Kolumne: Das Altpapier am 20. März 2023 Deutsche Entlassungswelle
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20. März 2023, 10:24 Uhr
Der deutsche Auslandsrundfunk spart, aber tut er das an der richtigen Stelle – und war das unvermeidbar? Nach dem Austausch der "Bild"-Chefredaktion steht nun der Springer Vorstandsvorsitzende Mathias Döpfner im Fokus des Interesses: Was will er, was tut er, was reitet ihn? Heute kommentiert Klaus Raab die Medienberichterstattung.
Inhalt des Artikels:
Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.
Die Deutsche Welle streicht Stellen – unter anderem
Was ist los bei der Deutschen Welle? Der Auslandsrundfunk, der zur ARD gehört, aber nicht aus dem Rundfunkbeitrag finanziert wird, sondern aus Steuermitteln, "steht vor erheblichen Veränderungen" – so formuliert es der "Tagesspiegel". Es sind "Veränderungen", wie man sie zuletzt vom RBB, von Axel Springer, von Gruner+Jahr und ganz frisch auch von Burda hörte: Es werden unter anderem Stellen abgebaut.
"Die mehr als 400 Millionen Euro, die der Sender derzeit zur Verfügung hat, reichten wegen der Inflation, tarifbedingter Lohnerhöhungen und den gestiegenen Energiekosten nicht mehr aus. Im Haushalt für 2024 tue sich ein Loch von mehr als 40 Millionen Euro auf, berichten Eingeweihte",
so die "Süddeutsche" vom Montag.
100 Vollzeitstellen sollen bei der Deutschen Welle wegfallen, wobei der Abbau auf rund 200 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter umgelegt wird. Es wird die eine oder andere freiberufliche Arbeitskraft darunter sein, wie man nicht nur dem Twitterkanal von Hajo Schumacher entnehmen kann. Der ist unter anderem im RBB und bei der Deutschen Welle tätig und stellt nun die nachvollziehbare Frage: "Im nächsten Leben doch Jura und Festanstellung?"
Gestrichen werden soll, neben Stellen und DW Deutsch auf Twitter und auf Facebook, wohl auch der lineare deutschsprachige Fernsehkanal, mit dem, so Michael Hanfeld in der "FAZ", "das Selbstverständnis der Deutschen Welle lange verknüpft war". Die Zahlen waren wohl nicht gut: Der Kanal soll "dem Vernehmen nach" weltweit nur rund 250.000 regelmäßige Zuschauerinnen und Zuschauer gehabt haben. "In keinem Verhältnis" stünden damit Nutzung und Aufwand, so erklärte Intendant Peter Limbourg die Maßnahme, zitiert nach der an Schlagwortmaterial nicht armen Mitteilung der Deutschen Welle.
Weitere Begründungen fürs – übrigens präventive – Sparen: Man müsse auf den
"hoch dynamischen digitalen Wandel reagieren, der uns auf den internationalen Medienmärkten stark herausfordert. Die sehr jungen, digital-affinen Zielgruppen nicht nur in Afrika und Asien informieren sich vor allem über digitale Angebote. Gerade in Russland, in der Ukraine und im östlichen Europa sind objektive Informationen von enormer Bedeutung für die Menschen, die wir über digitale Kanäle am besten erreichen können."
Das leuchtet auf den ersten Blick schon ein. Krisen und Umbrüche kosten Geld. Es gibt aber, wie auch in anderen Stellenstreichankündigen, einen Widerspruch: Wenn die Herausforderungen so stark, der Wandel so dynamisch und die Aufgaben eh wichtig sind – wie kann man denn dann derart viele Stellen abbauen? Eine andere Frage ist, ob es Managementfehler gab, die der "SZ" zufolge intern gestellt wird:
"(D)ie Summe, die Limbourgs Sender aus Steuergeldern jedes Jahr bekommt, um Zuschauer weltweit 'regionalisiert, dialogisch, multimedial und in 32 Sprachen‘ mit Nachrichten zu versorgen, wie es im Leitbild formuliert ist, war zuletzt stetig gewachsen. In den vergangenen sieben Jahren um ganze 100 Millionen Euro. Anscheinend ging man in der Leitungsebene des Senders davon aus, dass das immer so weitergehe. Eine Führungskraft aus der Redaktion meint deshalb: 'Limbourg hat sich verzockt.‘"
Die "Bild"-Personalwechsel und viele Fragezeichen
Bei "Bild" wurde hopplahopp relevantes Personal ausgetauscht (Altpapierkorb vom Freitag). Die drei Chefredakteurinnen und -redakteure Johannes Boie, Claus Strunz und Alexandra Würzbach sind keine mehr. "Chefredakteurin" (Impressum auf bild.de) beziehungsweise "Chefredakteur" (so stand's am Morgen danach im "Bild"-Impressum) ist nun Marion Horn, die für einen "moderaten Boulevard" stehen soll (ein Eindruck, den das "Bildblog" aber nicht wirklich teilen will). Robert Schneider vom "Focus" kommt im April dazu.
Misserfolg, Geschichten über interne Querelen und Andeutungen von Abgängen gab es zuletzt zur Genüge (Altpapier, Altpapier, Altpapier). Weil man sich im Springer-Haus aber nun keine Mühe gegeben habe, "der Sache ein gesichtswahrendes Ende zu verleihen"; weil Springer nicht einmal Anstalten gemacht habe, "der Personalrochade einen Spin zu verpassen", wie Marvin Schade im "Medieninsider" am Freitag schrieb, stehen nun eine Menge Fragezeichen in der Gegend herum. (Zusammen mit Sprachbildern aus dem Inneneinrichtungslexikon, von "Frühjahrsputz" bis zu "gerückten Stühlen", die Frederik von Castell im "Übermedien"-Newsletter zusammentrug.)
Die ersten auffälligen Fragezeichen tippte Marvin Schade: "Warum? Und warum jetzt?" Und Laura Hertreiter von der "Süddeutschen Zeitung" setzte am Samstag auf der Medienseite ein paar weitere: "Was will er? Was tut er?"
"Die Redaktion fragt sich nun, was Döpfner eigentlich reitet und ob er seinen Laden noch im Griff hat. Immer sprunghafter wirkt der Springer-Chef in seinen Entscheidungen, Mitarbeiter beklagen eine 'neue Qualität der Unberechenbarkeit'."
Was also reitet ihn? Die Frage wird genährt von Überlegungen wie der von Laura Hertreiter aus der "SZ", Döpfner könnte sich im Rahmen seiner Amerika-Geschäfte "wie beim Hechtsprung vom Zehner" in eine andere Gedankenwelt geworfen haben:
"Auch privat pflegt Mathias Döpfner inzwischen einen großen Teil seiner Kontakte in den USA – sein Sohn Moritz ist Büroleiter des einstigen Paypal-Erfinders und milliardenschweren Trump-Unterstützers Peter Thiel. Der lebt gedanklich und geschäftlich in einer eher dystopischen Zukunft: Die Wirtschaft frei und ungelenkt, die Presse eher andersrum. (…) Ist das noch das publizistische Erbe Axel Cäsars, auf das dessen Witwe Friede Springer und so auch ihr Ziehsohn Döpfner einst eingeschworen wurden? Weiß Friede Springer, was hier abgeht?"
Fraglich ist zudem, inwiefern die Personalien Marion Horn und Robert Schneider zur erst jüngst verschärften Digitalstrategie von "Bild" (Altpapier) passen. Denn Horn wie Schneider kommen, wie natürlich bemerkt wurde, aus dem Printjournalismus.
"Beide waren in ihren bisherigen Chefredakteursfunktionen Blattmacher, keiner hatte Handhabe über die digitalen Geschicke ihrer Marken. Die Personalien seien mit Blick auf die crossmediale Aufstellung der vorherigen Chefredaktion erklärungsbedürftig, sagen die einen. Sie passten null zur neuen Strategie",
so Marvin Schade, der, weil er die Vorgänge und den Flurfunk bei "Bild" gut kennt, auch im "Übermedien"-Podcast von Holger Klein zum Personalwechsel bei "Bild" befragt wurde. (Ergänzend: Hier beim MDR ordnete am Freitag der Medienwissenschaftler Volker Lilienthal den Springer-Umbau ein.)
Viel Kritik an einem strauchelnd wirkenden Döpfner also, viele Fragezeichen, so der Gesamtlektüreeindruck. Liest man den "Medieninsider", bekommt man aber auch den Eindruck, man sollte nicht zu voreilig der Versuchung erliegen, Döpfners Personalentscheidungen seien kopflos. Es gibt – zumindest im Springer-Haus – offensichtlich auch eine andere Lesart. Nochmal Schade über den "Bild"-Flurfunk:
"Die Erkenntnis, dass Kompromisse an der Spitze von Bild nicht funktionieren, wurde erneut bestätigt. Ein weiteres Redaktionsmitglied sagt: 'Ich bin überrascht über die Konsequenz. Alle drei abzusetzen, ist aber eine richtige Entscheidung.'"
Nennen wir es innere Meinungsvielfalt.
Relotius und die "glatten Dramaturgien"
Wenn jemand dem "Spiegel" oder "den Medien" eines mitgeben oder ihre Glaubwürdigkeit in Zweifel ziehen will, fällt der Name "Relotius". Michael Herbig hat sich an einem Kinofilm über den Relotius-Skandal versucht, und nun gibt es bei Sky (ab 24.3.) den nächsten Versuch, seine Bedeutung zu erschließen, einen "High-End-Dokumentarfilm über den Aufstieg und Fall des einstigen Starreporters" (dwdl.de). Cornelius Pollmer schreibt in der "Süddeutschen", das Interessante an diesem Film sei "weniger die Person Relotius, es sind weniger die genauen Umstände von dessen für die ganze Branche auf Jahre verheerenden Täuschungen. Interessant ist der Blick auf in unterschiedlicher Weise Geschädigte dieses Tuns."
Ein Beispiel aus Pollmers Kritik: "Da ist der Journalist Daniel Betzholz, der einst zur selben Zeit wie Relotius beim Spiegel probeweise anfing – und für den es am Ende keine Stelle gab." Er werde im Film zitiert: "Rückblickend 'fühlte es sich wie Betrug an, auch an mir.‘"
Harald Staun sieht Daniel Sagers "Erfundene Wahrheiten" in der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" allerdings eher kritisch:
"Mit sehr viel Aufwand (…) erzählt 'Erfundene Wahrheiten‘ noch einmal die mustergültige Geschichte, die man sich in vielen Redaktionen seit dem Skandal so gern erzählt: dass Claas Relotius ein unfassbar begnadeter Erzähler und Hochstapler war, ein Reporter, der regelmäßig 'geliefert‘ habe und Preisjurys mit seinen literarischen Fähigkeiten begeisterte. Und dass vor allem dieses außergewöhnliche Talent dem deutschen Journalismus einen Schaden zugefügt hat, von dem er sich noch immer nicht erholt hat. Wie gefährlich es ist, Relotius zum Sündenbock zu machen, statt das Bedürfnis nach derart glatten Dramaturgien zu hinterfragen, interessiert den Film nicht."
Altpapierkorb (Nebenjob-Liste, Talk-Jubiläum, Finn Canonica, Foht-Prozess, Google und Corint)
+++ "Wie brisant ist die Liste der Nebenjobs von Journalisten?", fragt, anschließend an die laufende Debatte (Altpapier vom Freitag), "Übermedien" und findet diverse Grautöne von "Schon der bloße Anschein von zu großer Nähe reicht ja oft aus, um Misstrauen in die Unabhängigkeit zu wecken" bis "Nicht jeder Nebenjob führt gleich zu einem journalistischen Kuschelkurs mit der Politik" . Volker Lilienthal, zuletzt hier zitiert, verweist auf den Text mit dem Hinweis, bei den Öffentlich-Rechtlichen werde dazu vor allem geschwiegen.
+++ 50 Jahre Talkshow: Da gibt es einiges zu besprechen. Und wie immer könnte man eine Menge zitieren, aber belassen wir es bei den Links: Imre Grimm schreibt, frei verfügbar bei rnd.de, einen hübschen kritischen Text über den Talk: "Die Talks mögen sich selbst als Dorfbrunnen des Politbetriebs verstehen, gar als populäre Ersatzparlamente. Sie wirken demokratisch, als böten sie Gelegenheit zur Neuausrichtung politischer Überzeugungen. In Wahrheit aber sind sie zumeist in Routine erstarrte, simulierte Partizipation."
+++ Auch im Deutschlandfunk, für den Michael Borgers ein hörenswertes 46-minütiges Feature ausgearbeitet hat, wurde über die Zukunft des Talks gesprochen.
+++ Im Februar hatte der "Spiegel" einen Artikel von Anuschka Roshani veröffentlicht, in dem die ehemalige "Spiegel"-Mitarbeiterin und spätere Redakteurin des Schweizer "Magazins" (Tamedia) drastische Vorwürfe des Sexismus und Machtmissbrauchs gegen ihren Vorgesetzten erhob (Altpapier). Seitdem wurde, vor allem in der Schweiz, viel über den Fall geschrieben und gesprochen. Die "FAZ" befasst sich nun damit und hat ihren Text vom Samstag "Wie bei Relotius?" überschrieben (online: "Eine Geschichte, wie von Relotius erdacht?"). In die Überschrift geschafft hat es dabei ein Zitat aus einer Darstellung des Medienkritik-Portals "Zackbum", das nicht durch Zurückhaltung bei scharfen Formulierungen auffällt. Es messe "den Umständen von Roshanis Artikel eine Dimension wie den Fälschungen von Claas Relotius zu", schreibt die "FAZ". Dass überall Relotius drinstecken würde, wo jemand mit einem Relotius-Vergleich wedelt – das hat sich in den vergangenen Jahren freilich nicht bestätigt.
+++ Der ehemalige Vorgesetzte, Finn Canonica, habe nun gegen den "Spiegel" einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung eingereicht, wie die "SZ" schreibt. Eine Unterlassungserklärung habe der "Spiegel" zuvor "vollumfänglich" zurückgewiesen.
+++ Der frühere MDR-Unterhaltungschef Udo Foht (siehe u.a. dieses Altpapier) ist in Leipzig zu einer Bewährungsstrafe von einem Jahr und drei Monaten verurteilt worden, wegen 13-fachen Betrugs und Bestechlichkeit (u.a. taz.de, tagesspiegel.de, faz.net).
+++ 5,8 Milliarden Euro: So viel soll Google den deutschen Verlagen zahlen (u.a. spiegel.de), erheblich weniger als gefordert, aber in der Summe sei das letzte Wort noch nicht gesprochen, wird die Verwertungsgesellschaft Corint Media zitiert, die die Verlagsinteressen vertritt.