Kolumne: Das Altpapier am 2. November 2023 Kanarienvögel im Bergwerk
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02. November 2023, 11:08 Uhr
Dass die neue RBB-Intendantin Ulrike Demmer eine Zeitlang für die Bundesregierung arbeitete, sorgte bei ihrer Wahl für Kritik. Nun will sie sich daran messen lassen, ob sie ihre Anstalt vor politischer Einflussnahme schützen kann. Außerdem: Rudolf Augstein wird 100. Und: "Don' forget about Sudan". Heute kommentiert Klaus Raab die Medienberichterstattung.
Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.
Ulrike Demmers Kritik
Das ist eine ganz hübsche Frage, die da in der Unterzeile des neuen "Zeit"-Gesprächs (Abo) steht: "Wieso wollte sie bloß diesen Job?" Und jetzt dürfen Sie ein paar Sekunden lang überlegen, um welche Person es wohl geht, bevor wir das aufklären.
Naja, vielleicht ist es auch gar nicht sooo schwer: Es geht um Ulrike Demmer, die neue RBB-Intendantin. Das hätte man sich vor nicht allzu langer Zeit wahrscheinlich auch nicht träumen lassen, dass einmal die Frage im Raum stehen könnte, warum jemand wohl einen derart schlimmen Job wie den einer öffentlich-rechtlichen Intendantin haben wollen würde. Demmer übrigens antwortet: "Aus Überzeugung. Wenn es den öffentlich-rechtlichen Rundfunk nicht gäbe, müsste man…" usw.
Und weil das eine Antwort ist, die sich zwar prima einfügt in die Kulturgeschichte der vielgenutzten Intendanten-Interview-Sätze, aber überhaupt nicht zufriedenstellend ist, fragen die Interviewer (Cathrin Gilbert und August Modersohn) gleich nochmal nach – um nun ein etwas ausführlicheres "Mir ist es ein echtes Anliegen, dem RBB zu neuer Stärke zu verhelfen" herauszukitzeln. Was lernen wir? "I’m in it for the money" ist auch für Ulrike Demmer keine Antwort-Option. Für sie aber wohl tatsächlich weniger als für die eine oder den anderen anderen; sie verdient schließlich nur knapp die Hälfte des WDR-Intendanten.
Was Demmer an Ballast mit ins Funkhaus brachte, ist etwas anderes: ihre Vergangenheit als Regierungssprecherin, um die es dann auch geht. Sie sagt dazu, dass sie dem Selbstbild nach stets Journalistin geblieben sei. Und das folgende:
"Mir war im Vorfeld klar, dass meine Tätigkeit als stellvertretende Regierungssprecherin ein Angriffspunkt sein könnte. Zumal wir in einer Welt leben, in der alles verhetzt werden kann."
Ob das Verb "verhetzen" in diesem Zusammenhang angemessen ist, darüber wäre freilich zu streiten. Denn ohne Zweifel gibt es hier ja einen validen Kritikpunkt: Von allen möglichen Personen, die eine öffentlich-rechtliche Anstalt führen könnten, wurde eine gewählt, die vorher für eine Bundesregierung sprach. Das darf und muss skeptisch betrachtet werden, wenn auch natürlich gern ohne Hetze. Gerade weil das aber ausführlich kritisiert worden ist, ist es geboten, auch festzuhalten, dass Demmer sich derzeit keineswegs durch merkliche Politiknähe hervortut. Sondern, im Gegenteil, gerade zu versuchen scheint, den Schutz des Senders vor politischer Einflussnahme (genauer und schwächer: vor "zu viel" politischer Einflussnahme) zu ihrem Signature move zu machen. Auch mit einem Ausflug in die Ornithologie:
"Unabhängige Journalisten sind die Kanarienvögel im Bergwerk der Geschichte. Wenn sie kränkeln, kränkelt die Debatte, der Meinungs- und Willensbildungsprozess, der so wichtig ist für die Demokratie. Deshalb werde ich den RBB vor zu viel politischer Einflussnahme schützen. Daran werde ich mich messen lassen."
Das ist pathetisch, aber konkret wird es auch: Sie wiederholt ihre zuletzt mehrfach vorgetragene Kritik an dem von Berlin und Brandenburg geplanten neuen RBB-Staatsvertrag (Altpapier, "SZ"-Abotext, spiegel.de. rbb24.de etc.). Das ist auch der Teil des Demmer-Interviews, der via Nachrichtenagenturen heute Kreise zieht. In der "FAZ" etwa ist zu lesen: "Ein solcher Vertrag setzt in allen Bundesländern den gesetzlichen Rahmen für öffentlich-rechtliche Sender. Beim RBB meint man, die Pläne griffen in die Programmautonomie ein."
Demmer selbst formuliert ihre Kritik in der "Zeit" so: Zum ersten Mal soll "der Rundfunkrat nicht nur das Topmanagement, sondern auch zwei Verantwortliche für die Landesprogramme wählen (…). Das ist ein Eingriff der Politik in unsere Unabhängigkeit."
Ausführlicher begründet hat die Position in einem Gutachten für den RBB, aus dem epd Medien zitiert, der Staatsrechtler Joachim Wieland:
"Die Wahl von Landesbeauftragten durch den Rundfunkrat bedeute einen Verstoß gegen die Rundfunkfreiheit, weil der Rundfunkrat dadurch Einfluss auf die publizistische Tätigkeit des Senders erhalte (…). Da diese leitenden Personen auch der Einstellung und Entlassung von Mitarbeitenden zustimmen müssten, würde der Rundfunkrat dadurch indirekt ‚erheblichen Einfluss auf das journalistische Personal‘ gewinnen, schreibt Wieland. Zugleich würde damit die Verantwortung der Intendantin für die publizistischen Inhalte der Programme des RBB eingeschränkt. Der Rundfunkrat sei aber durch die Verfassung auf die Kontrollfunktion beschränkt."
Gestern an dieser Stelle zitiert wurde auch die Vorsitzende des RBB-Personalrats, Sabine Jauer mit einer in der Stoßrichtung ähnlichen Einschätzung. (Wobei die von ihr geäußerte Befürchtung, dadurch werde am Ende die Rolle des Chefredakteurs ersetzt, von einem RBB-Sprecher bei meedia.de wieder eingefangen wurde.) Die Häufung der entsprechenden Äußerungen lässt sich damit erklären, dass der Staatsvertrag nun sehr bald, Ende dieser Woche, in trockene Tücher eingewickelt werden soll. Ob die Kritik aus dem RBB daran noch etwas bringt? Ein Leitartikler aus der Print-Zeitungära würde wohl schreiben: Das bleibt abzuwarten.
Sagen, was war
In drei Tagen würde "Spiegel"-Gründer Rudolf Augstein 100 Jahre alt, und weil es sich bei ihm um einen der prägenderen und auch schillernderen Figuren der deutschen Mediengeschichte handelt, mangelt es derzeit nicht an Erinnerungen, Anekdoten und Werkexegesen. Hier wäre eine: "Der legendäre Artikel ‚Bedingt abwehrbereit‘ war ein überlanger Riemen, eine Lesequal", schreibt Volker Lilienthal, Rudolf-Augstein-Stiftungsprofessor für Journalismus an der Universität Hamburg. "Aber demokratisch wertvoll."
Dass vor allem der "Spiegel" selbst die eine oder andere Erinnerung und Neubewertung veröffentlicht, ist am allerwenigsten verwunderlich; das gehört sich schon so. Und so kommen wir in den Genuss, auch manch bemerkenswertes Zeitdokument wahrzunehmen, etwa den mit "FAZ"-Genehmigung noch einmal veröffentlichten Fragebogen, den Augstein 1980 ausgefüllt hat. Nehmen wir nur diese zwei Fragen und Antworten – und wir befinden uns direkt in the middle of the Männerwelt des 20. Jahrhunderts:
"Ihre Helden in der Wirklichkeit?
Alle Großen von Alexander bis Schmidt.
Ihre Heldinnen in der Geschichte?
Weiß keine, Jeanne d’Arc. Helena?"
"Don't forget about Sudan"
Man sollte den eigenen Platz in der Welt nicht für ihren Nabel halten. Die deutsche Perspektive – oder besser: die deutschen Perspektiven – auf globale und internationale Lagen ist immer nur eine. Eine verlässliche Hilfe dabei, afrikanische Perspektiven kennenzulernen, ist die südafrikanische Online-Wochenzeitung "The Continent" (um die es z.B. in diesem Altpapier ging). Auf dem Cover der jüngsten Ausgabe Nr. 139 steht: "Don’t forget about Sudan" – man sollte angesichts des Hamas-Terrors und seiner Folgen sowie des Ukraine-Kriegs den Sudan nicht völlig vergessen.
Tatsächlich besteht die Gefahr, dass der Krieg dort, der bei tagesschau.de im jüngsten Hintergrundbericht "der vergessene Krieg" genannt wurde, in der Aufmerksamkeit hinten herunterkippt. Dass dieser jüngste Hintergrund bereits zwei Wochen alt ist, könnte man fast schon als Beleg betrachten.
Altpapierkorb (Helene Bubrowski, BBC, Karola Wille, Ralf Ludwig, Jessy Wellmer)
+++ Es gibt mittlerweile eine ganze Reihe von Newsletter- und anderen Diensten, die sich eher an "die entscheidenden Köpfe" wenden als an, hm, alle: "Table Media" ist so einer, und mit der "FAZ"-Journalistin Helene Bubrowski wechselt nun eine weitere gute Journalistin dorthin. Sie wird stellvertretende Chefredakteurin. Der "Medieninsider" meldete das zuerst, "Table Media" bestätigte es.
+++ Viele Texte und Bilder, allerdings auch massenweise irreführende, gibt es aus dem Krieg im Nahen Osten. Sie "sollen Verwirrung stiften und Vertrauen gegenüber seriösen Quellen schmälern", sagt Sophie Timmermann vom Correctiv-Faktencheck-Team bei @mediasres, der Mediensendung des Deutschlandfunks. Journalistinnen und Journalisten sind natürlich besonders gefordert, Material zu prüfen. Tools gibt es, Zweifel und Zeit helfen eh immer, aber wie anfällig auch der Journalismus sein kann, dem ersten Eindruck nachzugeben, hat Ralf Heimann hier im Altpapier vor Kurzem ausführlich herausgearbeitet.
Vor allem die britische BBC steht in Großbritannien seit Wochen wegen ihrer Berichterstattung in der Kritik. Dass die Terrororganisation Hamas dort lange nicht als Terrororganisation, sondern als "militante Gruppe" bezeichnet wurde (Altpapier), ist ein Grund dafür – aber nur einer. Der "taz"-Korrespondent Daniel Zylbersztaijn-Lewandowski hat die Kritik und die Reaktionen aus der BBC darauf zusammengefasst. Gut ist die der BBC-Nachrichtenchefin Deborah Turness in einem Blogpost:"Wir können es uns nicht erlauben zu sagen, dass wir richtig liegen, nur weil beide Seiten uns kritisieren."
+++ Am 31. Oktober endete die Amtszeit von MDR-Intendantin Karola Wille, seit 1. November ist Ralf Ludwig der neue Intendant (mdr.de). Willes quasi abschließende "Programmatische Überlegungen nach drei Jahrzehnten MDR zur Medienwirklichkeit und Medienzukunft" sind bei medienpolitik.net nachzulesen. Über die Bedeutung von Medienkritik sagte sie: "Während Konzerte, Ausstellungen, Bücher, Filme, Theateraufführungen in der Regel ausführlich rezensiert werden, werden Medien als mit Abstand größte Diskurs- und Kulturunternehmen der Republik völlig vernachlässigt. Bis auf wenige Ausnahmen, die mit hoher Kompetenz überzeugen, sind Plätze regelmäßiger und fundierter Medienkritik nahezu verschwunden. Was sicher mit dazu beiträgt, dass viele Kritiker des ‚Systems’ sich mit Pauschalurteilen und rein negativen Zuschreibungen begnügen."
+++ Jessy Wellmer hat diese Woche bei den "Tagesthemen" ihre Anchorwoman-Karriere begonnen (und dabei "einen blauen Hosenanzug und ein rostrotes Oberteil" getragen, wie u.a. tagesspiegel.de via dpa informiert). Ihre erste Performance, die, wie jede erste Performance, keine echten Rückschlüsse auf das zulässt, was kommen mag, kam bei Michael Hanfeld in der "FAZ" ganz gut an. Ein klein wenig amüsant ist der Kunstgriff, in einem Text über Wellmers "Tagesthemen" die Grüne Außenministerin Annalena Baerbock für ein Interview zu kritisieren, das sie dem "heute journal" gegeben hat. Ob das ZDF das besagte aufgezeichnete Interview freilich wirklich schnitt und die letzten Minuten lediglich in die Mediathek stellte, um Baerbock die Ausstrahlung zu ersparen? Dahinter könnte man unter Umständen ein gaaanz vorsichtiges Fragezeichen setzen. Es soll ja auch vorkommen, dass lineare Sendungen zeitlich begrenzt sind.
Am Freitag schreibt das Altpapier Johanna Bernklau.