Das Altpapier am 30. Mai 2023: Porträt des Altpapier-Autoren René Martens
"Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren im aktuellen Altpapier die wichtigsten Medienthemen des Tages. Bildrechte: MDR | MEDIEN360G

Kolumne: Das Altpapier am 30. Mai 2023 Ist wehrhafter Journalismus realistisch?

30. Mai 2023, 14:13 Uhr

Der "Spiegel" soll jetzt kein "Sturmgeschütz der Demokratie" mehr sein, sondern deren "Schutzschild". Eine Studie befasst sich mit den "Wirklichkeitskonstruktionen" in funk-Reportagen. Die Erzählung, dass Trump-Wähler das "normale", "echte" Amerika repräsentierten, ist nicht totzukriegen. Heute kommentiert René Martens die Medienberichterstattung.

Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.

Das Henne-Ei-Problem

Wenn man sich den Trend zur "Lüge in der Energiepolitik" (Altpapier von vor einer Woche) und zu verschiedensten Formen dessen, was man vielleicht etwas unscharf deutschen Trumpismus nennen könnte, anschaut, stellt sich unter anderem folgende Frage: Sind die Springer-Presse und ähnlich ausgerichtete Medien die treibende Kraft, und springereske Politikerinnen und Politiker lassen sich von ihnen "inspirieren", oder ist es umgekehrt?

Christian Stöcker schreibt in seiner aktuellen "Spiegel"-Kolumne über die "trumpeske Diffamierung des politischen Gegners":

"Die CSU (…) übernimmt die antigrünen Slogans der 'Bild'-Zeitung ('Heiz-Hammer', 'Heiz-Pranger', 'Heizungsspionage', 'Heiz-Stasi'), spricht im Gleichklang mit der AfD bei jedem Anflug von strategischem Denken von 'Planwirtschaft'. Dabei stellt bei den Grünen wirklich niemand die Marktwirtschaft infrage."

Ein anderer Aspekt, der in diesen Kontext passt: eine Äußerung von Adrian Daub (Altpapier) im Interview mit dem Magazin "Republik" zur Politik des Gouverneurs Ron DeSantis:

"(Er) (streicht) Schulen oder Unis in Florida die Gelder, weil sie sich mit Geschlechter­theorie oder Critical Race Theory beschäftigen (…) Im deutsch­sprachigen Europa fallen diese Kampagnen auf fruchtbaren Boden, weil die Medien seit Jahren fleißige Vorarbeit leisten (…) Die Kritik an den angeblich von Wokeness unterwanderten Institutionen bedient dieselbe Erregung, die Leute wie DeSantis jetzt für ihre Politik ausnutzen."

Auch in diesem Beispiel wären also Medien die Vorreiter, zumindest "im deutschsprachigen Europa".

Der Mythos von den zum Schweigen gebrachten normalen Leuten

In dem oben bereits verlinkten Altpapier von vergangenen Dienstag habe ich aus einem Text mit der Überschrift "All the Wrong Lessons from Trump’s Rise" zitiert, den der Historiker Thomas Zimmer für sein Substack "Democracy Americana" geschrieben hat. Nun ist ein zweiter Teil erschienen, der sich mit weiteren Fehlern der US-Medien befasst, aufgehängt erneut an dem CNN-"Town Hall Meeting" mit Trump (das auch ein Thema im neuen "epd Medien"-Tagebuch ist).

Zimmer kritisiert erst einmal den CNN-Präsidenten Chris Licht, der von Trump-Wählern das Bild malt,

"dass sie für 'einen großen Teil Amerikas' sprechen - einen beträchtlichen Teil, vielleicht sogar eine Mehrheit, die ansonsten aufgrund der Ignoranz und Arroganz der gebildeten, meist liberalen Eliten in den Küstenstädten ignoriert und vergessen wird. In dieser Sichtweise besteht die MAGA-Bewegung aus 'normalen Menschen' - ein belasteter Begriff -, zu denen Trump eine besondere Verbindung hat."

Für beide Behauptungen gebe es aber

"nur wenige empirische Belege - weder der Teil mit dem 'großen Anteil' noch der Teil mit dem 'bisher ignorierten' stehen auf festem faktischen Boden. Trump ist nicht mit einer populistischen Mehrheit ins Weiße Haus eingezogen, sondern mit einer Minderheit, die geografisch so verteilt war, dass sie ideal für (…) das Wahlmännerkollegium (…) geeignet war."

Dennoch sei

"die Vorstellung, dass diejenigen, die für Trump gestimmt haben und die ihn immer noch jedem anderen republikanischen Politiker vorziehen, eine schweigende und/oder zum Schweigen gebrachte Masse 'normaler Leute' darstellen, die irgendwie die Seele Amerikas verkörpern, weit verbreitet, weit über die Chefetagen von CNN hinaus. Offensichtlich kann sie nicht durch Zahlen und Daten widerlegt werden. Das liegt daran, dass es sich hier nicht um empirische Aussagen, sondern um ideologische Behauptungen handelt."

Sie reicht auch insofern "weit über die Chefetagen von CNN hinaus", als ja auch in Deutschland seit 2016 immer wieder mal irgendein Hühnerdieb mit solchen Behauptungen um die Ecke kommt. Zimmer meint:

"In einer demokratischen Gesellschaft sollten sich die politischen Medien bemühen, jene antidemokratischen Ideen aufzudecken, zu hinterfragen und zu kritisieren, die eine bestimmte Gruppe als das wahre Volk privilegieren, und die Behauptungen pseudopopulistischer Führer, das 'authentische' Volk zu vertreten."

Tatsächlich aber passiere "nur allzu oft das Gegenteil", und es sei "unwahrscheinlich, dass sich das ändert (…) Wir führen genau diese Debatte schon seit vielen Jahren. An diesem Punkt sehen wir eine völlige Unfähigkeit und/oder Unwilligkeit zu 'lernen'."

Zimmers Prophezeiung (die einem Historiker wie ihm leichter fallen dürfte als einem Journalisten):

"The mainstream media is not coming to the rescue of American democracy".

Daraus folge:

"The struggle against both Trump the person and Trumpism the political formation will have to be won in spite of a media environment that provides fertile ground for this kind of rightwing extremism."

Nun unterscheiden sich die politischen Verhältnisse in den USA und in Deutschland in vielen Aspekten, aber: Darauf, dass hiesige Medien in ihrer Gesamtheit dem deutschen Trumpismus wehrhaft begegnen werden, sollte man nicht setzen, dazu spielen - siehe oben - einige von ihnen eine ja viel zu starke Rolle in dieser, sagen wir mal: Bewegung. Beziehungsweise: Wer demnächst mal wieder den Begriff "wehrhafte Demokratie" im Munde führt, sollte sich nicht der Illusion hingeben, dass der Journalismus Nennenswertes zur Wehrhaftigkeit beitragen wird.

funk-Reportagen müssen politischer werden

Heute erscheint ein neues Arbeitsheft der Otto-Brenner-Stiftung. Der Titel der Studie lautet "Journalistische Grenzgänger: Wie die Reportage-Formate von funk Wirklichkeit konstruieren." Der Publizistikprofessor Janis Brinkmann (Hochschule Mittweida) untersucht hier die Beiträge der funk-Reportage-Formate "Y-Kollektiv" (Radio Bremen), "STRG_F" (NDR), "reporter" (WDR), follow.me reports (ZDF) und "Die Frage" (BR) zwischen 2016 und 2022.

Grundsätzlich ist die Studie wichtig, weil die untersuchten Formate in der medienjournalistischen Berichterstattung unterrepräsentiert sind - um es zurückhaltend zu formulieren.

Brinkmann arbeitet heraus, dass politische und wirtschaftliche Themen in der Gesamtheit unterrepräsentiert sind. Und Internationales eine noch geringere Rolle spielt. Wobei ich mir vorstellen kann, dass Letzteres auch mit den geringen Budgets für diese Formate zu tun hat.

Dass "der starke Fokus auf Reporter:innen oder Protagonist:innen als Hauptquellen" liegt und "beispielsweise Expert:innen oder Bürger:innen nur am Rande vorkommen", erwähnt Brinkmann auch. Und im letzten Satz der Zusammenfassung schreibt er:

"Auch um dem öffentlich-rechtlichen Anspruch gerecht zu werden, müssten beispielsweise Subjektivität deutlicher gekennzeichnet und politische sowie wirtschaftliche Themen stärker betont werden."

Mehr Politik und Wirtschaft? Auf jeden Fall. Ich befürchte aber, dass der funk-Reportage-Stil besser zu "lebensweltlichen" Themen passt. Dass die Subjektivität "deutlicher gekennzeichnet" werden müsste, finde ich aber nicht. Die fällt bzw. schlägt ja ins Auge.

Philipp Bovermann schreibt in der SZ über die Studie:

"Brinkmann verurteilt nicht, sondern versucht vielmehr, die Eigenheiten dieser journalistischen Formate zu ergründen. Sie stellten, schreibt er, 'Hybride traditioneller Darstellungsformen und Muster der Berichterstattung dar, die klassische Reportagen entgrenzen und unter den Bedingungen von Social Media dekomponieren", am ehesten vergleichbar mit dem New Journalism in der Tradition von Tom Wolfe oder Hunter S. Thompson. Das klingt eher nach Ehrenrettung als nach Kritik."

Thompson taucht als Bezugspunkt auch in der OBS-Pressemitteilung auf. Finde ich irreführend, denn der Name weckt - subjektiver Journalismus hin oder her - Assoziationen, die mit dem Bild, das ich mir bisher von diesen Formaten gemacht habe, überhaupt nicht in Einklang zu bringen sind.

Der Wehrmachtsjargon hat ausgedient

Was ist seit der Veröffentlichung des Altpapiers am Freitag an zusätzlichen Texten zum Wechsel an der "Spiegel"-Spitze erschienen? "Medieninsider" berichtet von Dirk Kurbjuweits Vorstellungsrunde vor der Belegchaft.

"Angelehnt an den alten Leitspruch von Gründer Rudolf Augstein, der Spiegel sei das 'Sturmgeschütz der Demokratie', wolle Kurbjuweit den Spiegel zum 'Schutzschild der Demokratie’ machen",

heißt es dort. Michael Hanfeld fühlt sich dadurch in der Samstags-FAZ zu einer kleinen Stichelei animiert:

"In kleinerer Münze wird Selbstbewusstsein beim 'Spiegel' nicht ausgegeben."

Erwähnenswert kann man die Wortwahl Kurbjuweits aber auch finden, weil sie einen Abschied vom "Wehrmachtsjargon" (Willi Winkler 2019 in "Das Braune Netz", siehe Altpapier, Altpapier) markieren könnten. Also einen Abschied vom Jargon jener Leute, die in frühen Jahren des "Spiegel" keinen geringen Einfluss auf das Heft genommen haben. Dass "Sturmgeschütz der Demokratie’ "ein etwas schräges Etikett" ist/war, "weil in ihm der Zweite Weltkrieg schon allein sprachlich nachklingt", schrieb Volker Lilienthal ja erst kürzlich bei "epd medien" im Kontext des Gutachtens zu Hans Abich (siehe Altpapier).

Zu der Frage, wofür der neue Chefredakteur Dirk Kurbjuweit inhaltlich-publizistisch steht, habe ich bisher nichts gelesen. Die Einschätzung "Edelfeder" machte schnell die Runde (siehe das bereits erwähnte Altpapier von Freitag), aber was dabei heraus kommt, nachdem er seine edle Feder in sein mutmaßlich nicht weniger edles Tintenfass getunkt hat, blieb bisher ausgespart. Ein paar bruchstückartige Anregungen für jene, die das Versäumte noch nachholen wollen, seien hiermit geliefert:

Über den Historiker Ernst Nolte, anlässlich dessen Tod der "Spiegel" 2016 schrieb, er habe "sich mit seiner Relativierung des Holocausts immer weiter in die rechte Ecke manövriert und von seinen Kollegen isoliert, hatte Kurbjuweit ebd. 2014 geschrieben (siehe Altpapier):

"Dieser Mann hatte nicht mit allem unrecht."

Im Herbst 2019 bemerkte Stefan Niggemeier bei "Übermedien" zu Kurbjuweits Texten über Angela Merkel (siehe auch Altpapier):

"Aktuell scheint seine wichtigste Aufgabe zu sein, einer Kanzlerschaft, zu der dem 'Spiegel' nichts mehr einfällt und die nach Meinung des Blattes und der meisten anderen längst hätte beendet sein müssen, noch einige Artikel abzupressen. Das erfordert Kreativität, Leidensfähigkeit, Ausdauer. Vor allem aber eine größere Bereitschaft, sich zum Horst zu machen."

Erwähnung im Altpapier fand dann 2020 auch ein befremdlicher Essay über Wut und Wutbürger.

Abrupter Sprung in die Gegenwart: Wutbürgerliche gibt es, wie mir scheint, auch beim "Spiegel", wie der Leitartikel der aktuellen Ausgabe zeigt, den Gunther Latsch unter dem Titel "Protestwichtel im Outlaw-Outfit" geschrieben hat und in dem er die "Letzte Generation" als "Klimasekte" bezeichnet. Die Passage, aus der die Überschrift stammt, lautet:

"Die freudige Empörung, mit der die Klimaaktivisten die Attacke der Bayern-Justiz kommentierten, legt den Verdacht nahe, dass sich die Protestwichtel im Outlaw-Outfit gruselwohl fühlen."

Das ist natürlich nur eine Position, die im "Spiegel"-Kosmos zur "Letzten Generation" zu haben ist, aber: "Klimasekte"? "Protestwichtel"? Mein lieber Herr Gesangsverein!

Zum Tod von Xaõ Seffcheque und Martin Reichert

In Punk-Zeiten, als Xaõ Seffcheque verschiedene Bühnen zu betreten begann, hätte man jemanden wie Gunther Latsch wohl als Boring old fart (BOF) bezeichnet. Der 1956 geborene Seffcheque spielte Rhythmusgitarre in der Düsseldorfer Punk-Soul-Band Family 5, war Hörspielautor, schrieb Drehbücher fürs Fernsehen und war Drehbuchdozent. In der vergangenen Woche ist er gestorben. Nachrufe sind am Wochenende erschienen bei kaput-mag.com und in der "Rheinischen Post". Letztere schreibt:

"Kaum jemand verkörperte den 'Alles ist möglich'-Gedanken des Punk wie er."

Seffcheque schrieb einige Drehbücher für den "Tatort", beförderte sich aber "ins Abseits aufgrund zu vieler Widerworte" gegenüber Redakteuren ("Freitag" 2016) und lieferte kürzlich noch Stoff für "Endlich Freitag im Ersten". Zum Wesen des Drehbuchschreibens äußerte er sich 2020 nahezu philosophisch im Videopodcast "Mastercut":

"Das Drehbuch ist eine Blaupause, (…) ein Architektenentwurf (…) Da ist alles drin, aber du kannst nicht drin wohnen. Letztlich muss auch wer anders, der kompetenter ist als ich, entscheiden, wie das Bauwerk verputzt wird (…)"

Am vergangenen Freitag starb der langjährige taz-Redakteur Martin Reichert, der seit dem Februar dieses Jahres in der "Spiegel"-Kulturredaktion gearbeitet hatte.

"Er hat sich, eben 50 geworden, (…) selbst aus dem Leben genommen",

schreibt dazu Jan Feddersen gleich zu Beginn seines Nachrufs in der taz. In dem würdigt er Reichert auch als Verfasser des "Standardwerks zur (überwiegend als 'schwul'" markierten) Aidsepidemie seit den frühen achtziger Jahren" ("Die Kapsel. Aids in der Bundesrepublik").

Im Gesellschaftsressort taz2/Medien, "2003 begründet und zunächst innerhalb der taz hochumstritten, war er mit seinen Beiträgen einer der tonsetzenden Autorinnen*", so Feddersen weiter. Und Arno Frank schreibt im "Spiegel"-Nachruf über Reichert: Er war ein "Poet, der über diese Zuschreibung nur mit den Augen gerollt hätte. Aber so hat er geschrieben, mit leichter Hand und langem Atem".


Altpapierkorb (neue Eskalation im Fall Gershkovich, MDR-Podcast über den Rechtsextremisten Sven Liebich, Essay zur Geschichte und Gegenwart des Hörspiels, Fortsetzung von "Born for this – mehr als Fußball")

+++ "Russland versucht, amerikanische Sorgen um den unter Spionagevorwürfen in Moskau inhaftierten Korrespondenten des 'Wall Street Journal' Evan Gershkovich zu benutzen, um die Berichterstattung der Zeitung zu beeinflussen" - mit diesen Worten beginnt ein Artikel im FAZ-Auslandsressort über eine "neue Eskalation" im Fall des inhaftierten Journalisten. Inwiefern Gershkovich "längst zum politischen Spielball Russlands" geworden, erläutert ausführlich Erica Zingher in der wochentaz.

+++ Für die taz stellt Luise Mosig einen MDR-Podcast über den Rechtsextremisten Sven Liebich vor: "Extrem rechts – Der Hass-Händler und der Staat". Mosig schreibt: "Dass ein aufmerksamkeitsgeiler Neonazi auf die große öffentlich-rechtliche Bühne geholt wird – der Podcast gibt an mehreren Stellen Liebichs rechtsextreme Tiraden wörtlich wieder –, ist in diesem Fall gerechtfertigt. Denn mit dieser untypischen personenzentrierten Erzählstrategie können die Hosts Jana Merkel, Thomas Vorreyer und Tim Schulz einleuchtend erklären, wie ein einzelner Mann öffentliche Räume mit menschenverachtenden Inhalten füllt, eine bedrohliche Atmosphäre schafft und Polizei und Justiz dauerbeschäftigt." Die Zahl der Ermittlungsverfahren (342) sei "schwindelerregend", aber: "In der Vergangenheit wurden die meisten Verfahren gegen Liebich eingestellt. Nur wenige Male wurde er verurteilt, in diesem Jahr erstmals zu einer Bewährungsstrafe." Siehe dazu wiederum ein Anfang des Jahres erschienenes Altpapier. Mosig bemerkt allerdings auch kritisch: "Mit Blick auf die Konkurrenz unter den ARD-Anstalten tut der MDR gut daran, sein Angebot an Recherchepodcasts auszubauen."

+++ "Die Geschichte des Hörspiels ist lang und respekteinflößend. Wie verorten wir uns darin, die selbst noch am Anfang stehen? Wie Hörspiele machen, Hörspiele schreiben nach 100 Jahren Hörspiel?" - damit befasst sich die Hörspiel-Autorin Andrea Geissler in einem Essay für "54 books". Dazu, was Hörspiel leisten kann, schreibt sie unter anderem: "Das Hörspiel hat genug Spielraum für sprachliche und körperliche Utopien. Eine davon wird inzwischen häufiger in der Besetzung praktiziert: Rollen werden genderblind besetzt. Denn noch immer gibt es statistisch mehr Männerrollen, auch im Hörspiel gibt es besonders für Schauspielerinnen mittleren Alters wenige Rollen. Wo es möglich ist, versucht die Besetzung hier starre Geschlechtszuschreibungen zu umgehen: Männliche Jugendliche dürfen auch mal etwas androgyner klingen und mit einer jungen Schauspielerin besetzt werden – ein Beispiel ist etwa Lotte Schubert in Matthias Brandts 'Blackbird' (Regie: Leonhard Koppelmann). Ähnlich verhält es sich mit fabelhaften Wesen, sprechenden Tieren, Erzählstimmen: hier entscheidet die Stimmfarbe und weniger die Tonlage. Ohnehin gewinnen Verschiebungen an Bedeutung: Verschiebungen zwischen Text und Tonspur – wenn etwa Sprachen und Körper nicht notwendigerweise miteinander identifiziert werden. So entstehen Zwischenräume zwischen Text und Sprache ganz oft dadurch, dass Zeilen nicht mehr von denen gesprochen werden, denen sie im Text zugeordnet sind."

+++ Im vergangenen Sommer kritisierte Frederik von Castell bei "Übermedien", dass es sich bei einer von der ARD gesendeten Produktion über die deutsche Frauenfußball-Nationalmannschaft ("Born for this – mehr als Fußball") um einen als Dokuserie camouflierten Werbe- bzw. Imagefilm handle, weil unter anderem der DFB das Projekt mitfinanziert hatte (siehe Altpapier). Nun berichtet von Castell, dass es eine zweite Staffel geben wird - allerdings beim ZDF. Sie startet am 15. Juli, also vor Beginn der kommenden Weltmeisterschaft. Das ZDF betont nun gegenüber "Übermedien", es gebe "keine Finanzierung oder finanzielle Beteiligung durch den DFB oder Werbepartner des DFB" und man werde darauf achten "dass die unabhängigen journalistischen Maßstäbe gewahrt bleiben. Von Castells Fazit: "Offenbar hat man beim ZDF also andere Ambitionen mit dem Projekt als die ARD."

Das Altpapier am Mittwoch schreibt Ralf Heimann.

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