media Pioneer" nimmt 300 Euro im Jahr für eine Mitgliedschaft. Wie viel die "SZ" für ihr neues Angebot verlangen wird, ist noch nicht bekannt.
Es ist ja eigentlich eine gute Nachricht, dass sich für Medien neben Werbung und "normaler" Zeitungsabos ein weiteres Finanzierungsfeld auftut. Wirklich sinnvoll wird es aber erst dann, wenn die Erlöse der Fachnewsletter im Falle der "FAZ" und "SZ" auch zur Finanzierung des "normalen" Mediengeschäfts genutzt werden.
Ein gewisser Beigeschmack wird mitabonniert
Doch es ist nicht alles Gold, was täglich im Postfach glänzt – Abo-Newsletter haben einen gewissen publizistischen Beigeschmack:
Es hat etwas Elitäres, ja fast schon Geheimes, wie die wirklich wichtigen Leute da so hinter bezahlbeschränkten Newsletterwänden über die wirklich wichtigen Dinge informiert werden. Noch ist es zwar nicht so weit – aber müssen wir uns Sorgen machen, dass in Zukunft fachspezifischer Journalismus nur für die möglich ist, die es sich leisten können? Klar ist, dass qualitative journalistische Angebote ihren Preis haben müssen, aber um ihre gesellschaftliche Rolle zu erfüllen, müssen sie eben auch bezahlbar sein.
Während "Politico Pro" und "Table Media" recht unbehelligt in ihren anderen Sphären schweben können, ist das bei "FAZ" oder "SZ" etwas anderes: Medien, die zweigleisig fahren, müssen an irgendeinem Punkt entscheiden, welche Information in den exklusiven Newsletter kommt und welche es noch ins Standard-Angebot schafft.
Das Problematischste ist aber der Verlust des common ground, des gemeinsamen Nenners. Zugespitzt formuliert: Wenn sich alle nur noch über irgendwelche Newsletter informieren, die sich an die kleinteiligsten Publika wenden und von immer mehr Stellen angeboten werden, dann geht die Chance auf eine gleiche Informiertheit verloren.
Anders als bei Fachmagazinen, die im Grunde nicht viel anderes machen als die Fachnewsletter, geht bei letzteren der Überblick schneller verloren, weil sie so dezentral angeboten werden.
Auf die Gefahr hin, dass ich jetzt 50 Jahre älter klinge, als ich eigentlich bin: Fachmagazine findet man in Bibliotheken noch ausgelegt, man kann sie ausleihen und lesen. Um hingegen Fachnewsletter zu lesen, muss man entweder schon seit 5 Jahren in der Branche tätig sein oder jemanden kennen, der jemanden kennt, der jeden Werktag eine E-Mail verschickt.
Altpapierkorb (BDZV vs. ARD/ZDF, fehlende Distanz, Antisemitismus)
+++ Der BDZV (Bundesverband für Digitalpublisher und Verleger) hat der EU-Komission ein Papier vorgelegt, in dem er die Online-Angebote der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten scharf kritisiert, da diese "mit den Presseaktivitäten der BDZV-Mitglieder im Wettbewerb stünden", wie die "FAZ" berichtet. "Nach Auffassung des BDZV liegt nun ein Beihilfemissbrauch im Zusammenhang mit der Finanzierung der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten vor."
+++ Der Blog "Honest Reporting", der zur Medienberichterstattung in Israel und im Gazastreifen schreibt, hat einen Beitrag zu vier freischaffenden Fotografen veröffentlicht, die am Angriffstag des 7. Oktobers erstaunlich nah und erstaunlich früh am Ort des Kriegsgeschehens waren und Fotos davon gemacht haben. Von einem der Bildreporter tauchte ein Selfie mit Hamas-Chef Yahya Sinwar auf, das den Fotografen grinsend und ein Küsschen auf die Wange bekommend zeigt. Empfehlenswert ist auch dieser Text darüber in der "SZ".
+++ Ebenfalls fehlende Distanz hat nun die "SZ"-Redakteurin Karin Steinberger intern in einer Redaktionskonferenz zugegeben, wie "Übermedien" schreibt. Sie hatte lange über Jens Söring berichtet, der in den USA wegen Mordes zu zwei lebenslangen Haftstrafen verurteilt worden war. Steinberger hatte Sörings Unterstützern im Geheimen geholfen, einen Leserbrief zu formulieren.
+++ Die jüdische Chefredakteurin der Kulinarik-Magazine des Jahreszeiten Verlags, Deborah Middelhoff, gibt ihren Posten Anfang des nächsten Jahres auf und verlässt Deutschland. Ihren Lebensmittelpunkt möchte sie aufgrund des wachsenden Antisemitismus ins Ausland verlegen, schreibt die "FAZ". Und noch eine traurige Nachricht: Auf Bitten der Israelischen Kultusgemeinde München wird die "Jüdische Allgemeine" in Zukunft in neutralen Umschlägen an ihre Abonnenten verschickt. "Aus Sicherheitsgründen" solle niemand wissen, dass sie Juden seien.
Das Altpapier am Montag schreibt Klaus Raab. Schönes Wochenende!