Das Altpapier am 10. August 2023: Porträt des Altpapier-Autoren Ralf Heimann
"Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren im aktuellen Altpapier die wichtigsten Medienthemen des Tages. Bildrechte: MDR | MEDIEN360G

Kolumne: Das Altpapier am 10. August 2023 Einladung an alle?

10. August 2023, 12:12 Uhr

Björn Höcke hat im MDR ein Sommerinterview gegeben. Wieder stellt sich die Frage: Muss das denn sein? Die Antwort ist in jedem Fall eines: kompliziert. Heute kommentiert Ralf Heimann die Medienberichterstattung.

Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.

Rundfunkfreiheit vs. Propaganda

Der rechtsextreme thüringische AfD-Landessprecher Björn Höcke hat gestern beim Altpapier-Host MDR sein jährliches Sommerinterview gegeben, und eine Antwort auf die offenbar immer wieder gestellte Frage, warum das denn sein muss (Altpapier), gibt der Sender in einem Frage-und-Antwort-Teil auf seiner Website:

"Es ist unsere Aufgabe, die Positionen in der Thüringer Politik für die Menschen im Freistaat transparent zu machen und einzuordnen. Interviews sind als klassische journalistische Darstellungsform dafür unverzichtbar. Ein Ausschluss der prägenden Figur der Thüringer AfD, die im Thüringer Landtag die drittgrößte Fraktion stellt, verträgt sich nicht mit unserem journalistischen Auftrag."

Festgelegt ist dieser Auftrag im Medienstaatsvertrag und in den jeweiligen Landesrundfunkgesetzen, in Thüringen ist das das Thüringer Landesmediengesetz. Und im Medienstaatsvertrag steht zum Beispiel, dass öffentlich-rechtliche Sender "die einem öffentlich-rechtlichen Profil entsprechenden Grundsätze der Objektivität und Unparteilichkeit achten und in ihren Angeboten eine möglichst breite Themen- und Meinungsvielfalt ausgewogen darstellen" sollen.

Sie müssen das politische Geschehen also angemessen abbilden und dabei darauf achten, dass die Rechte von Parteien nicht verletzt werden. Allerdings gibt es auch Schranken, das sind die eigenen Rechte der Sender, vor allem die Rundfunk- und Pressefreiheit.

Der Jurist und "Monitor"-Redaktionsleiter Georg Restle und der Jura-Professor Andreas Fischer-Lescano haben sich vor zwei Jahren in einem Aufsatz für den Verfassungsblog mit der Frage beschäftigt, ob eine Partei wie die AfD sich in Talkshows einklagen kann.

Die Antwort ist, wenig überraschend, kompliziert. In der Argumentation der beiden Autoren geht es unter anderem um die Frage, ob die AfD sich überhaupt in vollem Umfang auf die Rechte berufen kann, die Parteien eingeräumt werden. Das hängt laut Restle und Fischer-Lescano auch davon ab, ob die Parteien "Sachwalter des Interesses der Allgemeinheit" sind.

Die Autoren schreiben: "Präsenzansprüche können nur von 'Sachwaltenden des Allgemeininteresses' erhoben werden, und diese Voraussetzung erfüllen laut Bundesverfassungsgericht Parteien nicht, wenn sie der Menschenwürde, Demokratie und Frieden feindlich gegenüberstehen. Dass für solche Parteien nicht die gleichen Voraussetzungen gelten, leiten die Autoren aus der Geschichte und der Begründung der Rundfunkfreiheit her,

"wonach der öffentlich-rechtliche Rundfunk als unabhängiges Bollwerk gegen alle Versuchungen etabliert wurde, in den staatlichen Totalitarismus der NS-Zeit zurückzugleiten. Nie wieder Rundfunk als Propagandaapparat eines Reichspropagandaministers!"

Vereinfacht dargestellt: Wer völkische, nationalistische oder rassistische Ideologien verbreitet, kann nicht verlangen, dass auch das in angemessener Weise und unparteiisch dargestellt wird.

Es gehe allerdings nicht darum, diese Parteien totzuschweigen, sondern einen kritischen Umgang mit ihnen zu pflegen, ohne ihnen eine Plattform zur Verbreitung ihrer Ideologien zu geben, schreiben Restle und Fischer-Lescano. Das nur kurz im Überblick, um auf einen aktuellen Twitter-aka-X-Thread des österreichischen ORF-Journalisten Armin Wolf überleiten zu können.

Doch alles gar nicht so schlimm?

Wolf schreibt dort, er finde die Argumentation nicht überzeugend. Wolf:

"Wenn die AfD eine verfassungsfeindliche Partei ist die die Demokratie gefährdet, dann müsste sie von Wahlen ausgeschlossen und verboten werden."

Das sei sie aber nicht. Das Urteil darüber, ob eine Partei demokratisch legitimiert sei, müssten seiner Einschätzung nach die Gerichte fällen.

Auf diesen immer wieder genannten Punkt gehen Restle und Fischer-Lescano in ihrem Aufsatz bereits ein, wenn über eine Ecke. Sie unterstellen, dass die AfD ihre verfassungsfeindlichen Ziele zu kaschieren versuche und verweisen dazu auf einen "Monitor"-Beitrag aus dem Jahr 2019, der sich mit der Medienstrategie der Partei beschäftigt.

Wolf argumentiert also: Solange eine Partei demokratisch gewählt beziehungsweise nicht verboten ist, muss man sie behandeln wie eine demokratisch wählbare und nicht verbotene Partei. Restle und Fischer-Lescano unterstellen die mögliche Absicht, weiter als so gut es geht als so eine Partei durchzugehen, um auf demokratischem Weg an die Macht zu kommen und dann das zu machen, was man eigentlich vorhat.

Das ist eine Annahme, über die man sagen könnte: Wenn sie sich belegen ließe, könnte man die AfD doch verbieten. Aber genau hier liegt die Schwierigkeit, wenn das Bemühen tatsächlich ist, das System mithilfe der von ihm gewährten Freiheiten zu überrumpeln. Dann wäre die Absicht ja gerade, diese Belege nicht zu liefern und weiterhin den Eindruck zu vermitteln: So schlimm sind die doch gar nicht, was offenbar immer wieder gelingt – zum Beispiel in zwei vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk verbreiteten Podcast-Folgen mit Markus Lanz und Richard David Precht, wie Andrej Reisin für "Übermedien" sehr sorgfältig herausgearbeitet hat:

Precht spricht in dem Podcast über das AfD-Wahlprogramm und stellt an einer Stelle, wie Reisin schreibt, "überrascht fest":

"Da steht aber nichts drin von wegen Leute aus dem arabischen Kulturkreis sind rassisch minderwertig und sollen sich hier nicht mit arischem Blut vermischen. So würde es wahrscheinlich klingen, wenn Björn Höcke das Programm geschrieben hätte, der es sicher nicht geschrieben hat, vielleicht noch nie reingeguckt hat."

Reisin schreibt:

"Diese an Banalität kaum zu übertreffende Feststellung zeigt das ganze Dilemma dieser Art gefährlichen Halbwissens. Natürlich schreibt die AfD sich keine Dinge in ihr Parteiprogramm, mit denen Lieschen Müller nach Karlsruhe rennen und die Partei verbieten lassen könnte. Dass Precht glaubt, allein das zeige bereits, dass es mit der Radikalität nicht so weit her sei, zeigt nur, wie wenig er überhaupt begriffen hat. Auch die plumpe Vermutung, Höcke, der um jede Formulierung von Anträgen auf Parteitagen ringt und feilscht, habe 'vielleicht noch nie' ins Parteiprogramm geguckt (Lanz: 'mmhmm!'), ist an Naivität nicht zu überbieten."

Reisin schlussfolgert:

"Genau diese bräsige Arroganz, gepaart mit völliger Unterschätzung des Gegenstandes ist es, was der AfD medial so stark in die Karten spielt."

Sabotage und Interviews

Dabei muss man oft gar nicht zwischen den Zeilen lesen, weil die AfD auch immer wieder offen verrät, worum es ihr eigentlich geht. Reisin zitiert in seinem Text zum Beispiel aus dem Buch des Europawahl-Spitzenkandidaten der AfD, Maximilian Krah, der zum Umgang mit Medien schreibt:

"Die etablierten Medien, egal ob öffentlich-rechtlich oder privatrechtlich organisiert, sind von staatlicher Finanzierung abhängig, personell mit den etablierten linksliberalen politischen Akteuren verflochten, und ihre Redakteure sind selbst nahezu ausschließlich Linke. […] Es kann also nicht darum gehen, in ihnen zu reüssieren, sondern nur darum, ihre Glaubwürdigkeit in Frage zu stellen."

Das schließe keineswegs aus, jede sich bietende Gelegenheit zu nutzen, die eigene Position in ihren Formaten darzustellen. Und nach diesem Prinzip verfährt Höcke anscheinend auch beim MDR.

Immer wieder versucht er, das Gespräch weg von den Themen zu lenken, über die Moderator Lars Sänger gerne sprechen würde. Höcke stellt in Frage, ob das die "Menschen da draußen" überhaupt interessiert und spricht einfach weiter, wenn Sänger versucht, ihn zu unterbrechen, sodass immer wieder Situationen entstehen, in denen man nichts versteht, weil Höcke und Sänger gleichzeitig reden.

Und auch wenn es in AfD-Interviews immer mal wieder gelingt, auf Widersprüche und Unstimmigkeiten hinzuweisen, ist die Frage, ob das der Partei überhaupt schadet, solange sie einfach zu Wort kommt.

Im Podcast hatte Markus Lanz sich etwa darüber gefreut, dass Steffen Kotré, der klimapolitische Sprecher der AfD, den Widerspruch in seiner Sendung "sportlich genommen" habe. Reisin schreibt, für Kotré sei es

"völlig ausreichend, seine Erzählung der 'CO-Theorie' bei Lanz vor einem Millionenpublikum untergebracht zu haben."

Reisin:

"Man mag das zynisch oder schlicht dumm finden, aber man sollte die Augen nicht davor verschließen, dass der klimapolitische Sprecher, der seine vermeintliche rhetorische Niederlage bei Lanz 'sportlich' nimmt, gar keine solche erlitten hat."

Es könnte also sein, dass die AfD sich einfach auf den Bestätigungsfehler verlässt, also darauf, dass Menschen ohnehin nur das hören, was sie hören wollen. Oder wie Reisin schreibt:

"Wem sein Auto, der eigene Job in einer energieintensiven Branche, der eigene Wohlstand auch näher sind, als die für viele (trotz aller bereits eingetretenen Veränderungen) immer noch abstrakten Gefahren der globalen Erderwärmung, ist für solche Botschaften möglicherweise sehr empfänglich. Und ein Markus Lanz 'entzaubert' daran gar nichts."

Es gibt trotzdem Gründe, Höcke auch weiterhin einzuladen, denn das würde den Opfermythos der AfD nähren und könnte als Eingeständnis verstanden werden, Höcke in Interviews nicht gewachsen zu sein – wobei man die Frage stellen kann, ob ein Interview überhaupt das richtige Format ist, um sich mit einer Partei auseinanderzusetzen, deren Akteure das nur deshalb machen, um die Gespräche zu sabotieren, also, siehe oben, um die Glaubwürdigkeit des Mediums in Frage zu stellen. Genau das macht Höcke etwa, wenn er kritischen Fragen immer wieder ausweicht, indem er laut bezweifelt, ob die gestellten Fragen die "Menschen da draußen" überhaupt interessieren.

An dieser Stelle wird der autoritäre Kern der Partei sehr deutlich sichtbar. Es geht hier nicht um den argumentativen Wettstreit, also darum, sich auf ein Gespräch einzulassen, um mit den besten Argumenten zu überzeugen. Es geht einfach um die Frage, wie man Gespräche am besten hacken kann, um Propaganda zu verbreiten. Wie kann der Journalismus sich dazu verhalten?

Zum Anspruch neutral zu bleiben hat Andrej Reisin ein sehr schönes Zitat des Politikwissenschaftlers Marcel Lewandowsky gefunden, das der in einem Tweet an seinen Account geheftet hat. Es lautet:

"Forscher sollen natürlich neutral sein. Als Politikwissenschaftler bin ich dem Autoritarismus gegenüber so neutral wie der Onkologe gegenüber der Krebserkrankung."


Altpapierkorb (Rammstein, Ruhegeld, Besetzung der Kontrollgremien, die attraktive Kritiker-Rolle, Thomas Rabe klebt sich fest, die RTL-App und die Krise)

+++ Thomas E. Schmidt schreibt in der neuen Ausgabe der "Zeit" über die Berichterstattung und die juristische Auseinandersetzung im Fall Rammstein (Altpapier). Unter anderem geht es dabei um Till Lindemanns Anwalt Simon Bergmann, der Medien vorwirft, Metoo-Fälle aus Eigennutz aufzugreifen, um damit Geld zu verdienen. Die Empörung in der Öffentlichkeit kritisiert er als "puritanische Hypermoral". Und um das einzuordnen: Das ist der Versuch, die Fälle rein strafrechtlich zu betrachten. Dann kommt am Ende nämlich unter Umständen heraus: Das war alles legal. In der Berichterstattung geht es allerdings auch um die Sphäre, in der es zwar nicht um Straftaten geht, aber um zweifelhaftes Verhalten.

+++ Der RBB bietet seinem Spitzenpersonal in Zukunft keinen finanziellen Rundum-Airbag, wenn das Arbeitsverhältnis noch vor dem Ruhestand endet. Der Sender verabschiedet sich von der umstrittenen Ruhegeld-Regelung, berichtet unter anderem "epd Medien". Laut dem Bericht betrifft das auch schon die scheidende Interimsintendantin Katrin Vernau und ihre Stellvertreterin, Programmdirektorin Martina Zöllner.

+++ In der taz schreibt Wilfried Urbe über den neuen Medienstaatsvertrag, die stärkere Rolle der Verwaltungsräte und die Probleme bei ihrer Besetzung. Zur Frage, ob die Gesellschaft sich in solchen Medien überhaupt noch abbilden lässt, zitiert Urbe den Hamburger Jura-Professor Wolfgang Schulz, der sagt: "Es ist keine Ideallösung. Aber der öffentlich-rechtliche Rundfunk muss eine Bindung an die Gesellschaft haben und es sollte einen hochprofessionellen Verwaltungs- und Rundfunkrat geben. Dafür wird ein Repräsentationsorgan benötigt, auch wenn das System Schwächen hat."

+++ Die Ministerpräsidenten Dietmar Woidke (SPD) und Markus Söder (CSU) stellen sich gern auf die Seite der Kritiker des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Aber den ZDF-Verwaltungsrat, wo sie Veränderungen anstoßen könnten, haben beide verlassen. Ex-Altpapier-Autor Matthias Dell erklärt in seiner Kolumne für das Deutschlandfunk-Medienmagazin "@mediasres", welchen Grund das haben könnte. Dell: "In Bayern wird im Herbst gewählt, in Brandenburg im nächsten Jahr. Da scheint die Rolle des externen Kritikers attraktiver, als tatsächlich intern Verantwortung zu übernehmen."

+++ Eigentlich wollte Bertelsmann-Chef Thomas Rabe maximal ein Jahr lang an der Spitze stehen. Aber nachdem die Zahlen schlecht sind, wird er wohl doch erst mal bleiben. Michael Hanfeld kommentiert auf der FAZ-Medienseite: "Die Werbeeinnahmen sind abgesackt; und noch ist nicht ausgemacht, ob RTL mit seiner Superduper-App, die Zugang zu allem bietet, was der Konzern vorhält, den Umschwung schafft. Für Rabe aber heißt es: Verweile doch, ich bin so schön. Ohne ihn geht es einfach nicht." Das sei jedenfalls Rabes Überzeugung.

+++ Sebastian Wellendorf hat für "@mediasres" mit dem Kölner Medienökonom Christian Zabel über die Situation bei den Privatsendern gesprochen, also vor allem über RTL Deutschland und ProSiebenSat1, bei beiden ist der Gewinn in der ersten Jahreshälfte stark eingebrochen. Und das liegt vor allem am Rückgang der Werbeeinnahmen. Zabel sagt, beide Konzerne reagierten darauf, indem sie das Werbegeschäft verlassen. Zabel: "Bei Bertelsmann, also der Mutterfirma von RTL, versucht man halt die Abhängigkeit von der Werbung insgesamt zu verringern, mehr in andere Dienste zu gehen. Wir sehen es auch bei ProSiebenSat.1 mit Investment mehr im E-Commerce-Bereich, Rubrikendiensten und so weiter." Dass bei RTL die alles liefernde Wollmilchsau-App das Problem lösen könnte (die laut RTL jetzt übrigens bald kommt) denkt Zabel nicht. Er sagt: "Wir haben dazu interessanterweise Anfang des Jahres eine Studie gemacht und die Kunden befragt, was würden sie denn bezahlen für so eine Multimedia-App oder was wäre Ihnen da wichtig viel mehr? Und da kam raus, dass das natürlich gerne genommen wird, dass Musikstreaming tatsächlich noch einen Mehrwert für eine gewisse Gruppe hat. Aber ob man jetzt mit Print-Abos, die da ja reingebündelt werden, oder digitalen News-Abos große Nutzermengen anziehen wird. Das bleibt abzusehen, weil es natürlich auch die App sehr, sehr komplex macht."

Das Altpapier am Freitag schriebt Christian Bartels.

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