Das Altpapier am 4. April 2023: Porträt des Altpapier-Autoren Christian Bartels
"Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren im aktuellen Altpapier die wichtigsten Medienthemen des Tages. Bildrechte: MDR | MEDIEN360G

Kolumne: Das Altpapier am 4. April 2023 Die Zersplitterung geht weiter

04. April 2023, 09:53 Uhr

Elon Musk legt Twitters Algorithmus ein bisschen offen – und will ihn künftig mindestens 48-stündlich ummodeln. Was zahlen öffentlich-rechtliche Redaktionen für Reichweite auf Facebooks Instagram? Ein prominenter Bundesminister will zwar für Games zuständig sein, aber nicht für Presseförderung. Heute kommentiert Christian Bartels die Medienberichterstattung.

Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.

Was macht Musk nun wieder?

Twitter legt seine Quellen, also den Quellcode offen und wird so Open Source wie Linux? Na ja, ungefähr so geht eine der zahlreichen Erzählungen, die Twitters Chef und Eigentümer immerzu raushaut. Es verhält sich allenfalls ein bisschen so, schon weil Elon Musk natürlich weiß, dass das sympathische Computer-Betriebssystem Linux gegen die "Ökosysteme" der Datenkraken Microsoft Windows und Apple kaum Chancen hat. Jedenfalls, am 1. April publizierte Twitter, nicht als Scherz, Teile seines  Empfehlungsalgorithmus (heise.de). Dazu gehörte eine aussagekräftige, wie zufällig erscheinende Anekdote, die auch in der dpa-Meldung (hier bei wuv.de) vorkommt:

"Bei der Auswertung des Software-Codes der Algorithmen stießen Experten ... schnell darauf, dass es eigene Kategorie für seine", Elon Musks, "Tweets gibt. Darauf in der Fragerunde angesprochen, nannte Musk das 'seltsam' und versicherte, er habe davon nicht gewusst. Ein Software-Entwickler von Twitter sagte, die Kategorie 'Elon' existiere nur für statistische Zwecke und es gebe 'keine bevorzugte Behandlung im Algorithmus'.

Was natürlich für Elon Musks ungebremst ausgelebte Egomanie, also gegen das aktuelle Twitter spricht – aber auch für Transparenz.

Vor allem kommt Twitters Gebaren allen "chaotisch" ("FAZ-Wirtschaft) vor. Erst recht gilt das für die augenfälligere Frage der blauen Häkchen. Der Account von Markus Beckedahl hat am Dienstagmorgen immer noch eines. Dabei erzählt Beckedahl hier nicht nur, wie er den Haken "vor etwa elf Jahren" eher aufgenötigt bekam, sondern auch, dass er die nun dafür angekündigte monatliche Gebühr – "acht Euro, Apple-Nutzer:innen zahlen 30 Prozent mehr" – nicht bezahlen wird. Eigentlich sollten "die alten Haken nach dem Willen von Twitter-Eigentümer Elon Musk ab dem 1. April komplett verschwinden. Das wurde jedoch nicht umgesetzt – außer in einem Fall: dem der New York Times", weil das Musk selber Twitter-öffentlich angeordnet hatte ("taz").

Auch für die keineswegs aus der Luft gegriffene Ansicht, dass "Twitters Algo ... Links ins offene Web mit Reichweitenverlust" bestraft (Leonhard Dobusch auf Twitter), gibt es Open-Source-basierte Belegstellen. So las das US-amerikanische Portal axios.com (übersetzt mit DeepL.com) aus dem Empfehlungsalgorithmus-Code heraus,

"... wie der Dienst Inhalte mit Bildern aufwertet, bestimmte Inhalte mit externen Links herunterstuft und die Verbreitung auf der Grundlage von Engagement-Kriterien wie 'Likes', 'Retweets' und 'Antworten' erhöht, während Inhalte, die zu Sperren und anderem negativen Engagement führen, eingeschränkt werden."

Twitter vs. Mastodon, nächste Folge

Sollte also, wer Twitter mochte (oder eigentlich noch mag), dabei bleiben? Sollte er oder sie die Plattform wechseln? Womöglich beides. Wer eben den Dobusch-Tweet anklickte, sah den externen Link zu diesem Artikel aus der "c't" des Heise-Verlags, der nicht nur noch mal wieder Mastodon empfiehlt. Außerdem benennt er konkret, wie "Tausende von Apps, Forschungsprojekten, Bots und anderen Diensten", die sich auf Twitter etabliert hatten und vor den Kopf gestoßen wurden, nun Entsprechendes auf Mastodon anbieten, etwa Tweetbot und Twitterrific. Aktuell seien "rund zehn Millionen Menschen auf Mastodon" unterwegs – einerseits viel, andererseits nicht soo viel im Vergleich mit durchschnittlich 101 Millionen Usern, die Twitter nach eigenen Angaben allein in der EU hat. Doch kämen, so "c't", pro Woche "Zehntausende" neu dazu. Also,

"... nimmt man die vielen Entwicklungen der letzten Monate zusammen, dürfte klar werden, dass sich nur rund um das Ökosystem Mastodon eine kritische Masse an Teilnehmern und Dienstleistern zusammengefunden haben könnte, die weitere neue Nutzer anzieht. Ein verteiltes Netzwerk, dessen Server in vielen Fällen Hobby-Administratoren betreiben, entwickelt sich naturgemäß nicht so schnell wie ein monolithischer, kommerzieller Dienst à la Twitter. Und schnell ist auch nicht zwangsläufig gut, sondern manchmal auch ein Nachteil, siehe Elon Musks Hickhack-Manöver bei Twitter. Das Urzeitviech" Mastodon, "geht eben langsam voran, aber beständig."

Zwischenfazit: Twitter ändert nicht nur laufend seine Regeln, sondern will das auch, dem darüber gut unterrichteten Elon Musk zufolge, "every 24 to 48 hours" weiter tun. Das ist attraktiv schnell, schafft aber kein Vertrauen. Der Schritt, Quellcodes zu veröffentlichen, hat zweifellos auch das Ziel, solche "Hobby-Administratoren", die sich bisher für Mastodon engagieren, zu unbezahlter Arbeit für Twitter zu begeistern. Wahrscheinlich wird es Musk dennoch gelingen, die global prominentesten Zeitgenossen – oder halt die, es werden wollen – mit Häkchen-Mätzchen oder einfach Reichweite-Versprechen zu ködern, und so genug andere an Bord zu halten. Dramatisch an Bedeutung verlieren wird Twitter kaum. Eine Alternative, die anderen Regeln folgt als den pseudo-transparenten des kalifornischen Plattformkapitalismus, wäre dennoch schön und sinnvoll, und das idealtypisch dezentrale, daher schwergängige Mastodon ist auf einem guten Weg. Heißt aber auch: Selbst im besten Fall wird, naturgemäß, eine noch weitergehende Zersplitterung der Öffentlichkeit zu den Ergebnissen zählen.

Rundfunkbeitrag für Werbeschaltungen auf Instagram?

Wie sieht's mit den öffentlich-rechtlichen und den sog. sozialen Medien aus? Einerseits kündigte der ARD-Vorsitzende Kai Gniffke kürzlich, auf einer medienpolitischen Diskussion in der CDU-Zentrale in Berlin war das, noch mal wieder die Reduzierung der Social-Media-Accounts der ARD an:

"'Bei vielen stehen Kosten und Nutzen in keinem sinnvollen Verhältnis. Wir werden das erheblich reduzieren – wenn es nach mir geht: halbieren.' Nach ARD-Angaben gibt es rund 900 Accounts",

meldet digitalfernsehen.de. Dass das die Öffentlich-Rechtlichen gerade in diesem Bereich dringend mehr Transparenz brauchen, belegt dieser sage und schreibe 55 Posts lange Thread auf ... nun ja: auf Twitter. Sein Urheber Lutz Olaf ist, wie Begriffe wie "Zwangsbeitragsgeld" nicht bloß andeuten, kein Freund der Öffentlich-Rechtlichen. Doch wie er anhand "öffentlich verfügbarer Daten von Metas Ad Transparency Plattform", also mit Daten des Facebook-Konzerns, auf Screenshots die Werbeausgaben der Öffentlich-Rechtlichen bei Datenkraken aufzeigt, verdient Beachtung. Um etwas herauszugreifen:

"Meta listet Kampagnen für insg. 5 verschiedene ZDFinfo-Shows auf. Gesamtausgaben >€70.000. Das wird nur 1 Bruchteil der tatsächlich beworbenen Shows sein.  (weil nur Werbung mit polit/gesellsch. Bezug gelistet ist). Und ZDFinfo ist nur ein kl. Spartensender des ÖRR."

Außer Funk, das ja auf junge Leute zielt und weitestgehend auf Plattformen wie Youtube oder Instagram setzt, gibt dort, auf Instagram, offenbar auch der eher auf ältere Leute zielende lineare Fernsehsender Phoenix Geld für Werbung aus...

Wie wär's mit einem glasklaren Verbot, Einnahmen aus dem Rundfunkbeitrag zu reinen Werbezwecken an plattformkapitalistische Konzerne zu zahlen? Eventuell mit einer klar gedeckelten und idealerweise befristeten Ausnahme für Funk? Solch eine Idee könnte die anlaufende Rundfunksbeitrags-Erhöhungs-Diskussion beleben. Erst recht vor dem von Elon-Musk-Twitter noch mal wieder überdurchschnittlich deutlich gemachten Hintergrund, dass Datenkraken Reichweiten nach Belieben rauf- und runterregeln – offenkundig auch, um die Bereitschaft ihrer Kunden, für Sichtbarkeit und damit wieder mehr Reichweite zu bezahlen, zu fördern ...

Minister Habeck und die Presseförderung

In der Bundes-Medienpolitik mischen viele Köche eher nebenbei mit. Jetzt kam mal was Handfestes vom Bundeswirtschaftsministerium: ein 151-seitiges Gutachten. Es gelangte zum Ergebnis, dass "eine Presseförderung", wie dasselbe Ministerium sie überraschend 2020 ankündigte (Altpapier), "verfassungskonform" sei, schreibt Helmut Hartung ausführlich in seinem Blog medienpolitik.net und knapper in der "FAZ"

Die spektakulärere News lautet allerdings: Das  Ministerium macht sich nicht nur "die Schlussfolgerungen der Studie" ausdrücklich "nicht zu eigen", u.a., weil "der Auftrag für die Studie aus der vergangenen Legislaturperiode stammt" ("Tagesspiegel"), sondern lehnt sogar eine, also seine, Zuständigkeit für Presseförderung ab.

Das ist immerhin mal eine Zuständigkeits-Aussage. Heißt: Das Wirtschaftsministerium – das in der Ära Habeck ja außerdem das Klima im Namen führt, sich im weiteren Medien-Sinne aber durchaus engagiert und etwa die Zuständigkeit für Games-Förderung ins Haus holte – möchte das Verlierer-Thema Zeitungszustellung nicht beackern. Bundeskanzler Scholz "wird vermutlich das Thema an Claudia Roth (Grüne), Staatsministerin für Kultur und Medien, abschieben", fürchtet meedia.de und findet, der Kanzler sollte es "zur Chefsache machen". Zwar ist die Kultur-/Medien-Staatsministerin bisher, anders als viele andere Ministerien, nicht mit ambitionierten neuen Plänen hervorgetreten. "Doch auch aus ihrem Haus gibt es keine Aktivitäten, die Presse zu unterstützen", schreibt die "FAZ". Da heiße es "lapidar, die Zuständigkeit für eine mögliche Förderung werde derzeit innerhalb der Bundesregierung geklärt" (mmm.verdi.de).

Womöglich warten die Beteiligten, dass sich das Thema von selbst erledigt. In einer "Modellregion" um Greiz in Thüringen werden ab Mai abonnierte Zeitungen nicht mehr in gedruckter Form zugestellt (Altpapierkorb). Wenn das keinen größeren Aufschrei nach sich zieht, dürfte das Beispiel schnell Schule machen. "Der Verkauf von Zeitungen am Vorabend ihres Erscheinungstags lohnt sich nicht mehr", sagt übrigens auch einer der letzten Berliner "Handverkäufer" für gedruckte Zeitungen. Der ist Thema eines Features von Ex-Altpapier-Autor Matthias Dell, auf das "epd medien" aufmerksam macht:

"In manchen Restaurants sieht Olaf Forner sofort: Da sind nur Leute, 'die sich vom Papier komplett entkoppelt haben, extrem junge Menschen, die gar nicht in die Welt der Zeitung hineingewachsen sind'. Sie lesen die Pushnachrichten auf den Smartphones. Mit dem gedruckten Papier ist in Berlin auch die Caféhauskultur weitgehend verschwunden, die Möglichkeit, bei einer Tasse Kaffee vier oder fünf verschiedene Zeitungen und Zeitschriften durchzublättern."

Schlechte Nachrichten aus dem Zeitschriften-Segment (das allerdings dem erwähnten Gutachten zufolge für Förderung weniger in Frage käme) folgen im Altpapierkorb. Wobei, andererseits... Zumindest Münchener wissen, dass es in doch einigen Berliner Cafés noch Zeitungen aus Papier gibt und sie dort begehrt sind. (Und das verbreitete sich dann dank ... nun ja: Twitter, wieder nach Berlin. Auch das gehört zur Medien-Gegenwart).


Altpapierkorb (Intendanten verzichten, sieben eingestellte Zeitschriften, Tiktok, tagesschau.de, Stuckrad & Döpfner)

+++ Fast auch eine Breaking News: NDR-Intendant Joachim Knuth "wird nun auf ein Viertel seiner Altersversorgung verzichten. Dadurch kann der NDR Rücklagen in Höhe von 1,6 Millionen Euro auflösen", schreibt die "SZ"-Medienseite in ihrem aktuellen Porträt des nun "vor einem Scherbenhaufen" stehenden Spitzenmanagers ("bezieht 346.000 Euro im Jahr ... sowie weitere 23.400 Euro für an sein Amt gekoppelte Aufsichtsratsfunktionen"). +++ Kürzlich meldete der epd, dass im Hessischen Rundfunk Intendant Florian Hager "auf ihm vertraglich zustehende Gehaltssteigerungen" verzichtet. Würde daraus ein echter Trend, könnte das die Akzeptanz des öffentlich-rechtlichen Rundfunks sicher ganz schön erhöhen... +++

+++ Der "Scherbenhaufen" vor Knuth bezieht sich auf den NDR-"Klimabericht", der hier im Altpapier schon öfter Thema war. Stefan Niggemeier las ihn für uebermedien.de nun auch durch: "Auch die Stimmung bei ARD-aktuell nebenan, wo 'Tagesschau', 'Tagesthemen' und tagesschau.de produziert werden, wird als ziemlich furchtbar beschrieben – mit vernichtenden Urteilen über die drei Chefredakteure." +++

+++ Außerdem gibt das "SZ"-Medienressort einen Überblick über heftige Einspar- und Wegstreich-Aktivitäten des Burda-Konzerns (dessen Vorstandsmitglied Philipp Welte gerade noch grandsigneurhaft Bertelsmanns G+J-Abwicklung beklagte...). Sieben Zeitschriften zwischen "Villa" und "Wohnen & Garten Hund im Glück" werden eingestellt (wobei die schon vorher eingestellten Titel "Bunte Genuss & Stil" und "For Our Planet" nicht mitgezählt sind). Große Teile der "Focus"-Redaktion sollen wieder nach München ziehen, nachdem sie zuvor aus München nach Berlin ziehen mussten. Und die Kündigung der Grafik-Abteilung der "Bunten" wurde nur deshalb teilweise verschoben, weil im Mai in England ein neuer König gekrönt wird. Frei online Überblick gibt dwdl.de. +++

+++ Dass auf Tiktok "die Nähe eines Anbieters zu Funk, dem jungen öffentlich-rechtlichen Netzwerk, als sogenannte 'Red Flag' gilt", sagt in einem interessanten "FAZ"-Interview der Medienwissenschaftler und Herausgeber des Newsletters "Understanding Tiktok", Marcus Bösch. "Das heißt, eine junge Zielgruppe sieht: Oh, das hat was mit den öffentlich-rechtlichen Medien zu tun, und denkt sich: Das ist nichts für mich. Ich will meine Informationen lieber von einem Creator beziehen." +++

+++ Das beim NDR angesiedelte ARD-Portal tagesschau.de arbeitet weiter erfolgreich daran, das aus dem linearen Fernsehen überkommene Renommee der "Tagesschau" zu reduzieren, dokumentiert u.a. die "Berliner Zeitung". +++

+++ Benjamin von Stuckrad-Barre stellt seinen neuen Roman "am 19. April in Berlin vor, danach geht er auf Lesetour durch zahlreiche deutsche Städte". Passend "mehren sich die Gerüchte, nach der eine Figur" Springer-Chef Mathias "Döpfner nachempfunden sein soll". Überdies läuft eine Prominenten-Werbekampagne auf Instagram an, meldet horizont.net. +++

Das nächste Altpapier schreibt am Mittwoch René Martens.

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