Das Altpapier am 2. Oktober 2023: Porträt des Altpapier-Autoren Christian Bartels
"Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren im aktuellen Altpapier die wichtigsten Medienthemen des Tages. Bildrechte: MDR | MEDIEN360G

Kolumne: Das Altpapier am 2. Oktober 2023 Alle Daten sind nützlich

02. Oktober 2023, 10:06 Uhr

Was Jan Böhmermann womöglich pro Jahr verdient und wieviel Maischberger-Sendeminuten die ARD in den kommenden Jahren zu welchem Preis einplant. Ist beim RBB wieder alles schlimm? Ist Journalismus links und schaufelt sich sein Grab? Heute kommentiert Christian Bartels die Medienberichterstattung.

Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.

Neues von den Talkshow-Kosten

Rund um Talkshows hat sich ein Medien-Ökosystem im zutreffenden und auch schönen Sinne des Wortes gebildet: Viele profitieren davon, von den Sendern, die sich verlässlicher Einschaltquoten erfreuen, über die Moderatoren, die an selbst produzierten Shows bestens doppeltverdienen, bis hin zu privatwirtschaftlichen Clickbait-Portalen. Sie fassen provokante Aussagen zusammen oder ziehen ganz einfach mit Schlagzeilen à la "Diese Gäste begrüßt Markus Lanz heute ..." Traffic von Google auf ihre Seite, den sie vermutlich ebenfalls monetarisieren können. 

Weite Teile der hochtourigen Aufregung sowohl in den sogenannten sozialen Medien als auch in klassischen Redaktions-Medien kreisen um in Talkshows gemachte Aussagen. "Welt" zum Beispiel, den nicht soo bekannten Fernsehsender mit dem Namen einer derzeit noch bekannteren Zeitungs-Medienmarke, wird es gefreut haben, wie oft die in einer seiner Talkshows gefallene Friedrich-Merz-Aussage über Asylbewerber und Zahnärzte inklusive Originalquelle zitiert und gezeigt worden ist.

Insofern kein Wunder, dass die kürzlich erst konkret bekannt gewordenen Millionen-Honorare der Talkshow-Gastgeber (Altpapier) nicht sehr viel Empörung erzeugen, aber weiterhin Kreise ziehen. Das Ideal, dass horrende Summen, die aus Rundfunkbeitrags-Einnahmen an Fernseh-Prominente fließen, "vertraulich" bzw. geheim zu bleiben hätten, ist ausgehebelt. Gleich zwei nicht unspektakuläre Recherchen sind wochenendaktuell zu vermelden. Während medieninsider.com die "Business Insider"-Recherche, die vor allem Zahlen der abgeschlossenen Vorjahre galt, in Gegenwart und Zukunft verlängerte, will die schon genannte "Welt" Jan Böhmermanns steigende Traumgehälter recherchiert haben.

Den medieninsider.com-Artikel "Das kosten die ARD-Talks ab 2024" schrieb natürlich Volker Nünning. Kurz zusammengefasst (ausführlichere Zusammenfassung z.B. hier) soll die ARD für die Sendungen "Miosga", "Maischberger" und "Hart aber fair" in den Jahren 2024 und 2025 rund 41,4 Millionen Euro einplanen. In den zahlreichen Zahlen steckt auch eine positive Tendenz, wenn man so möchte: Der Minutenpreis der ARD-Sonntagstalkshow, bei deren Moderation Caren Miosga nächstes Jahr Anne Will ablösen wird (und deren Produktion eine zu drei Viertel Miosga gehörende Firma übernehmen wird), soll "nach Medieninsider-Recherchen bei 3650 Euro liegen" – und damit fast 500 Euro pro Minute niedriger als derzeit "Anne Will".

Außer auf eine anfangs gewiss unverbrauchte Sonntags-Talkerin kann sich das entsprechende Publikum auf noch mehr Sandra-Maischberger-Talkshows als bisher schon freuen, nämlich auf 67 und 58 Ausgaben in den Jahren 2024 und 2025 (nach nur 54 im laufenden Jahr). Mit 125 Ausgaben á 75 Minuten werde Maischbergers Show pro Minute 1750 Euro kosten und damit auch weniger als Louis Klamroths "Hart aber fair"...

Daran, dass es so ziemlich so kommen wird, bestehen kaum mehr Zweifel. Inzwischen hat auch der WDR-Rundfunkrat nach nach eigenen Angaben "kritischer Diskussion" den ARD-Planungen zugestimmt. Auf welche Weise genau die ARD "Pluralität bei der Auswahl der Themen und der Gäste" verbessern möchte, wie schon wiederholt angekündigt wurde (und in der Rats-PM noch mal wiederholt wird), bleibt einstweilen spannend. Der WDR-Rundfunkrat gestaltete seine Mitteilung in dem wortreich affirmativen Sound, dessentwegen ungefähr alle, die nicht in Rundfunkräten sitzen, diese für Abnickvereine halten.

Böhmermann mit an der Spitze des Eisbergs

Wer offenbar noch mehr verdient als deutsche Bundeskanzler, ja sogar besser als die bestbezahlten Rundfunksanstalten-Intendanten? Jan Böhmermann, der keine Talkshow im engeren Sinne moderiert, aber als streitbarer Comedian des ZDF ja auch gern die Politik aufmischt. Zumindest der "Welt am Sonntag"-Recherche "Der Mega-Vertrag des Jan Böhmermann" (€) zufolge:

"Während das Gehalt etwa von [ZDF-]Intendant Norbert Himmler – 372.000 Euro plus Sachbezüge, Aufwandsentschädigung, Altersvorsorge und Dienstwagen – und Chefredakteuren sowie Direktoren transparent gemacht wird ...",

schreiben da Alexander Dinger und Tim Röhn, hätte die "Vereinbarung, die der Sender Ende 2022 mit Böhmermann geschlossen hat", vertraulich bleiben sollen. Nun aber stehen sie auch im Netz; Zusammenfassung z.B. bei faz.net.

"Demnach erhält der Moderator in diesem Jahr 651.000 Euro plus Mehrwertsteuer vom ZDF. Im kommenden Jahr steigt der Sold vertragsgemäß um 31.000 Euro, auch für 2025 ist ein weiteres Plus vorgesehen – auf insgesamt 713.000 Euro."

Wobei Einnahmen der Produktionsfirma Unterhaltungsfernsehen Ehrenfeld UE (die online übrigens ufe.de heißt), an der Böhmermann maßgeblich beteiligt ist, noch nicht einbezogen seien. Um die Spitze des Moderatorenverdienste-Eisbergs handelt es sich ebenfalls nicht, da ja "Business Insider"-Daten zufolge Frank Plasberg "allein für die Moderation des Talks 'Hart aber fair' zuletzt knapp 730.000 Euro pro Jahr" erhalten habe. Und ob man die Böhmermannsche Replik etwa auf Twitter/X:

"Diese von der Springerpresse herbeispekulierten, kolportierten Honorare sind komplett falsch und haben absolut nichts mit der Realität zu tun! Würden diese Zahlen stimmen, wäre ich längst wütend zum Privatfernsehen gewechselt!"

für einen flockigen Scherz oder eine Art Dementi hält, bleibt jedem selbst überlassen. Die darin angedeutete Erzählung, dass im "Privatfernsehen" noch mehr Geld noch bedenkenloser ausgeschüttet wird als im öffentlich-rechtlichen, hatte sicher in einigen Jahren des laufenden Jahrhunderts gestimmt. Zumindest aus anstaltenstrategischen Gründen mag es damals sinnvoll erschienen sein, möglichst alle Star-Gagen der Öffentlich-Rechtlichen möglichst "vertraulich" bzw. geheim zu halten (und ergo in besonders verschachtelten Verträgen zu verstecken). Inzwischen aber muss das deutsche Privatfernsehen zwischen internationalen Streamingdiensten, die derzeit sogar selber sparen, sowie ARD/ZDF mit ihren sicheren Einnahmen sehen, wo es überhaupt noch bleibt. Und horrende Summen, die aus Rundfunkbeitrags-Einnahmen an Fernseh-Prominente fließen, gehören inzwischen selbstverständlich in die Öffentlichkeit. Hoffentlich zieht diese Einsicht bald auch in den Rundfunkräten ein, deren Mitglieder nominell ja sowieso gar nicht die Interessen der jeweiligen Anstalt, sondern die der gesamten Gesellschaft vertreten sollen. Also rein theoretisch ...

Was Gutachten und Journalismus gemeinsam haben

"Die Wahl der neuen RBB-Intendantin Ulrike Demmer war laut einem Gutachten 'rechtswidrig'": Diese Meldung ging Ende voriger Woche herum (im Altpapierkorb angemessen weit unten). Schon die vehemente Forderung nach schon wieder einer neuen Intendantenwahl beim RBB wegen "fehlender Staatsferne" der letzten klang überkandidelt. Wann gab es im deutschen öffentlich-rechtlichen Rundfunk eine im strengeren Sinn staatsferne Intendantenwahl? Also eine, an der die im jeweiligen Bundesland regierenden Parteien nicht maßgeblich mitwirkten? Außerdem äußerte das bewusste Gutachten scharfe Kritik am Rundfunkrat und Verwaltungsrat und besonders deren Vorsitzenden.

Dabei haben die turnusgemäß neu besetzten, also gewiss mit der komplexen Materie noch nicht sehr lange vertrauten Gremien doch immerhin die Gehaltsschraube in der Intendanz nach unten gedreht (Altpapier) und kommunizieren offener als es etwa der oben erwähnte WDR-Rundfunkrat tat und tut. Ist es wirklich schon wieder so schlimm beim RBB? Na ja. Eher wurde halt, wie in weiten Teilen der deutschen Medienlandschaft üblich, Spektakuläres, das bereits anderswo zitiert wurde, von allen, die es noch nicht zitiert hatten, weiterzitiert und verstärkt.

"Das ist kein wertneutrales Gutachten und grenzt an Beleidigung", zitierte dann am Samstag die "SZ" den SPD-Politiker Erik Stohn, der freilich im bewussten Rundfunkrat sitzt. Noch deutlicher wurde Stefan Niggemeier, als Nicht-Rundfunkratsmitglied noch unbefangener, bei uebermedien.de und bezeichnete das Gutachten des Potsdamers Professors "für Medien- und Weltraumrecht", Marcus Schladebach, als "bizarre, entglittene Auftragsarbeit":

"Es ist ein erstaunliches Dokument, meinungsfreudig, wütend, einseitig, oberflächlich. Als 'juristisches Gutachten' wird es in der Berichterstattung bezeichnet, aber es ist bestenfalls das Gutachten eines Juristen. 'Pamphlet' trifft es vielleicht besser. Dabei geben sowohl das Wahlverfahren als auch sein Ergebnis zweifellos Anlass zur Kritik. ... Aber Schladebachs Argumente gehen weit über eine sachliche oder gar juristische Auseinandersetzung hinaus ..."

Selbst den RBB-Mitarbeitervertretungen, die das Gutachten beauftragten, scheine das Ergebnis "ein bisschen unheimlich" zu sein, weshalb sie nun doch gar keine neue Intendanten-Neuwahl forderten. Na ja. Beim RBB geht es weiter hoch her, und es ist ein Fortschritt, wenn alles in den Anstalten und erst recht in ihren Aufsichtsgremien scharf beobachtet wird. Wichtig für Journalisten bleibt die Faustregel, dass "Gutachten" – genau wie etwa auch "Journalist" – ein ungeschützter Begriff ist, mit dem einerseits jeder sich oder seine Werke schmücken kann, weshalb die Begriffe andererseits immer auch Misstrauen verdienen.

Journalismus "ist ein elitärer Beruf, weil er zunehmend prekär ist", antwortet übrigens Kommunikationswissenschafts-Professor Thomas Hanitzsch von der Münchener Universität im (sehr) großen "SZ"-Interview (€) auf die Frage "Ist Journalismus ein prekärer oder ein elitärer Beruf?". Das Salomonische darin passt gut zum ganzen Gespräch, in dem Hanitzsch einerseits etwa sagt, "dass es einen überproportional großen Anteil von Journalistinnen und Journalisten gibt, die sich bei den Grünen zu Hause fühlen, und dass die konservativen Parteien unter ihnen nicht dem Bevölkerungsdurchschnitt entsprechend abgebildet werden", und andererseits natürlich Friedrich Merz für eine Trump-artige Strategie kritisiert (weil der behauptet, dass im öffentlich-rechtlichen Rundfunk "eine linksgrüne Perspektive zu stark Widerhall finde und eine konservative Perspektive zu wenig"). Insgesamt bleibt vieles schön in der Schwebe, bis hin zum epischen Schluss:

"Es hat wenig Nachrichtenwert zu sagen, im Journalismus ist alles so wie früher. Zu sagen, der Journalismus geht den Bach runter, hat größeren Nachrichtenwert. Insofern haben sich Journalistinnen und Journalisten zum Teil ihr eigenes Grab geschaufelt."

Oder ist da "Schwebe" nicht der passende Begriff?

Was für und erst recht gegen Chatkontrolle spricht

Kurz noch, auch weil man irgendwo im Text ja die Überschrift rechtfertigen muss, zu einem Thema, zu dem keine spektakulären Zitate zirkulieren – im Grunde wohl wegen derselben, bloß umgekehrten Mechanik wie oben angedeutet: Wenn etwas anderswo nicht zitiert wird, verzichtet man selber auch lieber drauf. Die EU-Pläne zur Chatkontrolle (Altpapier) sind so "ein Gesetzesvorhaben ..., das viele betrifft, aber nur wenige so richtig aufregt", sagt Markus Reuter im (mit gut 20 Minuten schön knappen) netzpolitik.org-Podcast. Auf dem Portal erschienen seit Herbst 2021 151 Beiträge zum Thema. Weltweit kein anderes Medium brachte so viel, sagt Reuter im Gespräch mit Chefredakteurin Chris Köver.

Dabei enthält auch der 151. Beitrag einen dicken Hund. Da wird ein Protokoll eines Treffens der Europol mit Vertretern der EU-Kommission geleakt, und ein Europol-Vertreter bringt ein Argument, das Erwähnung verdient, weil es das gute Argument, dass sexualierter Missbrauch von Kindern bekämpft werden soll, aushebelt:

"Dabei forderte Europol unbeschränkten Zugang zu den Daten, die bei der Chatkontrolle anfallen: 'Alle Daten sind nützlich und sollten an die Strafverfolgungsbehörden weitergegeben werden. Es sollte keine Filterung durch das Zentrum geben, da selbst ein unschuldiges Bild Informationen enthalten kann, die irgendwann für die Strafverfolgung nützlich sein könnten.'"


Altpapierkorb (MDR reformbedürftig!?, Vodafone-Datenleck, Andy Kaltenbrunner, "Dumbphone"-Trend, Merkel-Interview)

+++ "Mitteldeutscher Rundfunk reformbedürftig" übertitelt die "taz" ein längeres Stück, das aus einem "DWDL"-Interview mit Programmdirektor Brinkbäumer (also diesem dwdl.de-Interview) sowie aus dem MDR-Intranet zitiert. Dass das Gesundheitsfernsehen, für das Arthrose in Bautzen ja zum allegorischen Inbegriff wurde, künftig nicht mehr aus Sachsen, sondern vom NDR verarztet wird, werde da kritisiert. Wesentlich stärker reformbedürftig als der ganze Rest des ÖRR scheint unser MDR aber auch nicht zu sein. +++ Schon brisanter: die Frage, warum sich der MDR offenbar nicht mehr groß in die "Tagesthemen"-Rubrik "mittendrin" einbringt, die er doch einst initiierte. Die Frage wirft Peer Schader bei dwdl.de auf. +++

+++ "Ein gigantisches Datenleck" bei Vodafone Deutschland, dem seine "nach eigenen Angaben über 30 Millionen Kunden" noch zu wenige waren (obwohl die Kabelnetz-Kunden in der Zahl wohl noch gar nicht enthalten sind), hat correctiv.org entdeckt, als es in "Tausende kaum gesicherte Kundendaten Einsicht nehmen" konnte.

+++ Ein Journalismus-Wissenschaftler, der pointiert und differenziert mehr als zehn Minuten in einem abendlichen Nachrichtenmagazin des Fernsehens über die Zeitungskrise spricht? Das gibt's auf deutsch nur in der "ZiB 2" des ORF. Da war vorige Woche Andy Kaltenbrunner bei Armin Wolf zu Gast. +++

+++ Ein sympathischer Trend? "Altmodische Handys, die nur telefonieren und SMS verschicken können", sind vor allem in den USA bei jungen Leuten wieder gefragt und zwar unter dem Gattungsnamen "Dumbphone". Das berichtete Adrian Lobe in der "NZZ". +++

+++ "Gerade als Ostdeutscher freut man sich natürlich, die einstige Kanzlerin spät, aber doch in der Realität der Bundesrepublik willkommen heißen zu dürfen", macht Peter Richter auf der "SZ"-Medienseite auf Angela Merkels "erstes Interview nach ihrer Amtszeit als Kanzlerin", also zumindest das fernsehöffentliche, gespannt. Es enthalte "über die Energiepolitik bezeichnenderweise kein Wort", läuft am Einheits-Feiertag im ZDF und vorher schon in dessen Mediathek. +++

Wegen dieses Einheits-Feiertags wird das nächste Altpapier erst am Mittwoch von René Martens geschrieben.

Mehr vom Altpapier

Kontakt