Kolumne: Das Altpapier am 1. Juni 2023 Ganz unten
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01. Juni 2023, 11:38 Uhr
... in der Rangliste der Medienfreiheit fühlt der NATO-Partner Türkei sich wohl. In der Medienpolitik spielt Gemeinnützigkeit weiter keine Rolle. Aber bei der Inhaltskontrolle geht's voran. Und sparen die Öffentlich-Rechtlichen im eigenen Management? Heute kommentiert Christian Bartels die Medienberichterstattung.
Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.
Türkische Medienpolitik
Der NATO-Mitgliedstaat und EU-Beitrittskandidat Türkei ist in der aktuellen "Rangliste der Pressefreiheit" der Reporter ohne Grenzen sechzehntletzter. Damit liegt er zwar zwölf Plätze vor dem Iran, in dem nun Niloofar Hamedi und Elahe Mohammadi, die als erste über Jina Mahsa Aminis Ermordung durch die sogenannte Sittenpolizei berichtet hatten, vor Gericht stehen ("taz") und man Schlimmes befürchten muss. Doch auf ihrem Platz 165 rangiert die Türkei klar hinter dem Afghanistan der Taliban (152) und knapp hinter Russland (164). Gerade tut sie viel, um bloß nicht nach oben zu rutschen. Leonie Schmitt, die sicherheitshalber lieber nicht von vorn gezeigt werden möchte, berichtet bei mmm.verdi.de aus der Türkei:
"Das sogenannte 'Desinformationsgesetz', das im Oktober verabschiedet und hier von allen nur 'Zensur-Gesetz' genannt wird, stellt ein Instrument dar, das zwar schon angewandt, aber noch nicht annähernd ausgeschöpft wurde. Damit ließe sich die öffentliche Debatte, die ohnehin fast nur noch in den Sozialen Medien stattfindet, noch weiter zügeln. Nicht neu, aber bedenklich, insbesondere wenn dieses Instrument der Regierung noch häufiger zum Einsatz kommt, ist die staatliche Medienaufsichtsbehörde RTÜK. Nur zwei Tage nach der Stichwahl kündigte sie ein Ermittlungsverfahren gegen die Journalistin Cigdem Toker an, weil diese in der Wahlnacht bei FOX News den Hinweis gewagt hatte, dass es für eine Demokratie mehr als Wahlen braucht ..."
Laut Wikipedia ist diese Rundfunkbehörde RTÜK ähnlich strukturiert wie vergleichbare Gremien hierzulande. Zum Leitungsgremium gehören außer Regierungsvertretern auch einige Oppositionelle. Die "FAZ" vermeldet außer den RTÜK-Strafverfahren auch, dass
"Ilhan Tasci, Mitglied der RTÜK und der Oppositionspartei CHP, berichtete, dass Erdogan zwischen dem 1. April und dem 11. Mai rund 48 Stunden Sendezeit bei Liveübertragungen im Fernsehen zugeordnet werden könnten", Gegenkandidat Kemal "Kilicdaroglu hingegen nur 32 Minuten".
Deutschland "lässt nicht annähernd genügend Taten folgen", um seine gerne geäußerten hehren Worte über Pressefreiheit und Menschenrechte mit Leben zu füllen, meint Schmitt bei mmm.verdi.de. Andererseits nennt sie kritische türkischsprachige Angebote wie die "Cosmo"-Radiosendungen des WDR "äußerst wertvoll". Wobei das Erdogan-Regime in keinem anderen Land der Welt, die Türkei inbegriffen, so gute Wahlergebnisse erzielte wie hierzulande – und der deutsche Regierungschef dem türkischen Regimechef ungefähr so schnell zur Wiederwahl gratulierte, wie die RTÜK erste Strafen verkündete.
Gemeinnützigkeit nicht so, aber Inhaltskontrolle
In der deutschen Bundes-Politik sind zwar einige Kompetenzen für Medien, besonders fürs Internet, versammelt. Doch tut sich wenig. Eine Anfang kommender Woche geplante Diskussion des Forums Gemeinnütziger Journalismus wurde gerade abgesagt, weil das Forum auf die Teilnahme von Kultur- und Medien-Staatsministerin Claudia Roth dann doch "vergeblich ... gehofft" hatte. Statt die schon ältere, bloß noch kein bisschen in irgendeine Praxis umgesetzte Idee, journalistischen Projekten ähnlich wie "Hundesport und Schach" Gemeinnützigkeits-Status zu ermöglichen, muss Roths Behörde womöglich erst mal die ebenfalls ältere, ebenso unverwirklichte Idee einer Zeitungs-Zustellungs- oder Digitalisierungs-Subvention stemmen.
Immerhin wurde vorige Woche vom Bundeskabinett der Entwurf eines neuen Onlinezugangsgesetzes beschlossen. Allerdings löste er von der "FAZ" ("Kaum Ehrgeiz bei Digitalisierung") bis netzpolitik.org ("reiht sich ... ein in den hierzulande wohlbekannten Gänsemarsch der Verwaltungsdigitalisierung") keinerlei Begeisterung aus. Nachdem das Vorgängergesetz von anno 2017 für die Einführung digitaler Verwaltungsleistungen immerhin noch Fristen bis 2022 gesetzt hatte (die bekanntlich weitgehend verfehlt wurden), setzt das Nachfolgegesetz lieber keine Fristen mehr.
Aber etwas tut sich doch, und zwar "intensivieren die föderale Medienaufsicht (Landesmedienanstalten) und das Bundeskriminalamt ... ihre Zusammenarbeit". Das vermeldete die nordrhein-westfälische Medienanstalt. Während die Düsseldorfer Medienwächter von Arbeit "für ein demokratischeres Netz" sprechen, sieht netzpolitik.org es kritischer und schreibt von "neuer systematischer Überwachung von Online-Inhalten" sowie einer "neuartigen Infrastruktur von staatlicher Inhaltskontrolle im Netz". Darum geht's:
"Sie haben eine Sendung im Fernsehen oder einen Inhalt im Internet gesehen und vermuten einen Rechtsverstoß? Für Ihre Anfragen und Beschwerden haben wir entsprechende Formulare entwickelt. Wir prüfen das für Sie und werden bei Bedarf aktiv."
Nach Einreichungen über dieses Beschwerdeformular werden einerseits die schon mal in diesem Altpapierkorb erwähnte Software namens KIVI (in deren Namen KI, also Künstliche Intelligenz, steckt) aktiv, andererseits die Medienwächter und von ihnen Beauftragte, und dann direkt das BKA:
"KIVI sucht nicht nur nach Volksverhetzung, sondern etwa auch nach Pornografie und Inhalten, die Drogen verherrlichen. ... ... Im vergangenen Jahr sagte uns eine Person, die im Auftrag der Medienaufsicht strafbare Inhalte sucht, sie komme sich vor 'wie ein Internet-Polizist'. Der Vergleich ist gar nicht so weit hergeholt, immerhin nennt das BKA die Medienaufsicht 'Kooperationspartner'. Ein umgangssprachliches Wort dafür wäre wohl Hilfssheriff",
schreibt Sebastian Meineck bei netzpolitik.org und legt am Ende mit einem noch böseren Vergleich nach:
"Im Februar wurden Details über ein zumindest technologisch ähnliches System aus Russland bekannt."
Dass gewiss gut gemeinte deutsche Gesetze, etwa auch das Netzwerkdurchsetzungsgesetz, autokratischen Regimen (die bloß die Parameter, nach denen gesucht und bestraft werden soll, ihren Bedürfnissen anpassen müssen) oft als Vorbild dienen, ist einer der zentralen Kritikpunkte an solchen Plänen.
Frische Einspar-Ideen im ÖRR
Der RBB haut gerade eine Menge Pressemitteilungen raus. Z. B. wurde eine neue Justiziarin gefunden. Mit Kerstin Skiba ist es die, die den Posten bereits kommissarisch bekleidete, nachdem Vorgängerin Susann Lange gegangen worden war. Dass es sich da nicht mehr um einen "Direktionsposten", sondern um eine "Hauptabteilungsleitung" handelt, dürfte so zu verstehen sein, dass der RBB etwas weniger Geld zahlt als zuvor.
Die laut dwdl.de "bemerkenswerte Pressemitteilung, die der RBB am Mittwochnachmittag versendet hat", findet sich nicht in der eben verlinkten PM-Übersicht, aber bei rbb24.de. Da geht es darum, dass RBB weiterhin noch mehr Geld zahlen wird. "Anwaltskosten steigen auf über zwei Millionen Euro" lautet die Überschrift. Gabi Probst, die bewährte Reporterin in eigener Anstalten-Sache, berichtet, dass die "Compliance-Untersuchung" der im Sommer 2022 beauftragten Kanzlei Lutz Abel nun aber wirklich Ende Juni 2023 fertig werden soll. Bis dahin werden die Kosten der externen Juristen weiter steigen, wie es eben kommt und dummerweise vereinbart worden war. Die RBB-Pressestelle wird im rbb24.de-Bericht mit der hübschen Formulierung von "notwendigem Verbesserungsbedarf im Verwaltungshandeln des rbb" zitiert ...
Dritterseits, womöglich kann die teure Anwalts-Arbeit, wenn sie endlich fertiggestellt sein wird, dabei helfen, wenn der RBB-Verwaltungsrat seine schon ein bisschen – z. B. bei der Wieder-Herabstufung des Justiziariats zur Hauptabteilung – begonnenen Initiativen zur "spürbaren Absenkung der außertariflichen Gehälter" fortführen, ja, im Juli "noch einmal grundsätzlich ... beraten" möchte. (Oder wenn andere Anstalten bzw. deren Gremien sich das Beispiel übernehmen). Davon handelt noch eine RBB-PM.
Heißt: Auf der Suche nach Einspar-Möglichkeiten, außer im Programm auch auf den zahlreichen Ebenen des umfangreichen Anstalten-Managements, tut sich was. Beim WDR etwa soll es in den elf Landesstudios "künftig nur noch 18 statt 24 Führungskräfte" geben, meldet dwdl.de. Andererseits wurden im ZDF-Verwaltungsrat kürzlich stattliche Gehaltssteigerungen beschlossen. So erhält Verwaltungsdirektorin Karin Brieden künftig 271.560 statt 246.000 Euro im Jahr. Zuzüglich "Zusatzleistungen":
"Aufwandsentschädigung in Höhe von monatlich 520 Euro, Altersversorgung. Beihilfen, Familienzuschlag und Sterbegeld nach den für das ZDF jeweils geltenden Bestimmungen, Reisekosten, Tage- und Übernachtungsgelder, Trennungsentschädigung, Umzugskosten und ähnliche Leistungen nach den für das ZDF jeweils geltenden Bestimmungen, schließlich ein Dienstwagen, der auch für private Zwecke genutzt werden kann"
Woher der "Tagesspiegel" das so genau weiß? Weil, immerhin, der ZDF-Verwaltungsrat, inzwischen eine "Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse" seiner Sitzungen als downloadbare PDFs online veröffentlicht. Hier nämlich. Was den "Tsp." daran vor allem interessiert, ist die Frage, ob Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Haseloff, der sich regelmäßig für Einsparbemühungen und geringere Spitzenmanager-Gehälter ausspricht, als Rats-Mitglied gegen den Beschluss protestierte: "Musste er überstimmt werden?"
Dazu sollte Haseloff sich wahrscheinlich tatsächlich äußern. Der Verdacht, dass Politiker ihre Sitze in den entscheidungsmächtigen Gremien gerne auch nutzen, um das Spitzenpersonal für sich einzunehmen, so dass sie noch öfter interviewt werden als ohnehin schon (und bessere Chancen haben, ihre Wahlen zu gewinnen), sitzt in solcherart strukturierten Gremien schließlich auch immer mit am Tisch.
Altpapierkorb (Seymour Hersh, Vereinte Nationen, Madsack, Online-Werbung, "Tatort"-"Hype"?)
+++ "Ihre Geschichte wurde von anderen Medien sogar falsch kolportiert: Es hiess, Sie hätten behauptet, die Attentäter hätten Sprengstoff in Pflanzenform auf den Nord-Stream-Pipelines angebracht." – "Was für pflanzenbasierte Sprengstoffe?" – "Das war ein Übersetzungsfehler des deutschen Fernsehsenders ARD. ... ... Haben Sie nie davon gehört?" – "Ah, doch. Aber die meisten Leute haben das richtig verstanden ...": Da interviewte die "NZZ" Reporterveteran Seymour Hersh. +++
+++ Stéphane Dujarric, der Sprecher des Vereinten Nationen-Generalsekretärs António Guterres, wurde von der dpa "derart selektiv zitiert, dass der Eindruck entstehen konnte, er habe die Letzte Generation in Schutz genommen". Nur daher gab es in Deutschlands Medien, die ja immer gerne melden, was bei den meisten anderen auch gut klickt, zahlreiche Schlagzeilen à la "Vereinte Nationen kritisieren deutsches Vorgehen gegen Klimaaktivisten" (bei spiegel.de). Schreibt Joachim Krause, Direktor des Instituts für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel, heute auf der "FAZ"-Medienseite. +++
+++ Braucht es die oben erwähnte, ursprünglich während der Corona-Pandemie erdachte Zeitungs-Zustellungs-Subvention doch gar nicht unbedingt? Dass zumindest die Madsack-Mediengruppe ihren "Personalaufwand 2021 dank 'Zuwendungen der öffentlichen Hand' um 3,55 Millionen Euro senken konnte" und insofern gut von den Corona-Ausgaben profitierte, hat Markus Wiegand dem Jahresbericht des Zeitungsunternehmens entnommen (kress.de). +++
+++ "Wir sollten uns ernsthaft fragen, ob wir quasi den 'gläsernen' Internetnutzer wollen, allein aus dem Grund, dass wir bestimmte Produkte oder Serviceleistungen kaufen sollen": Das sagt Bundeskartellamts-Präsident Andreas Mundt anlässlich der Veröffentlichung einer Untersuchung des "automatisierten Handels mit Online-Werbeplätzen", und hat vor allem die "Datenkombinationspraktiken" von Alphabet, also dem Google-Konzern, im Blick. Stefan Krempl berichtet bei heise.de. Wobei zur Wahrheit gehört, dass das Kartellamt sich internationalen Plattform-Konzernen meist als Bettvorleger anschmiegt. +++
+++ "Diese Zeit des Hypes, als jeder 'Tatort' Gesprächsstoff und jede Personalie innerhalb des Sonntagskrimikosmos großes Thema zu sein schien, ist wohl endgültig vorbei", heißt es dann in der dpa-Zusammenfassung der "Tatort"-Einschaltquoten zum Ende der Saison. Senden am Ende die deutschen Öffentlich-Rechtlichen einfach viel zu viel zu viel zu viele Fernsehkrimis?
Das Altpapier am Freitag schreibt Klaus Raab.