Das Altpapier am 21. Juli 2023: Porträt des Altpapier-Autoren Klaus Raab
"Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren im aktuellen Altpapier die wichtigsten Medienthemen des Tages. Bildrechte: MDR | MEDIEN360G

Kolumne: Das Altpapier am 21. Juli 2023 Deutschland sucht ein Tier

21. Juli 2023, 10:49 Uhr

Der Sommer ist da: Münchner, Stuttgarter, Londoner und Schweizer Medien helfen mit bei der Suche nach einer Löwin, die im Süden Berlins gesichtet worden sein soll. Oder ist es ein Hund? Der Schauspieler Christian Quadflieg ist gestorben. Und: ProSieben spart bei Unterhaltungsmagazinen. Heute kommentiert Klaus Raab die Medienberichterstattung.

Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.

Ein Tag, der so tut, als sei Sommerloch

Der Sommer hat begonnen, die Menschen verfolgen die Spuren eines Tiers. Wollen wir also mal nicht so sein, wenn sich schon mal ein Nachrichtentag nach Sommerloch anfühlt: Die leicht spöttische Analyse der Sommerlochberichterstattung gehört dann natürlich auch zum Spiel. Bitte sehr: In Kleinmachnow im Berliner Süden laufe ein Raubtier frei herum, wurde am Donnerstagmorgen gemeldet. Grundlage waren, in alter Sommerlochtradition, uneindeutige Bewegtbilder. Die Polizei bestätigte alsbald halb den Verdacht, es handle sich vermutlich vielleicht um eine "Löwin" und teilte in stabiler Sommerlochkommunikationsqualität mit, sie gehe davon aus, das Tier halte sich "unerlaubt im Waldgebiet" auf. Woher das Tier kam, wer es hielt, wo es vor allem war, gehörte zu den offenen Fragen; und ach, es gab so viele weitere.

Aus Berlin lässt sich als Zwischenfazit nun melden: Die Menschen im Suchgebiet erfuhren alles Nötige. Sie bekamen Tipps, wie man sich verhält, wenn man einer freilaufenden Löwin begegnet. Die Aufrufe an Kindertagesstätten, mit den Kindern drinzubleiben, wurden ebenso vermeldet wie die an Joggerinnen und Jogger, sich nicht in den Forst zu begeben. Antworten gab es zudem auf die Fragen, ob Löwen an roten Ampeln anhalten (Experte in der "B.Z.": nein). Ob ein Zoo einen Löwen vermisse (nein). Ob man das Tier, wenn man es sieht, um ein gemeinsames Selfie bitten sollte (Experte im "Tagesspiegel": nein). Und ob sich der Herr, der zufällig vor eine Kamera gelaufen ist, Sorgen um seine zwei appetitlichen Dackel macht (wieder nein).

Insofern war die lokale Berichterstattung stabil. Die Berliner und Brandenburger Redaktionen haben ihre Informationsaufgabe angemessen erfüllt. Und vielleicht sogar noch ein winzig kleines Häuchlein darüber hinaus. Der RBB strahlte am Vormittag und am Abend sogar ein "Spezial" aus. Hilfe gab es unter anderem von BR, WDR, NDR, MDR, stuttgarter-nachrichten.de, merkur.de aus München, der britischen "Sun" oder dem Schweizer Portal blick.ch, das sogar ein Liveblog eingerichtet hatte, damit das eigene Publikum informiert war für den Fall, dass das Tier die brandenburgisch-schweizerische Grenze passieren sollte. Und Twitter, eine Plattform, die für Sommerlochwitze immer noch besonders gut geeignet ist, machte natürlich einen besonders guten Schnitt. Toptrend in Deutschland am Donnerstagnachmittag war "Löwin", mit Abstand gefolgt von "Löwe". Wer die Debatte übers Gendern einweben wollte, hatte an dieser Stelle eine Gelegenheit.

Stabil auch: die historische Einordnung des Ereignisses. "In Wiesbaden brach 2000 ein Tiger beim Verladen aus einem Zirkus aus. Er versteckte sich neben der Autobahn 66", berichtet heute die "Süddeutsche". Und die Onlineredaktion der "Märkischen Allgemeinen Zeitung" recherchierte flugs im eigenen Archiv den Fall der 2002 durch Brandenburg streunenden weiblichen Tigerdame Dava und erzählte ihn noch einmal nach: "Den Tiger zog es direkt auf die Nuthe-Schnellstraße".

Ein ausnehmend gutes Händchen beim Runterbrechen des lokalen Themas auf ein entfernt liegendes Lokales bewies ferner die ostsee-zeitung.de, wo man anlässlich der Berichte über die wohl nicht aus einem Zoo entlaufene mutmaßliche Löwin die Frage stellte: "Löwe in Berlin entlaufen: Wie sicher sind die Zoos in Mecklenburg-Vorpommern?"

Es war wie bei einer Kette: Perle reihte sich an Perle. Schon sehr bald kursierte übrigens auch die Vermutung, es könne sich bei dem gefilmten Tier auch um etwas anderes als eine Löwin handeln. Das wäre natürlich eine schöne Pointe: Wenn die vielen Löwinnen-Symbolfotos, die von "SZ" über taz.de bis "FAZ" gezeigt wurden, einen Kaukasischen Schäferhund symbolisieren würden. Ein bisschen gernhaben kann man das Sommerloch manchmal schon. Einen Tag im Jahr.

Christian Quadflieg ist gestorben

Der Schauspieler Christian Quadflieg ist 78-jährig gestorben, ein Mann, der längst nicht nur den "Landarzt" spielte, aber in dieser Rolle besonders bekannt geworden ist. Was Quadflieg noch spielte, steht in den Agenturnachrufen, etwa bei tagesspiegel.de oder faz.net. Die ARD wiederholte am Mittwochabend die berühmte "Tatort"-Folge "Reifezeugnis", in der er an der Seite Nastassja Kinskis spielte, und Wolfgang Höbel schreibt ihm im Nachruf auf spiegel.de dafür zu, er gehe "als möglicherweise hübschester Schurke" in die deutsche Fernsehgeschichte ein.

Die Serie "Der Landarzt" steht schon seit einiger Zeit vollständig in der ZDF-Mediathek. Ich habe gestern nur mal kurz hier und da in einige Folgen reingeschaut, aber hatte sofort den Eindruck, es handle sich um eine Geschwisterserie zu "Forsthaus Falkenau", einer anderen ZDF-Serie aus derselben Zeit, nur eben in Norddeutschland. Die Serien begannen beide in den späten Achtzigern und liefen bis weit ins 21. Jahrhundert. In "Forsthaus Falkenau" ist die Identifikationsfigur ein freundlicher und mit milder Stimme sprechender Förster, der eine Menge Sepplhüte durch Bayern trägt. Im "Landarzt" ist es Quadflieg als freundlicher und milder Arzt in hellbrauner Wildlederjacke, der im fiktiven Ort Deekelsen die medizinische Versorgung sicherstellt. Über diese Rolle, die ihn über die Bühne hinaus populär machte, schreibt Christine Dössel in der "Süddeutschen":

"Von 1986 an verkörperte er in 41 Folgen die Titelrolle in der populären ZDF-Serie, und das so sympathisch, warmherzig und charmant – und obendrein auch noch adrett –, dass das Fernsehpublikum ihn dafür liebte."

Und Höbel meint bei spiegel.de:

"Mit stets besorgter Miene und schier übermenschlicher Zugewandtheit widmet sich der Serienmediziner seiner Familie, dem Patientenvolk und manchmal auch dem lieben Vieh. Er tut das in einer rustikalen Idylle, die schon lange vor der heute kultivierten Verkitschung des Landlebens Millionen von Fernsehnutzerinnen und Fernsehnutzern aus lauter Blumenwiesensehnsucht zum Seufzen brachte."

Mit dem "Landarzt" verhält es sich wie mit vielen anderen älteren Serien, die die Öffentlich-Rechtlichen in den Mediatheken wiederholen: Sie sind nicht sonderlich gut gealtert. Aber wenn man sich dafür interessiert, wie im (westdeutschen und später westdeutsch geprägten) Fernsehen seinerzeit Figuren gezeichnet wurden, die möglichst viele Menschen mögen sollten: Dann ist "Der Landarzt" eine Einstiegsmöglichkeit.


Altpapierkorb (ProSieben-Sparpläne, Journalismus-Aussteiger, Vaunet-Forderungen)

+++ 400 Stellen sollen bei ProSieben abgebaut werden, etwa ein Zehntel der Stellen "sozialverträglich", wie das Unternehmen sagt. Das ist eine Nachricht vom Wochenbeginn (Altpapier). Neu ist nun, welche Redaktionen davon betroffen sein könnten: "Zuallererst trifft der Rotstift das ProSieben-Promi-Magazin 'red', das bislang wöchentlich am Donnerstagabend beim Sender zu sehen ist – und teilweise auch mehrmals pro Woche läuft. (…) Das angekündigte Sparprogramm wird sich aber auch auf ein Sat.1-Magazin niederschlagen, wenn auch voraussichtlich nicht ganz so sichtbar für die Zuschauerinnen und Zuschauer wie im Fall von 'red'. So soll das Redaktions-Team von 'Akte' im Zuge der aktuellen Neuaufstellung verkleinert werden", schreibt dwdl.de.

Die "Süddeutsche" stellt eine Frage, die auch in anderen Fällen immer wieder bei Kürzungen naheliegt (siehe etwa das Altpapier vom 20. März zu den Einsparungen der Deutschen Welle): Wie passt ein solcher Personalsparkurs zu den eigentlich verkündeten großen Plänen? ProSieben wolle die Nummer 1 im deutschsprachigen Unterhaltsmarkt werden, hatte Unternehmenschef Bert Habets am Dienstag mitgeteilt. "Aber warum werden dann wichtige und bekannte Unterhaltungsmagazine zusammengestrichen?", so die "SZ". Womöglich lautet ein Teil der Antwort: Quiz- und Spieleshows sowie "leichte Unterhaltung", auf die ProSieben wohl stärker setzen will, sind auch Unterhaltung.

+++ Warum so viele Journalistinnen und Journalisten den Beruf verlassen, thematisiert "epd Medien" in der neuen Ausgabe: "Es ist nachvollziehbar, dass gerade dann, wenn etwa die Familiengründung oder der Übergang vom Volontär zum Redakteur ansteht, Journalisten noch einmal genau überlegen, ob das Redakteursgehalt im jeweiligen Verlag auch zukünftig ausreichend ist und dem bisherigen akademischen Werdegang entspricht. Für einige scheint die Antwort auf diese Frage negativ auszufallen." Und dann gebe es noch zwei weitere typische Ausstiegszeitpunkte: rund um die Familiengründung. Und mit etwa 50 Jahren: Eine Sorge "der älteren Journalistinnen und Journalisten sei es (…), den Anschluss beim Thema Technik zu verlieren."

+++ Aufmerksamkeit in einer vergleichsweise übersichtlichen Nische bekommt ein Positionspapier, das der Privatsender-Verband Vaunet am Donnerstag veröffentlicht hat. Er fordert, so fasst es die "FAZ" zusammen, "einen Neuanfang des dualen Rundfunksystems im Hörfunk. Es brauche den Einstieg in den Ausstieg aus der ARD-Hörfunkwerbung, das Programm der Öffentlich-Rechtlichen müsse sich auf den Kernauftrag konzentrieren, für lokale und regionale Onlineangebote müsse es Grenzen geben, ebenso für die kommerziellen Aktivitäten, die Aufsicht sei zu stärken".

Angesichts der konjunkturellen Aussichten für 2023 komme die Forderung an die Medienpolitik, die wirtschaftlichen Belange der privaten Hörfunksender nicht zu übersehen, nicht überraschend, schreibt sinngemäß Alexander Krei bei dwdl.de. Dass die öffentlich-rechtlichen Sender Werbeeinnahmen haben, wird auch längst nicht zum ersten Mal kritisiert, da sie "sich ja ohnehin zu einem überwiegenden Teil durch den Rundfunkbeitrag finanzieren". Recht neu ist die Kritik, wenn es um Podcasts geht. "Vaunet zählt Podcasts zu Telemedien- also Internet-Angeboten, zu denen es im Staatsvertrag der Bundesländer für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk auch ein Werbeverbot aufgeführt ist", schreibt die dpa. Die ARD habe die Forderung, in Podcasts auf Werbung zu verzichten, auf Anfrage mit Verweis unter anderem auf rundfunkrechtliche Vorgaben jedoch zurückgewiesen, meldete die Nachrichtenagentur.

Am Montag schreibt das Altpapier Johanna Bernklau. Schönes Wochenende!

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