Das Altpapier am 8. November 2023: Porträt des Altpapier-Autoren René Martens
"Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren im aktuellen Altpapier die wichtigsten Medienthemen des Tages. Bildrechte: MDR | MEDIEN360G

Kolumne: Das Altpapier am 8. November 2023 Kontraproduktiver Horror

08. November 2023, 10:58 Uhr

Die Journalisten-Gewerkschaft DJV fordert die Bundesregierung dazu auf, eine staatsfern organisierte Journalismusförderung einzurichten. Das ist ein guter Anlass, die Koalition an ein älteres Versprechen zu erinnern. Außerdem: Ein "Guardian"-Kolumnist wirft die Frage auf, ob das permanente Zeigen entsetzlicher Kriegsbilder dazu beiträgt, dass die Öffentlichkeit besser versteht, was passiert. Heute kommentiert René Martens die Medienberichterstattung.

Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.

Neue Impulse für die Presseförderungs-Debatte

Seit Jahren kommt sie immer mal wieder kurz in Gang, um dann, bis zur nächsten kleinen Welle, wieder zu versanden: die Debatte über Journalismusförderung mit öffentlichen Mitteln. Kaum ist eine neue Forderung, eine neue Idee auf dem Tisch, stehen sofort zahlreiche Totschlagargumentierer auf der Matte. So eine Förderung, heißt es dann, lasse sich nicht staatsfern organisieren. Im Sommer hat der Medienwissenschaftler Christopher Buschow die verbreitete Fehlwahrnehmung in einem Interview folgendermaßen auf den Punkt gebracht:

"Wenn Presseförderung wirklich des Teufels wäre und politischem Einfluss Tor und Tür öffnen würde, dürften Länder wie Schweden oder Norwegen doch nicht so hoch in den Pressefreiheit-Indizes von Reporter ohne Grenzen und anderen Organisationen stehen."

Bisher gilt: Deutschland ist in Sachen Presseförderung ein Entwicklungsland, will aber nichts dazu lernen, obwohl es in anderen Ländern funktionierende Modelle gibt. Das erwähnte Interview mit Buschow ist nur für Abonnenten des KNA-Mediendienstes abrufbar, wir sind im Altpapier aber schon ausführlich darauf eingegangen.

Nun kommt ein neuer Impuls, und wenn wir Glück haben, ist er nicht schon nach ein paar Tagen wieder vergessen:

"Der DJV-Verbandstag fordert die Bundesregierung und die Regierungen der Bundesländer auf, eine staatsfern organisierte Journalismusförderung einzurichten."

Das teilt der DJV auf seiner Website mit. Die Delegierten, die bis Dienstag in Magdeburg tagten, hätten den Beschluss "mit großer Mehrheit" gefasst.

Dass sich die Vorstellungen des Verbandes allerdings "deutlich von dem unterscheiden, was die Bundesländer und die Verlegerverbände seit geraumer Zeit dringlich von der Bundesregierung wollen", merkt Michael Hanfeld in der FAZ an.

Was letztere wollen, ist bekanntlich die "Förderung von Papierausgaben", wie es der frisch gewählte DJV-Bundesvorsitzende Mika Beuster formuliert. Und die sei "nicht zielführend". Hintergründe zum Thema Papierausgaben-bzw. Vertriebsförderung finden sich zum Beispiel in diesem Altpapier.

Die Forderung des DJV ist ein guter Anlass, daran zu erinnern, dass die Bundesregierung sich zumindest für einen Bereich des Journalismus ja schon bereit erklärt hat, sich für staatsfern organisierte Förderung einzusetzen. Im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP findet sich ziemlich weit vorn, auf Seite 24, folgender Passus:

"Wir wollen Wissenschaftskommunikation systematisch auf allen wissenschaftlichen Karrierestufen und bei der Bewilligung von Fördermitteln verankern. Wir setzen uns für die Förderung des Wissenschaftsjournalismus durch eine unabhängige Stiftung (…) ein."

Da die Koalition nun auch schon seit rund zwei Jahren regiert, könnte man ja die These vertreten, dass es langsam mal an der Zeit ist, dass sie präsentiert, wie ihr Einsatz konkret aussieht.

Im Rahmen der Science Week Berlin findet am Donnerstag und Freitag ein vom Science Media Center Germany und der Wissenschaftspressekonferenz organisierte Konferenz statt, bei der sich ein Workshop auch mit "state-funded support programmes" befasst. Wie sehen diese in anderen Ländern aus, und welche Perspektiven gibt es? Die Veranstaltung ist nicht öffentlich, aber in die Grundlagen kann man sich bei diesem Online-Panel, moderiert vom heute schon erwähnten Christopher Buschow, einlesen. Und auch wenn die Veranstaltung in Berlin (an der ich teilnehme) nicht öffentlich ist: Falls hier nach dem DJV-Verbandstag die nächsten neuen Impulse für die hiesige Presseförderungs-Debatte kommen werden, finden sie sicher ihren Weg in die Medien.

Kritik am "boulevardesken" Kriegsfernsehen

Die Frage, wie mit dem "brutalem Bildmaterial" umzugehen sei, das über den Krieg zwischen der Hamas und Israel zur Verfügung steht, haben wir kürzlich in diesem Altpapier aufgeworfen. Nach Ansicht des "Guardian"-Kolumnisten Simon Jenkins wird mit diesem brutalen Bildmaterial derzeit "tabloid television", also Boulevardfernsehen, gemacht. Der Begriff klingt in diesem Kontext auf den ersten Blick überraschend. Jenkins schreibt:

"Jetzt haben wir die intensivste 24/7-Berichterstattung über extreme Gewalt, an die ich mich erinnern kann. In den Abendnachrichten heißt es schüchtern, die Szenen seien 'zu schrecklich, um sie zu zeigen', und dann, dass 'die Zuschauer einige Szenen möglicherweise als beunruhigend empfinden', als wollten sie uns von dem ablenken, was wir sonst gerade tun. Das ist Boulevard-Fernsehen, das einen schaurigen Anstrich dessen bietet, worum es bei Nachrichten eigentlich gehen sollte, nämlich um Fakten und deren sachkundige Interpretation."

Es ist etwas misslich, dass Jenkins die Programme (oder einzelne Sendungen), auf die er sich bezieht, nicht nennt, aber wir dürften eine Vorstellung von dem haben, was er schreibt. Der Autor meint:

"Das Entsetzen schürt einen gefährlichen Instinkt, nämlich den der Schuldzuweisung (...) Die weinenden Opfer bekommen mehr Zeit als die Entscheidungsträger oder Experten. Und auf die Schuldzuweisung folgt das überwältigende Gefühl der Ohnmacht. Was können wir tun? Sollen wir schreien, demonstrieren, schreiben, den Mund halten? Meistens sind wir traurig und kehren in unser Leben zurück und tun so, als hätte sich nichts geändert. Zumindest tun das die meisten von uns."

Der Autor plädiert zwar nicht dafür, irgendetwas auszublenden ("We cannot turn away from suffering"), aber:

"There must be a limit (…) I cannot see that relentless real-time depictions of horror is instilling any virtue."

Er begründet das folgendermaßen:

"Von uns - und unseren Kindern - wird erwartet, dass wir Nacht für Nacht schreiende, blutende, wütende Menschen sehen. Das trägt nicht dazu bei, dass die Öffentlichkeit besser versteht, was passiert, sondern nur zu Wut, Zwietracht und seelischer Not führen. Ich möchte die Nachrichten sehen, aber was hier gezeigt wird, ist etwas anderes."

Wie die "grausamen Bilder aus Nahost" auf Kinder und Jugendliche wirken - dazu wäre noch ein Interview mit der Neurowissenschaftlerin Maren Urner aus der aktuellen Ausgabe des WDR-Medienmagazins "Texte und Töne" zu empfehlen.


Altpapierkorb (Gilda Sahebi, Paula Schlier, Taylor Swift, Swantje Dake, Helene Fischer)

+++ Gilda Sahebi, vom "Medium Magazin" als Journalistin des Jahres 2022 in der Kategorie Politik ausgezeichnet ("So geht Politikjournalismus für das 21. Jahrhundert"), sieht sich gerade einem von der "Bild"-Zeitung aufgestachelten rechtsradikalen Online-Mob ausgesetzt. Der Vorstand der Organisation ProQuoteMedien hat nun mit einem Solidaritätsschreiben für "unsere Vorstandskollegin" reagiert. Siehe auch kress.de.

+++ Kommt nach "Ich bin! Margot Friedländer" (Altpapier von Montag) nun schon das nächste sehenswerte historische Dokudrama? Heike Hupertz jedenfalls empfiehlt in der FAZ "Hitlerputsch 1923 – Das Tagebuch der Paula Schlier". Besagtes Tagebuch schrieb Paula Schlier als, so Hupertz, kritische Undercover-Mitarbeiterin des 'Völkischen Beobachters'".

+++ Der - bisher - einzige Job als Taylor-Swift-Reporter ist vergeben! Das berichtet unter anderem die SZ. Ausgeschrieben hatte die Stelle der Gannett-Konzern für "USA Today" und seine lokalen Tageszeitungen. Unter den Hunderten Bewerbern sei auch ein "etablierter Reporter des Weißen Hauses" der gewesen, aber der bekam die Stelle nicht, sondern der frühere NBC-Journalist Bryan West. "Variety" stellt ihn vor.

+++ Sie "gilt als Digitalexpertin im Mediengewerbe. Als Stern am Himmel bunter Displays, Gehaltsklasse geschätzte 250.000 Euro im Jahr". Und "sie ist halt eher Managerin im Warenhaus als Journalistin, eine, die Bonbons, Reizwäsche und Ratgeber für ein aufregendes Leben feilbietet, immer wieder neu sortiert, in immer neuen Regalen, immer mit der Aufschrift versehen: Es gibt neue Rabatte." So beschreibt Josef-Otto Freudenreich für "Kontext" Swantje Dake, die Digital-Chefin von "Stuttgarter Zeitung" und "Stuttgarter Nachrichten. Anlass des Textes: Dake verlässt das Stuttgarter Pressehaus zum Jahresende.

+++ 60.000 Euro muss "Bild" an Helene Fischer zahlen - wegen der Veröffentlichung "heimlich angefertigter Paparazzo-Aufnahmen von ihr und ihrem Baby". Darüber berichtet "Übermedien". Das Landgericht Berlin schreibt in seinem Urteil: "Eine Mutter (muss) auch im öffentlichen Raum nicht ständig damit rechnen, dass ihr Umgang mit ihrem Kind fotografiert und gefilmt und die Bilder anschließend veröffentlicht werden. Denn das Bewusstsein von derartigen Dokumentationen verhindert einen unbefangenen Umgang und stört die natürliche Interaktion zwischen Mutter und Kind."

Das Altpapier am Donnerstag schreibt Ralf Heimann.

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