Das Altpapier am 2. August 2023: Porträt des Altpapier-Autoren Christian Bartels
"Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren im aktuellen Altpapier die wichtigsten Medienthemen des Tages. Bildrechte: MDR | MEDIEN360G

Kolumne: Das Altpapier am 2. August 2023 Sommerliche Grauzonen

02. August 2023, 10:30 Uhr

Wird der Rundfunkbeitrag steigen? Welchen Auftrag hat der Zukunftsrat? In der Medienpolitik werden dicke Bretter und kleine Brötchen gebohrt. Das öffentlich-rechtliche Filmstudio Bavaria will am Standort Köln aufdrehen ... Heute kommentiert Christian Bartels die Medienberichterstattung.

Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.

Der Auftrag des Zukunftsrats

Wenn die Bundesminister und Ministerpräsidenten, denen sonst viele Schlagzeilen gehören, urlauben, kann sich die zweite Reihe positionieren. Zu der gehört leider Tabea Rößner. Als eine der Bundespolitikerinnen mit der größten Medienpolitik-Erfahrung sitzt die Grüne weiter im Bundestag und trägt als Vorsitzende des Ausschusses für Digitales auch einen klangvollen Titel. Allerdings haben Digital- und Medienpolitik in der überkommenen politischen Praxis kaum was miteinander zu tun. Im medienpolitik.net-Interview befasst sich Rößner nun mit ihrem Steckenpferd Medienpolitik und findet, dass es "von hinten aufgezäumt" wird. Es geht ums durchgehend größte Aufreger-Thema, die Rundfunkbeitrags-Frage (die schon daher tagesaktuell ist, weil mit Berlins Kai Wegner gerade ein weiterer Regierungschef zu der Fraktion stieß, die sich vorzeitig gegen eine Erhöhung ab 2025 ausspricht). Zudem hat Rößner den Zukunftsrat im Blick, der – bemerkenswert un-öffentlich – bereits arbeitet:

"... Der Zukunftsrat wurde schon mit der Maßgabe eingesetzt, die Stabilisierung der Ausgaben im Blick zu haben. Das ist auch verfassungsrechtlich bedenklich, weil für die Erfüllung des Auftrages die entsprechenden Finanzen zur Verfügung gestellt werden müssen. Doch wenn der Beitrag von vorn herein stabil gehalten werden muss, ist es fraglich ob die Sender ihre Aufgabe in der vom Bundesverfassungsgericht beschriebenen Qualität noch erfüllen können. Im Fokus muss die Frage stehen, welche Funktion der öffentlich-rechtliche Rundfunk in einer sich dramatisch verändernden Medienwelt im Interesse unserer Demokratie spielen muss und nicht, wie der Beitrag stabil gehalten werden kann."

Heißt: Die Bundespolitikerin Rößner findet, die Bundesländer hätten den von ihnen berufenen Zukunftsrat mit was anderem beauftragen sollen, nämlich mit Fragen "des Auftrags" – also mit dem, was die Länder, sofern sie sich einig sind, für die Öffentlich-Rechtlichen festlegen könnten. Anders gesagt: Doof, dass die Grünen eigentlich überall in der Politik die Themen setzen, außer in der Medienpolitik.

Wobei eine prominentere Grüne als Kulturstaatsministerin ja auch die Bundes-Verantwortung für Medien abbekam. Claudia Roth stellt zwar medienpolitisch wenig auf die Beine, aber zumindest die Eine-Millionen-Euro-Förderung soll auch dieses Jahr wieder rausgehen. Die "FAZ" ist schon gespannt, an wen ...

Weniger Anstalten? Weniger Social-Media-Kanäle?

Nicht von Grünen, sondern von einer CDU-Politikerin und dem Linken Benjamin-Immanuel Hoff stammt die Idee, das nicht-föderalistisch organisierte, bundesweit sendende ZDF-Fernsehen mit dem auch bundesweiten, ebenfalls nicht föderalistisch strukturierten Deutschlandradio (DLR) zusammenzulegen. Seltsame Parteien-Koalition könnte man kurz denken, aber in Thüringen, von wo aus Hoff als Staatskanzlei-Chef in der Bundesländer-Medienpolitik mitmischt, funktioniert die Regierung ja so.

Die Idee machte nicht viel Wirbel. Doch nun nutzte DLR-Intendant Stefan Raue die Gelegenheit der Deutschlandfunk-Sendung "medias@res", um ausführlich zu erläutern, was er denn davon hält: nichts. Das überrascht wenig. In Chefetagen bestehender Anstalten ist natur- bzw. strukturgemäß kaum jemand für Anstalten-Zusammenlegung (und in der jeweils kleineren schon gleich gar nicht). Eher erstaunen kann Raues Argument, dass ja schon in den 1990er Jahren festgestellt wurde, dass die "Möglichkeiten der Zusammenarbeit zwischen einem etablierten Fernsehsender und einem kleinen Radiosender" nicht groß seien. Angesichts des Umstands, dass im Medienbereich seither kaum ein Stein auf dem anderen geblieben ist, könnte man das auch als Aufforderung verstehen, neu drüber nachzudenken. Über die Landesstudios von DLR und ZDF, bei denen Hoff für "Intensivierung" der Zusammenarbeit plädierte, spricht Raue dann auch. "Die Landesstudios von Deutschlandradio und die Landesstudios von ZDF sind gute Freunde". Na ja.

Von Landesstudios des ZDF ist auch in einer "epd medien"-Meldung die Rede, für die Volker Nünning viele harte Zahlen zusammengetragen hat. 29, 28, sechzehn, dreizehn und 101 (kleine Auswahl) lauten sie beispielsweise. Damit sind die ZDF-Kanäle auf Youtube, Instagram, Facebook und Twitter sowie insgesamt in sog. sozialen Medien gemeint. Die Zahl sei seit Frühjahr gesunken:

"Im April hatte das ZDF auf seiner Webseite alle Accounts veröffentlicht, die die Sendeanstalt auf Twitter betreibt. Insgesamt wurden 46 aufgelistet. Das sind rund 30 mehr, als das ZDF nun nennt. In der aktuellen Liste würden nicht nur die Twitter-Kanäle der Partnerprogramme, sondern auch die der Landes- und Auslandsstudios des ZDF nicht berücksichtigt: 'Jedes der Studios hat per se einen Account, quasi als Kontaktadresse', erklärte das ZDF auf Nachfrage. Einige dieser Kanäle würden 'nur sehr sporadisch oder auch eventbezogen genutzt'. Seine Unternehmensaccounts bei Twitter zählt das ZDF ebenfalls nicht mit."

Grauzonen bilden Kanäle, die nicht mehr neu bestückt werden, aber vorhanden bleiben. Heißt jedenfalls: Die Landesstudios dienen auch dem Zweck, Zahlen so zu drehen, wie sie passen (oder dem, mehr Transparenz als unbedingt nötig zu vermeiden). Um aktuelle ARD-Zahlen hat sich Nünning außerdem bemüht und zählt statt 800 Kanälen im April nun 692. Wobei experimentellere Auftritte auf kleineren Plattformen wie Snapchat, Pinterest, Twitch, LinkedIn und Mastodon wiederum nicht mitgezählt würden. Schön dabei: Immerhin spielt das völlig anders strukturierte Mastodon inzwischen ein Nebenröllchen in öffentlich-rechtlichen Plattform-Strategien.

Die Bavaria und andere Fernseh-Produzenten

Größere Grauzonen gibt es dort, wo Öffentlich-Rechtliches in privatwirtschaftliche Unternehmensformen übergeht, etwa bei den Tochter- und Enkel-Firmen der Anstalten, die im Wettbewerb der Fernsehproduzenten um Aufträge dieser und jener Sender konkurrieren.

Eine neue Entwicklung machte dieser Tage dwdl.de publik: Es geht um die Bavaria-Studios aus München, die nach eigenen Angaben "einer der größten Dienstleister in Europa für Filmproduktionen" sind und nach Angaben, die man in der Wikipedia schneller findet, zu einem Viertel dem ZDF sowie zu mehr als 60 Prozent der Bavaria Film GmbH gehören. Diese GmbH wiederum gehört fünf Eigentümern, darunter als größten dem WDR aus Köln sowie dem SWR und unserem MDR (über seine Tochter mit dem Beinahe-Traditionsnamen DREFA). Für einige solche Themen ist der 336-seitige Konzentrationsbericht der Konzentrations-Ermittlungs-Kommission KEK empfehlenswert, der sich hier als PDF runterladen lässt. (Obwohl die KEK dummerweise nur für privatwirtschaftliche Medien zuständig ist und für öffentlich-rechtliche nicht; das gehört zu den zwar historisch erklärbaren, aber längst unsinnigen Grundpfeilern der deutschen Medienpolitik). Jedenfalls, die Münchener WDR-Tochter Bavaria will in die WDR-Studios in Köln-Bocklemünd investieren. Die wurden einst als Drehort der "Lindenstraße" bekannt, sind also nicht mehr ganz neu.

In und um Köln betreiben aber auch viele private Firmen Film- und Fernsehstudios, wegen RTL und weil Nordrhein-Westfalen eine der bestausgestatteten Filmförderungen Deutschlands besitzt. Wie dwdl.de läuten hörte, konnte die Bavaria für Bocklemünd bereits die nicht gerade Grimmepreis-verdächtige, auf andere Weise aber doch prestigeträchtige Sat.1-Produktion "Promi Big Brother" akquirieren. Daher poppen nun viele Fragen auf. Das WDR-Studio wurde ja einst aus GEZ-Einnahmen errichtet (denn seinerzeit hieß das Serviceunternehmen, das heute Beitragsservice heißt, ja noch echt so). Jetzt wird es auf eher private Rechnung weiterverkauft? Oder aber wird umgekehrt ein Schuh draus, weil ja eine öffentlich-rechtliche Tochter Geld des Auftraggebers ProSiebenSat.1 erwirtschaftet und solche Einnahmen letztlich – nachdem auch die Aufsichtsräte honoriert worden sind – an die öffentlich-rechtlichen Mütter gehen und somit in die Berechnungen zum Rundfunkbeitrag einfließen? Alles Fragen des Blickwinkels:

"Mit der sozusagen familieninternen Vermietung wolle der WDR nach Einschätzung einer ehemaligen WDR-Führungskraft nur einem Rüffel im kommenden 24. Bericht der Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF) zuvorkommen, der eine fehlende Perspektive für das unwirtschaftliche Studio-Gelände in Köln-Bocklemünd anprangern werde. Während der WDR damit eine Lösung gefunden hätte, wandere das Risiko der Wirtschaftlichkeit zu Bavaria Studios. Genau das ist es, was dem ZDF als Gesellschafter offenbar missfällt."

Das ZDF ist zwar nicht an der Bavaria GmbH, aber ja am Bavaria-Studio beteiligt. Wenn's ans eigene Budget geht, hört die enge Freundschaft der Anstalten auf. Die Bavaria-Bocklemünd-Chose muss noch durch den WDR-Verwaltungsrat. Das wird spannend, schon weil die Gremien inzwischen wissen, dass sie unter verschärfter Beobachtung stehen.

Bliebe noch zu ergänzen, dass der Wettbewerb der Fernsehproduzenten lange florierte, weil außer herkömmlichen Sendern auch internationale Streamingdienste jede Menge Serien in Auftrag gaben. Das ändert sich nun. Die erwähnte Bavaria hatte ja etwa die "Das Boot"-Staffeln für Sky produziert, das in Deutschland nun gar nichts Fiktionales mehr herstellen lassen will. Die Berliner Dokumentarfilm-Produktion Zero One Film, von der Filme wie "24h Berlin" und "Kulenkampffs Schuhe" stammen, meldete im Juli Insolvenz an, steht in "epd medien" und auch auf zeroone.de. Gründe seien "enorm gestiegene Produktionskosten ..., stark sinkende Kinobesucherzahlen und schließlich die steigenden Zinsen bei gleichzeitig hoher Inflation"


Altpapierkorb (Digitalpolitik, "Never ever" und andere Stöckchen, Twitter-Klage, BR-Kultur, neue Zeitschrift "human")

+++ Da es eingangs um Digitalpolitik ging: Dieses Politikfeld scheint sich zu einer Top-Posteriorität der Bundesregierung zu entwickeln. "Kahlschlag für die Digitalisierung" heißt jedenfalls der Aufmacher im "FAZ"-Wirtschaftsressort, das da über neue Haushalts-Planungen in Nancy Faesers Innenministerium berichtet. +++

+++ "Man kann nicht leugnen, dass die Sendung zum Thema Klimaaktivimus teilweise redaktionelle und handwerkliche Schwächen hat", schreibt Lisa Kräher bei uebermedien.de, obwohl sie die in sog. soz. Medien gerade heftig attackierte Hessischer Rundfunk-Sendung "Never Ever" vehement verteidigt. "Man muss ÖRR-Kritikern kein Stöckchen hinhalten, sie graben es selbst aus", lautet die Überschrift. +++ Die zahlreichen öffentlich-rechtlichen Kanäle werfen mit entsprechenden Stöckchen nur so um sich, könnte man aber auch denken. Ein prägnantes Beispiel ist, was immer man sonst vom Account @argonerd hält, hier zu sehen. +++

+++ "Twitter hat in den USA Klage eingereicht gegen eine Organisation, die sich gegen Hatespeech einsetzt, das Center for Countering Digital Hate (CCDH)", meldet die "taz". Das CCDH beklagte, dass Twitter/X die "Verbreitung von Hass" nicht stoppe, nun klagt Twitter/X, "das CCDH würde aktiv Falschanschuldigungen verbreiten und damit Wer­be­kun­d*in­nen abschrecken". +++

+++ "Während Verbündete noch immer 'die Türkei ist eine Demokratie' vor sich hinmurmeln oder beschwichtigende Rhetorik anwenden, fährt Präsident Erdoğan fort, die Reste der Justiz zu verschlingen", berichtet der Journalist Yavuz Baydar auf der "SZ"-Medienseite über die Lage im NATO-Mitgliedsstaat Türkei. +++

+++ Der kürzlich wegen der Forderung nach mehr "mehrsprachige Medienleistungen" im öffentlich-rechtlichen Rundfunk hier erwähnte "epd Medien"-Leitartikel von Otfried Jarren steht nun frei online. Bisschen arg technokratisch formuliert ist er ("Der Change-Prozess tangiert nicht nur Strukturen, sondern vor allem Inhalte, Verbreitungsformen, Sendungen und Sendeplätze"). +++

+++ Mit den am Montag hier im Korb erwähnten, nicht nur in Bayern heftig kritisierten Umstrukturierungs-Ankündigungen im Kulturbereich beim Bayerischen Rundfunk, befasst sich der Berliner "Tagesspiegel". "Einem inoffiziellen Schreiben zufolge sollen insgesamt sieben Stunden Kulturprogramm wöchentlich gestrichen werden", schreibt Kurt Sagatz. +++

+++ Es gibt 'ne neue gedruckte Zeitschrift: "human", "das erste Magazin, das sich ganzheitlich mit den Auswirkungen der künstlichen Intelligenz auf Wirtschaft, Politik, Gesellschaft und Kultur befasst – und dabei den Menschen in den Mittelpunkt stellt". "Zum Glück für den Leser wird es auf den hinteren Seiten lebensnäher, praktischer, ein bisschen verspielter", schreibt Claudius Seidl auf der "FAZ"-Medienseite. +++

+++ Und während Sky in Deutschland seinen Serien den Stecker zog, produziert die Pay-TV-Plattform des US-amerikanischen Comcast-Konzerns in Italien weiter – nun Remakes der 1970er-"Plattfuß"-Filme mit Bud Spencer. Das meldet der "Standard". +++

Das nächste Altpapier schreibt am Donnerstag Ralf Heimann.

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