Kolumne: Das Altpapier am 13. September 2023 Links-grüne Blase dringend gesucht
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13. September 2023, 10:17 Uhr
Wer sind eigentlich diese Veganer*innen, die uns allen das Gendern vorschreiben? Schnell mal googlen, solange es Google noch gibt! Die Medienthemen des Tages kommentiert Annika Schneider.
Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.
Jagd auf ein Phantom
Glaubt man der "Bild"-Zeitung, ist heute ganz Deutschland im "Rudi-Rausch", weil ein "Rudi-Ruck" durchs Land gegangen ist. Grund ist der "Sensations-Sieg", nach dem die "Nationalelf wie neu" ist. Ein paar Alliterationen haben noch niemandem geschadet.
Wenn es um Fußball (oder Basketball) geht, sind wir alle irgendwie eins, so zumindest die mediale Darstellung. Vergessen sind die Abgründe der Polarisierung, die sich tief in unser Land gegraben haben – oder zumindest gegraben haben sollen.
Einen genauen und sehr klugen Blick auf diese Abgründe wirft heute im FAZ-Feuilleton Claudius Seidl und teilt dabei auch kräftig gegen andere Medienhäuser aus, darunter die "NZZ" und die "Welt". Seidl nimmt das Phantom der "links-grünen Blase" unter die Lupe, einer Elite, die in Prenzlauer Berg und ähnlich suspekten Orten lebt und dem Land und seinem "Volk" ihre realitätsfernen Vorstellungen aufdrückt.
"Wenn die deutsche Autoindustrie sich gegen die Konkurrenz nicht behaupten kann, haben nicht ihre Manager die Schuld; es sind die Technologiefeindschaft und der Klimafetischismus jenes Milieus. Wenn in Sachsen ein Drittel der Wähler zur AfD tendiert, können die letztlich gar nichts dafür; es ist nur Reaktanz, die psychologisch verständliche Abwehr einer empfundenen Gängelung. Wenn irgendein Radiomann die Knacklaute vor dem Binnen-I besonders betont, ist er nicht bloß ein Streber; er will das Volk zum Gendern zwingen. Und wenn Ökologen davon sprechen, dass die vielen Rindviecher die Atmosphäre verpesten und die Abholzung der Regenwälder befördern, dann beschreiben sie nicht einen Sachverhalt; sie wollen dem Volk die Wurst vom Brot und das Fleisch vom Grillrost nehmen."
Wer zu diesem als Feindbild aufgebauten Milieu tatsächlich gehöre, lasse sich kaum beschreiben, so Seidl. Auf der Gegenseite stehe auf jeden Fall das "normale Volk", die "Gemeinschaft derer, denen es reicht". Diese Vereinfachung findet der Journalist gefährlich, er beobachtet eine "fast schon bürgerkriegsreife Wut", gezielt angefacht durch "Minister, Parlamentarier, einflussreiche Journalisten". Sein Text ist ein Aufruf zur Differenzierung und zur genauen Argumentation.
"Wenn ein Leitartikler davon spricht, dass Fernreisen den Urlauber womöglich nicht glücklicher machen, als das eine schöne Radtour tut: Dann sind Gegenargumente nicht nötig. Dann ist einfach klar, dass jetzt auch die Zeitung den Menschen das Fliegen verbieten will. Wenn eine Umweltministerin darauf hinweist, dass die ganze Gülle die deutschen Böden irreparabel ruiniert: Dann ist klar, dass der Bauernstand ruiniert werden soll. Und wenn ein linker Besserwisser, nach einem Blick auf die Karte, einwirft, dass Kreuzberg in Deutschland liege, bekommt er zu hören, dass das Volk genau wisse, was damit gemeint ist. Dass aber er dort oben, in seinem Elfenbeinturm, eine zu eingeschränkte Sicht habe, als dass er den Witz und die Wahrheit des Satzes verstehen könne."
Letztendlich würden solche Darstellungen gezielt genutzt, um den Kampf gegen die Klimakrise zu torpedieren: Sich Änderungen zu verweigern, die der gesunde Menschenverstand gebietet, werde so zum "Befreiungskampf".
Aufgabe von Journalismus sollte es sein, diesen faktenfernen Beschreibungen der Welt auf den Zahn zu fühlen, sie zu entlarven und jede Aussage über "die Gesellschaft" so konkret wie möglich zu untermauern. Ein schönes Beispiel dafür bringt heute Joachim Huber im "Tagesspiegel", indem er die Fantasiebehauptung, die Ostdeutschen würden sich vom öffentlich-rechtlichen Fernsehen abwenden, mit Zahlen widerlegt.
Diese Art von Konfliktlinien faktenbasiert aufzulösen, könnte ja auch ein wichtiger Aspekt des oft herbeigewünschten "Klimajournalismus" sein. Wie der im Idealfall aussieht, hat Sara Schurmann gerade wieder im DJV-Magazin "Journalist" beschrieben.
Google geht es an den Kragen
Wenn es um Polarisierung geht, sind die sozialen Netzwerke thematisch nicht weit, auch wenn vielen dabei nicht als erstes Google in den Sinn kommt. Gerade noch hat die Suchmaschine mit viel medialer Aufmerksamkeit ihren 25. Geburtstag gefeiert, schon droht die "Zerschlagung" (ZDF).
Google steht in den USA wegen seiner Marktvormacht vor Gericht. Von einem "Prozess des Jahrzehnts" schreibt "Zeit online". Der Vorwurf: Indem Google seine Suchmaschine in diversen Geräten gegen Geld als Standard-Einstellung setzen lasse, streiche der Konzern einen Großteil der weltweiten Online-Werbeeinnahmen ein. Google hält all das für "legitimen Wettbewerb", die eigene Suchmaschine sei eben die beste. Außerdem könne ja jeder den voreingestellten Standard ändern.
Einen guten Überblick über das Google-Verfahren bietet das oben bereits verlinkte FAQ des ZDF, in dem es heißt:
"Das Verfahren ist auf mindestens zehn Wochen angesetzt. Ein Urteil ist frühestens 2024 zu erwarten. Der Prozess gliedert sich in zwei Phasen: Zunächst muss das Gericht entscheiden, ob Google Kartellrecht gebrochen hat. In einem zweiten Schritt geht es um die Frage, wie die bisherige Geschäftspraxis des Konzerns künftig verhindert werden kann."
Wie bei "Spiegel online" zu lesen ist, unterstützen sowohl Demokraten als auch Republikaner das Vorgehen gegen Google. Die Klage kommt aus dem Justizministerium, angeschlossen haben sich ihr insgesamt elf Bundesstaaten.
Was die EU und Deutschland gegen Google unternehmen, lässt sich nachlesen in Markus Beckedahls Google-Geburtstagskommentar bei Netzpolitik.org. Er schreibt dort auch:
"Die gute Nachricht: Man ist Google nicht hilflos aufgeliefert. Die schlechte Nachricht: Der größte Gegner ist oft die eigene Bequemlichkeit."
Dieses Altpapier wurde beispielsweise mit Startpage recherchiert, einem Angebot aus den Niederlanden, das Suchanfragen anonymisiert. Aber wenn es um den schnellsten Weg zu einem Termin geht, ist Google Maps bei mir dann leider doch wieder die App erster Wahl…
Sieg für Maria Ressa und die Fakten
Zu guter Letzt noch eine dieser guten Nachrichten, die im Journalismus generell ja auch nicht zu kurz kommen sollen: Als "guten Tag für die Pressefreiheit" feiert die SZ den gestrigen Freispruch der Journalistin Maria Ressa auf den Philippinen. Manila ist ja nicht nur die Stadt des jüngsten deutschen Basketball-Erfolgs, sondern auch die zweite Heimat der Friedensnobelpreisträgerin Ressa, die wegen angeblicher Steuerhintergehen angeklagt war. Bei Euronews ist zu sehen, wie sie nach ihrem Freispruch strahlend aus dem Gericht kam.
"Sie hat immer davon gesprochen, dass all die Verfahren gegen sie politisch motiviert seien. 'Fakten siegen', sagte sie nach ihrem Freispruch vom Dienstag".
Das schreibt SZ-Korrespondent Arne Perras. Er weist aber auch darauf hin, dass Ressa weiterhin sieben Jahre Gefängnis in einem anderen Verfahren drohen.
Ressa berichtet mit ihrem Nachrichtenportal "Rappler" seit Jahren mutig über Korruption und Unrecht in der philippinischen Regierung. Auf internationaler Bühne noch relevanter sind aber ihre Recherchen zu den Mechanismen der großen Tech-Konzerne. Wie Meta und Co. mit Desinformation und Hass zur Zerstörung der Demokratie beitragen, konnte Ressa schon sehr früh mit konkreten Daten zeigen. Es ist also davon auszugehen, dass sie den Prozess gegen Google in den kommenden Wochen sehr genau verfolgt.
Altpapierkorb (SWR-App "News Zone", Ermittlungen gegen hessischen Reporter, "Vice", "Mittagsmagazin")
+++ Am Beispiel der SWR-Nachrichten-App "News Zone" diskutieren die öffentlich-rechtlichen Sender und die Zeitungsverleger gerade mal wieder, wie viel rundfunkbeitragsfinanzierter Content in Ordnung ist, ohne die privaten Medienhäuser zu benachteiligen. Michael Hanfeld berichtet in der FAZ über die jüngste Eskalation: Nachdem der SWR eine Kooperation vorgeschlagen hat, fühlen sich die Verleger verhöhnt – auch, weil sich der Sender nicht an Absprachen zu Presse-Statements gehalten habe.
+++ Ein nebenberuflicher Videoreporter, der rund um eine AfD-Veranstaltung in Hessen gefilmt hat, hat nun Ärger mit der Polizei. Er soll Personen gegen ihren Willen gefilmt und damit gegen das Kunsturhebergesetz verstoßen haben. Der "Tagesschau"-Bericht zum Thema wirft die Frage auf, warum die Polizei einem Vergehen nachgeht, das eigentlich nur auf Antrag eines Geschädigten verfolgt wird. Von "übermäßigem Ermittlungseifer" spricht der DJV.
+++ Wie das einst insolvente Ex-Punkmagazin "Vice" inzwischen mit Saudi-Arabien kooperiert, beschreibt Philipp Bovermann in der SZ. In der Berichterstattung schlägt sich die Kooperation inzwischen wohl deutlich nieder. Und "Vice" ist nicht das einzige Medienhaus, das Verbindungen nach Saudi-Arabien hat.
+++ Die Frage, wer ab Januar das "Mittagsmagazin" moderiert, wenn es vom rbb zum MDR gewechselt ist, ist nach langen Debatten geklärt, nachzulesen unter anderem beim MDR selbst: Die Auserwählten sind Tino Böttcher und Mariama Jamanka.
Das nächste Altpapier schreibt am Donnerstag Ralf Heimann.