Kolumne: Das Altpapier am 3. November 2023 Habecks Rede an die Nation
Hauptinhalt
03. November 2023, 09:44 Uhr
Erst potenzieller Kanzlerkandidat, dann Problempolitiker, dann wieder potenzieller Kanzlerkandidat – Robert Habeck wird medial immer wieder ein neues Gewand angezogen. Jetzt, nach seinem am Mittwoch veröffentlichten Video zum Antisemitismus in Deutschland, ist er wieder der Star. Fragt sich nur, wie lange halt. Heute kommentiert Johanna Bernklau die Medienberichterstattung.
Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.
Die medialen Höhen und Tiefen des Habeck
Gestern waren sich die deutschen Medien einig: Robert Habeck, Wirtschaftsminister und Vizekanzler, hat gesprochen wie ein Bundeskanzler. Für sein klares Video-Statement zum Nahostkonflikt und dem Antisemitismus in Deutschland bekam er nicht nur vom Zentralrat der Juden und von Politikern aus der CDU Lob:
"Habecks historische Rede" (BILD)
"Diese Rede kann Habecks Neustart sein" (SPIEGEL)
"Die Kanzlerrede des Vizekanzlers" (FAZ)
"Spricht da ein potentieller Kanzlerkanditat?" (ZDF)
Die "Süddeutsche" hat Habecks Rede sogar im Wortlaut zum Nachlesen nochmal veröffentlicht – so wie sie das zuletzt 2020 mit Angela Merkels Rede zur Corona-Pandemie getan hatte. Oder letztes Jahr mit der ersten Rede von König Charles III. Oder der Rücktrittsrede von Liz Truss.
Der Vizekanzler ist jetzt mal wieder medial – zumindest rhetorisch – eingereiht neben Premierministerinnen, Königen und Bundeskanzlerinnen. "Dieses Video könnte Habeck endgültig aus seinem politischen Tief befreien", schreibt Gerald Traufetter in einer Analyse für den "Spiegel". Moment mal, Tief? Ach ja, da war ja was – vor etwa einem Jahr sahen die Schlagzeilen um Habeck nämlich noch ganz anders aus:
"Und plötzlich ist der Politstar zum Problemfall geworden" (SPIEGEL)
"Der angeschlagene Robert Habeck" (ZDF)
"Strauchelnder Liebling" (FAZ)
Aus "Robert Habeck Superstar" (ja, so steht das wirklich beim ZDF) oder dem "Sonnyboy der Regierung" wurde der strauchelnde, der stolpernde Robert Habeck. Heizungsgesetz, Gasumlage, Atomkraft, alles Themen, die ihn nicht besonders glanzvoll dastehen ließen.
Schon im September letzen Jahres beschrieb die "Zeit" das immer wiederkehrende Medien-Muster Habecks: Erst der gefeierte eloquente Politiker, der "sich abhebe vom Grau der Funktionäre" und als der nächste Kanzler hochgeadelt werde, dann der krasse Absturz, ein großer, mal ein kleiner Fehler und schon wird er zum "Schönredner".
Heute so, morgen anders
Und auch jetzt gibt das neue Habeck-Video der "Zeit" wieder Anlass für eine neue (oder eher: alte) Auseinandersetzung zum Thema: "Hat es je eine Politikerin oder einen Politiker in Deutschland gegeben, der gleichermaßen so verehrt und so gehasst wurde wie Robert Habeck?", fragt Jana Hensel in ihrem Kommentar.
Was daran besonders sei: Er werde von denselben Leuten heute gehasst und morgen verehrt. Sieht man sich in der jüngeren Mediengeschichte einmal um, finden sich dafür auch Beweise:
Im Mai dieses Jahres zeigt der "Spiegel" Habeck auf dem Cover: Müde sitzt er im Blaumann vor einer alten Gasheizung, bemüht, sie mit einer Axt zu zerlegen und gegen die neue Wärmepumpe im Hintergrund einzutauschen. In der Titel-Story wird Habeck zwar nicht gehasst, aber als Person stark in den Vordergrund der Heizungsdebatte gestellt: "Robert Habeck steht in deinem Heizungskeller und sagt: Du musst dein Leben ändern."
Drastischer war es freilich bei der "Bild", der von verschiedenen Seiten eine regelrechte Kampagne gegen den Wirtschaftsminister vorgeworfen wurde (Stichwort "Habecks Heiz-Hammer").
Umso spannender ist es, dass Jana Hensel in ihrem "Zeit"-Kommentar den ehemaligen "Bild"-Chefredakteur Julian Reichelt als Beispiel wählt:
"Noch vor zwei Tagen schrieb der auf X: ‚Robert Habeck ist der Grönemeyer der Politik: Seine Texte sind schön, ergeben aber überhaupt keinen Sinn.‘ Um dann am Mittwochabend zu meinen: ‚Was Robert Habeck hier sagt, ist an moralischer Klarheit, rhetorischer Brillanz und vor allem tief berührender, aufrichtiger Empathie kaum zu überbieten.‘ Reichelt kann sich schon heute offenbar nicht mehr daran erinnern, was er gestern noch gefunden hat. Und er wird sich mit großer Sicherheit morgen schon nicht erinnern können, was er heute gedacht hat. Damit ist Reichelt leider nicht allein. Irrationaler kann ein Gespräch über Politik, bei dem Haltungen offenbar noch häufiger als Unterhosen gewechselt werden können, eigentlich nicht verlaufen."
Sachliche vs. personalisierte Berichterstattung
Und genau da haben wir es wieder, mein aktuelles Lieblingsmedienthema: Personalisierung. Schließlich ist es möglich, muss es möglich sein, Aussagen oder Handlungen von Politikern heute zu kritisieren und morgen für gut zu befinden – wenn es sich nicht um ein- und dasselbe Thema handelt. Beispiel: Man kann die Entscheidung, sämtliche Heizungen gegen Wärmepumpen auszutauschen, kritisieren und ein klares Statement gegen Antisemitismus gut finden – eben weil es zwei komplett unterschiedliche Dinge sind.
Schwierig bzw. unglaubwürdig wird es dann aber, wenn man die Kritik bzw. das Lob nur auf die eine Person stützt. Wenn Habeck erst als nicht krisenfester Wirtschaftsminister betitelt und dann ein Jahr später wieder zum Kanzler hochgelobt wird. Und sich dieses Muster wiederholt. Sachlich kritisieren statt persönlich werden – so hat man mir das in Schule und Arbeit beigebracht…
Altpapierkorb ("Spiegel"-Kritik, Ein-Quellen-Nachricht, nius, Kurbjuweit-Interview)
+++ "FAZ"-Autor Nikolai Klimeniouk wirft dem "Spiegel" in einem Gastbeitrag vor, "mit seiner voreingenommenen ‚israelkritischen‘ Berichterstattung jahrelang massiv Vorschub für den Antisemitismus in Deutschland" geleistet zu haben und kritisiert das aktuelle "Spiegel"-Cover ("Wir haben Angst").
+++ In seinem Editorial des neu erschienenen "Medium Magazins" schreibt Alexander Graf einen wichtigen Absatz zu Nachrichten mit schwieriger oder einseitiger Quellenlage: Was "als Schlagzeile auf einer vertrauenswürdigen Nachrichtenseite steht, wird in den Augen vieler Nutzer erst einmal zum Fakt" – egal ob man das mit einem "laut dem palästinensischen Gesundheitsministerium" einordne oder nicht. "Medien machen sich mit solchen faulen Formulierungen zum reinen Verlautbarungsorgan und laufen Gefahr, ihre Leser zu täuschen – das gilt natürlich besonders, wenn die Quelle eine Terrororganisation ist. Aber auch im alltäglichen Nachrichtengeschehen sollten wir einmal grundsätzlich darüber nachdenken, ob die klassische Ein-Quellen-Nachricht […] wirklich noch ihre Berechtigung hat." Das wird wohl erstmal Grafs letzter Text als Chefredakteur für das "Medium Magazin" gewesen sein, denn der tauscht mit Frederik von Castell von "Übermedien" den Platz: Von Castell wird neuer Chefredakteur des Magazins, Graf wechselt im Januar zu "Übermedien". Das schreibt von Castell in seinem letzten "Übermedien"-Newsletter.
+++ Und noch eine Personalie: Chefredakteur Jan David Sutthoff verlässt nach internen Streitereien mit Julian Reichelt die Plattform nius.de, wie der "Medieninsider" meldet.
+++ Und Dirk Kurbjuweit, Chefredakteur des "Spiegel", hat dem Branchendienst "kress" ein eher inhaltsleeres Interview gegeben.
Das Altpapier am Montag schreibt René Martens. Schönes Wochenende!