Das Altpapier am 24. Januar 2018 Fäden im Nichts

In Donald Trumps erstem Amtsjahr stammten die erfolgreichsten Tweets aus dem politischen Washington nicht von Donald Trump. Ein sehr beliebter Kampfbegriff des rechten Milieus lautet "Denunziant". Peter Gauweiler (CSU) kämpft gegen Ulrich Wilhelm (CSU, ARD), wenn auch nicht direkt. Axel Springer unterwirft sich. Ein Altpapier von René Martens

Nach medienpsychologischen Erklärungen zum Thema Donald Trump (Altpapier von Montag) und Betrachtungen dazu, inwiefern Trump die Medienwelt verändert hat (Freitag), warten wir heute auf mit statistischem Material über den "Klassenkasper" (Titelzeile auf dem Cover der Februar-Ausgabe von konkret). Anlass: BuzzFeed hat sämtliche Tweets ausgewertet, die Trump in seinem ersten Amtsjahr geschrieben hat - und auch noch sämtliche Tweets aller anderen Kongressmitglieder in dieser Zeit. Peter Aldhous schreibt:

"Our analysis confirms that Trump’s volleys on Twitter came mostly in the early morning. His tweets enraged Democrats, who responded vigorously, while Republicans often tried to look the other way. And the two words he used together most frequently? 'FAKE NEWS.'”

Folgende Passage enthält möglicherweise Überraschendes:

"With more than 46 million followers, Trump’s audience on Twitter dwarfs that of anyone in Congress, and his total retweet count was more than four times that of his nearest rival, Bernie Sanders. That’s a narrower gap than the difference between their follower counts, and Sanders’ big hits on Twitter in 2017 proved a match for Trump. Measured by both retweets and favorites, @SenSanders claimed three of the top five tweets in our analysis to @realDonaldTrump’s two, with this one winning the crown, with more than 450,000 retweets and 968,000 likes."

Wie gehen Journalisten mit Hate Speech um?

Über verschiedene Aspekte dieses Themas hat das Migazin mit Ellen Wesemüller gesprochen, sie "leitet das vom Europarat ins Leben gerufene No Hate Speech Movement Deutschland". Wesemüller sagt:

"In unseren Redaktionsschulungen hören wir oft, dass die Redakteurinnen und Redakteure vor der Flut an Kommentaren kapitulieren. Bei Focus Online sind es in den Spitzenzeiten 20.000 Kommentare am Tag. Das muss erst einmal bewältigt werden. Die wenigsten Redaktionen haben einen Leitfaden, wie sie damit umgehen. Den entwickeln wir gerade."

Um die direkt von Hate Speech Betroffenen geht es ebenfalls:

"Hassrede ist ja erst einmal etwas Sprachliches und keine physische Gewalt. Aber die Angst, dass es irgendwann einmal so weit kommen könnte, steht natürlich dahinter. Journalistinnen und Journalisten sowie Aktivistinnen und Aktivisten, die so etwas erlebt haben, zögern eher, noch mitzudiskutieren."

Darüber hinaus verweist Wesemüller auf eine im Auftrag des Mediendienstes Integration entstandene Studie. Demnach

haben Journalistinnen und Journalisten gesagt, Hassrede betrifft sie nicht nur privat, sondern beeinflusst auch den beruflichen Alltag. Sie können sich nicht konzentrieren, haben Schlafstörungen, schrecken vor bestimmten Themen zurück.

Kürzer gesagt:

"Hassrede verhindert (…) Meinungsfreiheit, weil sie Menschen Angst macht, ihre Meinung zu sagen."

Dass der Hass gegen Journalisten immer mal wieder auch in akute physische Bedrohungen bzw. konkrete Gewalt umschlägt - das ist am vergangenen Wochenende in Cottbus (siehe den "Das hat dieses Land alles schon mal erlebt"-Kommentar beim RBB) sowie in Wurzen deutlich geworden, wo eine Kundgebung unter dem Titel "Solidarität mit allen Betroffenen rassistischer und rechter Gewalt" eine neonazistische Gegendemo auf den Plan rief. Mit dem Fotografen Sören Kohlhuber, der aus Wurzen berichtete, hat das Leipziger Stadtmagazin Kreuzer gesprochen:

"Ich habe (auf Seiten der Neonazis) mehrere Schlagwaffen erkennen können, darunter einen Baseballschläger. Eine Person in blauer Jacke fuhr sich mit einem Messer an der Kehle entlang und zeigte in meine Richtung. Der Typ mit Kamera brüllte: 'Dich kriegen wir noch, du fette Sau!' Gleichzeitig haben die Leute von der Kundgebung mitbekommen, dass irgendwas los ist und sind auf die Straße gegangen (…) Die Polizei kam relativ schnell dazu und drückte die Kundgebung wieder zurück Richtung Park (…) Ein Beamter der BFE-Einheit schubste uns Journalisten (…) Dass wir von der Presse sind, sei ihm 'scheiß egal'."

Dass ein Team des MDR zunächst möglicherweise unter Wahrnehmungsstörungen litt, der Sender dann aber doch noch "einen guten Text rausgehauen" hat, erzählt Kohlhuber ebenfalls.

Über ein neues Modewort

Warum man im rechten Milieu in letzter Zeit so viel Gefallen gefunden hat an dem Begriff "Denunziant" - das dröselt Stefan Niggemeier in einem kostenpflichtigen Beitrag für Übermedien auf. Es "vergiftet die Debatte, und das soll es auch", schreibt er. Niggemeier weiter:

"Bei Tichys Einblick war etwa die Rede von 'Denunziation' als Zeit Online die Beteiligten an einer Aktion der rechtsextremen Identitären nannte. Henryk M. Broder sieht schon in Texten, die nach dem richtigen Umgang mit AfD-Anhängern in der Familie suchen, einen Beleg für 'Denunziation'. Das Wort gehört in diesen Kreisen zum Standard-Repertoire, um ungewünschte öffentliche Debatten zu beschreiben."

Jene, die so eifrig mit dem Begriff "Denunziant" bei der Hand sind, hätten "Angst vor der öffentlichen Meinung". Konkreter:

"Beinahe jeder Versuch, auf tatsächliche oder vermeintliche Missstände hinzuweisen, wird dadurch pathologisiert. Was einmal als 'Zivilcourage' galt: der öffentliche Widerspruch, wenn sich jemand etwa rassistisch äußert, wird so zur verachtenswerten Verurteilungswut umdeklariert."

Ich bin mir zwar nicht sicher, ob "diese Kreise" - schöne Formulierung eigentlich in dem Zusammenhang - Angst vor Zivilcourage haben, aber ich hoffe es doch sehr.

Für medienhistorische Einordnungen sind wir ja immer zu haben, zumal diese Kolumne ja auch als "Gedächtnis des Medienjournalismus" gilt. Um die "Entwicklung des feministischen Diskurses" zu rekapitulieren, hat Andrea Roedig für die taz zwei Ausgaben der Zeitschrift Kursbuch verglichen, eine von 1977, die unter dem Titel "Frauen" erschienen ist, und eine von 2017 ("Frauen II"). Es handelt sich um die Nummern 47 und 192 der 1965 gegründeten und 2012 (siehe Altpapier) revitalisierten Zeitschrift. Roedig schreibt:

"1977 ist 'Frausein' das brennende Thema. Wie bin ich Frau, wie will ich sein, wie fühle ich mich dabei – als sei die Frau für Frauen ein komplett neu zu entdeckender und vor allem zu erobernder Kontinent (…) Die Themen, die 'Frauen II' besetzt, sind dagegen kaum noch persönlicher Natur: Es geht um Gender, Gender-Kritik, um die Care-Krise und Rollenverteilung, es geht – direkt und indirekt – um Rassismus und den Blick über den nationalen Tellerrand."

Was hat sich geändert?

"Das Kursbuch 47 erwähnt noch Arbeiterinnen, die in der Fabrik schuften, hier in Deutschland – jetzt sind die Fabriken weit weg und die Unterdrückten kommen von fern her."

Fazit:

"Sex/Arbeit/Gewalt, das waren 1977 die Kernbegriffe und Themen. Heute wären sie gar nicht mehr so leicht auf den Punkt zu bringen, sie heißen Gender/Migration/Inklusion vielleicht. Sind die alten Fragen gelöst oder nur die ehemaligen Kategorien taub geworden? (…) Vielleicht lösen sich Probleme ja gar nicht, sondern werden nur abgelöst von anderen, also fallen gelassen, vergessen, und sie hängen dann wie ziellose Fäden abgerissen im Nichts."

Letzteres trifft - siehe auch die Stichworte Säue und Dörfer - ja tatsächlich für viele Fragen und Probleme zu.

Das Thema Nummer eins bei der BBC

Zu den Problemen, die nicht im Nichts herumhängen, aber weiterhin nicht gelöst sind, gehört der Gender-Pay-Gap. Neulich war hier kurz ein Thema, dass Carrie Gracie, die China-Korrespondentin der BBC, ihre Stelle gekündigt hat - um damit gegen die ungleiche Bezahlung von Männern und Frauen zu protestieren. Das ist heute eines von vielen Themen im Aufmachertext der FAZ-Medienseite. Axel Weidemann hat mit Jim Egan gesprochen, dem CEO von BBC World, und der äußert sich dazu in typischem Sendermanagerduktus, aber auf inhaltlich durchaus aufschlussreiche Weise:

"Im Fall von Carrie Gracie steht zur Debatte, ob sie die gleiche Arbeit leistet wie unser Korrespondent im Mittleren Osten oder der in Amerika. Dazu muss man wissen, dass die BBC seit einiger Zeit versucht, das Richtige zu tun, also mehr Redakteurinnen vor die Kamera zu setzen, um das Geschlechterverhältnis auszugleichen. Das ist allerdings zu einer Zeit passiert, in der die Gehälter bei uns sehr streng reglementiert wurden. Und so wurden einige Redakteurinnen auf höhere Positionen gesetzt, ohne dass sich ihr Gehalt wesentlich erhöhen konnte. Nun ist die Frage, ob die BBC diese Gehälter allmählich an die mit ihnen verbundenen Posten anpassen kann. Dieser Fall ist (…) das Thema Nummer eins bei der BBC."

TV-reifer Stoff mit Peter Gauweiler

Der Auftakt verschiedener Gerichtsverfahren - in Mannheim, München und Turin - rund um Vorgänge, die das öffentlich-rechtliche Institut für Rundfunktechnik (IRT), einen mutmaßlich kriminellen Ex-Mitarbeiter und dessen Familienunternehmen sowie die Verwertungsgesellschaft Sisvel betreffen, ist heute Thema beim auf diese Sache spezialisierten Klaus Ott in der SZ. Zur Erinnerung (siehe auch Altpapier): Das in München ansässige IRT ist eine gemeinsame Forschungseinrichtung von ARD, ZDF, Deutschlandradio, Deutscher Welle, ORF und SRG/SSR.

"Es könnte der größte Kriminalfall werden, der sich in Deutschland jemals im öffentlich-rechtlichen Rundfunk abgespielt hat",

schreibt Ott. Doch weil das Thema - Patenterlöse - recht trocken ist, bietet sich’s natürlich an, den Fall noch anderweitig aufzupeppen. Möglich ist dies, weil der CSU-Mann Peter Gauweiler die Firma der Beschuldigten vertritt - und auf der anderen Seite der BR steht (Intendant: Ulrich Wilhelm, CSU), der die Sache für die ARD ausfechtet:

"Gauweiler gegen das Technik-Institut und den BR, dessen Intendant Ulrich Wilhelm ehedem bei Gauweilers Widersachern Edmund Stoiber und Angela Merkel Karriere machte, (…) das wäre ein TV-reifer Stoff."

Altpapierkorb (Gemeinschafts-unfähige No-Billag-Kombattanten, Springers Unterwerfung, ARD-Fiction in 2018, Gutjahr vs. Compact, erster Streik ever beim Schweizer dpa-Pendant)

+++ In den in den vergangenen Tagen erschienenen Texten zur No-Billag-Initiative in der Schweiz (siehe in diesem Monat dazu unter anderem dieses und dieses Altpapier) ist die, nett formuliert: Ich-Bezogenheit der Anti-Öffentlich-Rechtlichen ein zentrales Motiv: "Warum soll ich für etwas zahlen, das ich nicht nutze? Wer so argumentiert, entblösst sich ziemlich offen als Gemeinschafts- und Gesellschafts-unfähiges Individuum", schreibt Christian Müller bei Infosperber. Carolin Emcke argumentierte in der SZ am Wochenende ähnlich: "Unter den vielen schwachen Argumenten der Gegner der Gebühren ist jenes, persönlich nutze einem das Angebot nichts, eines der schwächsten. Die Haltung, nur das finanzieren zu wollen, was auch den eigenen Geschmack oder die eigene soziale Gruppe spiegelt, hat etwas erstaunlich Regressives."

+++ Mehr vom eben bereits erwähnten Axel Weidemann: Dass der Springer-Verlag "Zeitgenossen wie nun den Amazon-Gründer Jeff Bezos (oder zuvor Mark Zuckerberg) mit einem Preis ('Axel Springer Award') bedenkt (…), könnte (…) auch als Geste der Unterwerfung gegenüber den neuen Herren des Weltmarktes verstanden werden", schreibt er. Warum kriegt Bezos den Award, der ihm "am 24. April bei einer feierlichen Abendveranstaltung im Journalisten-Club von Axel Springer in Berlin verliehen" wird? Darüber informiert in halbwegs eigener Sache Springers Die Welt.

+++ Zwei aktuelle Nachrichten zu Rupert Murdoch fasst die SZ heute in einem Beitrag zusammen. Zum einen geht es darum, dass der 86-jährige vorschlägt, Facebook solle "Medienkonzernen Gebühren für die Verbreitung ihrer Inhalte überweisen", zum anderen um das Veto der Competition and Markets Authority in Großbritannien gegen die von Murdoch geplante Komplettübernahme von Sky durch 21st Century Fox. Zu letzterem Thema siehe auch den Guardian.

+++ Mehr Mehrteiler, weitere Donnerstagskrimi-Schauplätze, aber immerhin auch ein tendenziell medienkritischer "Themenabend" bzw. "ThemenAbend" (Originalschreibweise ARD) zur Geiselnahme in Gladbeck, die sich 2018 zum 30. Mal jährt - ich habe für die Medienkorrespondenz aufgeschrieben, was die ARD in diesem Jahr im fiktionalen Bereich plant.

+++ Über einen symbolischen Erfolg, über den sich das Hater-Opfer Richard Gutjahr (Altpapier) in einer Auseinandersetzung mit der rechtsextremen Postille eines Spiegel-Homestory-Protagnonisten freuen durfte, berichtet netzpolitik.org: "Gegen von Compact verbreitete ehrenrührige Verdächtigungen ging Gutjahr (…) rechtlich vor und gewann erstinstanzlich vor Gericht. Weil Compact jedoch den in einem Kostenfeststellungsbeschluss festgesetzten vierstelligen Betrag nicht bezahlte, konnten Gutjahr und sein Anwalt Markus Kompa die Pfändung der Domain der Rechtspopulisten veranlassen." Mittlerweile haben die Kameraden den ausstehenden Betrag aber bezahlt.

+++ Am Dienstag streikten Mitarbeiter der Schweizerischen Depeschenagentur (sda), um dagegen zu protestieren, dass 36 Vollzeitstellen wegfallen sollen. Die sda ist vergleichbar mit der dpa. persoenlich.com und swissinfo.ch berichten über den ersten Streik in der Geschichte der Schweizer Nachrichtenagentur.

+++ Zu den Ermittlungen in Sachen "Baby-Hitler" (siehe Altpapier von Dienstag) sagt zu guter Letzt der Berliner Medienrechtsexperte Niko Härting gegenüber dem Tagesspiegel: "Zu einem Strafverfahren wird es nicht kommen, noch viel weniger zu einem Schuldspruch."

Neues Altpapier gibt es wieder am Donnerstag.