Kolumne: Das Altpapier am 28. April 2023 Ein Mann vom anderen Fach
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28. April 2023, 10:14 Uhr
Während klassische Verleger sich um die Zeitungszustellung sorgen, sorgt sich der "Berliner Zeitung"-Verleger Holger Friedrich wegen der Veröffentlichung interner Nachrichten – und leakt einen Leaker. Die ARD derweil spart an Social-Media-Kanälen – aber nicht, um zu sparen. Heute kommentiert Klaus Raab die Medienberichterstattung.
Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.
Ein geleaktes Leak
Leute, echt. Ist das alles womöglich ein großes Reality-Experiment? Es ist ja nicht so, dass die Frühjahrs-"Shitshow" (SZ) des Springer-Konzerns nicht schlammcatchy genug wäre. Jetzt drängt sich der Verleger der "Berliner Zeitung" und des "Berliner Kuriers" nach vorne und reißt seine Redaktionen ohne Not mit rein? Oder wie Laura Hertreiter in der "Süddeutschen" schreibt: "Es ist der 67. Akt der Tragödie ‚Axel Springer’, das Publikum ist schon leicht ermattet – nun aber Auftritt: Holger Friedrich."
Ralf Heimann hat gestern hier schon kurz erwähnt, worum es geht: Der besagte Verleger, Holger Friedrich, habe den Springer-Konzern darüber informiert, dass der ehemalige "Bild"-Chefredakteur Julian Reichelt ihm – "unaufgefordert", wie es beim "Spiegel" gestern hieß – interne Nachrichten übermittelt habe. Am Donnerstagmorgen, Zeitstempel 8.00 Uhr, erschien dazu ein Interview mit Friedrich bei manager-magazin.de, das zum selben Zeitpunkt (8.00 Uhr) bei der verlagsverwandten Redaktion von spiegel.de zitiert und zur breit wahrgenommenen Nachricht wurde.
Was im Raum steht, ist also, dass ein Zeitungsverleger einen Informanten verpfeift, und das dazu im Wissen, dass der mit seinem ehemaligen Arbeitgeber Rechtsstreitigkeiten austrägt. Das ist schon, so formuliert es der "Spiegel" zurückhaltend, "ein äußerst ungewöhnlicher Vorgang". Denn: "In der Regel gilt für Personen, die sich vertraulich an eine Redaktion wenden, der Informantenschutz."
Friedrich wird mit der Rechtfertigung zitiert, er habe kein Material an Springer weitergeleitet, sondern man habe sich entschieden, es "zu vernichten, weil es Persönlichkeitsrechte verletze". Und er sagt, er wolle "nicht in einer Welt leben, in der private Informationen von exponierten Personen öffentlich werden". Das kann er natürlich wollen und meinen. Das Problem ist also nicht, dass er die Ansicht vertritt, interne (irreführenderweise auch von ihm nun wieder "privat" genannte) Nachrichten eines Konzernchefs wie Mathias Döpfner an seine Angestellten dürften nicht öffentlich gemacht werden, offenbar auch dann nicht, wenn sie von öffentlichem Interesse sind.
Aber er tut so, als habe es nur zwei Alternativen gegeben: zugespielte Informationen entweder zu veröffentlichen oder den Informanten zu verraten. Das stimmt natürlich nicht. Es gibt einen dritten Weg für Journalismusschaffende, die Informationen zugespielt bekommen, die sie nicht veröffentlichen wollen. Sie können sie einfach, Achtung, jetzt kommt’s: nicht veröffentlichen. In der Redaktion der "Berliner Zeitung", in der Leute arbeiten, die etwas von Journalismus verstehen, weiß man das auch. Michael Hanfeld zitiert in der "FAZ" jedenfalls aus einem Whistleblowing-Formular aka "Briefkasten", das auf berliner-zeitung.de steht. Darin heißt es: "Wir prüfen gewissenhaft alle Informationen, geben aber keine Garantien für Veröffentlichungen ab."
Was dort ebenfalls zu lesen ist (und laut "Spiegel"-Redakteur Anton Rainer schon kurz nach der Übernahme des Verlags durch das Ehepaar Friedrich 2019 zu lesen gewesen war): "Wenn Sie auf Korruption, Amtsmissbrauch oder andere Missstände hinweisen wollen, sind Sie hier richtig. Dies ist kein Kanal, um Menschen zu denunzieren oder um persönliche Streitigkeiten zu verhandeln." [Fettung im Original]
Der gefettete Satz passt aber eher in eine Unternehmens-Netiquette. Am geltenden Prinzip ändert er gar nichts: "Informanten geht es häufig um Aufmerksamkeit, Rache oder Verrat, Steuerfahnder wissen, dass stets nach Scheidungen die wertvollsten Hinweise eingehen. Der Informantenschutz muss trotzdem gelten", schreibt die "Süddeutsche". Und Michael Hanfeld im Feuilletonaufmacher der "FAZ":
"Es könnte sich um einen eklatanten Fall von Informantenverrat und einen Verstoß gegen Ziffer 5 des Pressekodex handeln. Unter dieser Ziffer heißt es: ‚Die Presse wahrt das Berufsgeheimnis, macht vom Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch und gibt Informanten ohne deren ausdrückliche Zustimmung nicht preis.’"
Auch Holger Friedrich beruft sich auf Standards. Es sei "eine Frage professioneller Standards, den anderen darüber zu informieren, dass mir unsaubere Informationen zur Verfügung gestellt wurden", wird er zitiert. Die Frage ist aber, in welcher Branche diese Standards professionell sein sollen. Im Journalismus jedenfalls nicht. Und auch das weiß man bei der "Berliner Zeitung", deren Redaktion man das Handeln ihres, let’s say, eigenwilligen Verlegers wohl nicht anlasten kann, die aber mit drinhängt. Chefredakteur Tomasz Kurianowicz schrieb am Donnerstagmittag jedenfalls online:
"Ich als Chefredakteur habe die Dokumente gesichtet und eine Berichterstattung nach ihrer Prüfung aus journalistischen Gründen abgelehnt. Holger Friedrich hat als Unternehmer und Verleger unabhängig davon den Springer-Verlag über die Kontaktaufnahme von Reichelt informiert, um seinen unternehmerischen Standards zu entsprechen – professionellen Standards, deren Einhaltung er sich auch von anderen Verlagen erhofft und die in anderen Industrien als selbstverständlich gelten."
Bitteschön: in anderen Industrien. "Holger Friedrich wäre womöglich ein guter Autoverkäufer", schlussfolgert die "Süddeutsche".
Und Kurianowicz – der versucht, zu retten, was zu retten ist: "Die unternehmerische und redaktionelle Perspektive im Fall Julian Reichelt versus Axel Springer sind demnach verschieden. Die Redaktion der Berliner Zeitung bietet Quellenschutz, unabhängig davon, wer die Quelle ist."
Informantinnen und Informanten, auch solchen, die nicht uneigennützig agieren, allerdings ist es in der Regel egal, ob sie von der Redaktion oder jemandem aus dem Verlag verraten werden. Ihnen ist wichtig, dass es niemand tut. Insofern ist dieser Move von Holger Friedrich schon einer der ungewöhnlicheren, die der Verleger eines journalistischen Erzeugnisses unternehmen kann. Ungewöhnlich im Sinn von [dieses Wort bitte selbst auswählen].
Verleger warnen
Die sogenannten klassischen Verleger beklagen ein anderes Problem: die Uhrzeit. "Es ist eine Minute vor 12, wenn nicht gar nur wenige Sekunden!", so Jochen Anderweit, der Vorsitzende des Verbandes Nordwestdeutscher Zeitungsverlage und Digitalpublisher, am Mittwoch bei der Jahreshauptversammlung. Aber Sie haben es sicher gemerkt, es geht gar nicht um die Uhrzeit, es geht um Unterstützung der Zeitungsverlage bei der Zeitungszustellung durch die Bundesregierung. "Weiße Flecken" befürchtet Anderweit ansonsten "in der Zeitungslandschaft, in denen keine gedruckte Zeitung mehr ausgeliefert wird", wie die "dpa" meldete.
"Was insbesondere die Politik und hier Teile der Bundesregierung in Sachen Unterstützung der Zeitungsverlage tun, ist eine Unverschämtheit. Trotz entsprechender Ankündigung im Koalitionsvertrag, trotz vielfacher blumiger Zusage bei Kongressen, zu fördern, geschieht so gut wie nichts."
Viel passiert in der Hinsicht tatsächlich gerade nicht (Altpapier), was auch damit zu tun haben könnte, dass es auch Argumente gegen die von Verlagen gewünschte Printförderung gibt. Aber wer genau dann vielfach blumige Zusagen bei Kongressen gegeben haben soll, wüsste man gern. Die aktuelle Bundesregierung? So richtig scharf scheint sie ja nicht darauf zu sein, sich die Zeitungszustellförderung ans Bein zu binden. War’s vielleicht eher die alte Bundesregierung, die in der zurückliegenden Legislatur eigentlich wollte, dann aber doch nicht?
Viertel streichen
Aktuell aus aktuellem Anlass besonders viel diskutiert aber: die Finanzierung der Öffentlich-Rechtlichen. Christian Bartels hat hier schon angemerkt, dass heute der Stichtag ist für die Abgabe ihres Wunschzettels. Mit diesem heißen Eisen kann man einerseits jede Party crashen, wenn man sich nur einen Jargon draufschafft, der sich an das entsprechende Verfahren anlehnt: Anmeldung des Finanzbedarfs bei der Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten. Andererseits kann man auch dafür sorgen, dass die Party sehr sehr lange weitergeht, indem man ein paar Aufreger einstreut wie "18,36 Euro nur für schlechte Krimis!" oder "Ich zahl’ ja eigentlich gern meine Gebühren, aber wenn ich nachmittags um drei RTL einschalte, läuft wirklich nie das ‚heute journal’!". Schon ist wieder Leben im Smalltalk.
Nun. Es ist nicht so, dass die ARD nicht sparen würden: "Ein Viertel streichen" werde sie, so steht es als Überschrift in der "Süddeutschen". Allerdings ist ein Viertel ihrer 800 Social-Media-Accounts gemeint ("Der genaue Kosteneffekt der Maßnahme lasse sich nicht beziffern, so der ARD-Sprecher auf SZ-Nachfrage…", "Ziel ist es, die journalistischen Inhalte in wenigen starken Angeboten zu konzentrieren, um möglichst viele Menschen in Deutschland zu erreichen", so die ARD-Mitteilung). Über die Vorschläge für einen kleineren Rundfunkbeitrag, die unter anderem MDR-Rundfunkrat Heiko Hilker in einem Gastbeitrag in der, wiederum, "SZ" unterbreitet hat (Altpapier), könnte man ja zu gegebener Zeit noch einmal nachdenken.
Heute geht es nun weiter mit anderen Reformforderungen. Ein Plädoyer für eine öffentlich-rechtliche Plattform, die mehr ist "als nur eine aufgebohrte Mediathek", hält etwa Dennis Horn in der neuen Ausgabe von "epd Medien". Und Luc Jochimsen, die vom "Freitag" als ehemalige Chefredakteurin des Hessischen Rundfunks definiert wird, die aber danach auch für die Linkspartei im Bundestag saß, fordert, dass die ARD ihre Strukturen insgesamt auf den Prüfstand stelle und schlägt einen Volksentscheid vor. Oder, alternativ, so zitiert sie aus in einem Leserbrief an die "FAZ", …
"(d)ie Umwandlung der Anstalten in GmbHs oder gGmbHs – mit der Möglichkeit der Insolvenz. Eine strikte Corporate Gouvernance dieser GmbHs, von A wie Aufsichtsrat bis Z wie Zusammenschluss. Der Umstieg der Finanzierung vom Gebührenmodell zu einem Streamingmodell mit verschiedenen Unterhaltungspaketen (Krimis, Sport, Talkrunden, Politkabarett, Gameshows)."
Da soll noch jemand sagen, die Linken hätte keine Visionen mehr. Die Frage der nächsten Wochen wird aber erst einmal die nach der Beitragshöhe sein, die dann in den Landesparlamenten besprochen wird. Hören Sie hierzu nun einen garantierten Partycrasher aus dem dwdl.de-Interview mit der Intendantin von Radio Bremen, Yvonne Gerner:
"Dass wir mit unserer Anmeldung nicht einfach finanzielle Maximalforderungen erheben, sondern auch auf Sparsamkeit achten, ist eine Selbstverständlichkeit. Vor allem ist es eine Frage des Respekts gegenüber den Beitragszahlerinnen und Beitragszahlern."
Altpapierkorb (ORF, "Wiener Zeitung", Corona-Hilfen für Döpfner-Museum, das Stuckrad-Springer-Spektakel)
+++ Wien 1: Der österreichische öffentlich-rechtliche Rundfunk, der ORF, hat sich "auf eine Reform der Digitalangebote des öffentlich-rechtlichen Rundfunks verständigt, die in einigen Punkten auch ein Vorbild für Deutschland sein könnte" – so sieht es Helmut Hartung auf medienpolitik.net.
+++ Wien 2: Ausführlich ist Timo Niemeiers Analyse bei dwdl.de, die auch Reaktionen enthält: Der Beitrag soll auf eine Haushaltsabgabe umgestellt werden und sinken, die Online-Texte beschnitten werden, und der ORF soll Gehälter und Nebentätigkeiten sowie Nebenverdienste seiner Beschäftigten veröffentlichen müssen. Aber dass nun wenigstens die privaten Medienanbieter glücklich wären, kann man wohl trotzdem eher nicht sagen.
+++ Wien 3: Eingestellt wird "in ihrer jetzigen Form" derweil die seit 1703 erscheinende "Wiener Zeitung", die wohl älteste Tageszeitung der Welt, die heute staatlich, aber redaktionell unabhängig ist. Die jetzige Form ist eine Zeitung. Die künftige ein Onlinemedium. Außerdem soll sie eine Journalismusausbildung leisten, und "weil dafür letztlich das Bundeskanzleramt zuständig ist, gab es massive Kritik an diesen Plänen", so die SZ. n-tv.de hat auch darüber hinaus kritische Stimmen. Am ausführlichsten schreibt wienerzeitung.at.
+++ Die Kulturschaffenden hatten es nicht leicht in der Pandemie. Das Potsdamer "Privatmuseum" von Springer-Chef Mathias Döpfner, die Villa Schöningen, habe Corona-Hilfsgelder in vierstelliger Höhe bekommen, berichtet der "Spiegel" online.
+++ "Die außenstehenden Journalist:innen reichten sich das Popcorn vielleicht mit Genugtuung oder Wut oder professionellem Interesse, aber auf keinen Fall neutral und unbeteiligt": Samira El Ouassil bei "Übermedien", zunächst nur für Leute mit Abo lesbar, über das Spektakel rund um Benjamin von Stuckrad-Barres Roman und Axel Springer.
Neues Altpapier gibt es am Dienstag, dann von Christian Bartels. Schönes langes Wochenende!