Kolumne: Das Altpapier am 27. März 2023 Hoch die Palme
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27. März 2023, 10:21 Uhr
Das "ZDF Magazin Royale" von Jan Böhmermann steht im Spiegelkabinett, während es Dieter Nuhr – allerdings mit brillanten Zügen – "den Spiegel vorhält". Und: Die ersten Medien haben mit Warmlaufübungen für die nächste Rundfunkbeitragsdebatte begonnen. Heute kommentiert Klaus Raab die Medienberichterstattung.
Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.
Eine Satiresatire
Jan Böhmermanns Team hat sich am Freitag einmal mehr nicht für den Friedensnobelpreis ins Gespräch gebracht. Das "ZDF Magazin Royale" war eine Parodie der in der ARD ausgestrahlten RBB-Satiresendung "Nuhr im Ersten", die in der Böhmermann-Fassung "Nuhr im Zweiten" hieß. Eine Satiresatire.
Eine "bemerkenswerte Folge", fand die auf Böhmermann- und Lanz-Kritik spezialisierte Onlineredaktion der "Frankfurter Rundschau". Und das war sie wohl, jedenfalls den vielen hart feiernden und schwer empörten Reaktionen nach, die sie auslöste. Auf solche Reaktionen hatte sie zweifellos auch abgezielt, weshalb man sagen muss, dass ihr Konzept aufging. Dafür allerdings musste die Show ein riesiger Trigger werden, was unter dem Strich nicht zwangsläufig für ihre Originalität spricht. Know, what I mean?
Zuerst das ziemlich eindeutig Gute: In der Form war es eine brillante Sendung; in ihrer formalen Radikalität vielleicht vergleichbar mit einer Ausgabe der "Harald Schmidt Show" vom Mai 2001, in der Schmidt statt einer Fernseh- eine Radiosendung veranstaltete und dabei 20 Minuten Schwarzbild zeigte.
Maximilian König schreibt bei rnd.de über die "Magazin Royale"-Ausgabe: "Gleicher Studiolook, gleiche Einspielmusik" wie im Nuhr-Original der ARD; außerdem gleicher Sendungsaufbau und gleiches sich wegwerfendes Studiopublikum. Böhmermann und sein Team hätten "nach einer perfekten Persiflage" gestrebt. Ein Dieter-Nuhr-Darsteller führte "mit einer meisterhaften Mimikry" (Christian Buß bei spiegel.de) durch den Abend, Böhmermann selbst saß nur im Publikum. Dafür traten weitere Comedians auf, die in diesem Fall Comedians parodierten, die bei Nuhr im RBB auftreten, etwa Lisa Eckhart, deren Darstellerin sich in eine Wokestapo hineinfantasierte. Die ZDF-Show zog die Parodie von der ersten bis zur letzten Sekunde ohne Erklärungen durch, auch wenn sie eine ganze Zeit irritierend war, bis man’s verstanden haben konnte. Sowas wünscht man sich bisweilen vom Fernsehen: dass es Inhalte nicht auf den kleinsten gemeinsamen Nenner runterskaliert.
Im Wortlaut, quasi auf Ebene 1, bereitete einem die ZDF-Show allerdings Schmerzen, weil die Witze auf ihre eigene redundante reaktionäre Substanz abzielten. Es waren Witze über Witze und Witze über ein Publikum, das sich über sie wegschmeißt. Christian Buß über den Höhepunkt der Lisa-Eckhart-Parodie:
"Schließlich setzte sie zu einem sogenannten Judenwitz an – der dann aber abrupt ausgeblendet wurde. Eine ironische Nachahmung der Technik von Eckhart, die bei ihren Auftritten oft den Tabubruch andeutet, damit er im Kopf des Publikums vollendet werden kann. Beim ZDF hörte man dann statt des Witzes, wie sich das ZDF-Studiopublikum (das offensichtlich dazu angeleitet worden war, das ARD-Publikum so zu imitieren, wie sich die ZDF-Kreativen das ARD-Publikum vorstellen) über diesen nicht ausgestrahlten Witz vor Lachen ausschüttelte."
Er schreibt:
"Durch den anschließenden Auftritt von [der Punkband; AP] Team Scheiße und dessen robuster Faschismuskritik … konnte es dann nur eine Deutung der Parodie geben. Im Idiom der Band würde man sagen: Dieter Nuhr ist ein Nazischwein, sein Publikum ein Haufen Faschos."
Die "Frankfurter Rundschau" deutete die Sache online so:"Die gesamte Sendung besteht aus einer Reproduktion der misogynen, rassistischen, LGBTQ+-feindlichen Stammtischsprüche." Herausgestellt werde "die Banalität des rechten Humors à la Dieter Nuhr und Lisa Eckhart". Ähnlich klang Joachim Huber bei tagesspiegel.de in seiner Einordnung des originalen Dieter Nuhr: "Bei aller Satire – der überzieht, der verletzt, der frisst über die Hecke."
Die "Berliner Zeitung", die, je nach Lesart, ein anderes, klar auf Nuhr-Seite positioniertes Publikum vertritt oder zu deren Geschäftsmodell Reaktanz gegen einen – auch mal projizierten – linksliberalen Mainstream gehört, deutete die Böhmermann-Show online ganz anders:
"Das Ziel war, die Witze und Gags, die ein zusammengeschnittenes Zitat-Sammelsurium aus realen Stand-up-Auftritten waren, als plumpes minderheitenfeindliches Gerede zu demaskieren und Comedians wie Dieter Nuhr und Lisa Eckhart der Häme auszusetzen. (…) (D)ie Reduktion des Humors von Dieter Nuhr und Lisa Eckhart auf eine rassistische und antisemitische Agenda ist eine bloße Unterstellung und verkürzt die Komplexität von Satire, die im Fall von Nuhr vor allem ein älteres Publikum begeistert, das sich, wie man so schön sagt, vom linksliberalen Diskurs 'abgehängt' fühlt."
Noch weiter auseinander drifteten die Meinungen in den Social Media, wo das Stöckchen, das Böhmermanns Team in die Landschaft hielt, reihenweise übersprungen wurde. Auf Ebene 2 ging das Konzept der Show also gut auf: Als Satiresatire, Satirepublikumssatire und Satirereaktionssatire war sie gelungen. Weil so viele in ihren Postings so reagierten, wie sie immer reagieren.
Zu den Höhepunkten der strategischen Erwartungserfüllung gehörte ein Tweet des "Welt"-Chefredakteurs Ulf Poschardt. Böhmermann, schrieb er, sei Kern und Wesen der Öffentlich-Rechtlichen, in denen alles diffamiert und entstellt werde, "was nicht grün-rot-rot ist". Er überging nur, dass die Original-Nuhr-Satiresendung, die er hier gegen die angeblich so linksideologischen Öffentlich-Rechtlichen verteidigte, ebenfalls sehr prominent in den Öffentlich-Rechtlichen läuft.
Böhmermanns Gegner gingen also zur Beglückung ihres eigenen Publikums kalkuliert dorthin, wo Böhmermanns Redaktion sie wahrscheinlich hinkalkuliert hatte. Und die Gegner von Böhmermanns Gegnern reagierten dann darauf. "Die neueste Böhmermann-Nummer triggert wie alle seine Nummern ein sagenhaftes Für und Wider bei Twitter", schrieb Joachim Huber im "Tagesspiegel". Wie gesagt, das ganze "ZDF Magazin Royale" war ein einziger langer Trigger.
Die Frage ist halt, wie originell das ist. Peer Schader schrieb Anfang März bei dwdl.de eine lange Kolumne über Dieter Nuhr, die zu lesen sich im Zusammenhang mit der Aufwallung vom Wochenende lohnt:
"Im Laufe der vergangenen Jahre ist der Kabarettist für seine Fans zum Anführer gegen die grassierende Verweichlichung des Landes geworden; und zum Lieblingsgegner vieler, die seine Bühnenscherze über Phänomene bzw. Akteur:innen des gesellschaftlichen Wandels nicht teilen und ihn über die sozialen Medien für manche seiner Einlassungen massiv kritisieren."
Zur Konfliktlage gehöre, so Schader,
"dass die eine Seite in ihrer Aufbruchsbereitschaft manchmal lieber ermahnt als erklärt; und die andere sich sehr bequem eingerichtet hat in ihrem Zorn, um sich – wie Nuhr – erfolgreich als Stachel im woke gewordenen Fleische der Gesellschaft zu inszenieren."
Das, wie ich finde, Unoriginelle an "Nuhr im Zweiten" vom "ZDF Magazin Royale" war, dass diese längst abgesteckten Fronten in erster Linie nochmal abgesteckt wurden.
Christian Buß sieht es bei spiegel.de anders:
"Um in Zukunft relevant zu bleiben, muss es ARD und ZDF gelingen, den Clash dieser gesellschaftlichen Strömungen abzubilden. Auch in dieser Schärfe, auch in dieser Polemik. Auf der gemeinsamen zukünftigen Kommunikationsplattform stünden Nuhr und Böhmermann dann nebeneinander zum Abruf bereit, und ihre Fans könnten in einen moderierten Dialog einsteigen. Breiter kann man Gesellschaft nicht abbilden."
Dieses "könnten" ist schön. Um die seit Freitag übernutzte Phrase aufzugreifen, derzufolge Satire "den Spiegel vorhält": "Nuhr im Zweiten" hielt "Nuhr im Ersten" den Spiegel vor, damit "Nuhr im Ersten" sehen möge, dass es der Gesellschaft selbst gar keinen Spiegel vorhält, sondern einen Zerrspiegel. Allerdings sah "Nuhr im Ersten" beim Blick in den vorgehaltenen Spiegel keineswegs, dass es der Gesellschaft einen Zerrspiegel vorhält, sondern analysierte stattdessen die Beschaffenheit des Spiegels, den "Nuhr im Zweiten" zum Vorhalten benutzte. Mein Verdacht wäre, dass in diesem Spiegelkabinett alle* nur sahen, was sie ohnehin zu sehen pflegen. (* Ja, "alle" ist eine Zuspitzung.)
Rundfunkbeitragsbeiträge
Die Böhmermann-Aufwallung wurde nicht kleiner dadurch, dass es auf einer eigentlich anderen Diskussionsbaustelle gerade wieder um die Höhe des Rundfunkbeitrags geht. Demnächst melden die öffentlich-rechtlichen Intendantinnen und Intendanten ihren Bedarf bei der Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten an. Und in solchen Phasen wird medial hier und da gern mal allerlei zusammengerührt, was einem gerade so in die Finger kommt.
Seine Kritik der Satiresatiresendung verknüpfte etwa der oben zitierte "Welt"-Chefredakteur mit der Emoji-gestützten These: "dafür sollen wir alle künftig über 25 euro bezahlen, als umerziehungsgebühr". Die Kleinschreibung markierte wohl, so würde ich das deuten, dass es sich nicht um eine Analyse, sondern um eine spontane Aufwallung handele. Weshalb es auf die Geschichte von Begriffen und präzise Zahlen nicht so ankommt. Dafür wurde das Posting bis Sonntagnacht allerdings ziemlich oft bei Twitter angezeigt, mehr als unironische 350.000 Mal und damit öfter, als mindestens 99 Prozent der Zeitungsartikel gelesen werden dürften.
Man würd’s halt einfach gerne trennen und die Debatte über die Höhe des Rundfunkbeitrags nicht gleichzeitig auch über das "ZDF Magazin Royale" führen und umgekehrt. Solche Verklumpungen führen zu nichts, außer zu mehr Erregung.
"Was mit der unentwegten Skandalisierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks als vermeintlich linke ideologische Veranstaltung (…) erreicht wurde, ist eine Verzweiseitigung der Debatte. Entweder man attackiert den ÖRR grundsätzlich: Dann ist man mutmaßlich auch gegen eine Erbschaftssteuer, gegen fleischloses Essen und für den Verbrenner und betrachtet das generische Maskulinum als Ende der Sprachgeschichte", schrieb ich vor einigen Monaten in der Wochenzeitung "der Freitag". (Heute könnte man ergänzen: und gegen Böhmermann und für Nuhr.) "Oder man verteidigt den ÖRR grundsätzlich, weil jede Diskussion darüber sofort in die Systemfrage abgleitet und den Rechten zu nutzen droht."
Besser: Wenn es um Geld geht, auch über Geld reden. Dass es eine Rolle spielt, wie hoch das Gesamtbudget der Öffentlich-Rechtlichen in diesem Jahr ist, das gehört, anders als Böhmermanns Show, in die Beitragsdiskussion mit hinein, würde ich sagen.
Die hier im Altpapier (Donnerstag) zitierten zehn Milliarden Euro, die das Institut für Medien- und Kommunikationspolitik als Jahresetat aus allen Einnahmequellen der Anstalten errechnet hat, wurden am Wochenende in dem Zusammenhang aufgegriffen, im "Tagesspiegel" etwa. Oder in der "FAZ", dort verbunden mit dem Hinweis, dass die Öffentlich-Rechtlichen doch "gut im Saft" stünden und der Beitrag für den österreichischen ORF soeben auf 15 Euro gesenkt worden sei – während in Deutschland der Vorsitzende des Journalistenverbands DJV nun eine Erhöhung des Rundfunksbeitrags fordere, um Programmeinschnitte und Personalabbau zu verhindern. Worüber sich auch die "Welt"-Leser:innen in den etwa 1000 Kommentatoren, nennen wir’s mal: unterhielten, die sie unter Christian Meiers Text im Medienressort posteten. "Anscheinend hat sich der galoppierende Vertrauensverlust des öffentlich-rechtlichen Rundfunks noch nicht bis zur Geschäftsführung der Journalistenvertretung rumgesprochen", kommentierte Helmut Hartung auf seinem Blog medienpolitik.net am Freitag. Also, wir sind längst in der Aufwärmphase der nächsten Rundfunkbeitragsdebatte.
Die Zahl von "über 25 Euro" Rundfunkbeitrag, mit der – oben zitiert – Stimmung gemacht wird, stammt übrigens aus einer Recherche von Springers "Business Insider". Es handelt sich, wie dort gleich zu Beginn zu lesen ist, allerdings gar nicht um eine aktuelle Forderung der öffentlich-rechtlichen Anstalten. Selbst in der Überschrift wird eine andere Zahl genannt, nämlich 20 Euro. "Bild" behauptete zwar: "Heimlich planen die ARD-Bosse um Intendant Kai Gniffke (62), den Rundfunkbeitag auf bis zu 25,19 Euro monatlich rauf zu knallen!" Aber Genaueres darüber, worüber diskutiert wird und von wem, und wie das Beitragsermittlungsverfahren abläuft, und wann, hatte schon eher die Deutsche Presse-Agentur (etwa bei rnd.de).
Altpapierkorb (Reiner Haseloff, Supermediathek, Peter Limbourg, G+J, Euronews, "Wir können auch anders")
+++ "Ganz viele Menschen im Osten haben es sich zur Gewohnheit gemacht, sich im öffentlich-rechtlichen Rundfunk nicht repräsentiert zu fühlen" – kein schlechter Satz von Richard David Precht, zitiert in der "taz", in einem Text über Sachsen-Anhalts CDU-Ministerpräsident Reiner Haseloff, der uns im Lauf der Beitragsdebatten wohl öfter begegnen wird. Steffen Grimberg schreibt: "Reformen tun Not, die alte Form der Beitragsfestsetzung wird brüchig. Wenn sich die Anstalten nicht am Riemen reißen, wird die nächste Erhöhung nicht nur in (s)einem Bundesland scheitern."
+++ Einige Themen der vergangenen Woche wurden am Wochenende weitergedreht. Peer Schader zweifelt bei dwdl.de unter anderem am praktischen Sinn einer Supermediathek der öffentlich-rechtlichen und privaten deutschen Fernsehsender, wie sie kürzlich (Altpapier) von ProSiebenSat.1-Chef Bert Habets wieder einmal aufgebracht worden war: "Glaubt irgendein Sender- oder Konzernchef in Baden-Baden oder München ernsthaft, Menschen würden in Verzückung ausbrechen, augenblicklich ihr Prime-Video-Abo kündigen oder weniger YouTube konsumieren, bloß weil in irgendeinem neuen Gesamtangebot neben 'Wer stiehlt mir die Show?' und 'Galileo' auch 'Verstehen Sie Spaß' und 'Traumschiff' zum Abruf bereit stünden?"
+++ Der wegen seiner Sparpläne in der Kritik stehende Intendant der Deutschen Welle, Peter Limbourg, wurde von Joachim Huber, frei lesbar, für den "Tagesspiegel" interviewt. Er sagt: "Betroffen von den jetzt vorsorglich eingeleiteten Kürzungsplänen sind vor allem zwei Redaktionen, nämlich Sport und Kultur. Aber das wird kein Kahlschlag, so schmerzlich die Maßnahmen auch für die Betroffenen sind. Neben den vielen festangestellten Kolleginnen und Kollegen werden auch weiterhin viele freie Mitarbeitende das Programm machen."
+++ Ein Kahlschlag sei allerdings, was bei Gruner+Jahr passiert, schreibt die "Süddeutsche Zeitung" und nimmt sich der endenden Ära der Personalitymagazine an, unter der hübschen Überschrift "Jetzt wird’s unpersönlich". Und ebenfalls in der "Süddeutschen" ging Nils Minkmar am Samstag der Irrelevanz des ambitioniert gestarteten europäischen Nachrichtensenders Euronews nach.
+++ Eine weitere Kritik der ARD-Dokuserie "Wir können auch anders" (Altpapier vom Freitag) schrieb bei Zeit Online Johannes Schneider, dem sie, frei paraphrasiert, zu dutzi-dutzi ist.
Das Altpapier vom Dienstag kommt wieder von mir.