Das Altpapier am 28. März 2023: Porträt des Altpapier-Autoren Klaus Raab
"Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren im aktuellen Altpapier die wichtigsten Medienthemen des Tages. Bildrechte: MDR | MEDIEN360G

Kolumne: Das Altpapier am 28. März 2023 ChatGPT, schreibe eine Altpapier-Kolumne!

28. März 2023, 09:48 Uhr

Journalistikprofessor Volker Lilienthal erkennt bei "Bild" Spurenelemente von Medienethik. Ein Fake-Bild des Papstes im Parka wirkt wie ein Weckruf, sich jenseits der Fachressorts mehr mit Künstlicher Intelligenz auseinanderzusetzen. Und: ChatGPT was here. Heute kommentiert Klaus Raab die Medienberichterstattung.

Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.

"Wir sind doch Boulevard": Über Medienethik bei "Bild"

Der Presserat hat vergangene Woche 17 Rügen und 32 Missbilligungen ausgesprochen. Gegen die Online-Ausgabe des "Nordkurier", express.de, die Zeitschriften "Gault & Millau" und "Closer", Focus.de, taz.de, "Berliner Zeitung", "Traunsteiner Tagblatt", "Magdeburger Volksstimme" sowie "Bild" (und Online), "Bild" (und Online), "Bild Online", "Bild Online", "Bild Online", "Bild" (und Online), "Bild Online" und "Bild" (und Online). Die Nachricht ist: Acht von 17 Rügen gingen an "Bild" und/oder "Bild Online". Aber die Geschichte hinter der Nachricht ist: dass das eigentlich keine Nachricht ist, zumindest keine in dem Sinn, dass ein Mann einen Hund beißen würde.

"Bild" ist "der permanente medienethische Streitfall", schreibt Volker Lilienthal, Professor für "Praxis des Qualitätsjournalismus" an der Universität Hamburg, in einer jüngst vorgelegten Untersuchung (pdf) mit dem Obertitel "Medienethik bei BILD":

"Getrieben durch eine besondere Redaktionskultur ('Wir sind doch Boulevard') und vorangetrieben durch chefredaktionelle Entscheidungen, bei denen Absatzinteressen vor Medienethik rangieren, kommt es zu Artikeln, die Betroffene verletzen und Leser:innen irritieren (können). In vielen dieser Fälle kommt es dann zu einer Rüge durch den Deutschen Presserat. Das ist seit Jahrzehnten so – viel geändert hat sich nicht."

Es ist aber mehr drin in den 92 Seiten. Etwa eine Studie zum Ombudsamt bei "Bild". Und interessante Befunde, die aus Einblicken in die Redaktion resultieren. Lilienthal hat, wie er schreibt, seine Erkenntnisse nicht durch inhaltsanalytische Methoden gewonnen, also "aus sicherer Entfernung", sondern unter anderem durch die Teilnahme an Konferenzen und durch Leitfadeninterviews. Diese habe er 2020, also in der Zeit, in der Julian Reichelt noch Chefredakteur war, mit 43 "Bild”-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeitern geführt. Das sei ungewöhnlich: "BILD-Journalist:innen wurden in der Kommunikationswissenschaft bislang so gut wie nie befragt", jedenfalls längst nicht so viele.

Das Ergebnis ist ein ziemlich differenzierter Blick auf

  • das Selbstverständnis oder besser: auf Selbstverständnisse der Redaktion,
  • auf Hartnäckigkeitsgrenzen einzelner,
  • auf intern unterschiedliche Reaktionen auf unterschiedliche Dimensionen der Kritik an "Bild" (Lilienthal unterscheidet hier "die Hartgesottenen", "die Gleichgültigen", aber auch "die Empfindlichen, die sich verunsichert und in ihrer persönlichen Ehre herabgesetzt fühlen")
  • und auf medienethische Überlegungen, die in der Redaktion angestellt würden (und von denen man nichts wissen kann, wenn man ausschließlich inhaltsanalytisch arbeitet).

Einige Befunde sind bemerkenswert, hier ausgewählt zitiert (von Seite 42 ff.):

"Obwohl es bei BILD intelligente Journalist:innen gibt, viele davon mit persönlicher Moral und feinem Sensorium, wird zu oft zu spät erkannt, dass man eine bestimmte Bildauswahl oder eine Schlagzeile besser gelassen hätte. Diese Nachzeitigkeit der ethischen Irritation lässt sich aber unter der Geltung des Programms Boulevard nicht nachhaltig auflösen."

Im Einzelfall habe die ethische Irritation durchaus dazu geführt, dass problematische Berichterstattung verhindert worden sei. Aber Grenzüberschreitungen ganz zu unterlassen, würde die "Marke" infrage stellen. Ich würde das mal so übersetzen: Wenn es auch "Spurenelemente von Medienethik" gibt, ist "Bild" unter dem Strich schon genau so gewollt.

Über den Stand oder Zustand des Medienjournalismus

Auch interessant ist, wie die kontinuierliche Kritik an "Bild" bei "Bild" wahrgenommen werde. Seine Vorannahme, dass in Einzelfällen ihre "Berechtigung eingeräumt wird", sieht Lilienthal "vorläufig als bestätigt" an. Letztlich bleibe sie aber "folgenlos" (Seite 43) und könne umso leichter ignoriert werden, "je weniger sie mit Belegen und Argumenten arbeitet".

Nehmen wir das mal als Überleitung: Hans-Jürgen Jakobs hier schon zitiertes "Plädoyer für die Rettung des Medienjournalismus" aus "epd Medien" steht nun frei online. Sowas liest man als Medienjournalist natürlich gerne, aber auch komplett unbefangen und objektiv wie ein Fernglas kann man wohl sagen: Jakobs macht valide Punkte. So richtig gewollt ist er ja nun gerade nicht, der Medienjournalismus; "unter den Tageszeitungen haben beispielsweise nur noch 'Süddeutsche Zeitung', 'Frankfurter Allgemeine Zeitung'und 'taz'glücklicherweise ein Medienressort, das den Namen verdient". Obwohl es gute Gründe für mehr und nicht weniger Medienjournalismus gebe, so Jakobs. Zum Beispiel:

"Erstens: Medienjournalismus ist die effizienteste Selbstregulierung im System selbst. Sie verhindert, dass sich etwaige Manipulateure in Redaktionen oder perfide Kampagnenmacher zu sicher fühlen können. (…) Zweitens: Wie will Journalismus glaubwürdig sein, wenn er dem Journalismus über sich selbst keinen Platz einräumt?"

GeKIcher über den Parkapapst

Auch deshalb werde Medienjournalismus gebraucht, weil die "Erzählungen der modernen Medienzeit Exerzierfeld mannigfaltiger Manipulationen" seien, so Jakobs. Was etwas dramatisch klingt, ist doch gedeckt, wenn man heute die Zeitungen durchblättert. In der "Süddeutschen Zeitung" geht es etwa um ein Bild, auf das auch einige Medienprofis dieser Tage hereingefallen sind: ein Bild vom Papst im weißen Puffer-Parka. Das Bild ist wie ein kleiner Weckruf: Wir werden noch sehr oft getäuscht werden.

Auch der Bayerische Rundfunk setzt sich mit dem Bild auseinander und gibt Tipps zur Erkennung von KI-Fakes. Achten Sie auf die Hände!, lautet einer der Ratschläge. "Dort verstecken sich häufig Fehler der KI, zum Beispiel fehlen Finger. In diesem Beispiel sehen die Hände für den betagten Papst zu jung aus". Und das stimmt, die Hände sehen sehr falsch aus.

Aber, und das ist das Problem, um so genau hinzuschauen, muss man erst einmal ahnen, dass man in einem Fall genau hinschauen muss. Erst vergangene Woche geisterte ein Bild von Donald Trump herum, das zeigen sollte, wie er "sichtbar gegen seinen Willen von Polizisten weggetragen wird", schrieb Nicole Diekmann bei t-online.de: "Das Bild zeigt 'alternative Fakten'. Das war ein Bild, das man des Motivs wegen mit größerer Vorsicht betrachten dürfte. Aber auch hier galt, so Diekmann: Schaue man nicht so genau hin, "etwa aus Zeitnot oder nur oberflächlichem Interesse", wirke es einigermaßen realistisch, auch weil Trump seine Verhaftung zuvor angekündigt hatte.

Andrian Kreye schreibt im Feuilleton der "SZ" unter dem Titel "Reingefallen":

"Die Diskussion, die sich anbahnt, ist vor allem in den USA mit Blick auf die kommende Präsidentschaftswahl nicht ganz so lustig. Die KIs lernen schnell. Bildfälschungen werden immer besser. Es gibt erste Warnungen, dass Midjourney" – also der KI-Bildgenerator – "Hände nun besser generieren kann als noch vor einigen Wochen. Im Durchlauferhitzer der sozialen Medien können auch gefälschte Bilder Empörungswellen auslösen. Trump selbst hatte Wahrheit und Fakten in seinen Wahlkämpfen bewusst ausgehöhlt. Erzählt man eine Lüge nur oft genug, bleibt schon irgendwas hängen. Dass er im Vorlauf zu seiner neuen Wahlkampagne mit den Verschwörungsmythen der QAnon-Bewegung kokettiert, lässt ahnen, dass er das weiter betreiben wird."

Es tun sich, so kann man es zusammenfassen, Möglichkeitsräume auf, die nun nach und nach konkret möbliert werden. Es gibt also viel zu tun für Journalistinnen und Journalisten mit Netzweltkompetenz: Um Künstliche Intelligenz geht es im "Medienwoche"-Podcast von "Welt" und "Meedia". Um Künstliche Intelligenz geht es auf der gedruckten Medienseite der heutigen "Frankfurter Allgemeinen", wo Michael Meyer-Resende, ein Gastautor von der NGO Democracy Reporting International, darlegt, welchen Unsinn die Sprach-KI ChatGPT so verzapft:

"Kein Chatbot wird sich so kalibrieren lassen, dass er nur korrekte Texte schreibt. Aber dass ein Chatbot in einer bestimmten Kategorie von Informationen zuverlässig Fakten erfindet, ist ein Systemfehler".

Um Künstliche Intelligenz geht es bei netzpolitik.org, wo Constanze Kurz im Zusammenhang mit Chatbots darüber schreibt, "womit sich Strafverfolger bald befassen müssen". Und gleich noch einmal um Künstliche Intelligenz geht es im Print-Feuilleton der "SZ" (online im Wissensressort), dort zur Frage: Warum lügt die KI so gerne? Aber die Antwort ist, sie lügt ja nicht, sie rechnet. Christian J. Meier schreibt:

"Dass Sprachmodelle halluzinieren, steckt in ihrer Funktionsweise. Die Algorithmen ahmen die Vernetzung zwischen Neuronen im menschlichen Hirn nach. Dank immer billigerer Rechenkraft wurden diese künstlichen neuronalen Netze immer größer. Sie können mit immer mehr Daten trainieren und subtile Muster darin erkennen. Das geht auch mit Sprache. Das Sprachmodell, auf dem Chat-GPT basiert, wurde mit Texten von Milliarden Websites und Millionen Büchern trainiert. Es erlernte dabei aber kein konsistentes Weltwissen. Sprachmodelle fertigen nur ein statistisches Modell über Wortfolgen an. Bei einem gegebenen Textanfang können sie berechnen, welches Wort am wahrscheinlichsten als nächstes folgt. So entsteht Wort für Wort ein neuer Text."

Eine sehr gute Altpapier-Kolumne

An dieser Stelle bietet es sich nun endlich einmal an, diesen sagenhaften Feldversuch zu unternehmen, den Myriaden aufgeweckter Journalistinnen und Journalisten schon vor mir durchgeführt haben: Ich habe ChatGPT gebeten, eine "Altpapier-Kolumne" zu schreiben. Hier sind die zwei wichtigsten Passagen daraus:

"Liebe Leserinnen und Leser, heute möchte ich mit Ihnen über ein Thema sprechen, das uns alle betrifft: Altpapier. Vielleicht haben Sie sich schon einmal gefragt, warum Altpapier so wichtig ist. (…) Altpapier ist viel mehr als nur Müll. Es ist ein wertvoller Rohstoff, der uns allen zugutekommt – wenn wir ihn richtig nutzen."

So. Und nun trennen wir uns für heute.


Altpapierkorb (Streik, RBB-Skandal, ZDF-Jubiläum, "Nuhr im Zweiten", Gegendere) 

+++ War sonst noch was? Ach ja, Streik. Bei "mediasres" im Deutschlandfunk ging es um den Einfluss von medialer Berichterstattung auf die Tarifverhandlungen.

+++ Was wäre, wenn Journalistin und Journalisten streiken würden, hat Shoko Bethke in der "taz" aufgeschrieben.

+++ "Nach einem ersten und gescheiterten Gütetermin mit der Juristischen Direktorin Susann Lange erschien am Montag der gekündigte Produktions- und Betriebsdirektor Christoph Augenstein vor Gericht." Das ist der derzeitige Sound des RBB-Skandals. Der "Tagesspiegel" bleibt weiter dran. Überschrift: "Gütetermin gescheitert".

+++ Hilmar Klute feiert auf der Medienseite der "SZ" die Fernsehansagerinnen und wenigen -ansager der Geschichte wie "(d)ie Pionierin Irene Koss, die seriöse Ruth Kappelsberger und die kultivierte Annette von Aretin". Das tut er deshalb, weil das ZDF zu seinem 60. Jubiläum vorübergehend wieder das Programm ansagen lasse. Unter anderem auch, so Klute, von Jan Böhmermann, den er einen "Blödel-Aktivist" nennt.

+++ Oben drüber auf der Medienseite erklingen etwas andere Töne, nämlich nochn Gedicht über "Nuhr im Zweiten" des "ZDF Magazin Royale" (Altpapier vom Montag). Jens-Christian Rabe schreibt, es handle sich um einen "Höhepunkt der deutschen Satiregeschichte". Allerdings: "dass am Ende alles, was nicht links ist oder Linken nicht passt, umgehend rechts ist", das sei "weder eine gute Basis für das Gespräch der Gesellschaft in Zeiten der multiplen Krisen, noch eine für gute Gags."

+++ Dass gendergerechte Sprache bzw. "gendergerechte" Sprache auch in öffentlich-rechtlichen Redaktionen benutzt wird, treibt die "FAZ" um. Helmut Hartung schreibt auf der Printmedienseite: "Das zunehmende Gendern ist einer der wichtigsten Kritikpunkte der Öffentlichkeit gegenüber dem öffentlich-rechtlichen System", aber die Anstalten würden nicht substanziell auf die Kritikpunkte eingehen. Er meint: "Im Medienstaatsvertrag Paragraph 26 heißt es: 'Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten haben bei der Erfüllung ihres Auftrags die Grundsätze der Objektivität und Unparteilichkeit der Berichterstattung, die Meinungsvielfalt sowie die Ausgewogenheit ihrer Angebote zu berücksichtigen.' Ob sie diesem Grundsatz gerecht werden, wenn sie die Mehrheitsmeinung der beitragszahlenden Bürger in Sachen Gendersprache ignorieren, sollten die Sender sich fragen."

Ich bin nicht der Sprecher der ARD oder des MDR, sondern nur ein freiberuflich tätiger Autor im Weinberg usw., und ausschließlich in dieser Rolle erlaube ich mir eine Rückfrage: Da es mittlerweile einen doch ziemlich länglichen Disput über die Nutzung gendergerechter Sprache gibt, in dem sich Menschen für und wider deutlich positionieren, und zwar nicht nur grammatisch; da nicht nur ihr Gebrauch, sondern auch ihr Nichtgebrauch politisch gelesen werden muss (und ein Verbot gendergerechter Sprache sowieso wohl kaum eine objektiv richtige und unparteiliche Position ist): Inwiefern sollte es gegen Meinungsvielfalts- und Ausgewogenheitsgrundsätze verstoßen, wenn einige im öffentlich-rechtlichen Rundfunk gendern und andere nachweislich nicht?

Das Altpapier vom Mittwoch schreibt Christian Bartels.

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