Das Altpapier am 11. September 2023: Porträt des Altpapier-Autoren Klaus Raab
"Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren im aktuellen Altpapier die wichtigsten Medienthemen des Tages. Bildrechte: MDR | MEDIEN360G

Kolumne: Das Altpapier am 11. September 2023 Neue Aufregung um!

11. September 2023, 11:08 Uhr

Das "ZDF Magazin Royale" hat gleich wegen zwei Sendungen Ärger – ist er aber berechtigt? Die Diskussion über Sportübertragungen bei ARD und ZDF bekommt neues Futter. Und: Ist die Herummeinerei über die Reform der Bundesjugendspiele endlich beendet? Heute kommentiert Klaus Raab die Medienberichterstattung.

Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.

Was nicht Böhmermanns Bier ist

Dass Jan Böhmermann die Leute kalt ließe, kann man ihm nicht vorwerfen. "Jan Böhmermann ist größer im Austeilen als im Einstecken", beschloss Joachim Huber gerade im "Tagesspiegel" einen eher verärgerten Text aus der Gattung "Neue Aufregung um". Und bekräftigte damit die von Markus Lanz in einem Podcast geäußerte Kritik: "Du zündest mit Argumenten, haust einen raus, und wenn du merkst, es geht daneben oder fällt dir auf die Füße, dann nimmst du den Notausgang Satire."

Auch die jüngste "ZDF Magazin Royale"-Ausgabe vom Freitag sorgte für einiges an Berichterstattung, weil bei der Recherche angeblich "rechtswidrige Methoden angewandt" worden seien – was Redaktion und die Produktionsfirma aber als "vollkommen aus der Luft gegriffen" zurückweisen würden, wie es etwa online bei der "FAZ" heißt, die in diesem Fall keine Unsauberkeit entdeckt.

Böhmermann, Böhmermann, Böhmermann: Er muss sogar nur nette Worte über die wirtschaftskriselnde Satirezeitschrift "Titanic" zum Besten geben und in dem Zusammenhang den Gassenhauer "Satire darf alles" sagen – dann widmet ihm focus.de selbst dafür einen maximal empörten Beitrag:

"Ein solcher Satz aus Böhmermanns Mund ist eine bodenlose Frechheit, eine Verhöhnung seiner Opfer und auch eine Verhöhnung der Gebührenzahler. Ja, Satire darf vieles, sehr vieles, aber sie darf nicht alles."

Aber behaupten, dass sie alles dürfe, das dürfte sie wahrscheinlich schon dürfen.

Der Satz war aber auch nur der Anlass, eine andere Geschichte noch einmal zu erzählen. Worüber sich focus.de eigentlich aufregte, war die Furore machende Sendung vom Oktober 2022 (Altpapier) über den ehemaligen Chef des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik, Arne Schönbohm, der nun unter anderem vom ZDF eine Entschädigung und eine Unterlassungserklärung fordert. Er war von Böhmermann mit dem Namen "Cyberclown" versehen worden, und im Raum stand etwa eine Russland-Connection; über Verbindungen eines Schönbohm-Vertrauten hatten zuvor schon "Die Zeit" und "Kontraste" berichtet.

Weil Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD), die Schönbohm nach der "ZDF Magazin Royale"-Ausgabe vom Oktober abberufen hat, gerade in Hessen Wahlkampf macht, ist die Berichterstattung über den Fall und den Prozess der Abberufung noch einmal ins Rollen gekommen. Das beschert auch der Böhmermann-Sendung erneut einige Beachtung, bis hin zur Forderung bei bild.de, ihn abzusetzen (eine Forderung, die in diesem Fall aber nicht als "Canceln" bezeichnet wird – diese Karte wird nur ausgewählt gespielt).

Den Vorwurf, in der besagten Sendung mit einer zu feinen Klinge gearbeitet zu haben, kann man dem ZDF-Magazin auch sicher nicht machen. Die Darbietung von Recherchen mit den Inszenierungsmitteln der Satire wird der Show nicht zum ersten Mal vorgehalten, und es wird auch kaum das letzte Mal gewesen sein. Hat sich Böhmermann aber wirklich vom Innenministerium, hm, einspannen lassen? Das klingt raunend an, so laut, dass er sich am Sonntag in einem Mastodon-Thread zu der Angelegenheit "abschließend" verhielt (spiegel.de). Eine BMI-Connection wies er darin jedenfalls zurück: "Uns schäumend-schwurbelnd einen geheimen 'Komplott' mit dem WTF? Bundesinnenministerium zu unterstellen, ist ziemlich bösartiger Bullshit und natürlich komplett frei erfunden"; es sei "nicht unser Bier", was das Bundesinnenministerium treibe. Die politische und die mediale Dimension nicht zu vermischen, wäre in der Tat hilfreich: Die Abberufung eines hohen Beamten hat jedenfalls kein Journalist und auch kein Satiriker zu verantworten.

Basketball, live im ZDF. Aber nur einmal.

Mehr vom ZDF-Programm? Bitte, gern: Die geplante Doppelfolge vom "Duell der Gartenprofis" musste am Sonntagnachmittag entfallen. Das ZDF zeigte stattdessen das Weltmeisterschaftsfinale im Männer-Basketball. Und damit, aus deutscher Sicht, ein historisches Spiel. MagentaSport, also die Telekom, die die Übertragungsrechte hielt und das ganze Turnier übertragen hatte, hatte dem ZDF kurzfristig eine Sublizenz erteilt. Man fragt sich nur, warum ARD oder ZDF nicht direkt die Rechte gekauft haben. Sie hätten "abgewunken", fasst dwdl.de flott zusammen. Um die Diskussion über den Sportrechteerwerb der Öffentlich-Rechtlichen zu befeuern, dazu allerdings könnte das Basketball-Turnier beigetragen haben. Die Frage ist ja nicht nur: Sollen ARD und ZDF Sport übertragen? Die bessere Frage in der Debatte darüber, was sie zeigen sollen, wäre: welchen Sport?

Gewiss, eine Männer-Fußball-WM interessiert so viele Menschen, dass die Spiele nicht ausschließlich bei einem Bezahlsender oder einem Streamingdienst übertragen werden sollten. Aber da innerhalb des Spitzensports gerade Popularitätsverschiebungen stattfinden, könnte man mit derselben Begründung für mehr Basketball, Tennis oder Frauenfußball im öffentlich-rechtlichen Programm eintreten.

Wie sehr der Männer-Fußball die sportjournalistische Wahrnehmung dominiert, sah man am Sonntag, als der Deutsche Fußball-Bund die Entlassung seines Bundestrainers bekannt gab – kurz bevor das Basketball-Finale zu Ende war. Schon am Sonntagabend musste daher der eine oder andere Sportaufmacher wieder einmal dem Fußball gelten. Womöglich ist der Männer-Fußball nur aus Gewohnheit oder wegen der Unverfrorenheit seiner Verbände der meistbeachtete Sport in Deutschland. Wegen seiner Schönheit oder der modernen Publikumsansprache seiner Funktionäre ist er es derzeit jedenfalls nicht.

Der Bundesjugendspiele-Kolumnenschrott

Bleiben wir beim Sport: Das deutsche Basketball-Team ist also ziemlich überraschend, aber ziemlich überzeugend Weltmeister geworden. Eine der weniger klugen Thesen der vergangenen Zeit ist damit am Sonntag zu Staub zerbröselt. Sie lautet: Die Abschaffung der Bundesjugendspiele – eine Abschaffung, die nicht stattgefunden hat – sei in einem direkten Zusammenhang zu sehen mit dem Gesamtbefinden des "Landes", der deutschen Wirtschaft und/oder der Erfolgsschwäche der deutschen Leichtathletinnen und Leichtathleten und der Fußballnationalmannschaften.

Die These war von Anfang an offensichtlicher Unfug: Eine Reform der Bundesjugendspiele für die dritten und vierten Grundschuljahrgänge (wie gesagt: keine Abschaffung) greift in den meisten Bundesländern erstmals am Ende des soeben beginnenden Schuljahrs. Die für deutsche Verbände antretenden Sportlerinnen und Sportler, die in den vergangenen Monaten erfolglos von internationalen Meisterschaften zurückkehrten, dürften darunter also wohl recht wenig gelitten haben.

Hervorgetan hat sich mit der These von der Engführung zwischen Leistungsgesellschaft und Bundesjugendspielen etwa der "Spiegel"-Kolumnist Nikolaus Blome, der, nachdem er schon im Juli zum Thema etwas vor sich hingemeint hatte, kürzlich nachlegte: "Ein Land, das für die Jugend Schneeflocken-Weitpusten statt Bundesjugendspiele veranstaltet und Fußball spielen lässt, ohne die Tore zu zählen, sollte sich nicht wundern, wenn es bei einer WM früh rausfliegt oder ganz ohne Medaillen bleibt." Oho.

(Mehr Links: in diesem Altpapier, bei "Übermedien" oder exemplarisch auf den Seiten der das Thema gerne beackernden "Welt", etwa hier, da, da und dort.)

Jetzt, da ein deutsches Sportteam Weltmeister geworden ist, ist der Unfug aber noch offensichtlicher. Wie müsste die These einer Kolumne, die wohl niemand schreiben wird, nun eigentlich lauten? So: Ohne die Reform der Bundesjugendspiele wäre dieser Weltmeistertitel nicht möglich gewesen! Das ist Bullshit. Aber: Bullshit auf Augenhöhe dieser Debatte.

Die Assoziationskette, die wohl eigentlich in Gang gesetzt werden soll, wenn jemand die Reform der Bundesjugendspiele heftig kritisiert, ist diese: Deutschland geht es wirtschaftlich nicht gut, weil sich Leistung nicht lohnt, und daran sind die Linken schuld. Nikolaus Blome sprach’s dankenswerterweise wenigstens direkt aus: "Wenig sagt so viel aus über das Deutschland von heute, satt und matt, wie, Achtung: die links- und gefühlsgetriebene Abschaffung der Bundesjugendspiele."

Eigentlich steht ein pädagogisches Konzept hinter der Reform, das eher mehr als weniger Kinder zum Sport motivieren soll. Über das Konzept kann man streiten. Aber dessen Details interessierten gerade in den ausrufezeichenstärksten Meinungstexten zum Thema überhaupt nicht. Es ging in der Debatte nie darum, welche Rolle die Bundesjugendspiele wirklich gesellschaftlich spielen können. Der Leistungssport-Nachwuchs wurde auch früher nie bei den einmal jährlich stattfindenden Bundesjugendspielen entdeckt oder von sich selbst überrascht, schon gar nicht in der Grundschule. Glaubt irgendjemand wirklich, ein deutscher Sportverband würde irgendwann auch nur eine Medaille weniger gewinnen, weil acht- und neunjährige Kinder im Rahmen eines vierstündigen Breitensport-Pflichtevents beim Sandgrubenhüpfen keine normierten Beurteilungen bekommen haben?

Eigentlich lautete die These hinter der These, das Land stehe zu sehr unter der Fuchtel der Linken. Das kann man meinen, wenn man möchte. Aber mit der unsauber argumentierten, an der Sache nicht interessierten, auf den emotionalen Effekt zielenden Fast-Food-Behauptung von der Fanalwirkung der nie erfolgten Bundesjugendspielabschaffung lässt sie sich nicht belegen.


Altpapierkorb (Lamby-Dokumentation, "Titanic", Aiwanger-Kommentare, Lindemann vs. "SZ", BR Kultur)

+++ Die heute laufende ARD-Dokumentation von Stephan Lamby über die erste Regierungszeit der rot-grün-gelben Regierung, "Ernstfall – Regieren am Limit", lobt Nils Minkmar in der "Süddeutschen" sehr. Jan Freitag ist im "Tagesspiegel" ebenfalls angetan.

+++ Die wirtschaftliche Not der Satirezeitschrift "Titanic" (Altpapier vom Freitag) trieb am Wochenende zum Beispiel die "Süddeutsche" um. Auf der Medienseite stand ein wohlwollender Text: "Jedes Heft der Titanic versteht sich immer auch als Komposition. Darin unterscheidet sie sich von neuen digitalen Satiremagazinen wie etwa dem Postillon, der nahezu ausschließlich aus Gags besteht, die in ein Posting passen und sich kategorisch auf die Währungen der sozialen Medien hin entwerfen, auf Teilbarkeit und Kommentierbarkeit. Wie einst Buzzfeed, begreifen sie die sozialen Medien als ihre Titelseite. Die Titanic aber begreift schon immer noch ihre Titelseite als ihre Titelseite."

+++ … auf der "SZ"-Meinungsseite dagegen ein Abgesang, der darauf hinausläuft, dass die Zeitschrift nicht "auf Höhe der Zeit geblieben" sei und nicht mit Geld umgehen könne. Moritz Hürtgen von der "Titanic" weiß aber natürlich, wie man zurückkeilt: Bei "Titanic" würden halt die freien Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ordentlich bezahlt.

+++ "Spiegel"-Chefredakteur Dirk Kurbjuweit schreibt über den Fall Aiwanger: "Aiwanger erklärt sich zum Opfer der Medien, und viele Bürgerinnen und Bürger glauben ihm. Dabei tut er genau das, was er Medien unterstellt. Er will nicht informieren und aufklären über das, was damals geschah, er will zerstören – das Vertrauen in Journalistinnen und Journalisten." Und: "Die 'Süddeutsche Zeitung' hat zu Beginn ihrer Berichterstattung über Aiwanger Fehler gemacht, aber das ist kein Grund, ihr eine Kampagne und damit Zerstörungswut zu unterstellen, schon gar nicht eine konzertierte Aktion mehrerer Medien."

+++ Und "Spiegel"-Kolumnist René Pfister sieht von den USA aus Parallelen zu Trump-Strategien: "wie der Ex-Präsident hat (Aiwanger) erkannt, wie viel Energie sich aus der Wut auf das 'Establishment' ziehen lässt, zu dem im Zweifel auch die Medien zählen. Warum sich erklären und entschuldigen, wenn Angriff die viel effektivere Strategie ist?" Ja, Trump, klar. Aber es gibt auch bayerische Zustände: Franz-Josef Strauß, Bayerns ehemaliger Ministerpräsident, bezeichnete Journalisten als "Schmeißfliegen"; der damalige CSU-Generalsekretär Edmund Stoiber sprach 1988 von einer "durchrassten Gesellschaft" und konnte trotzdem Ministerpräsident werden. Das soll nicht heißen, dass der Verweis auf Trump abwegig wäre. Seine Strategien sind nur nicht die einzigen, auf die zu achten sich lohnt.

+++ Rammstein-Sänger Till Lindemann "ist vor dem Landgericht Frankfurt mit dem Versuch gescheitert, eine Unterlassungserklärung gegen die 'Süddeutsche Zeitung' durchzusetzen", meldet die "FAZ". "In dem Verfahren ging es um den als Verdacht formulierten Vorwurf, Lindemann habe mit Besucherinnen seiner Konzerte gegen deren Willen Sex gehabt."

+++ Und dwdl.de hat ein Interview mit Björn Wilhelm im Angebot, dem Programmdirektor Kultur des Bayerischen Rundfunks, der wegen der geplanten Umstrukturierungen auch intern in der Kritik steht.

Am Dienstag schreibt das Altpapier René Martens.

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