Kolumne: Das Altpapier am 11. August 2023 Ui, Multimedia
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11. August 2023, 10:26 Uhr
Der Wettbewerb der Streamingdienste wird noch heißer. RTL hat eine neue App, Disney neue Geschäftsideen und Union Berlin einen neuen Trikotsponsor. Erste Einschätzungen des Digitale-Dienste-Gesetzes klingen nach viel neuem Streit. Außerdem: worüber deutschsprachige Medien sehr wenig berichten. Heute kommentiert Christian Bartels die Medienberichterstattung.
Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.
Wettkampf der Werberahmen (Bertelsmann, Disney)
Hier bzw. hier wär sie je nach mobilem Betriebssystem zu haben, die "erste Multimedia-App", bei der "Entertainment jetzt All Inclusive" sein soll. Also Entertainment im Sinne von: "mehr als 2.000 Serien, Realitys, Live-Sport, Filme, Musik, Hörbücher und Podcasts". Hm, wenn man die teilweise nicht direkt vergleichbaren Kategorien zusammenzählt, sind 2.000 Stück nicht eher wenig? Aber Zeitschrifteninhalte von Gruner+Jahr kommen dann ja auch noch hinzu. Und die ausführlichere Pressemitteilung zählt auf:
"Teil des Pakets sind über 55.000 Programmstunden an Video- und TV-Entertainment, über 120 Millionen Musiktitel und damit alle im Musikstreaming gängigen Kataloge und Künstler:innen, mehr als 100.000 Hörbücher und Hörspiele von Top-Verlagen und -Autoren sowie mehrere tausend Podcast Formate, darunter rund 200 erfolgreiche Eigenproduktionen von RTL+. Vervollständigt wird das Angebot in Kürze durch Magazintitel von Gruner + Jahr"
Damit ist die neue multimediale App, an der bei Bertelsmann laange getüftelt wurde – nicht zuletzt, um die umstrittene, teure Eingemeindung des zuvor verkleinerten Verlags Gruner+Jahr zu rechtfertigen – nun zu haben. Dass Michael Hanfeld der "Superduper-App" skeptisch gegenübersteht, stand schon gestern hier im Korb. Freundlich von einer "Revolution" spricht dagegen dwdl.de:
"Mit seinem Multimedia-Angebot in einer App sowie der Vielfalt und Vielzahl an Eigenproduktionen wirkt die Positionierung von RTL+ im Wettbewerb jedenfalls weitaus offensiver und derzeit schlüssiger als bei Joyn",
wobei es allerdings nur um den imaginären deutschen Privatsender-Wettbewerb geht. Tatsächlich konkurrieren RTL und ProSiebenSat1s Joyn ja, außer mit den Öffentlich-Rechtlichen, auch mit Netflix, Amazon und Co. Im "FAZ"-Wirtschaftsressort schrieb Susanne Preuß unter der Online-Überschrift "Warum Thomas Rabe RTL-Chef bleiben will", dass RTL in Deutschland
"im ersten Halbjahr 12 Prozent der Einnahmen aus Werbung eingebüßt [hat]. Verglichen mit 2019, dem letzten Jahr vor Beginn der Pandemie, sind es sogar 25 Prozent weniger Werbeeinnahmen".
Und dazu kommt nun die Nachricht, dass auch Disney in Deutschland ins Werbe-Streaming einsteigen wird. Bei dwdl.de wird wie stets freundlich formuliert ("Disney+ führt Abo-Modell mit Werbung in Deutschland ein"), anderswo weniger (dpa/"Berliner Zeitung": "Streamingdienst Disney+ wird teurer und beendet Passwort-Sharing"). Es handelt sich um dieselbe Medaille. (Und die Methode, Passwort-Teilen erst mal zum Reichweiten-Gewinn zu tolerieren und später zu unterbinden, ist vom Markführer Netflix bekannt, und führte nach dessen Angaben "trotz anfänglicher Unzufriedenheit zu höheren Abonnentenzahlen und Umsätzen", weiß die dpa). Heißt: Für Anbieter wie RTL wird die Konkurrenz überall schärfer, sowohl beim Verkaufen von Streaming-Abos als auch beim Verkaufen von Werbespots.
Disney ist viel, viel größer als Bertelsmann/RTL, nach Umsatz in der mediadb.eu-Liste fast viermal so groß. Es macht derzeit aber auch größere Verluste, wie Timo Niemeier in einem weiteren dwdl.de-Beitrag beschreibt. Daheim in den USA stelle der Konzern das lineare Fernsehen, an dem er lange gut verdiente, zur Disposition, und baue eher auf Kreuzfahrten. Was in all den Disney-Artikeln nicht drin steht, bloß als kleine Meldung im "FAZ"-Wirtschaftsressort stand (weshalb wir hier mal in die USA zu CNN schalten): Dort startet Disneys Sportsender ESPN dann noch ein neues Geschäftsmodell namens "ESPN Bet". Das ist nicht religiös gemeint, sondern muss englisch gelesen werden: Der ach so familienfreundliche Konzern steigt auch noch ins fiese Sportwetten-Geschäft ein.
Unterdessen auf dem Paramount ...
Wenn der Männer-Vereinsfußball-Betrieb mit seinen wöchentlich immer noch mehr zeitversetzt stattfindenden und gegen Gebühr ausstrahlbaren Attraktionen nun wieder losgeht, wird der Schriftzug eines Konkurrenten von Disney und RTL auf vielen Bildschirmen jut zu sehen sein. Nicht etwa, wenn RTL Europa League-Spiele überträgt (vorerst zumindest), aber wenn Amazon oder DAZN die viel teureren Champions League-Spiele senden und später, wenn das ZDF sie zusammenfasst. Union Berlin hat als neuen Trikotsponsor Paramount+ gewonnen.
Das ist etwas bizarr. Weniger, weil im Union-Stadion die Zeile "Wer lässt sich nicht vom Westen kaufen?" aus Nina Hagens Lied immer auf viel Resonanz stößt, während der Paramount-Berg doch ein Inbegriff des sog. Westens ist. Eher, weil Paramount den Teufel tun wird, ins europäische Wettbieten um die Rechte an Fußballspiel-Übertragungen einzusteigen.
"Fußball ist mittlerweile angesichts der exorbitant gestiegenen Ablösesummen und Spielergehälter ein ruinöses Geschäft, das immer stärker von der Alimentation anderer lebt. Hauptfinanziers im internationalen Fußball sind irgendwelche Scheichs und national ist es vor allem das Fernsehen".
So zitierte, schon vor fast einem Monat, aber weiter aktuell, die dpa (hier via Madsacks RND) den Kommunikationswissenschaftler Michael Schaffrath von der TU München. Das liegt fast schon einen Monat zurück, stimmt aber weiter weiterhin.
Hier passt dann noch die tagesaktuelle Nachricht, dass Paramount nun endlich seinen Verlag Simon & Schuster verkauft hat. Eigentlich hätte es ihn an Bertelsmann verkauft, das außer aufs deutsche RTL ja auch global auf Buchverlage setzt. Doch das verboten die US-amerikanischen Kartellbehörden (die anders als deutsche und EU-europäische bei internationalen Mediengeschäften scharf vorgehen). Weshalb der Verlag nun an den Finanzinvestor KKR ging, der unter sehr vielem anderen ja auch dick beim deutschen Springer-Konzern drinsteckt...
DDG, KDD, oh je oh je
Am Montag ging's hier ums frisch vorgestellte Digitale-Dienste-Gesetz, also die deutsche Version des EU-Gesetzes DSA (Digital Services Act). Allmählich trudeln erste Medien-Einschätzungen des Entwurfs ein. Heute schreibt Michael Hanfeld in der "FAZ": Das DDG "bricht ... nicht nur mit dem Prinzip des Föderalismus, sondern auch mit dem Prinzip der Staatsferne". Er kritisiert die teure "neue Behördenstruktur" rund um die Bundesnetzagentur, für die rund 13 Millionen Euro vorgesehen seien, und:
"Nicht mit von der Partie sind diejenigen, die sich bislang damit beschäftigt haben, dass die Digitalkonzerne sich an Recht und Gesetz halten – die Landesmedienanstalten. Sie haben sich über die Jahre Expertise erarbeitet, über die weder die Bundesnetzagentur noch die Bundeszentrale für Kinder- und Jugendmedienschutz verfügen. Die Landesmedienanstalten haben Hunderte von Verfahren eingeleitet, auch grenzüberschreitend, und einen direkten Draht zu den Kriminalämtern zur Verfolgung strafrechtlich relevanter Taten entwickelt."
Was der Selbstwahrnehmung der Anstalten entspricht, deren derzeit wohl einflussreichster Vertreter, Tobias Schmid aus Nordrhein-Westfalen, sich dann auch in kräftigen Worten ("... bleibt die Erkenntnis, dass die Staatsferne der Medienaufsicht offenbar im eigenen Land keine Rolle spielt") äußert. Ob Hanfeld mit seiner Print-Überschrift "Der digitale Radikalenerlass" überdies eine Verbindung mit dem "Radikalenerlass" der 1970er ziehen will, bleibt irgendwie offen ...
Positiver wird's bei netzpolitik.org gesehen, wo freilich ein Gastautor kommentiert und mit "KDD" noch eine neue Abkürzung in die Debatte wirft. Für "Koordinierungsstelle für digitale Dienste" steht das (und ist wohl frei; die gleichnamige, kurzlebige Serie aus der Zeit, als die Öffentlich-Rechtlichen sich mal um gute Krimiserien im linearen Programm bemühten, ist ja ziemlich vergessen). Dann schreibt Julian Jaursch:
"Aktuell ist eine Vielzahl unterschiedlicher Behörden mit eng begrenzten Kompetenzen und Ressourcen dafür verantwortlich, Plattformen auf die Finger zu schauen. Statt diese Taktik der tausend Stiche fortzuführen, die wohlwollend als behäbig bezeichnet werden kann, ist es im Interesse der Verbraucher:innen, Kompetenzen und Expertise zu bündeln. Das soll sicherstellen, möglichen Entgleisungen bei Plattformen nicht nur begegnen zu können, sondern sie bestenfalls zu verhindern."
Wobei Gastautor Jaursch für die Stiftung Neue Verantwortung arbeitet, die bei all der einbringbaren "Expertise" – hier fällt der Begriff gar sechsmal – vermutlich vor allem ihre eigene im Sinn hat. Klingt nach viel langwierigem, alles weiter verzögernden Streit, der am Ende durch noch noch kompliziertere Strukturen notdürftig behoben wird.
Worüber verdammt wenig berichtet wird
Die beste Nachrichtensendung im deutschen Fernsehen? Das österreichische "ZiB 2" auf 3sat, sage ich manchmal. Die mehr gesehene, da "täglich um 19.30 Uhr gleichzeitig auf ORF 1 und ORF 2 ausgestrahlte" "ZiB 1" ist nicht besser als die "Tagesschau", sagt Ladislaus Ludescher. Der Germanist untersucht seit Jahren (vgl. diverse Altpapiere), aus welchen Regionen deutsche Nachrichtensendungen berichten, bzw. wie intensiv sie es aus dem Globalen Süden tun. Nun ist er beim ja auch deutschsprachigen österreichischen ORF angelangt (ejo-online.eu). Ergebnis:
"Weniger als 10 Prozent der Sendezeit von Österreichs wichtigster Nachrichtensendung Zeit im Bild (ZIB) 1 und der größten österreichischen Nachrichtenseite ORF.at entfallen auf den Globalen Süden, obwohl dort etwa 85 Prozent der Weltbevölkerung lebt."
Tatsächlich müsste die Dominanz jeweils nationaler und US-amerikanischer Themen in Nachrichtenmedien frappieren, oder hängt sie einfach damit zusammen, dass Medien meistens nationalen oder US-amerikanischen Konzernen gehören? Interessante Themen, die anderswo spielen (und doch mit Deutschland zusammenhängen), gäbe es immer auch im Medienressort. Aktuell ließe sich etwa Vietnam nennen, wo die "taz" sich darüber wundert, gerade als wahrscheinlich einziges fremdsprachiges Internetangebot gesperrt zu werden. Das hängt vermutlich mit ihrer Berichterstattung über Nguyen Thị Thanh Nhan zusammen, die "in Ungnade gefallene langjährige Geliebte von Vietnams Premierminister", die nach Deutschland floh, wo ihr aber Entführung durch den vietnamesischen Geheimdienst droht. So was kam nämlich schon vor. Über das Land gibt es derzeit manchmal Berichte als wichtigen, gern zum Umgehen Chinas genutzten Industrie-Standort. Hätten Sie gewusst, dass Vietnam auf der Pressefreiheits-Rangliste der Reporter ohne Grenzen drittletzter ist?
Viertletzter ist der Iran, vor dessen Hackern und deren Versuchen, "vertrauliche persönliche Informationen iranischer Oppositioneller in Deutschland zu erbeuten", gerade das Bundesamt für Verfassungsschutz warnte. Obwohl die Hacker-Gruppierung aus dem islamistischen Folterstaat sich den attraktiven Namen "Charming Kitten" gab, findet sich darüber so gut wie nichts in deutschen Medien, außer bei heise.de.
Altpapierkorb ("heute-journal", "Monitor", Bandbreiten-Ziel, Eduard Zimmermann)
+++ Weiter geht natürlich die große Öffentlich-Rechtlichen-Diskussion. Nach WDR-Chefredakteur Stefan Brandenburg am Dienstag (Altpapier) trat am Donnerstag Bernd Stegemann auf der "FAZ"-Medienseite mit "Beitrag im ZDF-'heute journal': Manipulation in Bild und Ton" an. Stegemann ist definitiv ein kluger Kopf, freilich als Unterstützer der Noch-Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht umstritten. Klüger wäre wohl gewesen, weniger absolute Formulierungen zu wählen. "'Es ist noch kein AfD-Politiker unbemerkt in eine Befragung geraten, wo er seine Partei als 'neutrale Stimme' über den Klee loben konnte', schreibt Stegemann ...: Die Fehler bei ARD+ZDF passierten alle nur 'in eine politische Richtung'", zitierte Stefan Niggemeier bei Twitter/X, um dann mit "Najaaa" eines der Gegenbeispiele zu verlinken, die es natürlich gibt. Stegemanns Text, frei online hier zu haben, ist dennoch lesenswert, sowohl wegen des Argumentierens mit Montagetechnik à la Eisenstein. +++
+++ Zum am Dienstag hier auch erwähnten sprachpolizeilichen Denkanstoß von "Monitor" wurde der folgende Hanfeld-Kommentar überdurchschnittlich oft geteilt. +++ "Vielleicht hat Monitor nur eine besserwisserische Überlegenheits-Position eingenommen, die dem Magazin als so selbstverständlich erscheint, dass sie gar nicht mehr wahrgenommen wird?", fragt "Telepolis". +++
+++ Da Jahrestage im Dezimalsystem ja (eigentlich) immer gute Anlässe für Berichte sind:
"Das zehn Jahre alte Ziel, bis 2018 alle deutschen Haushalte mit einem Festnetzanschluss mit einer Download-Bandbreite von mindestens 50 Mbit/s zu versorgen", ist auch fünf Jahre danach noch unerreicht, meldet heise.de. +++
+++ Als Muster dafür, wie auf nicht so tollen linearen Sendeplätze programmierte (und in der Mediathek auch nicht leicht zu findende) Filme als Mediatheken-Attraktionen dennoch viel Aufmerksamkeit erhalten, kann künftig wohl "Diese Sendung ist kein Spiel – Die unheimliche Welt des Eduard Zimmermann" gelten. Der Dokumentarfilm von Regina Schilling ("Kulenkampffs Schuhe") wird überall besprochen, hier nur internationale Besprechungen aus Österreich und der Schweiz. Und hier wäre der Film dann zu sehen. +++
Das nächste Altpapier kommt am Montag von Johanna Bernklau. Schönes Wochenende!