Das Altpapier am 25. September 2023: Porträt der Altpapier-Autorin Jenni Zylka
"Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren im aktuellen Altpapier die wichtigsten Medienthemen des Tages. Bildrechte: MDR | MEDIEN360G

Kolumne: Das Altpapier am 25. September 2023 Alliterations-Amigos anti Aktivisten

25. September 2023, 12:21 Uhr

Der von der Bild-Zeitung so genannte "Penis-Polizist" beschwert sich - aber nicht bei der Bild. Und in Sachen "Letzte Generation" und Asylpolitik wird der Ton in der Berichterstattung immer unsachlicher. Heute kommentiert Jenni Zylka die Medienberichterstattung.

Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.

Pinkelprinz plus Penis-Polizist

Aus gegebenem Anlass ist momentan überall, unter anderem hier im letztfreitäglichen Altpapier, von der anscheinend vorläufig geglückten Rettung des Satire-Magazins "Titanic" die Rede. Der Kollege dokumentierte unter anderem die Fantasielosigkeit bei diesbezüglichen Überschriftenwitzen, die ja leider bei dem Namen anscheinend unvermeidlich sind.

Dabei zeigte sich gerade die Titanic immer schon hervorragend darin, mangelnde mediale Sprachsensibilität beziehungsweise extrabratzige Boulevard-Überschriften zu kommentieren: Nachdem die Bild-Zeitung in der ihr eigenen, selbstbewusst-misogynen Art Boris Beckers‘ damalige Partnerin Barbara einst "Straps-Babs" genannt hatte, reagierte die Titanic in einem "Brief an die Leser" mit der Aufforderung, Boris Becker solle doch bitte schnellstens eine alkoholabhängige Japanerin daten, damit Barbara Becker der Kragen platzte. Dann könne die Bild-Zeitung nämlich mit der Schlagzeile "Straps-Babs gegen Schnaps-Japs" brillieren (und auch noch gleich Rassismus in den Ring werfen).

Auch der "Pinkelprinz" wird diese Bezeichnung natürlich nie wieder los. (Und damit meine ich durchaus beide Teile des Kompositums: Er gehört zu den Welfen und damit zum ältesten, noch existierenden Hochadelsgeschlecht Europas, neben den Wolpertingern, ach was sag ich, Kapetingern, da soll aber auch mal einer durchsteigen. Blaues Blut lässt sich jedenfalls bekanntlich nicht austauschen, nicht mal in einer Schweizer Spezialklinik.)

Ernst Augusts Schmach richtig nachvollziehen, das kann wahrscheinlich einzig und allein Andreas Renner, der von der Bild-Zeitung so titulierte "Penis-Polizist": Knapp 50 mal bezeichnete ihn das Blatt seit Beginn der Affäre im April dieses Jahres mit dieser Alliteration, teilweise in Überschriften, bei denen diese Worte in Rot herausstachen (ganz anders als hier im dagegen vergleichsweise zurückhaltenden, zarten Fettdruck), teilweise im Textkörper. (Nicht mitgezählt habe ich dabei übrigens den ganz anders liegenden Fall eines von der Bild eruierten "Penis-Picassos", den die Zeitung zusätzlich noch "Picasso-Pimmel-Pinsler-Penis-Maler" nannte, wobei man sich wirklich fragt, was den zuständigen Textdichter in der Redaktion wohl davon abgehalten hat, seiner klemmigen Schüler-Schenkelklopf-Fantasie völlig freien Lauf zu lassen, und uns mit dem "Picasso-Pimmel-Pinsler-Penis-Painter" den totalen, multiplen Alliterations-Orgasmus zu schenken – das wäre dann wieder ZU bescheuert, oder was??)
Und die ebenso verklemmt-herrenwitzige Bemerkung, ob das nun ein stehender Begriff ist, möchte man natürlich auch nirgendwo lesen.

"Dickpic-Flick" auch keine Option

Wird man aber vermutlich. Denn wie die Stuttgarter Zeitung (€) vor drei Tagen berichtete, ist Andreas Renner gerichtlich gegen diese Bezeichnung vorgegangen:

"In einem Verfahren vor dem Landgericht Hamburg wehrt sich Renner unter anderem gegen den Begriff 'Penis-Polizist', den die 'Bild'-Zeitung geprägt hatte. Wie ein Gerichtssprecher bestätigte, haben Renner und seine Frau einen Antrag auf einstweilige Verfügung gegen den Trägerverein der Stuttgarter 'Kontext'-Wochenzeitung gestellt. Diese solle es unterlassen, den ranghöchsten Polizeibeamten als 'Penis-Polizist' und als 'Dickpic-Polizist' zu bezeichnen. Letztere Bezeichnung bezieht sich auf von Renner im privaten Rahmen versandte Aufnahmen seines Geschlechtsteils."

Vielleicht könnte sich mal bitte eine der feministischen Deutschrapperinnen dieser unleidlichen Geschichte annehmen, und rappend fragen, wieso "ist ein Polizist, der Dickpics schickt / denn kein Dickpic-Polizist"? (Falls das eine frankophile Deutschrapperin ist, kann sie ja auch noch irgendwo den "Dickpic-Flic" reinbringen… hach, schon gut.)  Weiter heißt es jedenfalls:

„Die 'Kontext‘-Wochenzeitung hatte es nach eigenen Angaben abgelehnt, eine von den Renners geforderte Unterlassungserklärung zu unterzeichnen. Der Vorgang rieche nach einem 'Maulkorb‘, hieß es dort: Es solle eine dringend notwendige gesellschaftliche Diskussion verhindert werden.“

Aber schwups, hier ist sie, die Diskussion! Ich biete der Gesellschaft folgende These: Wenn jemand ungefragt Dickpics verschickt, wäre es dann nicht sogar zwingend notwendig, dass die Rezipientinnen dieser Bilder diese Tatsache überall erwähnen können? (Hier, nur fyi, übrigens eine Seite, die einem unkompliziert hilft, Strafanzeige gegen Dickpics-Schicker zu erstellen, und hier der Link zu einer Studie, die 2019 untersucht hatte, wieso Männer ungefragt Dickpics verschicken, und zu unglaublichen  Ergebnissen kommt. Wie fasste es Samira El Ouassil damals im Spiegel so richtig zusammen: "Und da heißt es, Frauen seien irrational.")

Falsche Beschwerdestelle

Zurück zum Korinthen-Kacker oder wie war der Stabreim noch gleich: Die geforderte "umfassende Einstweilige Verfügung" wurde übrigens mittlerweile erlassen. Aber interessant bleibt natürlich, wieso Andreas Renner ausgerechnet "KONTEXT" angeht, und nicht die Bild-Zeitung, die sich den inkriminierten Begriff ausgedacht, ihn knapp 50 mal verwendet hat, und ihn mit fast sieben Millionen Leserinnen und Lesern pro Ausgabe auch noch ein paar mehr Menschen ins Ohr setzt, als die in einer 60 000-er Auflage jeden Samstag der Wochentaz beiliegende, vierseitige "KONTEXT". Die Stuttgarter Zeitung dazu:

"Unklar ist derzeit, ob Andreas Renner auch noch gegen die 'Bild'-Zeitung vorgehen wird. Diese hatte ihn früh als 'Penis-Polizist' bezeichnet und diesen Begriff durchgehend verwendet. In Hamburg ist bislang kein entsprechendes Verfahren bekannt. Weder die Medienanwältin noch die 'Bild'-Zeitung oder der Springer-Verlag reagierten zunächst auf eine Anfrage unserer Zeitung."

Aber vielleicht kommt das ja noch. Bis dahin sei zur Auffrischung der großartige Heinz Ehrhardt-Sketch "Ein Stück mit "G" empfohlen. Ein Oldie, but goody.

Klima-Kleber nicht mehr abwertend genug

Okay, einer geht noch rein, weil wir gerade so schön beim Thema sind: Dass die Alliterations-Afficionados (ha!) von der Bild-Zeitung die Aktivistinnen und Aktivisten der "Letzten Generation", die gestern vergeblich versuchten, den Berlin-Marathon durch Protestaktionen zu stören, wie hier konsequent "Klima-Chaoten" anstatt "Klima-Kleber" nennt, liegt nicht daran, dass man dort plötzlich doch nicht mehr richtig stabreimen kann. Nein, "Klima-Kleber" ist anscheinend nicht mehr abwertend genug, und die alarmierende Konnotation des Wortes "Chaot" ist intendiert. Hier wäre eine Begriffsdefinition aus dem Wiktionary:

1.  jemand, der unbeherrscht, undiszipliniert, unordentlich ist; jemand, der planlos, unstrukturiert handelt; jemand, der Chaos stiftet und verbreitet
2. zumeist im Plural, besonders im Zusammenhang mit Ausschreitungen und Straßenschlachten: jemand, der einer gewaltbereiten, zerstörungswütigen sozialen Gruppe (unter anderem Anarchisten, Autonome, Hooligans, Punks, Skinheads) angehört.

Die Gruppe hatte zunächst so genannte "Slow Walks" angekündigt, die Autos zwingen, langsam hinter ihnen her zu fahren. Gewaltbereitschaft konnte man in Bezug darauf bislang eher bei wütenden Autofahrerinnen und Autofahrern beobachten, berichtet die Märkische Allgemeine:

"Am Donnerstag hatten Autofahrer am Tempelhofer Damm Demonstranten attackiert. Bereits am Montag waren einzelne Autofahrer handgreiflich geworden. Ein Autofahrer, der im Stau stand, griff zum Pfefferspray. Die Polizei sprach von vereinzelten Vorfällen."

Beim Marathon ging es dann um eine "Blockade", berichtet das ZDF:

"Die Polizei hat eine Blockade von Klimaschutzaktivisten der "Letzten Generation" beim Berlin-Marathon verhindert. Acht Personen hätten am Sonntag vor dem Start versucht, sich auf die Straße des 17. Juni zu setzen, teilte eine Polizeisprecherin mit. Sie hätten orange Farbe aus Eimern auf die Fahrbahn geschüttet und Banner dabei gehabt. Daran, sich an der Fahrbahn festzukleben, seien sie aber von Einsatzkräften gehindert worden, sagte ein Polizeisprecher. Der Start des Laufs sei dadurch nicht beeinträchtigt worden."

Und jetzt nochmal der Abgleich: Blockaden gehören zum zivilen Ungehorsam, was nicht bedeutet, dass sie nicht strafbar wären – und sie werden ja auch bestraft. Aber "Zerstörungswut" und "Gewaltbereitschaft" sind ein anderes Paar Schuhe.

Die gefährliche Schlange

Aber, zum Schluss noch ein nicht ganz anderes Thema, auch die taz schaut und liest genau auf Sprache: Hier beschreibt sie, wie nicht nur die BamS mit Schlagzeilen wie "Migrationskrise" Vorurteile schürt und Panik macht, sondern auch der aktuelle Spiegel-Titel "Schaffen wir das nochmal?" und die dazugehörige Illustration merkwürdige Assoziationen weckt. Der Autor Emran Feroz, der – wie er schreibt - ebenfalls ab und an für den Spiegel arbeitet, dazu:

"Es ist kein gutes Gefühl, wenn man als Kind Geflüchteter im Auto durch deutsche Städte fährt, während man zeitgleich im Radio hören muss, dass immer mehr Deutsche mit rechtsradikalen Positionen sympathisieren oder Krisen dort sehen, wo es sie gar nicht gibt. Währenddessen nehmen auf den Sesseln deutscher Talkshows weiterhin jene Platz, die meinen, viel zu sagen zu haben: Herausgeber konservativer Zeitungen, Hauptstadtjournalisten, elitäre "Migrationsexperten" und Politiker, die immer mehr Grenzkontrollen und Abschiebungen fordern. Für die Namenlosen und Verdammten aus Moria, Lampedusa und anderswo spricht niemand. Sie sind der unbekannte Feind, der den gesellschaftlichen Wohlstand bedroht und den es weiterhin zu entmenschlichen gilt."

Bei Twitter / X setzte die Kulturdozentin Ashley Passmore diesen Post ab, und stellte das Spiegel-Cover neben eine antisemitische, und damit ebenfalls die Angst vor so genannter "Überfremdung" thematisierende Kampagne aus dem Jahr 1901:

"What's old is new again: left is 2023 and the right, 1901. A political campaign to create panic over refugee Jews coming to Vienna under the antisemitic mayor, Karl Lueger.”

Darunter finden sich noch weitere Beispiele aus der Geschichte, in denen eine lange, sich hin und her durch das Bild schlängelnde Reihe von "Fremden" als bedrohlich dargestellt, und damit Xenophobie geschürt werden kann.

Die Unterzeile des Titels bleibt dagegen nüchtern: "Der deutsche Streit über die Asylpolitik" bestimmt tatsächlich momentan das politische Geschehen. Aber wieso sachlich, wenn es auch emotional geht.


Altpapierkorb (mit Jessy Wellmer, Amazon Prime Video und den Behauptungen einer Querdenker-Zeitung)

+++ Der Tagesspiegel interviewt hier (€) die zukünftige Tagesthemen-Moderatorin und langjährige Sportjournalistin Jessy Wellmer, und spricht mit ihr über das Aufwachsen im Osten und fehlenden Auseinandersetzung mit der Vergangenheit in Ost und West.

+++ Und auch die Süddeutsche beschäftigt sich hier (€) mit Frau Bellmer und ihrer Vergangenheit.

+++ Oh Wunder: Auch Amazon Prime Video muss angesichts der Streaming-Krise Geld generieren, und lässt die Kundinnen und Kunden für werbefreie Angebote demnächst mehr blechen, berichtet unter anderem die FAZ.

+++ Und die taz beschreibt hier, wie die Querdenker-Zeitung "Demokratischer Widerstand" behauptet, Sarah Wagenknecht als Herausgeberin gewonnen zu haben. Das stimmt aber nicht: "Auf Anfrage teilt das Büro der Bundestagsabgeordneten mit: "Die Anführung von Frau Wagenknecht als angebliche Herausgeberin der Zeitung 'Demokratischer Widerstand‘ erfolgt ohne jegliche Einwilligung." Die Politikerin habe "gegen die Nennung ihres Namens protestiert", sie verlange "die umgehende Löschung und Richtigstellung". Außerdem prüfe sie juristische Schritte." Interessanterweise, schreibt die taz weiter, war auch schon Roger Waters ungefragt als Herausgeber der Zeitung angegeben worden. Dem wiederum wird bekanntlich Antisemitismus und eine fragwürdige Haltung zum Krieg in der Ukraine vorgeworfen, die deutsche Zeitung, deren Herausgeber er angeblich war, kennt er allerdings nicht, und hatte eine einstweilige Verfügung gegen das Blatt erwirkt.

Das nächste Altpapier schreibt am Dienstag Klaus Raab.

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