Kolumne: Das Altpapier am 8. September 2023 Blendle hat sich verabschiedet
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08. September 2023, 10:45 Uhr
Der deutsche Teil des Online-Zeitungskiosks ist abgeschaltet. Die Satirezeitschrift "Titanic" ist "pleite wie nie". Auch in Frankreich diskutiert man über mediale Ausgewogenheit, aber anders. Und: Peter Frey weiß, wer hierzulande medial besonders unterrepräsentiert ist. Heute kommentiert Klaus Raab die Medienberichterstattung.
Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.
Blendle ist dann mal weg
Der Online-Zeitungskiosk Blendle ist weg. Zumindest der deutschsprachige. Sein Ende war angekündigt, der eine oder andere Nachruf war verfasst, es kommt also nicht überraschend. Und doch ist da nun eine Leerstelle. Für jene zumindest, die gerne durch richtige Zeitungen blätterten – nur eben online. Blendle war Internet mit papierner Anmutung. Man kaufte einzelne Texte, so wie man online einzelne Texte liest, aber man kaufte doch stets Texte: aus Zeitungen. In ihrem Zeitungskontext.
"Für jemanden, der als gelernter Zeitungsleser gezielt die Seite 3 der SZ ansteuert oder das 'Streiflicht' auf der Titelseite, die Feuilleton-Glosse der FAZ oder die Wirtschaftsreportage, der sich vom gestalterischen und dramaturgischen Rhythmus einer Zeitungsausgabe und einer Zeitungsseite leiten lässt, war Blendle ein Traum",
schrieb Stefan Niggemeier vor einem Monat bei "Übermedien".
Immerhin, das Konzept ist nicht völlig am Ende. Es gibt Readly, einen Online-Kiosk mit anderer, spotifyigerer Logik, und auf den Seiten von Blendle steht nun: "Het beste uit de bladen", also "Das Beste aus den Zeitschriften". Niederländische Magazine kann man dort noch lesen, genau wie französische oder italienische. Nur deutsche halt nicht. Ein paar deutsche Medienbeiträge gibt es zwar, allerdings nur in Übersetzung; ein "Spiegel"-Interview (€) zur Letzten Generation etwa ("het Duitse Extinction Rebellion"), das es auf Deutsch auf den Seiten von spiegel.de (€) gibt.
Das Problem für das deutsche Blendle fasste Niggemeier in seinem Artikel so zusammen:
"(D)igital sozialisierte Leser, die dort nach Artikeln suchten, die die SZ oder die FAZ online hinter der Abo-Bezahlschranke veröffentlicht hatten, wurden immer wieder nicht fündig – weil der Artikel nicht oder noch nicht in der Zeitung veröffentlicht worden war. Auch aus Verlags-Sicht machte Blendle immer weniger Sinn: Für die meisten von ihnen gibt es inzwischen eine sehr eindeutige Antwort auf die Frage, wie sich ihr Journalismus online am besten finanzieren lässt: mit dem Verkauf von Abos."
Und es ist ja auch gut, dass es diesen Finanzierungsweg endlich gibt. Aber schade ist’s um Blendle trotzdem. Sich schnell mal einen Artikel von vorgestern zu ziehen, zu lesen, wie er in seiner originalen gedruckten Fassung übertitelt gewesen war; auf einen Text verlinken zu können, den man in seiner Onlineaufmachung nur noch in einer vielfach aktualisierten Fassung findet: Das war gut und hilfreich. Vielleicht nicht für Millionen Menschen, das ist wohl Teil des Problems. Aber für uns, beim Schreiben der Altpapier-Kolumne, schon. Also merci auch, Blendle. Danke für den Versuch!
Pleite wie nie
Mehr Hoffnung auf eine blühende, ertragreiche Zukunft als beim deutschen Blendle gibt es bei "Titanic". Das Satiremagazin ist zwar nach eigenem Bekunden "pleite wie noch nie", was, falls es stimmt, schon mal eine Leistung ist. ("Mehrfach schrammte die Satire-Zeitschrift 'Titanic' wegen teurer Prozesse knapp an der Pleite vorbei", gratulierte rnd.de 2019 zum Geburtstag.) Aber in gewissen publizistischen Kreisen bittet man auf direktem Weg das Publikum um mehr Unterstützung, und manchmal klappt das ja. 5.000 neue Abos sollen nun "Titanic" retten. Wenig ist das nicht, wenn man bedenkt, dass die verkaufte Auflage bei 15.000 liegt. "20.000 Euro minus soll die 'Titanic' pro Monat machen, Redakteure und Autoren warten auf ihr Geld, Gehälter werden nur noch in Einzelfällen ausgezahlt, der Verlag ist zahlungsunfähig", schreibt Michael Hanfeld (€) von der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" über seine Frankfurter Kollegen. Aber unmöglich ist es nicht.
Hanfeld erinnert an einige andere Rettungsaktionen der jüngeren Zeit: beim "nd" etwa (Altpapier), formerly known as "Neues Deutschland". Von deren Rettungsaktion gibt es auch Neues: "Am Mittwoch teilte die nd-Genossenschaft, die das Blatt trägt, mit, man habe inzwischen 140.000 Euro an Spenden eingenommen, 'das rettende Ufer' sei für das 'nd' wieder 'ein Stück näher gekommen', bis Ende Oktober wolle man bei 150.000 Euro und mehr landen."
Oder beim "Missy Magazin" (Altpapier): "Mitte Juli wandte sich die Redaktion an ihre Leserinnen. 1500 neue Abos wolle man binnen zehn Wochen gewinnen, nach 48 Stunden waren diese schon zusammengekommen, doch ob die Mehreinnahmen reichen, um das Blatt über die nächsten Ausgaben hinweg zu finanzieren, ist noch nicht ausgemacht."
Und um "Katapult" (Altpapier vom Donnerstag) geht es auch. Die "FAZ"-Medienseite wäre aber nicht die "FAZ"-Medienseite, wenn sich nicht auch in diesem Kontext noch ein Markenzeichen unterbringen ließe. Wer ist mit schuld an den Problemen von "Titanic"? Klar, die steigenden Druck- und Papierkosten, die fehlenden Anzeigen, das stark veränderte Nutzungsverhalten darf man nicht vergessen – aber eben auch, Ding Dong: "öffentlich-rechtliche Konkurrenz von Böhmermann oder der 'heute show', die sich nicht selbst finanzieren muss, sondern von allen zwangsweise bezahlt wird, ganz gleich, ob man ihre Satire schätzt."
Waage mit Schlagseite
Dass die Ausrichtung speziell des "ZDF Magazin Royale" mit Jan Böhmermann nicht nur Freunde hat (und Freundinnen), ist bekannt. Das Argument, der öffentlich-rechtliche Rundfunk sei nicht ausgewogen, sondern zu links, wird von Kritikerinnen und vor allem Kritikern gerne mit dem Verweis auf Böhmermanns Show unterfüttert. Interessant ist immer, zu lesen, wie vergleichbare Debatten in anderen Ländern laufen.
Die "Süddeutsche Zeitung" berichtet heute (€) über France Inter, "das meistgehörte Radio" im radiophilen Frankreich. Einen, so die Wahrnehmung der "SZ", eher linken Sender:
"Bei France Inter kritisiert wöchentlich der Ökonom Thomas Piketty Macrons Wirtschaftspolitik, täglich um 14 Uhr läuft eine Umweltsendung und nachmittags macht sich eine Satiregruppe über Macron lustig."
Eine regierungskritische Satireshow mit drei in Frankreich bekannten Leuten, deren Ruf "dem von Jan Böhmermann vergleichbar" sei, werde nun allerdings verlegt, auf einen schlechteren Sendeplatz. Und überhaupt werde nun gestritten, ob der Sender insgesamt eine andere politische DNA bekommen solle.
"Der Programmleiter von France Inter, Yann Chouquet, sagt der SZ am Telefon, dass sie das Meinungsspektrum 'pluralistischer' gestalten wollen. 'Historisch gesehen ist die DNA von France Inter progressiv, aber wir richten uns an alle Hörer', sagt das Vorstandsmitglied. Muss ein öffentlich-rechtlicher Sender zwangsläufig alle politischen Haltungen widerspiegeln? 'Wenn sie im Parlament vertreten sind, dann ja, dann ist es unsere Pflicht', lautet seine Einschätzung. Doch auch Yann Chouquet muss eingestehen, dass linke Sendungen weniger Sendezeit bekommen, rechte Politiker dafür mehr Einladungen und Sprechzeit."
Zum Hintergrund gehört, dass die Regierung in Frankreich relativ viel Einfluss auf die Öffentlich-Rechtlichen nehmen kann ("nicht nur mit finanziellem Druck, weil sie seit 2022 direkt mit Steuergeldern bezahlt werden, sondern auch mit politischen Eingriffen", auch personellen, so die "SZ"). Welche Ausgewogenheitsvorstellungen hier nun also zum Tragen kommen, ist die Frage. Im Artikel klingt schon durch, die Waage könnte Schlagseite haben.
Die Sehschwäche der Medien
Und wer hat wohl das hier gesagt?
"Gibt es zu wenig Meinungsfreiheit, zu wenig Meinungsvielfalt im öffentlich-rechtlichen System? Ich schließe mich nicht ohne weiteres diesen Thesen an. Ich glaube, dass wir ein ziemlich ausgewogenes, vielfältiges und breites Programm liefern."
Eine Nachricht wäre es, wenn das, zum Beispiel, Mathias Döpfner gesagt oder geschrieben hätte, der Springer-Chef. Aber das Verb "liefern" verrät’s: Es war jemand von den Öffentlich-Rechtlichen, nämlich Peter Frey, der ehemalige ZDF-Chefredakteur. Pauschal auf Verteidigungskurs war er jedoch auf der Frühjahrstagung des Politischen Clubs der Evangelischen Akademie Tutzing nicht, deren zentrale Inhalte nun in der neuen Ausgabe von "epd Medien" dokumentiert sind. In die Selbstreflexion ging er durchaus:
"Ich glaube aber, dass die Medien in Deutschland insgesamt, und davon ist auch der öffentlich-rechtliche Rundfunk betroffen, eine Sehschwäche in bestimmte Milieus unserer Gesellschaft hinein haben. Und das sind längst keine marginalisierten Milieus mehr."
Also, eine Rechts-Links-Unausgewogenheit sieht er eher nicht, zum Beispiel eine Stadt-Land-Unausgewogenheit aber schon. Die gibt es gewiss; es gibt schon erstaunlich viele Journalistinnen und Journalisten in Berlin und dafür dann im Verhältnis zu wenige im Hunsrück oder in Dresden. Dass Frey einen guten Teil seiner Rede darauf verwendete, auf die mangelnde Adressierung migrantisch geprägter Bevölkerungsteile hinzuweisen, sollte aber auch noch erwähnt werden: Nur weil die nicht ständig lautstark ihre angebliche oder tatsächliche Unterrepräsentiertheit im Programm beklagen, gibt es sie trotzdem.
Altpapierkorb (Grimme-Institut, "Bares für Rares", "Hitze", "Liebes Kind")
+++ Dass das Marler Grimme-Institut, das in diesen Tagen seinen 50. Geburtstag begeht, "vor einem Finanzloch" stehe, stand an dieser Stelle schon. Ausführlich über die finanzielle Situation schreibt nun Christian Meier bei welt.de: "Bis Ende des Jahres solle diese 'schwierige Situation' gelöst sein. Die Gesellschafter haben darum eine Beratungsfirma mit einem Gutachten beauftragt, die auf Kultureinrichtungen spezialisierte Actori GmbH. Die soll, sagt Gerlach, nach weiteren Sparmöglichkeiten fahnden, aber auch bei der Erschließung neuer Einnahmen beraten. Bis November soll das Gutachten fertig sein". (Für die Transparenz: Ich bin seit einigen Jahren Mitglied in der Grimme-Preis-Nominierungskommission oder -Jury.)
+++ Die "perfekt produzierte Sendung"? Fernsehproduzent Friedrich Küppersbusch zufolge heißt sie "Bares für Rares". Oookay! Bei "Übermedien" schreibt er über seine "geheime Leidenschaft" für die Show, von der er "jede Folge" schaue. Das sind knapp 1700.
+++ Nicht überzeugt ist Ruth Lang Fuentes in der "taz" vom Podcast "Hitze" über die Letzte Generation: Er sei "nah dran, aber nicht nah genug. Ein guter Storytelling-Podcast zur Letzte Generation, aber ohne neue tiefgründige Erkenntnisse. Einer, der der tatsächlichen Dringlichkeit der Klimakrise letzten Endes zu wenig Beachtung schenkt."
+++ Thomas Lückerath ist bei dwdl.de hingegen ziemlich begeistert von der Netflix-Serie "Liebes Kind": Es sei "ein Meilenstein für Netflix, dem man sich schon nach 15 Minuten nicht mehr entziehen kann".
Angenehmes Wochenende! Am Montag schreibt das Altpapier wieder Klaus Raab.