Kolumne: Das Altpapier am 10. Juli 2023 Naht der Twitter-Tod?
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10. Juli 2023, 11:09 Uhr
Der Launch von Mark Zuckerbergs Plattform Threads trifft Twitter mitten in der Krise. Was kann Threads, was Twitter nicht (mehr) kann? Heute kommentiert Johanna Bernklau die Medienberichterstattung.
Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.
"Twitter ist ein Dienst, mit dem Freunde, Verwandte und Kolleginnen miteinander kommunizieren und durch den regelmäßigen Austausch kurzer Nachrichten in Kontakt bleiben können." Das, was eher klingt wie die Beschreibung von WhatsApp, ist die hauseigene Definition von Twitter – und die letzte Idee, die ich hätte, wenn ich das Netzwerk beschreiben müsste.
Twitter ist Diskurs, oder sollte das zumindest sein. Ein Ort, an dem sich Politiker und Promis mit ihren Fans und Hatern auseinandersetzen, auf Nachrichten von Normalos anworten, alle auf der gleichen Bühne sind und jeder etwas sagen darf.
Doch Twitter ist ein Ort der Provokation, des Hasses, ein Ort des Versagens geworden, vor allem des Versagens von Elon Musk. Er denkt sich für seine Plattform ständig neue Funktionen – bzw. Nicht-Funktionen – aus, die den Usern das Leben schwer machen (siehe dazu auch dieses Altpapier von vergangener Woche).
Für die Twitternden also, die nicht ihre eigene wohlwollende Bubble um sich geschaffen haben oder mit besonders viel Geduld ausgestattet sind, steht die Plattform unter einem sinkenen Stern.
Twitter vs. Threads
Pünktlich zum aktuellen Twitter-Chaos launchte Meta nun vergangene Woche seine Zwitscher-Alternative, die seit mehreren Monaten bereits in der Entwicklung war (und es offenbar immer noch ist): Ausgestattet mit diversen datenschutzrechtlichen Problemen, noch einigen user-unfreundlichen Baustellen und vor allem einer Menge Instagram-Nutzer im Gepäck, die in den ersten zwei Tagen nach dem Start bereits für 70 Millionen Neuanmeldungen geführt haben, könnte Threads zu einer echten Konkurrenz für Twitter werden.
Doch die will es angeblich gar nicht sein. Instagram-Chef Adam Mosseri wird auf "The Verge" folgendermaßen zitiert:
"Das Ziel ist nicht, Twitter zu ersetzen. Das Ziel ist, einen öffentlichen Raum für Communities auf Instagram zu schaffen, die Twitter nie wirklich gut fanden, und für Communities auf Twitter (und anderen Plattformen), die an Unterhaltungen an einem weniger wütenden Ort interessiert sind."
Interessant aber, dass Threads dann doch unbedingt vergangene Woche gelauncht werden musste, obwohl die Plattform noch gar nicht ganz ausgereift ist. Instagram-Chef Mosseri meinte dazu: "Wir hatten Angst, dass sich das Zeitfenster schließt. Timing ist wichtig."
Was kann Threads, was Mastodon nicht kann?
Threads ist nicht die einzige neue(re) Plattform, die von Elon Musks Eskapaden profitiert. Heise.de berichtet von einer Million App-Installationen bei Bluesky und 110.000 Neu-Anmeldungen bei Mastodon an einem Tag.
Mastodon galt bislang als die Twitter-Alternative mit den größten Erfolgschancen. Das dürfte sich jetzt geändert haben. Obwohl Mastodon mit seiner dezentralen Netzwerkstruktur aus datenschutzrechtlichen Aspekten ein wahrer Vorreiter unter den sozialen Medien ist, ist es wahrscheinlich auch genau das, was ihm das Genick bricht: Es ist zu kompliziert.
Mark Zuckerberg hat dagegen einfach das gemacht, was er am besten kann (kopieren) und mit seinem Namen und dem seines Unternehmens anscheinend so viel Vertrauen aufgebracht, dass sich bereits jetzt Millionen User mit ihrem Instagram-Konto (und ihren damit verbundenen Kontakten) bei Threads angemeldet haben, was bereits knapp einem Sechstel der aktiven Twitter-Nutzer entspricht.
Und das sind wohl keineswegs nur neugierige Einmal-und-nie-wieder-Anmelder. Laut "The Verge" gab es auf Threads bereits einen Tag nach dem Launch über 95 Millionen Posts, die statt 280 Zeichen 500 haben dürfen. Dafür gibt es aber (noch) keine Hashtags oder die Möglichkeit zum Suchen nach bestimmten Themen oder Trends und das Abrufen eines Feeds, in dem nur Inhalte derjenigen zu sehen sind, denen man folgt.
Ob der Hype bleibt?
Die Unzufriedenheit der Twitter-User muss groß sein, wenn Threads trotz mangelnder Funktionen einen solchen Hype erfährt. An dieser Stelle sei nochmal daran erinnert, dass Meta, der Konzern hinter Threads, erst im Mai über eine Milliarde Euro Strafe zahlen musste, weil er gegen EU-Datenschutzrichtlinien verstoßen hatte. Deshalb gibt es Threads aktuell auch noch nicht auf dem EU-Markt: Der Datenschutz muss erst überprüft werden.
Twitter-Chef Elon Musk ist natürlich alles andere als begeistert über die neue Konkurrenz. Neben lächerlichen Kindergartenspielchen droht er seinem Rivalen Mark Zuckerberg aber auch mit rechtlichen Schritten: Wie das ZDF berichtet, behauptet ein Twitter-Anwalt in einem Brief, dass Meta Dutzende Ex-Beschäftigte des Kurznachrichtendienstes eingestellt und mit deren Wissen Threads entwickelt habe. Meta weist diese Anschuldigungen von sich.
Wer gewinnt also den Kampf um einen neuen, besseren Kurznachrichtendienst? Obwohl das von Instagram-Chef Adam Mosseri beschriebene Ziel von Threads ein ähnlich schwammiges ist, wie das von Twitter selbst ("einen öffentlichen Raum für Communities zu schaffen", aha), liegt es vor allem an den (zukünftigen) Usern, zu welchem Ort sie die Plattform machen werden: Zu dem des soften Austauschs, der harten Diskussionen, der puren Provokationen oder zu dem, der irgendwann wieder vergessen ist.
Altpapierkorb (Polit vs. PR, nius.de, "Bild" und ChatGPT)
+++ Der anstehende Antritt der neuen rbb-Intendantin Ulrike Demmer wirft in der "Süddeutschen Zeitung" die Frage auf, wie mit den fröhlichen Wechseln zwischen Journalismus und Polit-PR umgegangen werden soll und ob dabei an mehr gedacht wird, als an die eigene Karriere: "Im Vergleich zu [journalistischen] Arbeitgebern ist viele Polit-PR paradiesisch sicher fremdfinanziert. Auch langfristig kann man nur hoffen, dass […] sich daraus also nicht die Falschannahme entwickelt, man könne als Regierung Journalismus letztlich ersetzen und die Leute einfach mit noch mehr PR bewerfen. Wohin das führen würde? In die Dunkelheit."
+++ Mit rechtskonservativen Medien befasst sich das Medienmagazin des WDR und geht dabei auf das neu gegründete Nachrichtenportal nius.de ein, das auf den Mist von Julian Reichelt gewachsen ist und sich ganz frech als "die Stimme der Mehrheit" bezeichnet.
+++ "Bild"-Leser können ihre "Bild"-Nachrichten nun auch über ChatGPT abfragen. Timo Lokoschat, stellvertretender Chefredakteur von "Bild" begründet das laut dwdl so: "Künstliche Intelligenz unterstützt nicht nur die journalistische Arbeit, sondern schafft, wie mit dem ChatGPT-Plugin für 'Bild', auch neue Zugänge für unsere Leserinnen und Leser." Aha. +++
Das Altpapier am Dienstag schreibt Annika Schneider.