Kolumne: Das Altpapier am 14. April 2023 Blätternder Lack
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14. April 2023, 09:44 Uhr
Springer-Chef Mathias Döpfner, ein Mann mit den Zuspitzungsfähigkeiten einer Abrissbirne, ist nach einer "Zeit"-Veröffentlichung angezählt. Intern wie extern steht er in der Kritik und wird auch zum Rücktritt aufgefordert. Aber was folgt daraus? Heute kommentiert Klaus Raab die Medienberichterstattung.
Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.
Auch schlechte PR ist womöglich schlechte PR
Der Vorstandschef des Springer-Konzerns, Mathias Döpfner, ist nach einer Veröffentlichung der "Zeit" (Altpapier vom Donnerstag) mal wieder in aller Munde. Die Beiträge über ihn waren am Donnerstagvormittag meistgelesen bei spiegel.de und zeit.de. Titelseite der "taz". Aufmacher auf der "SZ"-, längerer Text auf der "FAZ"-Medienseite. Beachtung im britischen "Guardian". Fünf Texte auf tagesspiegel.de. Kommentare, Radiointerview mit einer Autorin des "Zeit"-Artikels usw. usf. Und Social media eh voll bis unters Dach.
Aber möglicherweise stimmt die gestern hier in anderem Zusammenhang zitierte Faustregel der Aufmerksamkeitsökonomie – Es gibt keine schlechte PR – in diesem Fall nicht. Gute PR ist es jedenfalls nicht. Mathias Döpfner wurde am Donnerstag vom Ostbeauftragten der Bundesregierung, Carsten Schneider, für "endgültig nicht mehr tragbar" erklärt (t-online.de). Die "Berliner Zeitung" findet, er habe "sich die Ächtung der Gesellschaft verdient". Bei meedia.de kommentiert der über einen Podcast mit der "Welt" verbundene Stefan Winterbauer, Döpfner sei
"nicht fit for Office. Der Springer-CEO hat offenkundig keine Kontrolle über sein Kommunikationsverhalten. (…) Das Sinnvollste, was [er] für sein Unternehmen jetzt tun könnte, wäre sich selbst aus dem Spiel zu nehmen und als CEO zurückzutreten."
Das fordert auch Martin Noé bei manager-magazin.de:
"Wer (…) Verleger sein möchte, sollte besser kein Wirrkopf sein. (…) Tritt Döpfner jetzt nicht zurück, wird der Konzern großen und dauerhaften Schaden nehmen und zu befürchten ist: auch das Ansehen der deutschen Wirtschaftselite in der Welt."
Der Grund für den "Wirbel"
Grund für den "Wirbel um angebliche Döpfner-Äußerungen", wie es tagesschau.de etwas spröde wohl im Bemühen formuliert, bloß nicht zu überziehen, sind Döpfner-Äußerungen – von denen man allerdings sagen kann, dass sie keine angeblichen sind. Aus "Springer-Kreisen" erfuhr die dpa, der "Zeit"-Artikel "bestehe aus 'manipulativen SMS-Fetzen'. Döpfner sei ein meinungsstarker Verlagschef, der aus Prinzip immer Gegenmeinung und Widerspruch herausfordere und dafür immer mal wieder polemisiere." So kommentiert man keine nur angeblichen Äußerungen, auch nicht in "Kreisen".
Womit Döpfner in der "Zeit" zitiert wird, ist nach rechts offenes Stammtischgeschwätz. Er zieht in nicht für die Öffentlichkeit bestimmten Chats oder SMS über Ostdeutsche her ("Die ossis sind entweder Kommunisten oder Faschisten"); leugnet den Klimawandel nicht, sondern begrüßt ihn sogar, was auch international für Aufmerksamkeit sorgt (Guardian); er bastelt sich eine Schublade, in die er "the intolerant muslims und all das andere Gesochs" steckt.
Döpfner selbst soll in einer im Intranet veröffentlichten Mitteilung, die der "Medieninsider" dokumentiert hat, am Donnerstag zur Kenntnis gegeben haben, dass das alles so ja nun nicht gemeint sei:
- "Ich habe natürlich keinerlei Vorurteile gegen Menschen aus dem Osten Deutschlands. Aber…"
- "Ich habe nicht die geringsten Vorurteile gegen Muslime und habe großen Respekt für die Religion des Islam. Aber…"
- "Ich sehe Donald Trump sehr kritisch und halte sein Demokratieverständnis für gefährlich, aber…"
- "Ich halte den Klimawandel für real und bedrohlich, aber…"..
Das ist bislang die Verteidigungslinie. Aber: Sie funktioniert eher so mittelgut. Etwas mehr Resonanz bekommt die in solchen Fällen regelmäßig aufpoppende Frage, ob man Nachrichten wie die geleakten überhaupt veröffentlichen sollte. Marvin Schade schreibt für seinen "Medieninsider", im Springer-Haus gebe es einerseits Leute, die erstaunt, entsetzt, vereinzelt persönlich betroffen, persönlich beleidigt und vor allem genervt seien. Andererseits aber auch "Journalisten, die das vermeintlich Private für privat halten und die Berichterstattung über die Aussagen Döpfners verurteilen".
Die gibt es auch außerhalb des Springer-Hauses. Von erwartbarer Seite (bei cicero.de kommt selbstverständlich auch das Wort "totalitär" vor) wie weniger erwartbarer Seite: Die Schriftstellerin Nora Bossong hat sich für ein Deutschlandfunk-Gespräch die These zurechtgelegt, dass "Nachrichten für den privaten Umgang" nicht öffentlich gemacht werden sollten, schon gar nicht von einem Konkurrenten. Bossongs Argumentation ist hiermit zur allgemeinen Befassung zur Kenntnis gegeben, weil die Debatte an sich legitim ist. Aber sie wirft hier doch ziemlich viel in den Mixer.
Die Gegenposition ist diese: Döpfners vermeintliche "Nachrichten für den privaten Umgang" sind eben nicht nur privat an alte Kumpels gerichtetes Geschwätz – sondern die Mitteilungen des CEOs eines der größeren Medienunternehmen der Welt an Mitarbeiter, der zudem top-down über Springer-Medien in der Politik auf eine Art mitzumischen versucht, die über das übliche Maß eines Tendenzbetriebs hinausgeht. So argumentiert auch der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen bei zeit.de:
"Das alles könnte man aus der Distanz für eine Privatgesinnung halten. Aber das trifft so nicht zu. Denn diese Gesinnung, eben darin liegt der Skandal und die Brisanz der aktuellen Enthüllung, wird publizistisch wirksam. Mathias Döpfner wird in den Chatverläufen als jemand kenntlich, der seine journalistische Macht gezielt zu nutzen versucht, um seine persönlichen Ansichten mit dem Megafon der Bild-Zeitung und mithilfe seines Einflusses zu propagieren."
"Bemerkenswert" sei, schreibt Stefan Niggemeier bei "Übermedien",
"wie konkret Döpfner von 'Bild' im Bundestagswahlkampf 2021 offenbar forderte, Stimmung für die FDP zu machen. Dass die Zeitung sich in Wahlkämpfe einmischt, dass sie selbst Wahlkampf macht, dass sie Tatsachen für ihre eigenen publizistischen (und kommerziellen) Interessen verdreht, all das kann für niemanden eine Neuigkeit sein. Und dass jemand wie Döpfner nichts auf gute Sitten und Traditionen gibt, dass sich der Eigentümer eines Mediums mit der direkten Einmischung in redaktionelle Inhalte zurückhalten sollte, kann auch niemanden schockieren. Trotzdem ist es erstaunlich zu lesen, wie direkt – und mit welchen Worten – er offenbar forderte, das Blatt zu benutzen, um die FDP groß zu machen."
Überraschungen gibt’s im Quengelregal
Dass auch der Stil von Döpfners Äußerungen und seine politischen Gedankengänge überhaupt nicht neu seien, wurde am Donnerstag vielfach bemerkt. Und das stimmt. Vor allem bei "Übermedien" kann man das nachlesen, wo Döpfners Aussagen in den vergangenen Jahren ordentlich dokumentiert wurden. Er stellte als Verlegerpräsident mit der Zuspitzungsfähigkeit einer Abrissbirne eine Medienlandschaft "nach dem Geschmack von Nordkorea" in den Raum. Als Konzernchef hat er in der "Welt" den "tödlichen Anschlag eines Rechtsextremisten zum Anlass genommen, über alles zu schreiben außer über Rechtsextremismus", wie Niggemeier seinerzeit analysierte. "Er benutzt die beiden Toten von Halle für seine eigene Agenda: für seinen Kampf gegen die angebliche 'Political Correctness', gegen die Flüchtlingspolitik, gegen die Öffentlich-Rechtlichen, gegen Kritiker der 'Bild'-Zeitung." Und an die in einer nicht öffentlichen Nachricht genutzte Formulierung vom "neuen DDR-Obrigkeitsstaat" werden sich auch noch einige erinnern (Altpapier).
Und so sieht auch Niggemeier in den neuesten Veröffentlichungen über Döpfner nun nicht den größten Newswert. Einerseits sei es
"schockierend, in so geballter und kondensierter Form und in seinen eigenen Worten zu lesen, von wie viel Verachtung Döpfner getrieben ist, wie sehr er sich radikalisiert hat, wie schamlos er die 'Bild’-Zeitung für seine politischen Zwecke genutzt haben soll. Aber wirklich überraschend ist das Bild, das dabei von ihm und seiner 'Gedankenwelt' entsteht, nicht."
Um Überraschendes geht es im Journalismus aber nicht, auch wenn es nicht schadet. Überraschungen gibt’s im Quengelregal an der Supermarktkasse. Aber es ist ein Unterschied, ob der Lack bröselt oder komplett ab ist. Und: Äußerungen, die als Dokument vorliegen, erfordern Reaktionen.
Was folgt nun an Reaktion?
Deshalb ist die Frage nur angemessen, ob die neuesten Enthüllungen Folgen haben werden, und welche. Dazu gibt es mehrere Thesen.
Erstens: "Vielleicht ist das einzige, das sich jetzt ändert, dass sich jetzt endgültig niemand mehr Illusionen machen kann über Döpfners Gedankenwelt und das Ethos seines Verlages" (Übermedien). Das ähnelt der Vermutung der SZ, es folge aus all dem "(s)ehr wahrscheinlich nichts", jedenfalls keine personellen Veränderungen. Der Springer-Aufsichtsrat sei eher kein Aufräumkommando. Und die Investoren scheinen "fest an Döpfners Seite zu stehen. Noch."
Zweitens: Vielleicht stehen sie aber auch doch nicht so fest an Döpfners Seite. Springer steht wegen seiner internationalen Engagements ja auch international unter Beobachtung. "Am Ende wird es darauf ankommen, (…) wie der Finanzinvestor KKR und der kanadische Pensionsfonds CPPIB als (neben Friede Springer und Döpfner selbst) größte Springer-Teilhaber denken", schreibt Michael Hanfeld in der "FAZ".
Drittens: mal die nächste Woche abwarten. Dann erscheint ein Roman von Benjamin Stuckrad-Barre, ein "mutmaßlicher Springer-Schlüsselroman" (spiegel.de). "Der Schriftsteller wurde einst lange von Döpfner finanziert, stellte sich im Kontext des Machtmissbrauchsvorwurfs gegen den damaligen Chefredakteur Julian Reichelt, dann aber gegen alle, die diese Vorwürfe am liebsten versanden lassen wollten", schreibt wiederum die SZ.
Denn richtig, Julian Reichelt. Er ist offensichtlich der ursprüngliche Adressat mancher Döpfner-Nachricht. Er wurde schon vor der "Zeit"-Veröffentlichung als Ursprung diverser Leaks gehandelt. Ein Rechtsstreit mit ihm steht im Raum, wobei sowohl laut "Spiegel" Springer rechtliche Schritte gegen Reichelt prüft als auch umgekehrt Reichelt gegen Springer (tagesspiegel.de). Die SZ ahnt, dass "Springer in diesem Frühjahr die große Shitshow-Seifenoper liefern" könnte. Man wird es abwarten können. Bis dahin könnte man in aller Ruhe zum Beispiel mal wieder ein Buch lesen.
(Für die Transparenz: Ich schreibe für Zeit Online, seltener auch für Die Zeit.)
Altpapierkorb (Rundfunkbeiträge, Civey, Murdoch, Journalisten-Nebenjobs, Twitter, "maiLab")
+++ Bei Springer gibt es auch Mediengeschichten, allerdings keine über Springer, sondern über die Öffentlich-Rechtlichen. Die "Welt" meldet die Ergebnisse einer Insa-Umfrage von "Bild", derzufolge 35 Prozent der Befragten am liebsten keinen Rundfunkbeitrag mehr zahlen wollen. Und kommentiert einen bereits wieder "erlahmenden Reformwillen" von ARD und ZDF, freut sich aber über parteiübergreifenden Widerstand "gegen diese Bestandswahrer" in mehreren Bundesländern.
+++ Wenn eines nervt (abgesehen von all den anderen Dingen): Dann sind es Umfragen, die im Kern zur Stimmungsmache dienen. Die "FAZ" hat das Onlineumfrage-Start-up Civey als wie geschaffen dafür ausgemacht: "Civey fällt immer wieder mit merkwürdigen Zahlen zu vermeintlichen Erdrutschen, Aufholjagden, Stimmungsumschwüngen, Kopf-an-Kopf-Rennen auf – die von reichweitenstarken Medienpartnern verbreitet und so zur Grundlage von politischer Stimmungsmache werden."
+++ "Das Imperium bröckelt" steht über einem "SZ"-Text über das Medienmogulat von Rupert Murdoch. "Zum einen geht es um sein bewegtes Privatleben, zum anderen um die Berichterstattung seines Senders Fox News und einen 1,6 Milliarden Dollar schweren Verleumdungsprozess, der in Kürze beginnt."
+++ Zu den Nebenjobs von Journalistinnen und Journalisten, die Veranstaltungen von Bundesministerien moderierten, hat "Zapp" vom NDR einen 17-Minüter veröffentlicht.
+++ Michael Seemann, Kulturwissenschaftler, Podcaster, Blogger und wahrscheinlich auch noch einiges andere, werde Twitter verlassen, schrieb er am Donnerstag in seinem Blog. Das wäre keine Nachricht, wäre Seemann alias Mspr0 nicht ein relevanter Twitter-Exeget. Er schreibt: "Plattformen sind schon immer Waffen gewesen. (…) Doch das, was derzeit mit Twitter passiert unterscheidet sich in vielerlei Hinsicht. Zum einen passierte die Instrumentalisierung der Plattformen bislang immer von außen. Um aus Plattformen Waffen zu machen, mussten externe Akteure technische, personelle oder rechtliche Schwachstellen ausnutzen. Bei Twitter ist es nun der Chef und Eigentümer selbst, der die Plattform zu seiner Waffe umfunktioniert. Das eröffnet ihm nicht nur einen größeren Spielraum, sondern ermöglicht ihm den unbegrenzten Zugriff zu alle Werkzeuge des Plattformarsenals."
+++ Dass Mai Thi Nguyen-Kim zwar dem ZDF erhalten bleibe, aber ihr "maiLab" auf Youtube aufgebe, darüber schreibt mit einiger Sympathie für die Moderatorin die "FAZ": "Die Videos sind eben doch ganz anders als eine Fernsehshow. Viele Tassen Tee wurden getrunken – begleitet von einer wundersam verständlichen Erklärung komplexer Themen."
Das Altpapier vom Montag schreibt wieder Klaus Raab.