Das Altpapier am 27. September 2023: Porträt des Altpapier-Autoren Christian Bartels
"Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren im aktuellen Altpapier die wichtigsten Medienthemen des Tages. Bildrechte: MDR | MEDIEN360G

Kolumne: Das Altpapier am 27. September 2023 Vertiefte Beschwerde-Androhung

27. September 2023, 11:17 Uhr

Der Zeitungsverleger-Verband konnte auf seinem Kongress nicht nur prominente Politiker begrüßen, sondern kündigte auch an, weiter gegen die Öffentlich-Rechtlichen vorzugehen. Die EU-Kommission ließ sich zu ihrem Lieblingsthema Chatkontrolle von mächtigen Lobbys umgarnen. Talkshow-Faktenchecker haben's auch nicht leicht. Heute kommentiert Christian Bartels die Medienberichterstattung.

Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.

Was ging beim BDZV-Kongress?

Gestern veranstaltete der Zeitungsverleger-Verband BDZV seinen jährlichen Kongress in Berlin und konnte sich über prominente Gäste aus der großen Politik freuen. Zwar schickte Olaf Scholz bloß eine Videobotschaft – obschon nach eigenen Angaben "leidenschaftlicher Zeitungsleser", ist der Kanzler technologisch auf Draht. Leibhaftig Aufmunterung und frische Ideen spendeten dagegen sein Parteifreund Lars Klingbeil, Grünen-Chefin Ricarda Lang sowie Oppositionsführer Friedrich Merz. "Aufruf gg. Fakenews, Polarisierung, Verengung bei Meinungen, Respektlosigkeit gegenüber anderen Lebensentwürfen, für stärkeren Lokaljournalimus", fasste RBB-"Medienmagazin"-Moderator Jörg Wagner Klingbeils Vortrag zusammen. "Ohne journalistisches Engagement im Lokalen ginge ein Rückgrat der #Demokratie verloren", extrahierte der BDZV aus Langs, "Die Medien sind ein wesentlicher Bestandteil der erfolgreichen Demokratieentwicklung in Deutschland" und aus Merz' Aussagen.

Ob all die schönen Aussagen, bei denen es sich nüchtern betrachtet um die Standard-Bausteine handelt, die politische Redenschreiber seit Jahren in die Skripte reinkopieren, wenn's um Medienkongress-Reden geht, also doch noch eine Zeitungs-Zustell-Förderung in Aussicht stellten? Eigentlich war diese mal unter so'nen, mal unter solchen Prämissen diskutierte Subvention ja schon vom Tisch (Altpapier). Nun unterscheiden sich die Interpretationen: "Ampel stellt Zeitungsverlagen Zustellförderung in Aussicht", titelt die "Allgemeine Zeitung" aus Mainz mit der Agentur epd (und eindrucksvollem Foto). "Eine schon seit Jahren in Aussicht gestellte Zustellförderung in Höhe von rund 200 Millionen Euro wird zumindest in absehbarer Zeit nicht von der Regierung verteilt", ist sich die "Welt" sicher. Das Medium aus Berlin, dessen Verlagschef inzwischen nicht mehr Chef des BDZV ist, berichtet am ausführlichsten von der Verlegertagung mit "den vielen Herren und deutlich weniger Damen", und will das Nein schon aus Scholzens Ansprache herausgehört haben.

Vielleicht brisanter ist, was zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk gesagt wurde. Nicht allein in Merzens Rede, bei der der erwähnte Jörg Wagner ganz genau hinhörte:

"... äußerte sich ... zum ÖRR: Man brauche ihn. Aber 'angemessen' finanziert. Das Wort 'angemessen' betonte er sehr stark. Ein Hinweis an die KEF, die beim ÖRR bisher 'bedarfsgerecht' rechnete?"

Sondern auch in den Äußerungen des BDZV selbst, der seine relativ meistbeachtete Veranstaltung aussuchte, um deutlicher als bisher "eine Beihilfebeschwerde gegen Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk" bei der EU-Kommission anzudrohen. Da geht's um das, was der BDZV "die kostenlosen presseähnlichen Textangebote der Sender im Internet" nennt. Also etwa um Nachrichten-Apps wie die "NewsZone" des SWR, zu der kürzlich ein Schlichtungsverfahren scheiterte (Altpapierkorb). Richtig beschweren wollen die Verleger sich aber noch nicht, sondern "mit der EU-Kommission in ein vertieftes Gespräch gehen, dass (äh, sic) zu einer Beihilfebeschwerde führen soll", zitiert die BDZV-PM einen ihren Vorstandsvorsitzenden, Stefan Hilscher. Denn "nach unserem Eindruck wird eine Reparatur dieser Situation dem ÖRR aus eigener Kraft nicht gelingen".

"Nun holen die Verleger das Thema auf die große Bühne", bilanziert dwdl.de und bescheinigt dem dreiköpfigen Vorstand des Interessensverbands (der auf den nur einköpfigen, umstrittenen Vorstandsvorsitzenden Mathias Döpfner folgte), "die Sacharbeit wieder an vorderste Front" gerückt zu haben. Der ARD-Vorsitzende und SWR-Intendant Kai Gniffke hat bereits reagiert, entdeckte meedia.de, und rief die Verlage zu Kooperation "gegen eine Handvoll ausländischer Tech-Konzerne" auf – ausgerechnet bei Linkedin, also einer Plattform des Datenkraken Microsoft.

Lobby-Power für Chatkontrolle

Die EU-Kommission in Brüssel besitzt allerhand Macht und verschafft sich durch groß gedachte Gesetze wie den DSA und das geplante Medienfreiheitsgesetz (gegen das vor allem Presseverlage berechtigte Einwände haben) immer noch mehr. Zugleich ist die Kommission schwer einzuschätzen, weil dort viele, selten übereinstimmende Interessen der Mitgliedsstaaten-Regierungen aufeinanderprallen. Bloß, dass deutsche Interessen eher schwach vertreten werden, weil die aktuelle deutsche Regierung sich ja sogar auf Themenfeldern, die sie selbst für wichtig hält, selten einigen kann, bleibt wahrscheinlich.

Gut instrumentalisierbar ist die EU-Kommission außerdem. Das zeigt eine Recherche, die zeit.de (€) in Kooperation mit allerhand weiteren europäischen Medien anstellte und die netzpolitik.org frei online zusammenfasst. Da geht es um das, was die einen "Prävention und Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs von Kindern" nennen, während die anderen von "anlassloser Massenüberwachung" sprechen. Bzw. von "Chatkontrolle" (Altpapier).

Auf dem bei zeit.de (noch vor der Bezahlschranke) zu sehenden Foto ist Kommissions-Präsidentin Ursula von der Leyen mit dem Hollywoodschauspieler Ashton Kutcher zu sehen. Da besprächen "zwei mächtige Menschen ..., wie sie künftig die digitale Kommunikation der ganzen Welt überwachen lassen wollen", beschreibt es die "Zeit". Kutcher, dessen Vermögen sie auf "mehr als 200 Millionen Dollar" schätzt, lobbyiert sowohl für Kinderschutz als auch für Software, die mithilfe Künstlicher Intelligenz sämtliche Kommunikation überwachen und Missbrauchs-Bilder erkennen können soll. Bzw. Kutcher lobbyierte, muss es heißen; inzwischen zog der Star sich wegen eines "Glaubwürdigkeitsproblems" (netzpolitik.org) zurück.

Sowohl öffentlich als auch hinter den Kulissen wurde und wird dieser Lobbyismus unterstützt von "praktisch alle(n) großen IT-Firmen, die Daten verarbeiten und analysieren, von Facebook, Amazon und Google bis zu Palantir, Dell, Apple oder TikTok", heißt es bei zeit.de weiter. Offenkundig haben diese allesamt nicht-europäischen Konzerne großes Interesse daran, von der EU den Einsatz unbegrenzter Überwachungsmöglichkeiten auf allen Geräten und in allen Infrastrukturen, mit und in denen sie schon jetzt horrende Einnahmen erzielen, angeordnet zu bekommen. Ein Grund könnte darin bestehen, dass die einmal geschaffene Möglichkeit solcher Komplett-Überwachung, nachdem sie der reichen, digital wenig potenten EU verkauft wurde, sich mit ganz anderen Parametern auch noch an andere Regierungen mit anderen Interessen verkaufen ließe.

Insofern gut, wenn sich Anzeichen verdichten, dass die obskuren Chatkontroll-Pläne scheitern. Und was den deutschen Öffentlich-Rechtlichen, deren historisch komplex gewachsenes System ja schon im Inland schwer erklärungsbedürftig ist, widerfahren würde, wenn die EU-Kommission über sie entscheidet, wäre tatsächlich ungewiss. Oder würde die große von der Leyen-Freundlichkeit, die ihre gelegentlichen Berichte aus Brüssel auszeichnet, ihnen helfen?

Faktenchecks und andere Talkshow-Fragen

Ui, da hat mit drei Änderungen der Ursprungsfassung binnen 30 Stunden einer der "Faktenchecks", die zur nur wenige Millionen Euro schweren mittelständischen Talkshow-Produktions-Wirtschaft gehören, ja echt mal für Aufmerksamkeit gesorgt. Die "taz" fasst zusammen:

"... Die internationalen Stromflüsse rückten nun durch die ARD-Sendung 'Maischberger' ins öffentliche Blickfeld – speziell auch durch den Umgang der hausinternen Faktenchecker mit Aussagen in der Sendung. Denn der bayerische Wissenschaftsminister Markus Blume (CSU) hatte in der Talkshow gesagt: 'Wir importieren Strom aus dem Ausland.' Daraufhin behauptete Klimaschutzaktivistin und Grünen-Mitglied Luisa Neubauer: 'Wir sind Netto-Exporteur. Das ist wirklich Fake News, was Sie hier verbreiten ...' Skurril wurde dieser Vorfall, weil die ARD-Faktenchecker – korrigiert immer wieder durch Nutzer der sozialen Medien – vier Anläufe brauchten, um die eigentlich unmissverständlichen Aussagen, die in der Sendung gefallen waren, korrekt zu analysieren. Erst danach hieß es zutreffend, die Aussage Neubauers, Deutschland sei Netto-Stromexporteur, sei 'nicht korrekt', die vorangegangene Aussage Blumes also 'keine 'Fake News'".

Wobei der "taz"-Text untendrunter rege diskutiert wird und Neubauer via Twitter/X einen Gegen-Faktencheck verbreitete. Welche Fakten passen und welche nicht so, liegt schließlich selbst bei wesentlich einfacheren Fragestellungen immer mindestens anteilig in den Augen der jeweiligen Checker. Genau deswegen verpuffen die meisten der zahlreichen Faktenchecks ja, ohne andere Wirkungen zu erzielen, als die Überzeugten weiter zu überzeugen und die Gegenseite ebenso anzufeuern. Also falls sie überhaupt reinlesen.

Immerhin hat die Maischberger-Redaktion der ARD nun mal eins der nicht so zahlreichen Exempel dafür, dass bei den Öffentlich-Rechtlichen nicht überall Grünen-Sympathie Regie führt, beschert. Was zu den anstehenden Diskussionen, ob es der ARD aus eigener Kraft gelingt, Themenvielfalt und Meinungspluralität ihrer Talkshows zu erhöhen, passt. Über die Shows, deren Preise gerade erst öffentlich wurden (Altpapier), wird kräftig diskutiert werden. Einen guten Überblick, von Pionieren wie Dietmar Schönherr und Hans Meiser bis in die Gegenwart, gibt der enge Fernsehfreund Tilman P. Gangloff bei mmm.verdi.de:

"WDR und NDR wollen die Zahlen nicht kommentieren, versichern jedoch, die Ausgaben bewegten sich im handelsüblichen Rahmen. Trotzdem stellt sich die Frage, ob sie tatsächlich so hoch sein müssen. Im Unterschied etwa zu 'Wetten, dass..?' mit riesigen Hallen, enorm viel Technik, großer Bühne und Stars, die zum Teil aus Übersee eingeflogen werden, ist der Aufwand bei einer Talkshow ungleich kleiner. Die Gäste bekommen eine überschaubare Aufwandsentschädigung, Politiker in der Regel allerdings nicht."

Unsere zahlreichen Spitzen- und sonstigen Politiker werden ja bestens aus Steuermitteln bezahlt. Dann wägt Gangloff sachlich ab, dass die Talkshows zwar relativ hohe Einschaltquoten erzielen, aber nur einmal:

"Fiktionale Produktionen können beliebig oft gezeigt werden, wovon ARD und ZDF gerade im Sommer fleißig Gebrauch machen. Ein durchschnittlicher Fernsehfilm kostet rund 1,5 Millionen Euro. Da die Freitagsfilme der ARD ebenso wie die Sonntagskrimis jahrelang munter in den dritten Programmen wiederholt werden, ist das eine lohnende langfristige Investition. Für eine politische Talkshow zu einem aktuellen Thema interessiert sich hingegen schon eine Woche später in der Regel kein Mensch mehr."

Als Einstieg in kommende Talkshow-Debatten lohnt sich der Text zu lesen.

Altpapierkorb (Italien, Türkei, RBB-Gehaltsstufen, Google im US-Kongress, "Penny" in RTL-Serie, "Bully" Herbig)

+++ Italien wird in deutschen Debatten gern und oft kritisiert, ist aber weiterhin klar ein Rechtsstaat. Der deutsche Wissenschaftler Devrim Akçadaǧ, der wegen eines Haftbefehls aus dem Unrechtsstaat Türkei zeitweilig eingekerkert und dann unter Hausarrest gestellt wurde (Altpapier), wird nicht ausgeliefert und ist wieder frei. Das berichtet wiederum die "taz". +++

+++ Was man auf sämtlichen Gehaltsstufen zwischen A (monatlich 7596 bis 11241 Euro) und L (2292 bis 3224 Euro) beim RBB verdient, schlüsselt der "Tagesspiegel" auf. "Es mag nun jeder für sich entscheiden, ob im öffentlich-rechtlichen RBB zu viel oder im öffentlichen Dienst zu wenig verdient wird." +++

+++ In Washington wird anders über und mit Konzernen wie Google/Alphabet geredet als in den Brüsseler Lobbys. Über "die US-Debatte über Google und KI", die seit 12. September "im E.-Barrett-Prettyman-Gerichtsgebäude unweit des Kapitols, wo auch Trump der Prozess gemacht werden soll und wo 1973 die Watergate-Einbrecher vor dem Richter standen", läuft, berichtet Konrad Ege in "epd medien". +++

+++ Mit "ganz neue(n) Inszenierungen für Produktplatzierungen" im werbefinanzierten Privatfernsehen, nämlich mit einer "Penny"-Supermarktfiliale als Schauplatz der fiktionalen RTL-Serie "Unter Uns" beschäftigt sich die "SZ"-Medienseite (€). +++

+++ Meistens enthält die prallvolle "FAZ"-Medienseite viele Artikel zu vielen Themen, heute nur ein großes Lebenswerk-Interview (€) mit "Bully" Herbig, der am morgigen Donnerstag die Ehrenauszeichnung des Deutschen Fernsehpreises überreicht bekommt, sowie dem Pro-Sieben-Chef Daniel Rosemann. +++

Das nächste Altpapier schreibt am Donnerstag Johanna Bernklau.

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