Kolumne: Das Altpapier am 30. August 2023 Systematischer Schlamassel
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30. August 2023, 11:04 Uhr
Beim rbb waren wohl mehr Beschäftigte am "System Schlesinger" beteiligt als gedacht, und das ZDF weigerte sich acht Jahre lang, eine Reporterin so wie ihre Kollegen zu bezahlen. Ob diese Meldungen das Medienvertrauen fördern? Die Medienthemen des Tages kommentiert Annika Schneider.
Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.
Nicht nur AfD-Wähler misstrauen den Medien
Ein Fünftel der Deutschen glaubt, Massenmedien würden die Bevölkerung "systematisch belügen". Noch einmal sacken lassen: Ein Fünftel, das bedeutet jeder und jede Fünfte! So das Ergebnis einer Studie der Uni Hohenheim, für die im Juli etwas mehr als 4.000 Bürgerinnen und Bürger befragt wurden.
"24 Prozent der Bundesbürger:innen glauben: 'Die Medien und die Politik arbeiten Hand in Hand, um die Meinung der Bevölkerung zu manipulieren.' Und 23 Prozent geben an: 'Die Medien bringen nur, was die Herrschenden vorgeben.'"
So steht es in einer Pressemitteilung der Hochschule. Besonders ausgeprägt ist das Misstrauen gegenüber der Medienberichterstattung demnach – wenig überraschend – bei Fans der AfD, von denen 85 Prozent glauben, systematisch belogen zu werden. Aber auch in der Wählerschaft von Union, FDP und Linken findet sich immerhin eine Zustimmung von knapp 20 Prozent. Das Problem auf "diese AfD-Wähler" abzuschieben, reicht also nicht aus.
Wer tiefer in die Studie hineinklickt, sieht auch, dass ein Viertel der Befragten findet: "Die Themen, die mir wichtig sind, werden in den Medien gar nicht ernst genommen." Ob sich die Menschen, die so frustriert geantwortet haben, wohl noch erreichen lassen oder ist ihr Misstrauen schon zu ausgeprägt?
Die vielen Mitwisser im "System" rbb
Die Ergebnisse der Hohenheimer Studie als eine Folge auch des rbb-Skandals zu sehen, wäre zu simpel. Ganz trennen lassen sich die beiden Themen aber nicht. Wie viel in dem Berlin-Brandenburger Sender im Argen lag, lässt sich in einem Interview bei "Business Insider" nachlesen. Die Chefredakteure Kayhan Özgenç und Jakob Wais haben die scheidende rbb-Interims-Intendantin, Katrin Vernau, eingeladen, Bilanz zu ziehen.
Vernau lässt deutlich durchblicken, dass sie gerne gefragt worden wäre, ob sie nicht Intendantin bleiben wolle. Außerdem spart sie nicht mit Eigenlob. Über die Beschäftigten beim rbb sagt sie dann allerdings mit Blick auf das, was schiefgelaufen ist:
"Ich denke, man kann jetzt nicht alle Menschen, die ihren Teil beigetragen haben, einfach austauschen. Es war ein System und insofern ist es für mich das Allerwichtigste, dass alle in diesem RBB-System jetzt für sich ihre Lehren aus der Krise ziehen, damit das nie wieder passiert."
Solche Aussagen tragen nicht dazu bei, das Vertrauen in Medien weiter zu stärken. Dass sie nicht glaubt, dass es ARD und ZDF in fünf Jahren noch in der heutigen Form gebe, sagt Vernau in dem ausführlichen Interview auch.
Die geplanten Reformen im rbb-Gesetz waren hier gestern schon Thema (und werden von Helmut Hartung heute noch einmal detail- und kenntnisreich auf der FAZ-Medienseite erläutert). Im "Tagesspiegel" finden sich heute gleich drei Kommentare zu den Plänen. Während Kulturredakteur Kurt Sagatz die Begrenzung der Führungsgehälter im Sender begrüßt, fürchtet die stellvertretende Chefredakteurin Anne Myrrhe eine "Verzwergung" des Senders, wenn andere Rundfunkanstalten beim Gehaltsdeckel nicht nachziehen. Einen Überblick über die aktuellen Gehälter aller Senderspitzen hat gerade frisch das RND veröffentlicht.
Birte Meier nach acht Jahren am Ziel
Kein gutes Bild gibt ein weiterer öffentlich-rechtlicher Sender heute auf den Medienseiten ab: Acht Jahre lang hat die Investigativjournalistin Birte Meier sich gerichtlich dagegen gewehrt, vom ZDF schlechter als ihre männlichen Kollegen bezahlt worden zu sein. Nun hat sie sich mit dem Sender auf eine Entschädigungszahlung geeinigt – es gibt gewissermaßen ein "Happy End".
Die einzelnen Stationen ihres Kampfs für "Equal Pay" sind etwas unübersichtlich, aber im Grunde ging es der einstigen "Frontal21"-Reporterin um zwei Dinge: um die Auskunft, wie viel ihre männlichen Kollegen in vergleichbaren Positionen verdienen, und um eine Entschädigungszahlung für entstandene Nachteile.
Ihr erstes Ziel hatte sie erreicht, als das ZDF nach einigem Mauern zugeben musste, dass Meier 2017 jeden Monat 800 Euro weniger bekommen hatte als das Mediangehalt der Männer auf vergleichbaren Posten. Für ihr zweites Ziel musste nun kein Urteil mehr fallen, weil sie sich mit dem Sender vorher gerichtlich einigte – wobei über die Höhe des Schadensersatzes Stillschweigen vereinbart wurde.
Den besten Überblick über alles, "was bisher geschah", bietet aus meiner Sicht die Gesellschaft für Freiheitsrechte, die Birte Meier bei ihrer Klage unterstützt hat, auf ihrer Homepage. Meier selbst hat die Einigung außerdem im "Stern" kommentiert. Ihre Bilanz dort:
"Vom Marathon-Prozess bleibt ein Grundsatzurteil, von dem alle Frauen profitieren, eine Überweisung für mich und die Gewissheit: Es bleibt viel zu tun. Doch es geht langsam voran."
Ihre Kritik richtet sich in erster Linie nicht an ihren ehemaligen Arbeitgeber (heute ist sie bei RTL News), sondern an die Politik, die für die gleiche Bezahlung von Männern und Frauen zu wenig tue. In der "taz" zitiert Thomas Schuler Meier allerdings auch mit deutlicher Kritik am ZDF:
"Ihre Klagen seien im ZDF misstrauisch aufgenommen worden – so als verlange sie etwas, was ihr nicht zustehe. Sie hatte den Eindruck, dass man im Sender Negatives über sie sammelte. Statt ihre Vorwürfe zu prüfen, droht das ZDF ihr bald nach Beginn der Auseinandersetzung, der Sender werde ihr Verhalten 'arbeits- und gegebenenfalls strafrechtlich' bewerten. Sie sei kriminalisiert worden, weil sie sich angeblich Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse beschafft habe. Erst nach energischem Protest ihres Anwalts habe das ZDF diese Ansage, die Meier als Einschüchterung empfand, zurückgenommen."
Im Deutschlandfunk habe ich gestern direkt mit Birte Meier sprechen können und auch erfahren, wie eine Weihnachtsfeier ihre Klage inspirierte. Mein Kollege Michael Borgers fasst eine Äußerung von ihr im Online-Text zum Interview so zusammen:
"Ungleiche Bezahlung sei nicht nur ein Problem des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und auch keines des Journalismus, sondern es betreffe so gut wie alle Branchen. In den acht Jahren habe sich bereits eine Menge verändert, aber es gebe noch immer viel zu tun."
Das ZDF hat sich zu der Einigung nicht geäußert, obwohl eine ganze Reihe von Redaktionen angefragt haben muss. Und auch wer auf den Nachrichtenseiten des Senders nach "Birte Meier" sucht, findet nur alte Beiträge von ihr…
Altpapierkorb (Ermittlungen gegen Till Lindemann, 11 Freunde, Propaganda im ORF, Journal du Dimanche, ARD-Musikwettbewerb, X)
+++ Die Ermittlungen gegen Rammstein-Sänger Till Lindemann sind eingestellt worden (Tagesschau). Grund ist, dass es nicht ausreichend Belege für einen Tatverdacht gegeben habe. In einer auf dpa-Informationen basierenden Meldung schreibt "Spiegel online": "Mutmaßliche Geschädigte, so die Behörde, sollen sich bislang nicht an die Strafverfolgungsbehörden gewandt haben. Die Angaben der Zeugin Kyla Shyx, die zunächst über YouTube Vorwürfe erhoben hatte, seien in den Vernehmungen zu 'unkonkret' geblieben." Eine weitere Frau habe anonym bleiben wollen und sei nicht vernommen worden. Mehr zu den Hintergründen steht in diesem Altpapier.
+++ Die Verteilung der Zeitschriftenschätze von Gruner+Jahr schreitet voran: Die Spiegel-Gruppe kauft von RTL 51 Prozent der Anteile am Fußball-Magazin "11 Freunde", wie sie selbst meldet. Sitz der Redaktion bleibt in Berlin, Ziel sei unter anderem eine Verzahnung der jeweiligen Online-Communities.
+++ Dass im ORF-Programm russische Propagandavideos aufgetaucht sind, ist in der taz zu lesen. Wien-Korrespondent Florian Bayer schreibt: "ORF-Korrespondent Christian Wehrschütz berichtet seit 2013 aus der Ukraine und fällt genauso lang durch die Verbreitung prorussischer Narrative auf." Mehr zum Thema steht in einem Text des österreichischen "Standard".
+++ Auf der FAZ-Medienseite widmet sich Jürg Altwegg im Aufmacher der französischen Medienlandschaft: "Die Machtübernahme beim 'Journal du Dimanche' bleibt indes eine Schande: Ein Milliardär kauft eine bestens eingeführte, traditionsreiche Zeitung, verordnet ihr eine radikal andere Ausrichtung, die Redaktion tritt geschlossen ab, ein neuer Chef tritt an."
+++ Die zukünftige Finanzierung des ARD-Musikwettbewerbs ist ebenfalls Thema auf der FAZ-Medienseite: Der Deutsche Musikrat kritisiert die geplanten Kürzungen.
+++ Bei X gibt es bald wieder politische Werbung (Tagesschau).
Das nächste Altpapier schreibt am Donnerstag René Martens.