Kolumne: Das Altpapier am 2. Mai 2023 DSC hallo, NetzDG adé
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02. Mai 2023, 10:18 Uhr
Durch die deutschen Was-mit-Medien-Gesetze geht frischer Wind. Rund um den Rundfunkbeitrag nimmt der "Selbstzerlegungsmechanismus" Fahrt auf. Und in der deutschen Datenschutz-Hauptstadt wurden nicht nur an Microsoft Negativpreise vergeben. Heute kommentiert Christian Bartels die Medienberichterstattung.
Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.
Neues aus dem Mediengesetze-Dschungel
Allmählich wird es ernster mit dem weitgreifenden EU-Gesetz, das in Zeiten, als es noch weiter weg schien, gern als "Grundgesetz fürs Internet" angekündigt wurde. Nicht allein hat die EU vergangene Woche die neunzehn "sehr großen Online-Plattformen" benannt, denen der Digital Services Act besondere Pflichten auferlegt (netzpolitik.org). Da gab es Überraschungen. Der schwer zu greifende, aber in so manchen EU-Mitgliedsstaaten wirkmächtige Nicht-nur-Messengerdienst Telegram ist nicht dabei, dafür mit Zalando ein nicht von Medien, eher von Schuhen getriebenes deutsches Unternehmen. Mit gleich fünf seiner Dienste ist der Google-Konzern Alphabet dabei.
Außerdem las heise.de am Freitag in einem background.tagesspiegel.de-Newsletter "unter Verweis auf einen Gesetzentwurf aus Kreisen der Bundesregierung", dass die für die DSA-Umsetzung wichtigste Stelle des deutschen Digital-Services-Coordinators (DSC) nun aber wirklich entschieden sei. Okay, dass die Bundesnetzagentur es wird, pfiffen die Spatzen schon länger von Berliner Dächern (Altpapier). Doch die Bestätigung durch die Bundesregierung fehlte (und fehlt streng genommen weiterhin), obwohl der Zeitrahmen für die DSA-Umsetzung vorgegeben ist.
Eine echte Neuigkeit wäre, demselben heise.de-Artikel zufolge, dass wegen des DSA im Februar 2024 "das seit 2017 bestehende Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) und das Telemediengesetz (TMG)" auslaufen sollen. Eben weil der umfassendere EU-Act im Prinzip die gleichen Regelungen vorsieht. Das dürfte eine gute Idee sein, weil Fragen, ob im Falle von Überschneidungen eher dieses oder eher jenes gilt, vermutlich viele Gerichte und Anwälte hätten beschäftigen können (die der DSA vermutlich sowieso beschäftigen wird). Und mit "Telemedien" verschwände einer der nur von deutschen Medienwachts-Behörden und von niemandem sonst verwendeten Begriffe. Das würde die Was-mit-Medien-Gesetze verständlicher machen.
Als gute Nachricht kann gelten, dass die Bundesregierung der Versuchung, noch eine "neue, eigenständige Superbehörde" zu schaffen, nicht erlegen ist. Geeignetes Leitungspersonal hätte sich im Freundes- oder Verwandtenkreis führender Regierungskoalitions-Parteien-Mitglieder sicher finden lassen. Wobei innerhalb der Netzagentur eine "eigene, völlig unabhängige Einheit" entstehen soll ... und Bundesnetzagentur-Präsident Klaus Müller als grüner schleswig-holsteinischer Umweltminister ja ein Vorvorgänger des heutigen Bundeswirtschaftsministers Habeck war. Aktuell mehr Verbreitung findet die Meldung, dass die Netzagentur ab 2032 achtzehn von ihren derzeit "46 Standorten mit insgesamt 2765 Beschäftigten" streichen will. Angesichts der künftigen Bedeutung der Agentur zumindest interessant zu wissen, dass sie aus der einst "sehr präsenten Post- und Fernmeldeverwaltung des Bundespostministeriums" hervorging ...
A propos Was-mit-Medien-Gesetze: Ob sich die Abkürzung "GGDG" durchsetzt, die flott über die Lippen gehen würde, stellt sich noch heraus. Das "Gesetz gegen digitale Gewalt" wird gerade erst geplant (und netzpolitik.org nennt "acht klaffende Lücken" im bestehenden Entwurf). Das Kürzel "PStTG" macht Spaß, wenn man es auszusprechen versucht, bezeichnet ein schon wirksames Gesetz ... und taucht weiter unten als Big Brother Award-Träger noch mal auf.
Rundfunkbeitrag & "Selbstzerlegung"
Medienmedien-Topthema der vorigen Woche war der Anmeldeschluss des künftigen Finanzbedarfs des öffentlich-rechtlichen Rundfunks bei der Finanzbedarfs-Ermittlungs-Kommission KEF (Altpapier). Die gute Nachricht: Alle Anstalten haben den Termin eingehalten. "Konkrete Höhen wurden nicht genannt", heißt's in der dpa-Überblicksmeldung. Dafür gibt es konkret klingende Prozentpunkte-Zahlen, die außerdem niedriger als die aktuell hohen Inflationsraten-Zahlen klingen: "Für Programm-, Personal- und Sachaufwendungen enthält die Anmeldung jährliche Steigerungsraten zwischen 2,16 und 2,71 %", veröffentlichte die ARD. Wie von Zauberhand errechnete das ZDF "bei der Prognose des Programmaufwands" eine "Teuerung von 2,16 Prozent pro Jahr", bei den Personalkosten eine "von 2,71 Prozent". Nur das Deutschlandradio kam beim Personal auf 2,45 Prozent.
Rein rechnerisch "ergäbe sich eine Steigerung von knapp 50 Cent pro Monat und ein Einnahmenzuwachs von 230 Millionen Euro pro Jahr", so die "FAZ", die natürlich weiß, dass die KEF die Zahlen runterrechnen wird. Und die Meldung bringt, dass die ostdeutschen Ministerpräsidenten Haseloff und Woidke "in einer Protokollnotiz des ZDF-Verwaltungsrats" noch mal wieder äußerten, dass sie für "keine Erhöhung des Beitrags" sind, weil "insbesondere die Akzeptanz der Höhe des Rundfunkbeitrags stetig sinkt". Sänke die Höhe, stiege die Akzeptanz. Vielleicht klingt das physikalisch logisch. Wobei die Mehrfachrollen der Ministerpräsidenten ein wesentlicher Teil des Problems sind. Erstens könnten die Bundesländer-Regierungen ja den sog. Auftrag für die Öffentlich-Rechtlichen und damit deren Finanzbedarf verändern (sofern sie sich in ihrer bunten Koalition allesamt einig werden). Zweitens haben sie in den Aufsichtsgremien der Anstalten viele Sitze inne (und könnten allerhand Einfluss auf die jeweilige Finanzplanung nehmen). Drittens müssen sie über eventuelle Erhöhungen in ihren Landtagen abstimmen lassen (allerdings ohne dass es viele Möglichkeiten zur Einflussnahme gäbe, wie zuletzt Haseloffs Sachsen-Anhalt vorm Bundesverfassungsgericht erfuhr). Viertens äußern sie sich öffentlich immer, wenn's passt, wie es gerade passt (was auch mit laufenden bzw. künftigen Wahlkämpfen und damit zusammenhängt, dass sie Einfluss in Rundfunkanstalten dafür gut gebrauchen können).
Ungefähr diese Gemengelage veranlasste Claudia Tieschky am Samstag auf der "SZ"-Medienseite zu folgender wütender Vorschau auf die mittlere öffentlich-rechtliche Zukunft:
"In Deutschland wird dieser Rundfunk in den nächsten zwei Jahren weiter ohne Not beschädigt werden, weil gerade wieder der gut bekannte Selbstzerlegungsmechanismus losgeht ... Es stellt sich die Frage, warum die Länderchefs und die Intendantinnen und Intendanten den absehbaren Streit nicht verhindert und dafür gesorgt haben, dass die Rundfunkabgabe ganz einfach sinkt. Warum sie so wenig getan haben, um diesen öffentlich-rechtlichen Rundfunk wirklich umzubauen und so zu schützen. Mögen sie ihn in Wirklichkeit nicht? Sind sie gelangweilt vom eigenen Programm? Haben sie keine Lust, sich durch banale Problemlösung um ein todsicheres Wahlkampfthema zu bringen, mit dem man auch rechts gut dasteht?"
Die recht exklusive Position, die Finanzbedarfs-Anmeldung bloß einfach zu niedrig zu finden, hält der DJV. Klar fordert die Journalistengewerkschaft "angemessene Gehalts- und Honorarerhöhungen". Warum sie damit aber nicht einen schönen Appell an die besser als Bundeskanzler bezahlten Intendanten sowie ans bestens versorgte Spitzenmanagement der zahlreichen Anstalten verknüpft, wenigstens symbolisch auf Teile ihrer Gehälter oder ihrer Altersversorgungen (oder allerwenigstens ihrer Zusatzverdienste aus kommerziellen öffentlich-rechtlichen Tochter- und Enkelfirmen) zu verzichten, um dem Sinken der Rundfunkbeitrags-Akzeptanz zu begegnen, bleibt ihr Geheimnis. Unter anderem so was hatten kürzlich Heiko Hilker und Ilja Braun in der "SZ" angeregten (Altpapier).
Neues rund um den RBB
Einstweilen unternehmen die Anstalten halt diese und jene kleineren Anstrengungen, um den Finanzbedarfs-Zuwachs gering zu halten. Vor allem arbeitsrechtliche Auseinandersetzungen des RBB mit seiner ehemaligen Chefetage werden mittelfristig größere Rollen spielen. Da erzielte die Anstalt gerade einen Erfolg gegen die außerordentlich gekündigte Leiterin der Hauptabteilung Intendanz, meldet der "Tagesspiegel". Die "SZ" bemühte sich unter der Überschrift "Ich wollte dieses System stärken" auch um die Perspektive Verena Formen-Mohrs. Womit sie nicht das System meint, in dem Spitzenmanager im Einvernehmen mit dem Verwaltungsratvorsitzenden und wer weiß wem noch ihre Einnahmen gegenseitig weiter erhöhten, sondern das "öffentlich-rechtliche System" im ursprünglichen, schönen Sinne.
Außerdem drohe nun das Kuriosum, dass das "ARD-Mittagsmagazin", das Patricia Schlesinger nach Berlin holte, das der RBB nun aber nicht mehr bezahlen will und/oder kann , in den tiefsten deutschen Südwesten umziehen müssen könnte: ins SWR-Funkhaus Baden-Baden, wo das "ARD-Buffet" produziert wird, das ebenfalls gegen Mittag auf Sendung geht. Dann "würde die einzige Nachrichtensendung aus dem Osten der Republik und damit die Repräsentanz ostdeutscher Themen und Belange aus dem ARD-Programm verschwinden", sorgt sich ebenfalls der "Tagesspiegel".
Klingt alarmierend. Doch für "die einzige Nachrichtensendung aus dem Osten der Republik" dürfte es auch wesentlich bessere Sendeplätze als ausgerechnet mittags geben, wenn eher wenige Menschen fernsehen – und Hauptstadtjournalismus, bei dem MdBs und vor allem die Regierungsparteien ausführlich zu Wort kommen, bieten die Öffentlich-Rechtlichen in mindestens ausreichendem Ausmaß.
Negativpreise für Microsoft, DHL und Zoom
"Die Hauptstadt des Datenschutzes" ist weder Berlin noch Baden-Baden, obwohl sie, zumindest einem Foto in diesem Mastodon-Post zufolge, ebenfalls mit "B" beginnt. Um das nach Scherzen, wie sie in metropolöseren Städten gern gerissen werden, womöglich gar nicht existente Bielefeld handelt es sich. Was zumindest schön illustriert, dass Datenschutz in Deutschland keine Hauptrolle spielt. In Bielefeld also vergab der Verein Digitalcourage e.V. am Freitag wieder seine "Big Brother Awards". "Der Negativpreis geht an Unternehmen, Behörden oder Personen, die aus Sichtweise der Jury besonders wenig Wert auf Datenschutz und Grundrechte legen", erläutert netzpolitik.org.
Der spektakulärste Preis ist der nach 21 Jahren zweiten "Lebenswerk"-Award für Microsoft. "Microsoft ist eine große Bevormundungsmaschine, die uns unserer digitalen Souveränität beraubt", pries Laudator Thilo Weichert. Wegen Informationen wie der, dass Microsoft in deutschen Behörden auf Google-artige Marktanteile von knapp unter 100 Prozent kommt, und Details wie dem, dass die Berliner Senatsverwaltung diesen Anteil 2022 noch erhöhte, indem sie "die zuvor beschlossene Versorgung aller Berliner Lehrkräfte mit der dienstlichen Software eines datenschutzkonformen lokalen Anbieters" kippte (was sich übrigens auf die rot-rot-grüne Giffey-Regierung bezieht), sind die ausführlichen Negativ-Laudatios auf bigbrotherawards.de/2023 lesenswert.
Die weiteren Preisträger bilden einen Querschnitt durch Datenkraken aller Art. Zu ihnen zählen die Deutsche Post/DHL, das FDP-geführte Bundesfinanzministerium für sein wenig bekanntes, aber in Kraft befindliches und offenkundig groteskes Plattformen-Steuertransparenzgesetz (PStTG) sowie das beliebte Videokonferenz-Angebot Zoom. Dabei handelt es sich zwar um ein US-amerikanisches Unternehmen, das aber "überdies chinesischer Kontrolle und Zensur" unterstehe, "da relevante Teile der Entwicklung in China stattfinden". Was eindrucksvoll belegt, dass Daten eben ein immaterielles Gut sind, das vielfach geteilt werden kann.
Altpapierkorb (Abich, Bertelsmann, Sportwetten, Whistleblower, Zeitungszustellung, Fernsehprogramm-Heftchen)
+++ Hans Abich, einst prägender ARD-Programmdirektor und dann Radio Bremen-Intendant, "hat falsche Angaben zu seiner Biografie während der Zeit des Nationalsozialismus gemacht", teilen die ARD und ausführlicher (mit runterladbaren Gutachten- und Stellungsnahme-PDFs) Radio Bremen mit. Ausgangspunkt der Nachforschungen war ein "Zeit"-Artikel im vergangenen Herbst (Altpapier). +++ "Eine persönliche Recherche" zu Abich schrieb fürs heutige "FAZ"-Feuilleton Michael Petzel, der sich sonst vor allem mit dem in den Nachkriegs-Jahrzehnten wichtigen, von Abich mitgegründeten Göttinger Filmstudio befasst. +++
+++ "In der ARD-Doku 'Der Hitler Fake' ..., die am Montag im Ersten lief, wird ... Bertelsmanns Mitverantwortung für das Desaster" "nicht benannt", wundert sich Thomas Schuler, anno 2000 einer der Altpapier-Initiatoren, bei uebermedien.de über den jüngsten der ziemlich zahlreichen Hitler-Tagebücher-Filme. +++
+++ "Die Legalisierung hat nichts eingehegt, sondern dem Profit mit der Abzocke Tür und Tor geöffnet", schreibt Alina Schwermer in der "taz" über "Deutschlands Sonderweg", durch den Glücksspielstaatsvertrag seit 2021 "Online-Glücksspiel unter Auflagen" und "Sportwetten bundesweit" zu erlauben, also auch Wettanbieter-Sponsoring in der ARD-"Sportschau". Das haben übrigens dieselben Bundesländer-Politiker ausgeheckt, die auch die Rundfunk- und Medienpolitik betreiben. +++
+++ Er würde "Whistleblowern raten, anonym zu bleiben", sagte Frederik Obermaier auf der Journalismuskonferenz in Perugia, auf der vor allem Whistleblower diskutierten. Ebenfalls die "taz" berichtet. +++
+++ Eine von Elon Musks jüngsten Launen könnte für journalistische Medien bedeutend werden. Nun soll man auf Twitter "einzelne journalistische Artikel zum Kauf anbieten" können (futurezone.at). +++
+++ Seit heute "schaut die deutsche Verlagswelt gespannt nach Thüringen, wie das Experiment wohl ausgehen mag", in einigen Ortschaften des Landkreises Greiz keine Zeitungen mehr austragen zu lassen, weil das zu teuer wurde. Daran erinnert der aktuelle "Spiegel". +++ Während dwdl.de meldet, dass das Supplement, also Tageszeitungen einmal pro Woche beigelegte Fernsehprogramm-Heftchen "Prisma" seine Auflage 2024 "auf rund acht Millionen Exemplare pro Woche" erhöhen wird, weil Bertelsmann dieses Geschäft aufgibt und den wichtigsten "Prisma"-Konkurrenten "rtv" einstellen wird. +++
Das nächste Altpapier schreibt am Mittwoch René Martens.