Das Altpapier am 14. Juli 2023: Porträt des Altpapier-Autoren Klaus Raab.
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Kolumne: Das Altpapier am 14. Juli 2023 "Halbwegs untersucht"

14. Juli 2023, 10:44 Uhr

Das Compliance-Verfahren des RBB ist ohne Abschluss abgebrochen, aber der Komplex Schlesinger soll zuvor schon bearbeitet worden sein – nur, wie intensiv? Und die "FAZ" reagiert mit scharfem Widerspruch auf Holger Friedrichs "Einladung zur Debatte" über ethische Standards im Journalismus. Heute kommentiert Klaus Raab die Medienberichterstattung.

Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.

Vorbei, aber ohne Abschluss

Der RBB bekommt heute wieder seinen Share an einordnender Aufmerksamkeit. Anlass ist die überraschende Beendigung des Compliance-Verfahrens, von dem hier gestern auch im Altpapierkorb die Rede gewesen ist. "Halbherzig" überschreibt die "Süddeutsche" ihren Text auf der gedruckten Medienseite. Online-Überschriften sollen allerdings ein Publikum zum Lesen reizen, das nicht unbedingt orientiert ist, in welchem Ressort man sich gerade befindet. Online bei sueddeutsche.de steht daher ein griffiges "Wieder was vergeigt" über Aurelie von Blazekovics Kommentar:

Worüber sie sich ärgert, ist, dass vom versprochenen Dreiklang, die Aufklärung der Schlesinger-Affäre werde "lückenlos, transparent und umfassend" sein, nicht mal ein Ton geblieben ist. Zu teuer sei und werde das Verfahren, mit dem eine externe Kanzlei, Lutz und Abel, ungedeckelt beauftragt worden ist, das ist die Begründung. Die "FAZ" zitiert Antje Kapek, Mitglied im Rundfunkrat des RBB, mit einer Gratulation "zu dem mutigen Schritt" an den Verwaltungsrat:

"Dass die Auftragsvergabe im vergangenen Jahr nicht ausgeschrieben wurde, bezeichnet Antje Kapek als 'groben Fehler'. Das Compliance-Verfahren könne unter Umständen sogar selbst ein Compliance-Fall sein. Der Auftrag hätte darüber hinaus nicht ohne zeitlichen Rahmen und finanzielle Deckelung erteilt werden dürfen."

Und das mag einerseits nachvollziehbar sein, auch angesichts der Sparmaßnahmen, die der RBB auflegt und die bei der Belegschaft natürlich eh nicht bejubelt werden. "Es stimmt, dass der RBB sich in ein Dilemma brachte, als er die Anwälte mit einem finanziell und zeitlich nach oben offenen Auftrag losschickte", schreibt auch Aurelie von Blazekovic. Andererseits…

"genau das bedeutet lückenlos, transparent und umfassend zu ermitteln eben. Man muss es so lange tun, bis man fertig ist, erst recht, wenn ein millionenschwerer point of no return längst überschritten ist. Dass nun auch die Prüfung der Vorwürfe eigentlich eine Prüfung wert wäre, nämlich die der Feigenblattpolitik und der irrsinnigen Prozesse im Sender und seiner strukturell überforderten Kontrollgremien, ist eine so vorhersehbare wie ernüchternde Pointe der Geschichte."

Der Verwaltungsratsvorsitzende Benjamin Ehlers derweil sagt in einem recht ausführlichen "Tagesspiegel"-Interview, zu den bereits geklärten Bereichen der externen Untersuchung gehöre " laut Lutz Abel" der Komplex mit den Compliance-Vorwürfen gegen die ehemalige Intendantin Patricia Schlesinger; dieser Bereich sei "im Wesentlichen abgeschlossen". Nur, das Ergebnis läge ihm nicht vor, nur ein Zwischenbericht: "Dort steht nur, dass man die Komplexe Abendessen und Compliance halbwegs untersucht habe. Ich erwarte, dass uns Lutz Abel die Unterlagen dazu in Kürze übergibt."

"Halbwegs untersucht" – ja, das steht da. Eine gewiss dumme Frage vom Spielfeldrand: Kann man als auftraggebende Institution nicht theoretisch mal in der Kanzlei anrufen, einfach nur, damit man irgendetwas sagen kann, was nicht nach der Suche nach Passierschein A38 klingt?

Reaktionen von und auf Holger Friedrich

Michael Hanfelds Name steht heute in der "FAZ" nicht auf der Medienseite, sondern unter dem Feuilletonaufmacher. Das ist ein deutliches Zeichen: Das Medienthema, das er dort verhandelt, ist seiner Zeitung wichtig. Hanfeld schreibt ganz schön geladen. Er kommentiert, was Holger Friedrich, der Verleger der "Berliner Zeitung", zu den für ihn positiven Entscheidungen der Landgerichte Hamburg und vor allem Berlin sagt.

Worum es geht, steht ausführlich im Altpapier vom Donnerstag. Hier daher nur eine sehr kurze Zusammenfassung des Berliner Urteils: Friedrichs Verlags-Justiziariat hatte den Springer-Verlag darüber informiert, dass er von dem ehemaligen "Bild"-Chefredakteur Julian Reichelt Unterlagen aus dem Springer-Haus erhalten habe, um, wie Friedrich in seiner Zeitung schrieb, "über die Berliner Zeitung seine Interessen zu lancieren". Das Berliner Gericht hat nun entschieden, dass Friedrich nicht zum Quellenschutz verpflichtet gewesen sei, denn dazu hätte es einer "veröffentlichungsbezogenen Geheimhaltungsvereinbarung" bedurft.

"Damit bestätigt ein ordentliches deutsches Gericht, dass weder ich noch die Berliner Zeitung den Quellenschutz verletzt haben", meint Friedrich. Interessanterweise zitiert er mehrfach die "FAZ", allerdings nur mit den Passagen, die das Urteil wiedergeben oder Friedrich zupass kommen. Bei Twitter nennt man dieses Verfahren Schnipseln.

Hanfeld ist angesichts des Friedrich-Texts ziemlich empört: Der zitiere aus seiner, Hanfelds, Analyse des Urteils,

"aber so, als solle man denken, dass wir seiner Haltung und der des Gerichts zustimmten. Nichts liegt uns ferner. Folgten wir Friedrich und der 67. Zivilkammer des Berliner Landgerichts, wäre es mit der Aufdeckung von Missständen, Whistleblowern, Enthüllungsrecherchen vorbei. 'Selbst dort, wo der Quellenschutz nicht gilt, gibt es professionelle Standards, wonach Interna oder Informationen von Dritten nicht ohne Zustimmung verwendet werden dürfen', schreibt der Verleger Friedrich. Wäre das so, könnte die Presse einpacken, Geheimhaltung würde Gesetz, derjenige, der Wahrheit ans Licht bringen will, würde kriminalisiert. Das sind die Konsequenzen, die hinter dem Geschwurbel des Verlegers Friedrich stecken."

Man könnte noch mehr zitieren, aber belassen wir es bei einem Auszug vom Ende, wo er über die "Berliner Zeitung" schreibt: "Die Redaktion muss sich fragen, was die Leser davon halten sollen und ob sich jemals wieder jemand mit Informationen an die 'Berliner Zeitung' wenden wird."

Das ist nämlich, unabhängig von Gerichtsurteilen, ein zentraler Punkt. Nicht für Friedrich vielleicht und auch nicht für Reichelt, für die es vor Gericht auch noch um Geld, Rechthaben und dies das geht. Wohl aber für den Presserat, das Netzwerk Recherche, die eben zitierte "FAZ", die "Süddeutsche" und diverse weitere. Es geht nicht um Friedrich, auch wenn der sich als Reformer darstellt und großzügig eine "Einladung zur Debatte" über ethische Standards im Journalismus ausspricht. Den Elefanten im Raum übersieht er allerdings großzügig. Wie sollte man so eine Debatte führen? Oder wie es die "FAZ" formuliert: "Eine Grundsatzdebatte im Sinne von Holger Friedrich scheint uns angesichts dieser Story nicht angezeigt."

Landgericht liegt aber "nicht völlig falsch"

Auch das gehört freilich noch zur Geschichte: Das Landgericht Berlin liege "nicht völlig falsch" mit seiner Einschätzung, dass Friedrich nicht den Informantenschutz verletzt habe. Das schreibt die "taz", die mit Christian Rath einen Korrespondenten in Karlsruhe sitzen hat, der sich tatsächlich mit Jura auskennt:

"Jour­na­lis­t:in­nen haben vor Gericht zwar das Recht, ihre In­for­man­t:in­nen zu verschweigen. Die Strafprozessordnung sieht aber nur ein Zeugnisverweigerungs-Recht vor, keine Zeugnisverweigerungs-Pflicht."

Das Ergebnis sei aber trotzdem falsch, findet Rath:

"(W)eil die Presse davon lebt, dass Informanten auf Vertraulichkeit vertrauen, ist die Annahme von Vertraulichkeit die Regel, nicht die (ausdrücklich zu vereinbarende) Ausnahme."

Unreality-Fernsehen

Und noch etwas Erbauliches zum Wochenabschluss: Es klingt faszinierend, was Nina Rehfeld in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" heute über "The Family Stallone" schreibt, eine Reality-Serie (Paramount+), die das Publikum mitnimmt in den Alltag der Familie des Schauspielers Sylvster Stallone:

"Die Stallones tummeln sich zu hipper Musik und appetitlichen Häppchen in cremefarbenen Villen und Apartments in Los Angeles und Palm Beach; Stallones Töchter Sophia, 26, Sistine, 24, und Scarlet, 21, sind bezaubernde Schönheiten, und Jennifer Flavin schnurrt ihren Sylvester immer wieder wie frisch verliebt an."

Hach, wie schön. Aber das Faszinierendste kommt erst jetzt:

"Ein bisschen seltsam ist das schon, hatte doch Flavin erst im vergangenen August nach 25 Jahren die Scheidung eingereicht, angeblich wegen der Verschwendung des gemeinsamen ehelichen Vermögens; Stallone ließ sich Medienberichten zufolge mehrere Tattoos von seiner Frau mit Tierbildern übermalen. Aber dann folgte offenbar die Versöhnung; die Serie zumindest verkauft uns eine perfekte Beziehung ohne jede Erschütterung."

Huch? Vielleicht streichen wir die Show im Lexikon der Fernsehgeschichte doch lieber mal Textmarker an: Zu sehen sei "bloß eine leidlich unterhaltsame, geskriptete Show", so Rehfeld. Wie könnte man es nennen? Unreality-Show? Oder einfach: Show?

Andererseits, Reality, die gar nicht echt ist – da würde es ja wirklich 13 schlagen! Wer weiß denn schon, ob das Paar sich je wirklich trennen wollte, nur weil Jennifer Flavin es öffentlich behauptet hat? Ende Oktober jedenfalls teilte ihr Mann, Sylvester Stallone, mit, dass alles "wonderful" sei; auch "Brisant" vom MDR hatte die Details knallhart zusammengetragen. Weshalb man nun wohl sagen kann: geskriptet? Nichts da. Gut, dass wir bei Paramount+ endlich die ganze Wahrheit erfahren.


Altpapierkorb (Pressefreiheit, Burda und KI, Hollywood-Streik, ZDF-Feedback-Panel)

+++ Den schlechten Zustand der Pressefreiheit auch in Europa kommentiert Andrej Reisin bei "Übermedien" unter Rückgriff auf Daten der Reporter ohne Grenzen: "Es gibt immer weniger Länder, für die ROG die Lage als 'gut' einstuft: … Auch in Deutschland ist die Lage seit 2021 nicht mehr 'gut', sondern nur noch 'zufriedenstellend'. … Geht das alles so weiter, existiert die angebliche europäische Bastion der Pressefreiheit in wenigen Jahren tatsächlich nur noch in Sonntagsreden."

+++ "Wer hat’s gesagt: Ein Küchenchef oder ein Verlagsvorstand?" Das wäre doch eine hübsche Dauerrubrik. Zunächst steht die Zeile allerdings nur über einem Artikel. In der "SZ" geht es um den Einsatz von Künstlicher Intelligenz bei der Produktion eines Koch- und Backmagazins von Burda. Das Zitat, das die Frage aufwirft, lautet übrigens Autorin Anna Ernst zufolge: "Niemand auf der Welt zahlt dafür, dass wir gute Journalisten haben, sondern weil sie gute Rezepte oder Unterhaltung suchen."

+++ Um 14.43 Uhr deutscher Zeit am Donnerstag schien der Streik der Hollywood-Schauspielerinnen und -Schauspieler abgewendet, um 22.45 Uhr wurde er dann doch vermeldet (fr-online.de): "Der erste Streik der US-Schauspieler seit 1980 soll in der Nacht auf Freitag um Mitternacht beginnen." rnd.de meint, das sei "ein weiterer harter Schlag für die Unterhaltungsindustrie in den USA", denn de Drehbuchautoren streiken ja auch: "Mit einem Doppelstreik können nun nach Einschätzung von US-Medien kaum noch Filme und Serien gedreht werden." Zu den Streitpunkten zwischen Studios und Gewerkschaft gehören Bezahlung der Umgang mit Künstlicher Intelligenz (zeit.de).

+++ Das ZDF plane ein bundesweites Online-Panel, um "mehr Feedback aus der Bevölkerung über die eigene Arbeit" einzuholen, schreibt dpa. "Grundsätzlich steht die Frage dahinter: Erfüllen wir die Erwartungen, die an uns gestellt werden und gibt es blinde Flecken?", wird Planungschef Florian Klumb vom ZDF zitiert.

Am Montag schreibt das Altpapier wieder Klaus Raab. Schönes Wochenende!

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