Das Altpapier am 21. August 2023: Porträt des Altpapier-Autoren Klaus Raab
"Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren im aktuellen Altpapier die wichtigsten Medienthemen des Tages. Bildrechte: MDR | MEDIEN360G

Kolumne: Das Altpapier am 21. August 2023 Weniger vielfältig, aber niedrigschwellig

21. August 2023, 10:55 Uhr

In der ARD wird weiter reformiert, umgeschichtet, gespart. Der MDR stellt zum Beispiel seine eigene Gesundheitssendung ein, und der BR stößt auf Widerstand bei der Veränderung seines Kulturprogramms. Die "FAZ"-Diskussion über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk geht derweil auch weiter. Heute kommentiert Klaus Raab die Medienberichterstattung.

Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.

Der MDR konzentriert sich

Vor einigen Monaten hat der ARD-Vorsitzende Kai Gniffke das Wort "Gesundheitsmagazin" in die öffentliche Debatte über die Spar- und Reformnotwendigkeiten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks eingebracht. Gesundheitsmagazine gibt es in der ARD, unabhängig voneinander produziert, etwa beim SWR, beim NDR und beim MDR; und Gniffke sagte – auch in einem Interview mit unserer MDR-Redaktion von "Medien360G" – Kniebeschwerden seien "in Kiel genauso unangenehm wie in Konstanz", also kein regionales Thema. Er plädierte für ein gemeinsames Mantelprogramm, das die Dritten Programme teilen.

Abgeschlossen ist die Diskussion nicht, denn es gibt auch Argumente gegen solche Zusammenlegungen. Aber Gniffkes Beispiel ist in der Welt. Die MDR-Gesundheitssendung "Hauptsache Gesund" wird demnächst jedenfalls ersetzt – durch "Sendungen zu Gesundheitsfragen aus dem Angebot der ARD". Konkret "laufen derzeit Gespräche mit dem NDR zur Übernahme der Sendung 'Visite'", meldete der MDR selbst – einer Sendung, die "eine lange Geschichte und einen großen Bekanntheitsgrad im Sendegebiet des MDR" hat (meedia.de).

Es gibt gute Argumente für einen solchen Spar-, Optimierungs- oder Konzentrationsvorgang, den man, wie der MDR es selbst in seiner Pressemitteilung tut, auch "Reformprozess" und "Strategieprozess" nennen kann; das klingt netter. Dass sich eine Anstalt auf "Formate mit Alleinstellungsmerkmal" konzentriert (siehe auch lvz.de), ist eines davon: Es können nicht alle alles machen.

Dass durch eine solche Sparmaßnahme allerdings Vielfalt geschaffen und nicht etwa beschnitten würde, kann man nicht behaupten. Insofern ist der Einsatz des Adjektivs "vielfältig" in diesem Zusammenhang strategisches PR-Deutsch, und wir helfen gerne bei der Übersetzung. In der Pressemitteilung des MDR steht: "Künftig wird der MDR Gesundheitsinhalte aus dem vielfältigen Angebot der ARD übernehmen." Besser wäre: "Künftig wird der MDR Gesundheitsinhalte aus dem damit nun weniger vielfältigen Angebot der ARD übernehmen."

Das Dokufernsehen kultet ab

Dass beim MDR und den anderen ARD-Anstalten ein teils recht umfangreicher Reform- und Strategieprozess begonnen hat, hat etwas damit zu tun, dass Geld zwar da ist, aber nicht unbegrenzt. Und dass man mit dem vorhandenen Geld auch Leute erreichen will und muss, die bisher vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk nicht ausreichend erreicht wurden. Zu nennen wären hier zum Beispiel: die berühmten jungen Leute.

Einfach ist es nicht, sie anzusprechen, und Cornelius Pollmer hat in der "Süddeutschen Zeitung" vom Samstag hübsch spitz formuliert, was hier und da in diesem Prozess qualitativ schiefgeht:

"Die umfangreichen Bemühungen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, quasi über Nacht all jene jungen Zielgruppen zu erreichen, für die er sich noch bis vorgestern null Komma nichts interessiert hat, nehmen gerade im dokumentarischen Fernsehen oft erstaunliche Formen an. Da wird angebiedert und abgekultet, da gibt es gelegentlich Versuche, mit immer schnelleren Schnitten zu camouflieren, dass es an dem fehlt, was der Schnitt ja eigentlich ordnen und stärken soll: Inhalt."

Und weiter:

"In dieser Aufzählung noch nicht mal inbegriffen sind die zuweilen komplett ins Lächerliche kippenden Presenter-Dokus, bei denen Zuschauer themenunabhängig Reporterinnen und Reportern minutenlang zugucken müssen, wie sie E-Mails schreiben, nachdem sie im On gesagt haben, dass sie jetzt eine E-Mail schreiben. Wiederum nach dem E-Mail-Schreiben berichten dieselben Reporter dann, was das mit ihnen gemacht hat. Das im Sinne von: eine E-Mail schreiben."

Einige der neueren Marotten des Dokufernsehens, das es auf diese Art hinkriegt, einen inhaltlich nur mehrere dichte Minuten tragenden Beitrag zu einem sagenhaften Halbstünder auszubauen, hat Pollmer damit zusammengefasst. Dass diese zwei Textabsätze seine Kritik der MDR-Dokuserie "Pumping Beauty" einleiten, die der "SZ"-Autor richtig gut findet, ist etwas kurios. Aber auch eine Fernsehkritik muss halt in den ersten Sätzen schon ihr Publikum für sich gewinnen.

Der BR stärkt oder schlägt kahl

Die Debatte über die Reformen der Öffentlich-Rechtlichen treibt aber noch stärker ein weiterer Text aus derselben "SZ"-Ausgabe vom Samstag voran. Darin geht es um den "Kahlschlag" in der Kulturredaktion des Bayerischen Rundfunks und im Radiosender Bayern 2, dem ausgewiesenen Kultursender der öffentlich-rechtlichen Anstalt. Wobei, "Kahlschlag": Das sagen die einen, vor allem Redaktionsmitglieder. Die Leitungsebene spricht von einer "Stärkung". Kürzlich war in einem Altpapier schon von den unterschiedlichen Deutungen ausführlich die Rede. Stefan Fischer, der für die "Süddeutsche" den Hörfunk beobachtet, schreibt nun in einem guten Überblickstext (in dem der BR als Anstalt nicht sehr ausführlich zu Wort kommt, weil er die gestellten Fragen nicht wirklich beantwortet habe, so Fischer), es gehe um Fragen wie diese: "Was versteht der BR künftig unter Kultur? Wie speziell darf sie noch sein? Verändern sich Etats? Wie stellt sich der BR das Neben- und Miteinander von Bayern 2 und der immer wichtigeren Audiothek vor?"

Er schreibt:

"Dieser Konflikt ist beispielhaft für die Debatten, die gerade alle öffentlich-rechtlichen Anstalten führen. Und in denen zwangsläufig die bekannten Schlagworte fallen: mehr Programme für die Mediatheken, mehr Einsparungen, mehr Druck, das junge Publikum zu erreichen. Die Unruhe im BR hängt aber nur mit einer simplen Kernfrage zusammen: Verbessert die Programmreform das Kulturangebot? Oder soll sie nur kaschieren, dass der BR vor lauter Spardruck und digitaler Umschichtung weniger seriös als bisher mit dem gesetzlich definierten Kulturauftrag umzugehen gedenkt?"

Weiter könnte man dann fragen: Wird der Reformdruck, den es in den öffentlich-rechtlichen Häusern gibt, hier und da auch eingesetzt, um (Kultur-)Programm abzuschaffen, für das es im beitragsfinanzierten Rundfunk aber nun mal einen Platz geben muss? Und werden die berühmten jungen Leute als Zielgruppe wirklich ernstgenommen – oder werden sie nur angeführt, damit man um der Quote willen Miley Cyrus in Heavy Rotation spielen kann?

Ein Ziel der Reform sei jedenfalls "Generationengerechtigkeit", zitiert Stefan Fischer den BR und ergänzt, was "mehrere Kulturredakteure des BR im vertraulichen Gespräch" kritisieren würden:

"Es sei (…) auffallend, wie häufig der Begriff Generationengerechtigkeit in einem Atemzug mit dem Wort Niedrigschwelligkeit genannt werde. Ganz so, als könne man ein junges Publikum ausschließlich mit weniger komplexen Inhalten gewinnen."

Die "FAZ" diskutiert weiter mit Gästen

Gleichwohl: Man muss weiter streiten darüber, was gutes Programm ist. "Über die journalistische Qualität des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu streiten ist überfällig, schließlich kosten die Programme Milliarden an Gebühren", schreibt Thomas Hestermann in einem Gastbeitrag für die Medienseite der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". Sein Text steht in einer mittlerweile ordentlichen Reihe von in der "FAZ" erschienenen Gastbeiträgen über das Programm der Öffentlich-Rechtlichen, die zusammengenommen allmählich eine eigene Beilage füllen könnten. Angefangen mit der Furore machenden "Wutrede zum Zustand der Öffentlich-Rechtlichen" (Altpapier) des ehemaligen SWR-Intendanten Peter Voß, der eine Erwiderung von WDR-Chefredakteur Stefan Brandenburg folgte (Altpapier), woraufhin der Dramaturg Bernd Stegemann mit einem erstaunlich manipulativen Manipulationsvorwurf ans "heute journal" in die Bütt stieg (Altpapier), dem "heute journal"-Redaktionsleiter Wulf Schmiese – einst bei der "FAZ" – entschieden widersprach (Altpapier). Was Benedikt Fehr, einst ebenfalls bei der "FAZ", dann bei der Deutschen Bundesbank, auch "zu denken gab", wie er vergangene Woche schrieb – hätte das ZDF dann nicht "am gleichen Abend" kritisch über die Pläne des Finanzministers berichtet. (Spott gab es dafür von der "taz").

Und nun also Hestermann, heute Professor für Journalismus an der Hochschule Macromedia in Hamburg, vorher Redaktionsleiter bei Phoenix und Reporter für öffentlich-rechtliche und private Sender. Er fasst zunächst Stegemanns Kritik zusammen, "die Sender folgten etwa beim Thema Migration 'einer einseitigen Agenda'" – eine Kritik, die Stegemann mit einem einzigen "heute-journal"-Beitrag belegt, der "für Größeres" stehe: "'Die Empfindung, dass mit manchen Beiträgen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk etwas nicht stimmt, teilen inzwischen viele Menschen. (…) Der Eindruck der Manipulation rührt von einem viel tiefer gehenden Phänomen her.’"

Hestermanns Gegenrede lautet allerdings: "Empfindung und Eindruck werden bemüht, doch der empirische Nachweis fehlt." Das ist ein Kernproblem der so gern bemühten Behauptung, das Programm "der Öffentlich-Rechtlichen" sei einseitig, also politisch nicht ausgewogen. Wer über mangelnde Ausgewogenheit sprechen und dabei nicht nur auf den Putz hauen, sondern sie wirklich belegen will, wird sich schon die Mühe machen müssen, über Einzelbeispiele hinauszugehen.

Hestermann schreibt:

"Es macht (…) Wissenschaft aus, dass sie Empfindungen und Eindrücke systematisch prüft, etwa durch standardisierte Analysen kontrollierter Stichproben. (…) Dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk Eingewanderte und Geflüchtete besonders wohlwollend darstellte, lässt sich nicht bestätigen. Tatsächlich zeigt 2023 die Analyse von 506 Beiträgen, dass die öffentlich-rechtlichen Sender die Risiken der Migration ähnlich wie die privatrechtlichen Sender und deutlich stärker als die untersuchten Zeitungen gewichten."

Es wird sich aber nun gewiss jemand finden, der eine weitere Gegenrede hält. Der nächste Aufreger wurde jedenfalls am Wochenende schon ventiliert… Es ging um Otto Waalkes und Harald Schmidt. Mehr dazu im Altpapierkorb.


Altpapierkorb (Warnhinweise im WDR, ARD-Talks, "Spiegel" über "Pioneer", Fernsehfußball)

+++ Die Idee des WDR, alte Ausgaben von "Schmidteinander" und der "Otto-Show" mit Warnhinweisen zu versehen, kommt eher unterschiedlich gut an. "Das folgende Programm wird, als Bestandteil der Fernsehgeschichte, in seiner ursprünglichen Form gezeigt. Es enthält Passagen, die heute als diskriminierend betrachtet werden", ist zu lesen, wenn man die betroffenen Sendungen in der Mediathek anklickt bzw., wie im Fall der "Schmidteinander"-Wiederholungen, im linearen Nachtprogamm anschaut. "Überdrehter Tugendfuror", findet Imre Grimm bei rnd.de, und die "SZ" steigt ein: "Comedy mit Warnung, das klingt schon fast wie eine verschärfte Form von PR." Gewarnt werden muss jedoch vor der Lektüre von allzu vielen Texten zum Thema. Sonst liest man vielleicht noch irgendwo, dass der WDR Otto-Waalkes-Shows behandle, "als wären es NS-Wochenschauen".

+++ Auch vor Reformen stehen – womöglich – die Talks der ARD. "(D)as oberste Kontrollgremium der ARD, die Gremienvorsitzendenkonferenz (GVK), die leitende Kontrolleure aller Landesanstalten von BR bis Radio Bremen vereint, hat die Talkshows zum Prüffall erklärt", schreibt heute die "Süddeutsche". Die GVK bitte "mit Blick auf die Ende 2023 auslaufenden Verträge der Polit-Talks im Ersten um zeitnahe Information und beratende Einbeziehung hinsichtlich einer künftigen crossmedialen Gesamtkonzeption".

+++ "Der Spiegel" schreibt über das Onlineportal "The Pioneer" des ehemaligen "Spiegel"-Manns Gabor Steingart, das "nicht mal Spurenelemente von Selbstzweifeln" enthalte. Überlassen wir das Wort an dieser Stelle Stefan Niggemeier, der im "Übermedien"-Newsletter dazu schreibt: "Kern der Geschichte ist der Vorwurf, dass Unternehmen und Vereine, die das Redaktionsschiff für eigene Veranstaltungen buchen, dafür möglicherweise auch eine redaktionelle Vorzugsbehandlung bekommen." Der "Spiegel" habe dafür "ein paar Indizien, ein direkter Beweis fällt naturgemäß schwer", aber in dieser Form sei "die unendlich lange "Spiegel"-Geschichte (…) vor allem ein erschütterndes Dokument einer gescheiterten Recherche".

+++ Der "Tagesspiegel" beschäftigte sich in den vergangenen Tagen auch mit Fußball im Fernsehen. Anlass gab es ja: WM-Finale der Frauen, Männer-Bundesligastart… Zum einen geht es um die Zukunft der ARD-"Sportschau", zum anderen um die Zukunft der Frauenfußballübertragungen.

Am Dienstag schreibt das Altpapier René Martens.

Mehr vom Altpapier

Kontakt