Das Altpapier am 15. September 2023 Aus der Krise herauskatapultiert
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15. September 2023, 09:55 Uhr
"Katapult" steht kurz vor der Insolvenz und bittet auf Social Media um finanzielle Unterstützung seiner Follower. Zehn Tage später scheint das Magazin gerettet – vorerst. Endlich mal eine gute Nachricht aus der Medienwelt. Heute kommentiert Johanna Bernklau die Medienberichterstattung.
Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.
Der wilde Anfang
"Katapult" steht kurz vor der Insolvenz (Altpapierkorb) und hat seine Follower um ziemlich viel Hilfe gebeten – um 450.000 Euro, um genau zu sein. Und so, wie es aussieht, hat das Magazin auch Erfolg damit. Wie hat es das trotz der vielen Fehler in der Vergangenheit geschafft? Ein Rückblick:
"Katapult" und insbesondere dessen Gründer Benjamin Fredrich hatten in den letzten acht Jahren seit der Gründung ziemlich viele wilde Ideen. Ein Papiermagazin in Zeiten des Papiermediensterbens zu gründen war eine davon. Die knallbunten Karten, die frechen Insta-Captions und die neuen Themen mit unterhaltsamer Umsetzung waren die anderen.
Und die Ideen funktionierten: Leute abonnierten das "Magazin für Eis, Kartografik und Sozialwissenschaften", folgten ihm auf Social Media und kommentierten fleißig unter den Posts. Nicht alle Kommentare waren wohlwollend, auf Nachfragen oder Kritik reagierte "Katapult" nicht unbedingt mit "danke für dein Feedback", sondern viel öfter einfach mit "hä?" und wollte damit genau das machen, was es sich von Anfang an auf die Fahne geschrieben hatte: Alles anders, alles transparenter, einfach alles besser als die anderen Medienhäuser.
Mit dem Anstieg der Abonnentenzahlen stieg auch die Anzahl der Ideen: Sie gründeten die Lokalzeitung "Katapult MV", riefen den Ableger "Katapult Ukraine" ins Leben, verkauften Kuchen im Café Karsten, gründeten nach schlechten Erfahrungen mit dem Verlag "Hoffmann und Campe" einen eigenen Buchverlag, planten eine neue Journalistenschule für Ostdeutschland und organisierten ein Festival. Und das alles für möglichst wenig Geld für die Community.
Die ersten Fehler
Doch irgendwann kippte die "immer besser, immer mehr"-Mentalität. Immer mehr Follower beklagten sich über einen linken Haltungsjournalismus und Benjamin Fredrich setzte sich mit den sehr intransparenten Vorgängen bei "Katapult Ukraine" in die Nesseln und trat als Geschäftsführer und Chefredakteur zurück (Altpapier).
Vor anderthalb Wochen, am 5. September, prangte dann die Nachricht schwarz auf gelb im Feed der rund 500.000 Instagram-Follower: ""Katapult" ist insolvent" – wenn es die nächsten 14 Tage nicht explodiert. Der Grund: "Zu viele Projekte, zu viele Bücher, schlechte Übersichten, zu wenig Liebe an der richtigen Stelle", wie "Katapult" selbst auf Instagram schreibt. Was ihnen konkret helfen würde: "Abos abschließen, Shop leerkaufen, allen weitererzählen."
Die überwältigende Hilfe
Zehn Tage später schon sieht es so aus, als sei die Explosion gelungen und der eigens dafür aufgesetzte "Insolvenz-Shop" leergekauft wie erhofft. Auf Instagram postet "Katapult" regelmäßig den "Anti-Insolvenzbalken", am Donnerstagabend fehlten nur noch 9.900 Euro von 450.000 Euro, um die drohende Insolvenz erstmal abzuwenden.
Universitäten wollen das Magazin in ihre Ersti-Tüten packen, Unternehmen wollen Anzeigen im Heft schalten und Unternehmensberater geben kostenlos Tipps auf dem extra dafür angelegten sozialen Medium "Kwitter", das erstmal zum ""Katapult"-Insolvenz-Medium" ernannt wurde. Hier sollen (ehemalige) Abonnenten und Unterstützer Feedback zu "Katapult" geben, was gut läuft, was früher besser lief und was in Zukunft überhaupt laufen sollte.
Und die Strategie geht auf: Bietet eure Bücher und Hefte als E-Books an, euch fehlt das Konservative, ihr spielt die Nähe zu den Abonnenten nur vor, "Katapult" ist zur linken "Bild" geworden, ihr habt eine Aggro-Attitüde. "Katapult" reagiert auf viele dieser Kommentare – und immer öfter mit "Vielen Dank" statt mit "hä?".
Die treue Community
Wie schafft es "Katapult", trotz offensichtlicher wirtschaftlicher Fehlplanung und zu vieler Projekte in der Vergangenheit, seine Follower für so viel Solidarität zu motivieren? Das Medienmagazin "zapp" hat Christopher Buschow dazu befragt, der an der Universität Weimar zu Medienmanagement forscht. Buschow meint:
"Mein Eindruck ist, dass der Erfolg von "Katapult" in der Vergangenheit ganz, ganz wesentlich auf dieser loyalen, treuen Nutzendenschaft gefußt hat. Und es ist deshalb eigentlich nur zielführend und vielversprechend, […] zu sagen: Wir schaffen das jetzt gemeinsam und diese Menschen als Retterinnen und Retter […] ins Boot zu holen. Ich glaube, der Ansatz ist genau richtig."
Eine so starke Community kommt nicht von ungefähr, in der Anfangsphase machte "Katapult" auch viel richtig und vor allem viel anders, was vielen offenbar nachhaltig imponierte. Unter dem "Anti-Insolvenzbalken"-Post stehen neben vereinzelten kritischen Kommentaren ("Was für eine Geldverbrennung" oder "dann halt Insolvenz im nächsten Jahr") vor allem Mut machende und optimistische Äußerungen: "Meeegaaaaa", "Einfach eine tolle Geschichte! Das hebt die Laune" und "Hat das jemals zuvor bei einem anderen Unternehmen so schnell und gut geklappt?".
Die gute Nachricht
Obwohl Zweifler und Kritiker gerade bei dieser Geschichte wieder laut werden, darf man nicht vergessen, dass das, was gerade passiert, tatsächlich mal eine gute Nachricht ist. Abonennten retten ihr Magazin. Bei wie vielen Lokalzeitungen hat das in der Vergangenheit geklappt?
Wie nachhaltig der Rettungserfolg von "Katapult" sein wird, muss sich natürlich erst zeigen. Auf Social Media verkündet das Magazin laufend, was es alles verändern und besser machen will, damit es aus der Start-Up-Phase herauskommt. Währenddessen zeigen "Übermedien" oder "Correctiv" etwa, dass das Konzept des gemeinnützigen Journalismus durchaus aufgehen kann – wenn man richtig plant.
Von "Correctiv" möchte "Katapult" jetzt übrigens auch lernen. Auf "Kwitter" hat "Correctiv"-Geschäftsführer David Schraven eine Zusammenarbeit mit dem "Katapult"-Buchverlag angefragt. "Katapult":
"Wie reagieren wir? Zusage! Die haben ihren Buchvertrieb im Griff. Wir wollen von ihnen lernen, wie man Bücher mit weniger Aufwand besser verkauft."
Altpapierkorb (Aiwanger-Autorisierung, ARD-Talkshows, Vertrauen in den ÖRR, Hass gegen Wettermoderatoren)
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Das Altpapier am Montag schreibt Christian Bartels. Schönes Wochenende!