Das Altpapier am 7. März 2023: Porträt des Altpapier-Autoren Christian Bartels
"Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren im aktuellen Altpapier die wichtigsten Medienthemen des Tages. Bildrechte: MDR | MEDIEN360G

Kolumne: Das Altpapier am 7. März 2023 Ist Rundfunkrat wie Elternabend?

07. März 2023, 10:03 Uhr

Oder sollte in die Lostrommel gegriffen werden? Der RBB hat neue Probleme, aber keine Soli-Einnahmen. Aktuelle Streitigkeiten um schöngeistige Druckerzeugnisse und um juristische Fachdienste haben einen gemeinsamen Nenner. Heute kommentiert Christian Bartels die Medienberichterstattung.

Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.

Was die "Bettelbriefe" des RBB einbrachten

Wie wurde so pointiert oder/und provokant in der viel diskutierten Tilo-Jung/Kai-Gniffke-"Zapp"-Diskussion (Altpapier vom Donnerstag) eingeblendet?

Von jedem monatlich eingezogenem Rundfunkbeitrag à 18,36 Euro werden 1,19 Euro pro Monat für die "betriebliche Altersversorgung ARD" verwendet. In der anderthalbstündigen Youtube-Version lässt sich das ab Min. 29:05 lesen. "Den Anteil der Altersversorgung haben wir anteilig aus den Zahlen, die der aktuelle KEF Bericht liefert, errechnet", steht dazu im inzwischen angestellten "Faktencheck", der auch Stellen benennt, an denen eine "Zuspitzung ... nicht korrekt" war. "Kai Gniffke strahlte einen großen Widerwillen aus, sich auf lästige Fragen überhaupt einzulassen, und Tilo Jung glich fehlende Ahnung durch einen umso größeren Behauptungswillen aus", hatte der Übermedien-Newsletter die Diskussion zusammengefasst.

Jedenfalls, der Altersversorgungs-Punkt stimmt im Kern. "Darunter stöhnen und ächzen wir heute", klagte Gniffke, der mit aufrüttelnden Verben ja nie geizt, während der Diskussion über vor Jahren und Jahrzehnten geschlossene Tarifverträge, die sich rückwirkend leider nicht mehr ändern lassen.

Sozusagen ein Argument mehr, warum es zumindest legitim ist, pensionierte Spitzenkräfte und Ruhegeld-Bezieher des RBB und seiner Vorgängeranstalten anzuschreiben und in der gewaltigen RBB-Krise um einen "Solidarbeitrag" zu bitten bzw. zu betteln. Den Begriff "Bettelbriefe" hatte der "Tagesspiegel" geschöpft, als er exklusiv von der Aktion der derzeitigen Intendantein Katrin Vernau berichtete (Altpapier). Nun hat er auch das vorläufige Endergebnis der Aktion, die sich an "18 Altersrentnerinnen und Rentner sowie fünf Hinterbliebene" richtete. 0,00 Euro, laute es, bzw.: "Außer Spesen nichts gewesen."

Immerhin weiß die Öffentlichkeit nun, falls ehemalige RBB-Hierarchen sich noch mal zum Wert des öffentlich-rechtlichen Rundfunks oder so was zu Wort melden sollten, wie das mit dem "Wert" zu verstehen ist. Dafür sind 19,55 Euro Einsatz aus der Portokasse vertretbar (sofern der RBB nicht mit dem Briefe-Formulieren eine hochpreisige externe Fundraising-Agentur beauftragt hatte).

Rundfunkrats- & Zukunftsrats-Probleme

Wie immer sorgt der RBB auch für andere Schlagzeilen. Neue Vorwürfe kursieren gegen eine relative Führungskraft eines der RBB-Radiosender, die musikalische Radio Eins-Leiterin. Auf ihrem künftigen Posten als, äh, "crossmedial arbeitende Popkultur-Korrespondentin" ("Tagesspiegel") dürfte man von Anja Caspary überregional mehr hören. 

Neu im Haus des Rundfunks, aber ehrenamtlich, sind 18 neue Mitglieder des dummerweise mitten während der angelaufenen Aufklärungs-Bemühungen zum Schlesinger-Affären-Komplex turnusmäßig neu konstituierten Rundfunkrats (zuletzt dieser Altpapierkorb). Zum neuen Rat der Amtsperiode 2023-27 ist bereits ein Internetauftritt angelegt. Noch karg, nennt er zumindest die 30 Mitglieder und deren jeweilige "Entsendeorganisation". Der Vorsitzenden-Name fehlt noch, da der zuletzt amtierende Ralf Roggenbuck nicht mehr vertreten ist. Rundfunkrat ist wie Elternabend, schrieb Micha Hanfeld in der "FAZ":

"Am Donnerstag hat sich der neue gewählte Rundfunkrat des RBB ... zu seiner ersten, konstituierenden Sitzung getroffen. Die erinnerte an den ersten Elternabend: Man kennt sich noch nicht, soll aber gleich einen Sprecher wählen (Eingeweihte melden sich als Protokollführer, damit die Wahl nicht auf sie fällt)."

Wobei man bei Elternabenden ja immerhin von relativ engem Bezug der Versammelten zum Gegenstand der Diskussionen ausgehen kann. Bei Rundfunkräten voller Entsendeorganisation-Abgesandterauch? Da passt, was "epd medien" auffiel: Der ZDF-Fernsehrat veröffentlichte die Anwesenheits-Quoten seiner Mitglieder bei Rats- und Ausschuss-Sitzungen im vorigen Jahr. Wenn Sie nach "Sitzungspräsenz"/ "Präsenzliste" suchen: hier als PDF. Die online nicht verfügbare epd-Agenturmeldung fasst unter der Überschrift "Politiker fehlen häufig bei ZDF-Fernsehratssitzungen" zusammen:

"Demnach nahmen 2022 die Abgesandten von sechs Ländern an der Hälfte der Sitzungen des Fernsehrats und seiner Ausschüsse teil. Bei den Vertretern von weiteren fünf Ländern lag die Anwesenheitsquote noch darunter, sie betrug zwischen 25 und 42 Prozent. Bei den Vertretern der übrigen fünf Bundesländer betrug die Anwesenheitsquote mindestens 67 Prozent. Jede Landesregierung besetzt in dem aus insgesamt 60 Personen bestehenden Fernsehrat einen Platz ..."

Spricht das für zumindest in der Praxis gegebene Staats- und Regierungsferne? Nicht unbedingt. Vom "Problem der Aufsicht durch Ehrenamtliche" zeugt es jedenfalls. Mit dem befasst sich, auch bei "epd medien", nun im online verfügbaren Leitartikel, Timo Rieg. Gute Aufsicht über öffentlich-rechtlichen Rundfunk bestünde, argumentiert er, in

"fluide(n) Ergebnisse(n) von Aushandlungsprozessen. Genau daran fehlt es aber bei den Aufsichtsgremien von ARD und ZDF. Die Gesellschaft ist am Prozess, einen guten Rundfunk zu definieren, in ihrer Heterogenität und Diversität nicht beteiligt. Das wäre unproblematisch, wenn die bestehenden Strukturen mit ihrem personellem Know-how und Engagement als Anwälte im Interesse der gesamten Gesellschaft alles zu deren Zufriedenheit regeln würden. Das ist aber offensichtlich nicht so. Es gibt eine Grundunzufriedenheit mit dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk ..."

Weshalb Rieg dann für "Räte aus ausgelosten Bürgern, die zeitlich befristet zusammentreten", und unterstützende "professionelle Aufsicht" plädiert. Dieses aleatorische Modell wurde immer mal wieder in die Debatte geworfen, besonders von Leohard Dobusch (Altpapier). Freilich, in Debatten geworfen wurde so allerhand in den vergangenen Jahrzehnten, ohne dass sich was änderte. Das macht der Artikel gut deutlich. Wäre so ein Los-Verfahren jetzt eine Lösung, da sich beim RBB anbahnt, dass die zähen und teuren Affären-Aufklärungs-Bemühungen durch den Personal-Wechsel noch verzähflüssigt werden?

Das müsste in noch einem Rats-Gremium, dessen Zusammensetzung gerade diskutiert wird, diskutiert werden. Wobei der gewöhnlich gut informierte Volker Nünning bei medieninsider.com schon wieder fragte, ob der für die nähere Zukunft vorgesehene "Zukunftsrat" zum Anschieben der allgemeinen Öffentlich-Rechtlichen-Reformen "überhaupt noch eine Zukunft hat". Darüber werde nächste Woche die Rundfunkkommission entscheiden – bei der es sich ja um kein ehrenamtliches, aber dennoch höchstgradig zähflüssig agierendes Medienpolitiker-Gremium handelt.

Armutszeugnisse der Bundes-Medienpolitik

Das liest sich jetzt vielleicht wie verschrobener, aber ehrenwerter Feuilletonismus: Streit zwischen kleinen und feinen gedruckten Zeitschriften, die auf lange und schöne oder zumindest interessante Traditionen zurück blicken können – aber eben nur zurück. Zum Berliner Landgerichts-Urteil, das der "dreiundsiebzigjährige Frank Berberich" als Herausgeber von "Lettre International" gegen "Sinn und Form" erwirkte (Altpapier), schrieb Friedrich Dieckmann, Jahrgang 1937, als deren Autor sowie Mitglied der Berliner Akademie der Künste, in der "FAZ":

"Dass Berberich, Träger des Will-Grohmann-Preises der Akademie der Künste, die von dieser Akademie edierte Literaturzeitschrift 'Sinn und Form' als unlautere, da mittelbar mit Staatsgeldern unterhaltene Konkurrenz attackiert, deutet auf gravierende eigene Existenznöte, und wenn infolge des Urteils im Prozess vor dem Berliner Landgericht, den Berberich gegen die Akademie wegen der Herausgabe dieser Zeitschrift angestrengt hat, nun zum ersten Mal ein druckfertiges Exemplar von 'Sinn und Form' nicht erscheinen wird, so hat man den Eindruck, als ob es Berberich darum ginge, nicht allein unterzugehen."

Es erschließt sich aber doch, warum es Berberich ärgerte, dass "das Kulturstaatsministerium" bzw. die im Bundeskanzleramt mit diffusem medienpolitischen Aufgabenspektrum angesiedelte Staatsministerin für Kultur und Medien seine Zeitschrift von den an Buchverlage und -handlungen ausgeschütteten Pandemie-Beihilfen ausgeschlossen hatte, eben weil es sich um eine Zeitschrift handelte und die Bundesregierung "nicht in den publizistischen Wettbewerb der Presse eingreifen" dürfe.

Um eine andere, auch nischige Seite desselben Problems geht es beim ehemaligen juristischen Onlineangebot "Libra" (Altpapier). Dieses libra-rechtsbriefing.de ging am Freitag offline, weil "ein Presseorgan in Staatshand laut Grundgesetz gar nicht erlaubt ist (wie die "SZ"-Medienseite heute erklärt), und dieses "indirekt lanciert vom Bundesjustizministerium" war, wie die "FAZ" weiter schäumt. Die "FAZ" betreibt nämlich ein Konkurrenzangebot, und vermutlich spielen juristische Fachmedien mit gewiss spitzer, aber spitze bezahlter Zielgruppen mehr Geld ein als es schöngeistige Literaturzeitschriften tun.

Der gemeinsame Nenner: Es gibt gute Gründe dafür, dass Pressemedien nicht staatlich subventioniert werden. Spätestens seit der Corona-Pandemie, unter der viele Branchen litten und während der schon die damalige Bundesregierung jede Menge Subventionen ausschüttete, gibt es auch gute Gründe, dass auch Pressemedien gefördert werden – ob man sie nun rückwärtsgewandt als gedruckte definiert, die einer physischen Zustellung bedürfen, oder zukunfts-, nein gegenwarts-orientiert als digitale definiert. Vor genau diesem Definitionsproblem drückte sich nach ersten Schwierigkeiten schon die letzte Merkel-Groko. Und in der aktuellen Ampel-Regierung, in der eigentlich auch wieder alle Ministerien miteinander um Einflusssphären konkurrieren, wie im mit 736 Abgeordneten prallvollen Rekord-Bundestag mag dieses schwierige Problem erst recht niemand mehr anpacken. Das ist in der Nische der Medienpolitik ein Armutszeugnis für die aktuelle Bundesregierung.


Altpapierkorb ("Schwarm" linear, "Stern" digital, nächster "Kahlschlag", Standortdaten, SLAPPs)

+++ Sind Sie alt genug, es bemerkt zu haben? Gestern abend startete die Serie "Der Schwarm" linear im ZDF. "Enttäuscht kann nur der sein, wer vom ZDF mehr und anderes als ZDF-Fernsehen erwartet", urteilt Joachim Huber im "Tagesspiegel": "Was herausgestellt wird, sind Beziehungen. Kaum eine Szene mit Mann und Frau, wo es nicht knistern soll, wo der Aufstand der Natur zum Aufbrausen der Herzen diminuiert. Ein Rosamunde-Pilcher-Film braucht 90 Minuten, 'Der Schwarm“ braucht 360. Das alles passiert auf einem Anstrengungsplateau, das der Marktführer ZDF bewirtschaftet. Also wird der Ehrgeiz für den Erfolg verwendet, der nicht Exzellenz sein will. Es muss alles im ZDF-Rahmen bleiben, im Erwartungshorizont von ZDF und ZDF-Publikum. Bloß kein Systemsprenger." +++ "Die Serie zeigt die Welt als Matriarchat. Nur böse Ausbeuter sind konsequent Männer, Politiker sind nun weitgehend weiblich, und auch die Hauptfiguren, kluge Ärztinnen und Wissenschaftlerinnen entsprechen zu einem Großteil dem Klischee 'starker Frauen', deren Männer sich um die Kinder kümmern oder das Essen machen und Sätze sagen wie: 'Warum musst Du denn so viel arbeiten, Schatz?' In ihrer durchschaubaren Primitivität sind solche Drehbuchumschreibungen schon wieder lustig", legt Rüdiger Suchsland noch ein paar Schippen drauf ("Telepolis"). +++ Aber der Marktanteil war "stolz" (dwdl.de). +++

+++ "Man muss das Zeitlupentempo kennen, in dem das Magazin nach einer digitalen Identität sucht, um zu verstehen, was vor der Redaktion liegt", ätzt die "SZ" gegen den "Stern", der als Überlebender der großen Gruner+Jahr-Abwicklung gerade mit vielen Millionen aufgepäppelt werden soll. Was nicht einfach wird, wie Medienwissenschaftler Stephan Weichert sagt: "Die Zeiten für Paid Content sind schlecht. Sogar die New York Times schleudert ihren Content derzeit zu Dumpingpreisen raus". Bei der "SZ" gibt's den Artikel auch bezahlpflichtig. +++

+++ Der nächste "Kahlschlag": beim trotz des Namens privaten, hierzulande unbedeutenden Fernsehsender Euronews in Lyon, berichtete als erster Jürg Altwegg für faz.net – und macht erhoffte EU-Subventionen dafür verantwortlich. +++

+++ "Dass sich die ARD mit ihren jungen Protagonisten auch so schwertut, könnte auch daran liegen, dass sich der Verbund mit seinen Podcasts, Webvideo-Angeboten und Social-Media-Inhalten etwa auf TikTok, Instagram, Facebook und Twitter zu verzetteln scheint. ... Um welche Größenordnung es ungefähr geht, zeigt zumindest die Auftragsvergabe der ARD für ein Social-Media-Management-Tool aus dem November 2022. Die Parameter: 'mindestens 950 Kanäle und mindestens 3600 Benutzer der Rundfunkanstalten sowie eine Communitygröße von derzeit 115 Mio Mitgliedern'": Da beleuchtet wiederum bei medieninsider.com (€) Volker Nünning, weshalb junge Kreative und Kreatoren aus den komplexen Strukturen der Anstalten-Arbeitsgemeinschaft zu einfacher strukturierter Konkurrenz wechseln, besonders zum ZDF. +++

+++ Wie in US-amerikanischen Bundesstaaten, in denen das Recht auf Abtreibung abgeschafft wurde, die Polizei dank Mithilfe von Datenkraken wie Google und Facebook-Meta "Zugriff auf Chatnachrichten, aber auch Standortdaten und den Google-Suchverlauf" bekommt und den zur Strafverfolgung nutzt, fasst der "Standard" zusammen.

+++ Und wie im zweifelhaften Rechtsstaat Großbritannien, der auch Julian Assange eingekerkert hält, SLAPPs, also strategische Klagen, durch die "Medienschaffende isoliert und hohen Gerichtskosten ausgesetzt (werden), die die finanziellen Möglichkeiten vieler Journalistinnen und Journalisten übersteigen", eingesetzt werden, beleuchten exemplarisch die Reporter ohne Grenzen.

Das nächste Altpapier schreibt am Mittwoch Annika Schneider.

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