Kolumne: Das Altpapier am 15. März 2023 RTL Zwei macht wieder Schlagzeilen
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15. März 2023, 11:46 Uhr
Heute ist der 1. International Long Covid Awareness Day. Die mediale Resonanz darauf ist gering. Bald ist ein Corona-Leugner in einer Doku-Soap zu sehen. Die mediale Resonanz darauf ist gewaltig. Heute kommentiert René Martens die Medienberichterstattung.
Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.
Die Ignoranz beim Thema Long Covid
Mein Widerwille, die Gestalt Michael Wendler überhaupt zu erwähnen ist nicht gerade gering. Überwunden habe ich ihn in dieser Kolumne bisher zweimal. Unter anderem, nachdem RTL "die Zusammenarbeit mit Michael Wendler, der in der Jury der Show 'Deutschland sucht den Superstar' saß, beendet hatte, nachdem dieser sich als Corona-Leugner entpuppt hatte", woran beispielsweise die FAZ nun erinnert. Für diesen Blick zurück gibt’s einen aktuellen Anlass, denn: RTL Zwei, also ein mit Wendlers früherem Auftraggeber verwandter Sender - an dem die RTL Group allerdings "nur" 35,9 Prozent hält; die anderen Großanteilseigner sind die sympathische Heinrich Bauer Verlag KG und der nicht minder sympathische KKR-Laden Leonine - hat eine "neue Doku-Soap" mit Wendler angekündigt [Anm.: 14 Uhr: Nach Produktionsschluss dieser Kolumne hat RTL Zwei das Projekt gestoppt, siehe etwa welt.de). Wir haben die Überschrift entsprechend angepasst - d. Red.]:
"Noch in diesem Sommer erwartet das Auswanderer-Paar Nachwuchs. RTL Zwei begleitet Lauras Schwangerschaft, wie auch alle Höhen und Tiefen, die die werdenden Eltern gemeinsam erleben."
Julias Geiler weist angesichts dessen im "Tagesspiegel" darauf hin:
"Es ist gar nicht so lange her, da teilte Michael Wendler ein Video auf seinem Telegram-Kanal, in dem der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz mit Adolf Hitler gleichgesetzt wird."
Dass Wendler "in zahlreichen Posts den Nationalsozialismus relativiert" hat, schreibt Geiler auch. Wendler hatte "unter anderem die Bundesrepublik aufgrund der damals geltenden Corona-Maßnahmen mit einem Konzentrationslager verglichen".
Einen größeren Überblick liefert der "Volksverpetzer":
"Es gab kaum eine rechtsextreme Lüge, eine Holocaust-Verharmlosung, einen Nazi-Vergleich, eine wirre Verschwörungserzählung oder antisemitisch codierten Content, den Wendler nicht geteilt hat".
Es folgen dann zahlreiche Beispiele. Wer weniger Beispiele braucht, kann diesen Thread von "Endstation Rechts" anklicken. Dort ist ein Screenshot mit folgenden Worten eingeleitet:
"Verunglimpft hatte er anhand Tausender Posts, Grafiken und Weiterleitungen vor allem die Corona-Maßnahmen und die Bundesregierung ('Regime') zu Hochzeiten der Pandemie. Hier ist die Rede von vermeintlichen 'Giftspritzen' und gefälschten Statistiken."
Aber: Ist es ein "Skandal" ("Volksverpetzer"), was RTL Zwei plant? Das muss man nicht so sehen: Dass in einem Land, in dem es kaum noch einen Journalisten interessiert, dass es täglich 118 Corona-Todesfälle gibt (siehe "Süddeutsche") und die Politik dagegen gar nichts zu unternehmen gedenkt, ein Corona-Leugner Doku-Soap-Star werden kann, kann man beinahe stimmig finden.
Heute ist übrigens der 1. Internationale Long Covid Awareness day. Welche Medien haben es auf dem Schirm? Nicht allzu viele, um es vorsichtig zu formulieren. Immerhin Focus Online und die "Allgemeine Zeitung" aus Uelzen. Dass "Politik und Gesellschaft von Long Covid nichts mehr hören wollen", wie es "Tages-Anzeiger"-Redakteur Marc Brupbacher vor wenigen Tagen formulierte, schlägt sich halt auch in den Medien nieder - obwohl man von Journalisten ja erwarten könnte, dass sie hin und wieder das sagen, was Politik und Gesellschaft nicht hören wollen. Brupbacher gehört übrigens zu den Personen, denen man bei Social Media folgen sollte, wenn man beim Thema Corona gut informiert sein will.
Ach ja, die CDU/CSU-Fraktion hat eine Pressemitteilung veröffentlicht, weil sie den Long Covid Awareness day zum Anlass nimmt, heute am späten Nachmittag im Bundestag die Ignoranz der Bundesregierung gegenüber einer Million Long-Covid-Betroffener zu thematisieren. Wahrscheinlich wird sie als eine der am wenigsten aufgegriffenen Pressemitteilungen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion in die Geschichte eingehen. Kurz vor Redaktionsschluss dieser Kolumne stoße ich aber immerhin auf einen Kurzbericht der "Wuppertaler Rundschau".
Meloni ist das Idol des öffentlich-rechtlichen Fernsehens in Italien
Der "Fall Lineker" hat ja unter anderem dazu beigetragen, dass die Unterschiede zwischen der BBC und dem hiesigen öffentlich-rechtlichen System deutlich geworden sind. Um es mit der Londoner ARD-Korrespondentin Annette Dittert zu sagen:
"Die BBC ist, was Finanzierung und Programm angeht, weiter direkt dem Kulturministerium und damit der Regierung unterstellt, die im Prinzip mit dem Sender weitestgehend machen kann, was es will",
sagte sie dem "Tagesspiegel" in einem am Montag hier zitierten Interview. Die Regierung kann es zwar im Prinzip, aber eben auch nicht immer, wie der Ausgang der Lineker-Sache zeigt (siehe etwa Zeit Online oder das Altpapier von Dienstag)
Ärger noch als dort, wo eine Partei, die "zunehmend rechtspopulistisch agiert" (Dittert im "Tagesspiegel") bzw. "nicht mit der CDU (…) vergleichbar, sondern im rechtspopulistischen Lager gelandet ist" (Dittert etwas deutlicher im August in einem ganz anderen Kontext, siehe Altpapier), Einfluss nimmt auf den ÖRR, ist die Lage natürlich in einem von Rechtsradikalen regierten Land. Das zeigt ein taz-Bericht aus Italien:
"Vor allem die Nachrichtensendungen auf den Kanälen RAI1 und RAI2 sind zum Meloni-Verlautbarungsfernsehen heruntergekommen, seit Italiens Rechte im Oktober 2022 die Regierung übernommen hat (…) Bei der vorerst letzten Flüchtlingstragödie verbogen die RAI-Nachrichten die Realität bis hin zur Verfälschung. 'In libyschen Gewässern' seien wahrscheinlich 30 Menschen ertrunken, meldete die RAI am Sonntagabend, deshalb hätte die italienische Küstenwache gar nicht eingreifen können. Beides stimmt nicht. Das Unglück ereignete sich weitab von den libyschen Hoheitsgewässern, niemand hätte die italienische Küstenwache an einem Einsatz gehindert."
Wer wissen will, wie die "vorerst letzte Flüchtlingstragödie" wirklich abgelaufen ist, kann das hier nachlesen. Doch weiter im taz-Text:
"Die Servilität der RAI (hat) eine Tradition (…), die der italienischen Rechten zwar zugutekommt, die sie aber keineswegs erfunden hat. Bis zum September 2022 wurde der damalige Ministerpräsident Mario Draghi von denselben Nachrichtenmacher*innen zum Halbgott stilisiert, die jetzt in Meloni ihr neues Idol gefunden haben. Für ihre treuen Dienste haben sie gute Gründe, denn schließlich ist ihre Anstalt weniger Staats- als gleich Regierungsfernsehen: Laut Statut wird die Senderspitze von der Regierung bestimmt. Da bleibt 'Nähe' nicht aus, erst recht nicht gegenüber einer Regierung, in der der heutige Kulturminister Gennaro Sangiuliano noch vor kurzem selbst Chefredakteur der Nachrichten auf RAI2 war."
Ohne dass das jetzt auch nur im Ansatz genügsam klingen soll: Auch dieses Beispiel zeigt, dass das öffentlich-rechtliche System hier zu Lande wesentlich besser strukturiert ist als anderswo.
Altpapierkorb (Burda-"Sparkur", lokale Kulturberichterstattung, Gangsterserien, Gefängniszeitungen)
+++ "Die Sparkur bei Burda ist nun die dritte in der deutschen Verlagslandschaft in kurzer Zeit" - das schreibt Aurelie von Blazekovic auf der SZ-Medienseite anlässlich von 14 Kündigungen für zwölf Grafikerinnen und zwei Grafiker bei der Zeitschrift "Bunte".
+++ In der lokalen Kulturberichterstattung gebe es zu viele "kurze Beiträge, die weitgehend ohne redaktionelle Bearbeitung auskommen", etwa "Event-Ankündigungen". Das ist eines der Ergebnisse einer Untersuchung eines Forscherteams der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW). "Als Fazit werfen die Forscher die Frage auf, ob sich der lokale Kulturjournalismus durch seinen Fokus auf Ankündigungen selbst abschafft", schreibt der "Flurfunk", der über die Studie berichtet.
+++ Das Gangsterbild der Serien "4 Blocks" und "Asbest" kritisiert Büşra Delikaya im "Tagesspiegel": "Es sind keine tieferliegenden sozioökonomischen Probleme und (bezirks)politisches Versagen, die im Film oder in den Kritiken diskutiert werden, sondern das fremde Neukölln an sich und die darin lebende Spezies des migrantischen Gangsters, die als homogene Masse mit hochinteressanten, folkloristischen Eigenarten die kulturwissenschaftliche Interpretierfähigkeit des deutschen Intellektuellen herausfordern. Eine abenteuerliche Expedition aus bürgerlicher Distanz." Von "Asbest" hat die ARD gerade eine zweite Staffel angekündigt (dwdl.de, hiphop.de)
+++ Wo Print noch boomt: in US-amerikanischen Haftanstalten. 2022 seien "mindestens vier" neue Gefängniszeitungen entstanden. Das berichtet das Harvardsche "Nieman Lab".
Das Altpapier am Donnerstag schreibt Ralf Heimann.