Das Altpapier am 12. Juli 2023: Porträt des Altpapier-Autoren Christian Bartels
"Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren im aktuellen Altpapier die wichtigsten Medienthemen des Tages. Bildrechte: MDR | MEDIEN360G

Kolumne: Das Altpapier am 12. Juli 2023 Gerangel hinter den Kulissen

12. Juli 2023, 09:42 Uhr

... und auf der Bühne: nichts. So lautet die Zwischenbilanz der Bundesregierungs-Medienpolitik. Beim RBB gehen die Gremien mit Berichten über eine "neue Affäre" in die Sommerpause. Rund um, aber auch von Axel Springer wird kräftig geklagt bzw. mit Klagen gedroht. Heute kommentiert Christian Bartels die Medienberichterstattung.

Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.

Neues aus der EU-Medienpolitik

Die richtig wichtige Medienpolitik auch für Deutschland wird bekanntlich auf EU-Ebene betrieben. Als größter Binnenmarkt der Welt hat die Europäische Union ja allerhand Einfluss. Und die EU-Kommission strotzt vor Selbstvertrauen. Gerade hat sie das große Thema das Datenaustauschs oder ehrlicher formuliert: des Datenabflusses aus EU-Europa in die USA frisch geregelt. Offiziell erklärte die Kommission, "dass personenbezogene Informationen in den Vereinigten Staaten vergleichbar gut geschützt sind wie in der EU". Die vom Europäischen Gerichtshof zuletzt 2020 gekippten Abkommen mit den euphemistischen Namen "Safe Harbor" und "Privacy Shield" haben eine Nachfolgeregelung mit dem nicht gar so pompösen Namen "Transatlantic Data Privacy Framework".

"Die Zeiten der totalen Rechtsunsicherheit, die im schlechtesten Fall zu Bußgeldern oder Übertragungsverboten geführt hat, sind nun hoffentlich endlich vorbei", äußert eco, einer der Internetwirtschafts-Verbände gebremst optimistisch. Zu dieser Hoffnung besteht wenig Anlass. Der österreichische Datenschutz-Aktivist Max Schrems, der die Vorgänger gekippt hatte, kündigt bereits an, dass es "2024 oder 2025" wieder vor den EuGH gehen werde, schreibt heise.de. "Übergroße Nachgiebigkeit gegenüber den USA", "die der EU noch erheblichen Ärger bringen wird", beklagt netzpolitik.org. Und als Beleg dafür, dass es sich bei der Kritik am "Framework" keineswegs um ein Steckenpferd der auch in Europa selten mehrheitsfähigen Datenschutz-Fraktion handelt, kann der Kommentar "Hört auf, den USA unsere Daten zu schenken!" der Brüsseler "Wirtschaftswoche"-Korrespondentin Silke Wettach dienen.

Ein speziell deutsches Sub-Problem der ambitiösen EU-Digitalpolitik besteht darin, dass Gesetze wie das Digitale-Dienste-Gesetz DSA (Digital Services Act) in nationales Recht umgesetzt werden müssen. Bzw., dass dafür die vielfach herausge- bis überforderte Bundesregierung zuständig ist. Wer der deutsche Koordinator (DSC) werden soll, wurde schon öfter von Hauptstadt-Spatzen von den Dächern gepfiffen, aber noch immer nicht öffentlich angekündigt. Obwohl ja nun Sommerpause ist. Da verdient ein Aufruf von fünf der vielen nichtkommerziellen Interessenverbände, darunter Reporter ohne Grenzen und die Gesellschaft für Freiheitsrechte, Aufmerksamkeit. Nachdem in einem bei den ROG verlinkten "Tagesspiegel Background"-Bericht stand, dass außer dem Bundesdatenschutzbeauftragten (immerhin!) und dem Kinder- und Jugendmedienschutz nun auch das Bundesjustizministerium um entsprechenden Einfluss mit wetteifert, befürchten die Verbände,

"dass dieses machtpolitische Kompetenzgerangel ... die Rolle der Aufsicht in Deutschland dauerhaft schwächt. Die Bündnispartner appellieren an die Ministerien, die Frage der Zuständigkeiten im Interesse der Nutzerinnen und Nutzer und nicht nach machtpolitischen Aspekten zu entscheiden. Eine Zersplitterung der Zuständigkeiten wird letztendlich zum Nachteil der Betroffenen führen, weil Beschwerden und Hilfegesuche nicht sinnvoll und zügig bearbeitet werden können."

Zumal der deutsche DSC meist gar nicht selber entscheiden können wird, sondern eher fürs "Weiterleiten von Beschwerden" dahin, wo entschieden werden soll, vor allem ins datenschutz-desinteressierte Irland, zuständig sein wird. (Und dass einer der welt-allergrößten Datenkraken, Amazon, gerade gegen seine Einstufung im DSA als "sehr großer Plattform" klagte, zeigt, wie zähflüssig die ganze Chose auch ohne deutsche Sonder-Umwege in Bewegung geraten dürfte).

Zwischenbilanz der Bundes-Medienpolitik

Das "Bündnis F5", von dem der eben zitierte Aufruf stammt, schöpft auf seiner Webseite den, äh, diskussionswerten Begriff "Politikschaffende". Nun also sind die "Politikschaffenden" aus dem größten frei gewählten Parlament der Welt, dem Deutschen Bundestag, in der Sommerpause. Zeit für eine kleine medienpolitische Bilanz.

Dass die im Koalitionsvertrag angekündigte Zustellungs- und/oder Digitalisierungs-Förderung für Zeitungsverlage im heftig diskutierten Haushalt für 2024 nicht vorkommt, stand schon vorige Woche im Altpapier. Damit wird in der laufenden Legislaturperiode gar nichts mehr kommen, kommentiert KNA-Mediendienst-Leiter Steffen Grimberg unter der Überschrift "Kein Konzept, nirgends":

"Der Haushalt 2024 ist nun geschnürt, steht wegen des Ukrainekriegs und anderer Faktoren ohnehin unter massivem Druck und wird nun garantiert nicht wegen der Medienpolitik noch mal aufgeschnürt. Dass die beteiligten Ministerien ... in ihren Etats plötzlich jede Menge freier Mittel finden, die sich entsprechend umschichten ließen, glaubt doch wohl bitte niemand. Damit ist der Zug auch für 2024 abgefahren."

2025 werde sowieso kein Zug mehr starten, da dann ja der nächsten Bundestags-Wahlkampf anläuft. Grimberg bezieht sich auf ein hier indirekt am Freitag indirekt erwähntes KNA-Interview mit Kultur- und Medien-Staatsministerin Claudia Roth. Wer Zugang hat, sollte es lesen. Es ist bemerkenswert, wie vehement die prominente Grüne da dementiert, dass zumindest ihre Zuständigkeit für das Gesetz feststehe.

Inzwischen frei online lesen lässt sich das ebenfalls am Freitag hier zitierte "epd medien"-Interview mit dem Medienpolitik-Macher des Bundeslands Hamburg, Carsten Brosda.

Als ehemaliger Journalist und Rockmusiker versteht es Brosda gut, prägnante, zustimmungsfähige Zeilen zu formulieren und so schnell gemeinsam mit dem jeweiligen Publikum staunend vor der vorgestrig-zähen Medienpolitik zu stehen – und vergessen zu lassen, dass er selber als Hamburgs Mediensenator und seine Partei SPD dafür mitverantwortlich sind. Im epd-Interview kommt das weiter hinten zur Sprache. Auf der fünften von sieben DIN-A-4-Seiten, die es gedruckt umfasst, beklagt Brosda:

"... Tatsächlich werden heute aber Medienredaktionen abgebaut, verschwinden Medienseiten, und diejenigen, die sich mit den Strukturen von Medien auch journalistisch selbst- und fremdbeobachtend auseinandersetzen, können wir mittlerweile an zwei Händen abzählen. In den 70er Jahren hat die SPD einen ganzen Parteitag zum Thema Medienpolitik gemacht. Die Medienkommission der SPD wird in diesem Jahr 50 …"

"Es gibt die Medienkommission der SPD also noch?", fragt Interviewerin Diemut Roether erstaunt.

"Natürlich gibt es die noch, genauer gesagt heißt sie jetzt Medien- und Netzpolitische Kommission. Ich leite sie gemeinsam mit Heike Raab und dort wird intensiv gearbeitet. Wir haben erst vor wenigen Wochen einen Beschluss zum Thema KI-Regulierung veröffentlicht."

Dann bringt Brosda das Problem der Bundesländer-betriebenen deutschen Medienpolitik eloquent auf den Punkt:

"Dadurch, dass wir zwischen den Landesregierungen die Staatsverträge verhandeln, kommen die zu einem Zeitpunkt in die Landesparlamente, an dem wir als Regierungen sagen: Es wäre schön, wenn ihr zustimmt, denn das ist ja schon ausgehandelt. Der vorlaufende Diskurs gehört in die allgemeine Öffentlichkeit und das gelingt uns momentan nicht. Das war früher anders. Wir hatten früher große medienpolitische Debatten ..."

Und erinnert daran, dass es mal eine Bund-Länder-Kommission zur Medienkonvergenz gab. In den mittleren 2010ern war das. Die habe "damals einen Abschlussbericht gemacht und es gibt im Koalitionsvertrag den Auftrag, dass eine neue entstehen soll". Aber im Koalitionsvertrag steht ja vieles ... Wäre das Altpapier ein Tiktok-Video, könnte der Abschnitt hier als aufschlussreiche Endlosschlaufe von vorn beginnen. (Bloß der Hinweis, dass Brosdas Partei SPD den Bundeskanzler stellt und über allerhand bundespolitische Gestaltmacht verfügt, müsste irgendwie noch rein).

[Transparenzhinweis: Für den KNA-Mediendienst und "epd medien" schreibe ich jeweils gelegentlich.]

Sommerpause beim RBB? Nee

Wenn die Sommerpause im September endet, wird schon fast die neue RBB-Intendantin Ulrike Demmer ihr Amt antreten. Am 15. September soll sie antreten, hörte zumindest der umtriebige Steffen Grimberg bei der letzten Sitzung des RBB-Rundfunkrats vor seiner Sommerpause.

Am gestrigen Dienstag tagte nach dem Rundfunk- dann auch der Verwaltungsrat noch mal. Da wurde der inzwischen rund 1,4 Millionen Euro teure, doch weiterhin noch nicht abgeschlossene Zwischen-Bericht der Kanzlei Lutz Abel zu den Schlesinger-Affären besprochen, um ihn dem Rundfunkrat weiterzuleiten (der freilich schon Sommerpause hat ...). Noch gespannter wurden Details zum vom Verwaltungsrat zu verhandelndem Vertrag der (vom Rundfunkrat) schon gewählten neuen Intendantin erwartet, vor allem: ob Ulrike Demmer echt deutlich weniger verdienen wird als ihre hoch bezahlten Vorgängerinnen. Und wie sich das auf die Gehälter weiter unten in der steil ausdifferenzierten Hierarchie der Anstalt auswirken könnte ...

Dazu drang noch nichts nach außen, bzw. kam was noch Spannenderes dazwischen: ein Rücktritt im nur achtköpfigen Verwaltungsrat. Mal wieder businessinsider.de hatte als erstes die Nachricht, dass Vera Junker, ehemalige Staats­anwältin sowie SPD-Mitglied, ihr Amt wegen eines "möglichen Interessenkonflikts" nieder­legte. Zur "neuen Affäre beim RBB" (zusammengefasst bei turi2.de) gehört, dass nun auch die noch amtierende Intendantin Vernau hineingezogen werden könnte. Für Stoff in der Sommerpause bleibt also gesorgt. Zumal es auch noch Axel Springer gibt ...

Klagen rund um Springer

Sieh an, Benjamin von Stuckrad-Barre steht gar nicht mehr in der "Spiegel"-Bestsellerliste. Das könnte damit zusammenhängen, dass es gar keine Klagen gegen sein jüngstes Buch gab, die die Aufmerksamkeit hochgehalten hätten.

Rund um und auch von Springer wird dennoch viel geklagt oder mit Klagen gedroht. Zum einen sorgt sich Michael Hanfeld heute auf der "FAZ"-Medienseite unter der Überschrift "Schutz für Informanten? Gibt es nicht" über gleich zwei Landgerichts-Urteile aus Berlin und Hamburg. Jeweils erzielte der "Berliner Zeitungs"-Verleger Holger Friedrich Erfolge gegen den Ex-"Bild"-Chef, also Ex-Springer-Führungsmitarbeiter Julian Reichelt (siehe v.a. dieses Altpapier). "Eines der Urteile erschüttert eine Grundfeste des Journalismus", schreibt Hanfeld, nämlich das der 67. Zivilkammer des Berliner Landgerichts:

"Nach der Vorstellung des Gerichts versteht sich der Informantenschutz der Presse nicht von selbst, er bedürfe einer vertraglichen Verabredung. Mehr noch, so folgern die Richter der 67. Zivilkammer, müssten Informanten doch fest damit rechnen, verraten zu werden ..."

Die Anwälte Reichelts, der als relative Galionsfigur des neuen Portals nius.de (AP gestern) ja auch an Öffentlichkeit interessiert ist, hätten bereits angekündigt, in die nächste Instanz zu gehen, weiß die "FAZ".

Springers Rechtsabteilung selber, in dieser Sache einstweilen nicht beteiligt, drohte wiederum einem ungewöhnlichen Duo mit Klagen: der großen britischen "Financial Times" und dem kleinen deutschen Portal medieninsider.com, das zwar oft und gern über Springer berichtet, aber kaum aus dem scharf Springer-kritischen Blickwinkel, aus dem viele andere Medien das tun. Da geht's um die schon auf diversen anderen Ebenen besprochene Frage, wieviel Recht auf Privatsphäre der Springer-Chef und Verleger Mathias Döpfner genießt. Nicht zuletzt dank der "Bild"-Zeitung und ihrer boulevardigen Berichterstattung über Prominente aller Art wurde er ja zum Milliardär. Über seine nachgeholte runde und offenkundig teure Geburtstagsparty in Anwesenheit so bekannter globaler Medienmenschen wie Elon Musk und Netflix-Chef Reed Hastings möchte er gern nichts berichtet wissen. "Dass es kein geringerer als Mathias Döpfner war, der als BDZV-Präsident flammende Reden für die Pressefreiheit hielt, scheint das Geburtagskind vergessen zu haben", kommentiert Hendrik Zörner im Internetauftritt der Journalistengewerkschaft DJV. Auch das dürfte spannend bleiben ...


Altpapierkorb (Threads/Twitter, Zeitschriften, "miserabel" schreibende KI, Tiktok-Geopolitik, Werbefernseh-Alarm)

+++ "Nach einer Auswertung der Webanalyse-Firma Similarweb sank der Datenverkehr zu Twitter nach dem Threads-Start am Donnerstag im Wochenvergleich um fünf Prozent", also kräftig, meldet u.a. der "Tagesspiegel" zum neuen Wettbewerb zwischen den Mikroblogging-Plattformen (Altpapier). +++ "Threads' größter Vorteil dürfte sein, dass es nicht Elon Musk gehört. Der größte Nachteil ist, dass Mark Zuckerberg dort die Regeln macht", kommentierte von Harald Staun in der "FAS". +++ Wer in den Wettbewerb eingreifen möchte, sollte auch Mastodon in Erwägung ziehen. Hier unser Altpapier-Account dort ... +++

+++ Während RTL immer weitere Gruner+Jahr-Zeitschriften verkauft, "Business Punk" an die nicht so punkigen Weimers und dann wohl "11 Freunde" und "Art" an den "Spiegel"-Verlag, glaubt Rebekka Reinhard, dass auch lesende Menschen weiter Zeitschriften kaufen werden und stellt mit "vier Monaten Gründungszeit, vier Mitarbeitern, viel Nachtarbeit" eine neue auf die Beine (uebermedien.de). Um Künstliche Intelligenz soll es in "human" gehen. +++

+++ Von US-amerikanischem Ärger über einen von KI an der menschlichen Redaktion vorbei, aber "miserabel geschriebenen" Text bei gizmodo.com berichtet heise.de. Es ging um "Star Wars"-Filme. +++

+++ In Frankreich sieht ein "fast 200-seitiger Bericht" einer staatlichen Untersuchungskommission in Tiktok "eine 'internationale Schlagkraft' des Regimes in Peking, um 'den Widerstand einer globalen Jugend zu schwächen, die in einigen Jahren den Hauptkonkurrenten' zum chinesischen Modell darstellen werde", meldet die "FAZ"-Medienseite. Frei online berichtet dazu ebenfalls heise.de. +++

+++ Während in der "Welt" Conrad Heberling, der einst für diverse deutschsprachige Privatsender arbeitete, die "Alarmstufe Dunkelrot fürs deutsche Fernsehen" ausruft (weil Netflix' und Amazons Streamingdienste ihnen die Fernsehwerbung wegnehmen), meldet dwdl.de, dass RTL2 seine Werbevermarktung nach zwei eigenständigen Jahrzehnten an RTL abgeben will.

Das nächste Altpapier schreibt am Donnerstag Ralf Heimann.

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