Kolumne: Das Altpapier am 05. Juli 2023 22 Jahre Medienkrise
Hauptinhalt
05. Juli 2023, 11:08 Uhr
Hat MDR-Chefredakteurin Julia Krittian in Sachen "Mittagsmagazin"-Moderation im "Tagesspiegel" das Gegenteil von dem geäußert, was sie intern gesagt hat? Wird der "Stern" noch seiner gesellschaftlichen Verantwortung gerecht? Warum gab es am Samstag Schleichwerbung in der "Tagesschau"? Heute kommentiert René Martens die Medienberichterstattung.
Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.
MDR-Pressestelle setzt auf kontrollierte Defensive
Einer beim MDR erscheinenden Medienkolumne kann es ja nie schaden, mit Kritik am MDR einzusteigen, also machen wir das heute mal. Der Anlass: Die Frage, wer künftig das ARD-seitig ab 2024 vom MDR verantwortete "Mittagsmagazin" von ARD und ZDF moderieren wird (Altpapier, Altpapier), ist in der medienjournalistischen Berichterstattung weiterhin präsent.
Das NDR-Medienmagazin "Zapp" weist in einem Thread darauf hin, dass es nach seinen Informationen Widerspruch gebe zwischen dem, was MDR-Chefredakteurin Julia Krittian intern und in einem am Dienstag hier zitierten "Tagesspiegel"-Interview gesagt hat:
"Mehrere Teilnehmer:innen einer Redaktionskonferenz von Mima und Krittian bestätigen 'Zapp‘, sie habe gesagt, dass man sich beim MDR in Ostdeutschland verwurzelte Menschen wünsche."
Im "Tagesspiegel" hatte Krittian dagegen geäußert, "eine solche Aussage" habe sie "nicht getroffen".
Die "Zapp"-Leute erwähnen dann auch noch, man habe "viele Fragen an den MDR gestellt – leider wurden fast alle nicht beantwortet". Und einen Transparenzhinweis gibt es auch: Aimen Abdulaziz-Said, einer der beiden aktuellen MiMa-Moderierenden, der die Debatte mit angestoßen hat, sei "auch mehrere Jahre für ZAPP als Autor" tätig gewesen. Dass Abdulaziz-Said für den NDR immer noch als Moderator arbeitet, nämlich bei "Panorama 3", hätte man der Transparenz-Vollständigkeit halber aber durchaus erwähnen können.
Auch t-online.de hat in der Angelegenheit recherchiert:
"Am Dienstag heißt es noch zu t-online: 'Der MDR startet gemeinsam mit dem ZDF ab Januar ein auf zwei Stunden erweitertes 'Mittagsmagazin' mit einem weiterentwickelten publizistischen Konzept.‘ Es solle 'mehr Vielfalt und Tiefgang’ geboten werden. Die Grimme-Preisträgerin (…) Nadia Kailouli sowie ihr Kollege Aimen Abdulaziz-Said kommen dafür offenbar nicht infrage."
Dass die als Moderatorin nun offenbar nicht mehr erwünschte Kaiouli für den Film, für den sie (gemeinsam mit Jonas Schreijäg) den Grimme-Preis bekommen hat, auch mit dem Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis ausgezeichnet wurde, sei hiermit noch nachgetragen (siehe auch Altpapier).
Über Verantwortung und Mut
Dass Anna-Beeke Gretemeier aus ihrer Elternzeit nicht in die Chefredaktion des "Stern" zurückkehrt, wird vielerorts gemeldet, unter anderem in der SZ, wo Anna Ernst schreibt:
"Mit ihr (geht) nun eine Chefredakteurin, die sich für Diversität und Gleichberechtigung einsetzte, und digitalen Zukunftsfragen als zugewandt galt."
Mindestens so bemerkenswert ist das, wie Greetemeier bei Twitter erläutert, dass sie sich "mit sofortiger Wirkung" vom "Stern" verabschiedet:
"Wenn wir etwas bewegen wollen - und das sollten wir als Journalist:innen - brauchen wir moderne Medien, die sich ihrer gesellschaftlichen Verantwortung bewusst sind…."
Das darf man wohl so verstehen, dass der "Stern" nicht (mehr) zu diesen Medien gehört. Dass dieser Befund richtig ist, hat das Magazin in der vergangenen Woche mit seinem "Ein bisschen Sex und ein bisschen Nazi"-Cover (um Willi Winkler zu zitieren, siehe Altpapier von Freitag) eindrucksvoll bewiesen.
Wie viele Medien sich überhaupt noch "ihrer gesellschaftlichen Verantwortung bewusst sind", wäre allerdings noch eine andere Frage. Mit wiederum anderen generellen Defiziten des Journalismus befasst sich Frank Jöricke im ND. "Zu wenig Geld, zu wenig Ego" steht in der Überschrift. Und im Vorspann heißt es: "Den Journalismus hat der Mut verlassen." Inwiefern?
"Als Werbetexter weiß ich, wie man zielgruppenspezifische Texte verfasst. Doch diese Art des Schreibens hat im Journalismus nichts verloren. Dort wünsche ich mir Menschen, die ohne Schere, also ohne Zielgruppe im Hinterkopf schreiben. Selbstbewusste Autoren, die notieren, was sie sehen und nicht, was ihre Leser vielleicht sehen wollen."
Jöricke blickt dann auch noch auf den Beginn dieser Entwicklung zurück - beziehungsweise auf die Anfänge dessen, was man heute als "Medienkrise" oder "Printkrise" bezeichnet:
"Als Erstes wurden die Leuchtturmprojekte geopfert. 'Spiegel Reporter‘ wurde 2001 eingestellt. Da prognostizierte der Zukunftsforscher Matthias Horx noch gewohnt irrlichternd: 'Internet wird kein Massenmedium‘ 2002 traf es die 'Berliner Seiten‘ der FAZ sowie das 'jetzt‘-Magazin der Süddeutschen Zeitung. Danach ging es ans Eingemachte."
Kritik am Experten für alles
Eine auf der englischen Plattform "Hyphen" erschienene Kritik an dem von vielen deutschen Journalistinnen und Journalisten angehimmelten Ahmad Mansour nimmt Moritz Baumstieger zum Anlass für einen Text im SZ-Feuilleton:
"Dass Mansour ein Sendungsbewusstsein hat, das manchmal bis an die Grenze von Geltungsdrang anwachsen kann, sagen nicht nur Leute, die ihn näher kennen, das konnten vor Kurzem auch die Zuschauer der 'Tagesschau‘ erleben: Bei einem Interview zu den Krawallen in Frankreich prangte Mansours letztes Buch 'Operation Allah‘ gut sichtbar links im Bücherregal, mit dem Titel nach vorne ausgerichtet, zu seiner Rechten die Urkunde zu seinem Bundesverdienstkreuz. Ein Fehler, twitterte Mansour später in Bezug auf das Buch - es sei noch von einem früheren Online-Vortrag dagestanden und nicht zur Schleichwerbung in einer öffentlich-rechtlichen Nachrichtensendung."
Am vergangenen Samstag passierte dieser "Fehler", und zwar gleich im allerersten Beitrag der 20-Uhr-Ausgabe der "Tagesschau". Es sagt aber auch einiges über jemanden aus, wenn er für einen "Online-Vortrag" im Hintergrund sein eigenes Buch und einen Orden so platziert, dass alle Zuschauer es sehen können. Davon mal abgesehen: Der Kollege oder die Kollegin, der für die "Tagesschau" das Video-Interview geführt hat, hätte die "Schleichwerbung in einer öffentlich-rechtlichen Nachrichtensendung" natürlich verhindern müssen.
Baumstieger schreibt des weiteren:
"Kritiker des Islamkritikers (stellen) eher grundsätzlich Fragen, was Mansour zum Medienexperten für alles qualifiziere, das im weitesten Sinne mit Migration und Muslimen zu tun hat, für Clankriminalität und Silvesterkrawalle, IS-Anhänger und französische Banlieues."
Mansour-Fans gibt es leider auch beim MDR.
Altpapierkorb (Ralf Ludwigs Gehalt, ARD-Kultureinheitsprogramm, Abschiedsausgaben von G+J-Titeln)
+++ Dass der kommende MDR-Intendant Ralf Ludwig 280.000 Euro brutto im Jahr verdienen wird, berichtet der "Flurfunk".
+++ Auf den Kultur- und Klassikwellen der ARD könnte es zwischen 20 und 8 Uhr bald ein Einheitsprogramm geben. Das schreibt die "Neue Musikzeitung".
+++ Stefan Niggemeier hat für "Übermedien" die Abschiedsausgaben zahlreicher G+J/RTL-Zeitschriften ("Walden", "Guido" etc.) gelesen: "Man ahnt auch als (zu) spät gekommener Leser, dass jedes dieser Magazine eine kleine Welt war: mit eigener Haltung, spezieller Mischung, unverwechselbarer Gestaltung, wiedererkennbarem Humor. Um eine Zeitschrift, "die ich vorher noch nie in der Hand gehabt hatte", tue es ihm jetzt besonders leid, "weil mich ihr gelassener Humor sofort angesprochen hat". Gemeint ist "Brigitte Wir".
Auch das Altpapier am Donnerstag kommt vom Autor der heutigen Kolumne.