Kolumne: Das Altpapier am 19. Juni 2023 Oh nein, es ist geschafft!
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19. Juni 2023, 11:18 Uhr
Der RBB-Rundfunkrat wählt die Journalistin und ehemalige Regierungssprecherin Ulrike Demmer zur Intendantin. Und sieht sich mit Einordnungen des Wahlverfahrens von "Chaos" über "Fiasko" bis "Posse" konfrontiert. Aber das Ergebnis finden zumindest einige gar nicht schlecht. Heute kommentiert Klaus Raab die Medienberichterstattung.
Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.
Der RBB hat vermutlich eine neue Intendantin
Oh nein, es ist geschafft! Die Journalistin und ehemalige Regierungssprecherin Ulrike Demmer ist die neue, designierte Intendantin des Rundfunks Berlin-Brandenburg. Am Freitag wurde sie vom Rundfunkrat der öffentlich-rechtlichen Anstalt gewählt, und damit endet ein länglicher, von erheblicher Kritik begleiteter, offensichtlich schwieriger, die Arbeit der Gremien infrage stellender (Altpapier), stellenweise auch unprofessionell wirkender Prozess. Jetzt muss nur noch der Vertrag verhandelt werden.
Demmer bekam von den 24 anwesenden Rundfunkratsmitgliedern 16 Stimmen. Zwei Drittel. Das genügte. Das bedeutet allerdings auch, dass acht der 24 sie nicht wählten, obwohl nach mehreren Wahlgängen nur sie allein noch zur Wahl stand. Zwei Kandidatinnen und -ten hatten ihre Bewerbung zurückgezogen, eine gab nach einigen Wahlgängen auf, und die amtierende Interimsintendantin Katrin Vernau hatte, obwohl sie dem Vernehmen nach zur Verfügung gestanden hätte, gar keine abgegeben. Am Ende blieben zwei Bewerberinnen übrig, die intern nicht gerade gefeiert wurden. Personalrat und Freienvertretung forderten am Freitag kurz vor Wahlbeginn gar ein neues Bewerbungsverfahren (dpa); die NDR-Medienjournalismus-Redaktion von "Zapp" zitierte bei Twitter einen RBB-Mitarbeiter, der kritisierte,
"… dass von vier Kanditat:innen heute nur noch zwei zur Wahl stehen: 'Das ist eine Dame, die vorher Regierungssprecherin war, und eine Dame von Vodafone.’ Aus seiner Sicht sind beide Kandidatinnen schwierig, 'weil es für uns keinen Neuanfang möglich macht’."
Johannes Schneider schrieb bei Zeit Online am Vormittag vor der Wahl:
"Es wäre nun eigentlich das Beste, man begänne beim rbb noch mal ganz von vorn mit der Intendantinnenkür. Zu beschädigt ist das ganze Verfahren, als dass eine Kandidatin wirklich Autorität hätte, selbst wenn sie mit Zwei-Drittel-Mehrheit vom Rundfunkrat gewählt würde. Das verbliebene Kandidatinnenduo drückt den Willen der Findungskommission und damit letztlich den des ganzen Senders auch nicht aus."
Überschriftenvergleich!
Es kann also nicht als ausgemacht gelten, dass Demmer ihre Zwei-Drittel-Mehrheit bekommen hätte, wenn man alle, die inner- und außerhalb des RBB eine Meinung zum Wahlverfahren äußerten, hätte mitwählen lassen. Mitten im Wahlprozess gab es eine ausführliche Aussprache, eigentlich ohne Öffentlichkeit (worüber bei "Breitband" im Deutschlandfunk Kultur diskutiert wurde); allerdings war dann gegen 17 Uhr wohl versehentlich ein Mikro offen (wie man im Liveticker von dwdl.de nachlesen kann), undsoweiter – um es mit dem "FAZ"-Medienredakteur Michael Hanfeld zu sagen, der ein "Fiasko" wahrgenommen hat: Das Wahlverfahren "passt ins Bild, das der Skandalsender immer noch abgibt."
Nun arbeitet Hanfeld nicht immer mit dem Florett, wenn er über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk schreibt; aber es ist schwer, eine Beobachterin oder einen Beobachter der Wahl zu finden, die oder der es völlig anders sah. Frederik von Castell etwa schrieb am Wochenende im "Übermedien"-Newsletter:
"Wenn 2023 mit der Wahl der Schlesinger-Nachfolge ein möglichst unbelasteter und reibungsloser Neustart gelingen sollte, so kann man das bereits als gescheitert ansehen. Gar nicht mal so sehr, weil mit Ulrike Demmer nun eine ehemalige Sprecherin der Bundesregierung den von Filz-Vorwürfen gebeutelten Mitarbeiter:innen voransteht. Vielmehr, weil der Weg zu ihrer Wahl in Potsdam und ebenjene selbst, man muss es so sagen: typisch für den rbb waren".
Die weit verbreitete Wahrnehmung ist damit zusammengefasst. Schauen wir uns nur die Überschriften, Dachzeilen und Unterzeilen der nicht öffentlich-rechtlichen Medien an: "Nach chaotischem Wahlverlauf" (tagesspiegel.de), "Nach irrem Wahlgeschehen" (faz.net), "Pleiten, Pech und Pannen" (taz.de), "Auch die Wahl zur Intendantin verläuft chaotisch" (sueddeutsche.de), "Eine Wahl, so verkorkst wie die Lage des Senders" (welt.de), "Posse der Woche" (dwdl.de), und spiegel.de schreibt von einer "desaströsen" Wahl und einer "Posse über Geraune und Gewurschtel".
tl;dr: Von außen betrachtet wirkte die Wahl chaotisch, irre, desaströs, verkorkst.
Ein leicht anderes Bild ergeben nur Überschriften und Titeleien auf den beiden für dieses Thema relevantesten öffentlich-rechtlichen Seiten der ARD: rbb24.de und tagesschau.de vermittelten in ihren Vollzugsmeldungen einen Eindruck von Reibungslosigkeit, den sie aber ziemlich exklusiv hatten.
Der RBB ist zur kritischen Berichterstattung über den eigenen Sender absolut fähig, das hat er im vergangenen Jahr bewiesen, und auch in Wasserstandsmeldungen während der Wahl hat die Redaktion von rbb24.de gezeigt, dass Journalismus für sie keine Unternehmenskommunikation ist. Aber es fiel (zumindest mir) doch auf, dass eine Information, die anderen Beobachtern zentral schien, in der abschließenden Wahlergebnis-Meldung dort etwas nach hinten priorisiert wurde. Dass Ulrike Demmer "zwischen 2016 und 2021 (…) stellvertretende Regierungssprecherin unter der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel" gewesen ist, wurde dort erst berichtet, nachdem ihre journalistischen Stationen aufgezählt worden waren. Andere drehten die Reihenfolge um. Beide Varianten sind vertretbar. Aber Quellenkritik ist dann auch vertretbar.
Journalistin und ehemalige Regierungssprecherin – oder umgekehrt
Wie wichtig die Information ist, dass Demmer mal für eine Regierung kommuniziert hat, darüber lässt sich streiten. Dieser eine Spiegelstrich in ihrer beruflichen Biografie bedeutet nicht, dass sie nicht eine gute Intendantin sein kann. Auch nicht, dass sie ungebührlich nah an der Politik sein muss. Und etwas von Politik zu verstehen und gut vernetzt zu sein, kann einer Intendantin auch nicht schaden. Aber es bedeutet eben doch, dass es einem öffentlich-rechtlichen Haus nicht gelungen ist, jemanden für die Intendanz aufzutreiben, die oder der keine Zweifel an der Unabhängigkeit zulässt. Zeit Online formulierte es so: "die ehemalige Regierungssprecherin Ulrike Demmer bringt Politikerfahrung mit (gut), aber auch Politiknähe (anrüchig)."
Zumal Demmer, wenn auch ohne Parteibuch, die SPD vertrat, "also die Partei des Brandenburger Ministerpräsidenten", wie der "Spiegel" schreibt – und damit die Partei des Mannes, der sich ins Wahlverfahren eingemischt hatte (Altpapier), was manche für "einen unzulässigen Eingriff in den öffentlich-rechtlichen Rundfunk" halten, "der das Gebot der Staatsferne gefährde".
Cicero.de, um nur ein Beispiel zu nennen, kostete Demmers vorübergehenden Seitenwechsel vom Journalismus in die Politik jedenfalls genüsslich aus:
"Die AfD lacht sich kaputt, die SPD genießt leise ihren Triumph, die Belegschaft des Senders ist verzweifelt, und die wenigen verbliebenen Freunde von ARD und ZDF greifen sich an den Kopf, wie ein Gremium den Gegnern des öffentlich-rechtlichen Rundfunks eine solche Vorlage liefern kann."
Ob die Zweifel aus echter Überzeugung oder nur strategisch geäußert werden, ist ein anderes Thema. Demmers Tätigkeit für eine Regierung liege schon etwas zurück, schreibt Christian Meier von der "Welt", der ihre Arbeit als Journalistin höher rankt. Dennoch, schreibt er,
"stellt sich die Frage der Vereinbarkeit mit dem Desiderat der politischen Unabhängigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Aber klar, der aktuelle ARD-Vorsitzende Kai Gniffke ist beispielsweise SPD-Mitglied und der langjährige BR-Intendant Ulrich Wilhelm war vorher Regierungssprecher von Angela Merkel und CSU-Mitglied. Die reine Lehre sieht anders aus."
tl;dr: Demmer bietet durch ihre vorübergehende Tätigkeit als Regierungssprecherin eine Angriffsfläche, und keine zu bieten, wäre für den RBB und den öffentlich-rechtlichen Rundfunk besser.
Und nun?
Für die Innenwirkung spielt anderes eine vielleicht noch größere Rolle: nämlich, dass beim RBB wegen der anstehenden Umbauten und Sparmaßnahmen ohnehin ein ziemlicher Trouble herrscht, dessen Befriedung jemanden vertragen könnte, der die Belegschaft hinter sich weiß.
"Der Sender braucht den digitalen Umbau, finanziellen Durchblick, braucht Befriedung des Konflikts mit den freien Mitarbeitern, braucht mehr Brandenburg-Berichterstattung – und er braucht ganz viel Heilung für seine verwundete Seele",
schreibt Claudia Tieschky in der Montags-"SZ". Und das ist jetzt Demmers Job. Wie sie den macht, das ist allerdings viel offener, als die Berichterstattung über die Chaosfiaskodesaster-Wahl klingt. Möglich ist, dass rund um ein Bewerbungs- und Wahlverfahren die Dinge besonders aufgeladen wirken und sich in den nächsten Monaten und Jahren alles unter Ulrike Demmers ruhiger überlegter Führung entspannt. Dass sie ihre Sache gut macht. Immerhin hat der RBB nun wieder eine Intendantin, die längerfristig denken und planen und die einen eigenen Stil etablieren kann. Wobei die Erfahrung zeigt: Wir sollten das alles wirklich lieber mal abwarten.
Zweierlei wird Demmer aber jetzt schon zugute gehalten: "Aus den Anhörungen verlautete, dass sie ein schlüssiges Konzept für ihre Amtszeit vorgelegt habe", schreibt die "Berliner Zeitung" online. Und die "SZ" meint:
"Wenn Ulrike Demmer spätestens am 15. September antritt, verdient sie mindestens 110 000 Euro weniger als 13 Monate davor Patricia Schlesinger. Das hat auch Konsequenzen für das gesamte Gehaltsgefüge in einem Sender. Zwangsläufig drückt es auch die Gehälter der Direktorinnen und Direktoren im Sender, damit ein Unterschied zum Intendantengehalt bleibt. … So viel Wirkung schon vor Amtsantritt hat noch keine Intendantin erzielt."
Daniel Ellsberg ist gestorben
Ein Mann ist 92-jährig gestorben, der Geschichte geschrieben hat: der Whistleblower Daniel Ellsberg, der etwa 7000 als streng geheim klassifizierte Dokumente des US-Verteidigungsministerium nach außen getragen hatte und so 1971 eine Veröffentlichung der "New York Times" ermöglichte – die sogenannten "Pentagon Papers". Das sorgte dafür, dass Ellsberg von Präsident Richard Nixons Sicherheitsberater Henry Kissinger damals intern als "gefährlichster Mann Amerikas" diskreditiert wurde. Michael Sontheimer schreibt bei spiegel.de:
"Die 'Pentagon Papers' enthüllten die völkerrechtswidrigen Flächenbombardements der U.S. Air Force in zwei vietnamesischen Nachbarländern, im neutralen Kambodscha und in Laos. Kriegsverbrechen, die Hunderttausenden von Zivilisten das Leben kosteten."
Ellsberg hielt sich zugute, dass die Publikation der Pentagon Papers zum Ende des Vietnamkriegs 1975 beitrugen. Sein Name bleibt aber auch verbunden mit einer späteren Generation von Whistleblowern: Chelsea Manning etwa oder Edward Snowden, der sich an Ellsbergs Vorbild orientiert haben will, wie die "FAZ" in ihrem Nachruf erwähnt.
Wer weitere, weniger bekannte Perspektiven auf Ellsberg kennenlernen möchte, sei auf Ellsbergs Twitter-Account hingewiesen, auf dem seine Familie nun an ihn erinnert. Dort sind mehrere persönliche Nachrufe verlinkt: von seinem Sohn etwa, oder seiner Enkelin, die auf den Seiten der "Washington Post" über ihren Großvater schreibt, er sei ein "film fanatic" gewesen.
Altpapierkorb (Verschlossene Auster, Medienkodex, Presserats-Rügen, Personalabbau-Meldung, Sonntagstalk)
+++ Holger Friedrich, der Verleger der "Berliner Zeitung", soeben frisch vom Presserat gerügt (Altpapier vom Freitag), wurde am Wochenende ausgezeichnet: mit der "Verschlossenen Auster" des Journalistenvereins Netzwerks Recherche, einem Negativpreis. Eigentlich wird er dem "Informationsblockierer des Jahres" verliehen, bei Friedrich habe man eine Ausnahme gemacht, er bekomme ihn für einen "Bruch des Quellenschutzes", fasst sueddeutsche.de zusammen.
+++ Auch ein Thema bei der Jahrestagung des Vereins: die Frage, ob oder inwiefern Journalistinnen und Journalisten PR machen dürfen – und wie PR definiert ist. Thomas Schuler schreibt in der "taz": "Es sind vier Worte aus dem Medienkodex des Netzwerk Recherche (NR) von 2006, die dessen Arbeit seit fast 20 Jahren begleiten und prägen: 'Journalisten machen keine PR.' Was radikal und klar formuliert ist, wirft in der Praxis für Journalist:innen viele Fragen auf, die bei der diesjährigen Jahreskonferenz erneut kontrovers diskutiert wurden."
+++ Nicht nur Holger Friedrich wurde vom Presserat gerügt, es gab noch 21 weitere Rügen. Die Liste gibt es auf den Seiten des Rats. Die meisten bekommen wieder "Bild" und bild.de, es sind aber diesmal nur vier.
+++ Das "Handelsblatt" schreibt, bei "Bild" könne es zu einem deutlichen Personalabbau kommen, vor allem in der Regionalberichterstattung.
+++ Die "Süddeutsche" vom Samstag nahm sich den Sonntagstalk vor: "Caren Miosga soll in der ARD auf Anne Will folgen, und einmal mehr stellt sich die Frage: Wie müsste ein toller Polit-Talk am Sonntagabend beschaffen sein?" Ganz schön hintenrum: dass die Frage nur "Fernseh- und Kulturprominente" beantworteten, und zwar in Statementform.
Am Dienstag schreibt das Altpapier Christian Bartels.