Kolumne: Das Altpapier am 3. März 2023 KI: Fürchtet euch sehr!
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03. März 2023, 09:31 Uhr
Dass KI-Software schon ganze Sendungen produzieren kann, sollte viel mehr Medienprofis Angst machen, findet Sascha Lobo. Anderseits könnten journalistische Bots uns einen großen Dienst erweisen. Die Medienthemen des Tages kommentiert Annika Schneider.
Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.
Ich bin dann mal weg
Eine ernst gemeinte Frage: Wie lange wird diese Kolumne noch von Menschen geschrieben werden? Können Algorithmen die Mediennachrichten des Tages nicht viel schneller finden, einordnen und zusammenfassen, als wir Kolumnistinnen und Kolumnisten? Und könnte der MDR damit nicht jede Menge Honorar sparen?
Diese Fragen hat mein Altpapier-Kollege Christian Bartels zuletzt an dieser Stelle in ähnlicher Form gestellt, aber nicht beantwortet. Und keine Angst, ich bin jetzt nicht die Nächste, die auf die ach so kreative Idee kommt, dazu eine sogenannte Künstliche Intelligenz zu befragen. Der Gag diverser Journalistinnen und Moderatoren, sich den eigenen Text von KI-Software schreiben zu lassen oder gar Interviews mit Chatbots zu führen (hihi), hat sich langsam etwas abgenutzt.
Ob er menschengemachten Journalismus ersetzen kann, ist ChatGPT schon mindestens zweimal gefragt worden (vom Medium-Magazin und bei telepolis). Dabei gehört gerade diese Frage zu denen, die wir vielleicht doch lieber selbst beantworten sollten, als uns in technischen Spielereien zu verlieren.
Sascha Lobo will einen "KI-Aufschrei"
Wenn es nach Sascha Lobo geht, müsste uns Medienschaffenden das Lachen schnellstmöglich vergehen. Die Debatte um KI sei "winzig, harmlos und irrelevant", kritisiert er in seiner jüngsten Kolumne bei "Spiegel online" (€) (wo er die aktuelle Diskussion mit der ungleich größeren um Google Street View vergleicht). Lobos Beobachtung:
"In den letzten Wochen habe ich mit vielen Menschen gesprochen, deren berufliche Hauptaufgabe es ist, Texte zu verfassen. Nicht eine einzige Person darunter hat auch nur den Anflug einer Sorge um den gegenwärtigen Job erkennen lassen, obwohl sich viele der Gespräche um KI und deren Fähigkeiten gedreht haben."
Aus Sicht von Lobo müsste es einen "KI-Aufschrei" geben angesichts der drohenden Auswirkungen der neuen Technologie auf den Arbeitsmarkt – den gibt es aus seiner Sicht aber deshalb nicht, weil Journalistinnen und Journalisten sich den Softwareprogrammen immer noch weit überlegen fühlen. Wie schnell sich das ändern könnte, zeigen beispielhaft die Einschätzungen des Job-Futuromaten des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, über die man schon jetzt – nur wenige Jahre nach seiner Veröffentlichung – nur müde lächeln kann. Medienschaffende wiegen sich zu Unrecht in Sicherheit, meint Lobo:
"Bis vor einiger Zeit haben viele Leute, selbst Expert*innen, behauptet, 'Kreativität' sei eine der Stärken, die die Maschine niemals ersetzen könne, weshalb man beruflich auf Kreativität setzen solle, um sich zukunftssicher aufzustellen. Das war schon damals Unfug, weil zum Beispiel in klassischen deutschen Konzernen 'Kreativität' nur selten und erst recht nicht in allen Abteilungen gefragt ist. Jetzt ist es doppelt Unfug, weil KI schöpferisch tätig ist. Und das jetzt schon, ganz am Anfang, in einer Qualität, die viele Menschen gar nicht erreichen."
Auch Steffen Grimberg widmet sich in seiner taz-Kolumne der Thematik, und zwar vor allem im Zusammenhang mit den Stellenstreich-Plänen von Mathias Döpfner (siehe Altpapier am Dienstag), dem zufolge bald nur noch Kommentare und investigative Recherchen von menschlichen Journalistinnen und Journalisten stammen könnten. Grimberg stößt zum Teil in ein ähnliches Horn wie Lobo:
"Mit einem hat Döpfner in jedem Fall recht. Die technische Produktion journalistischer Beiträge braucht keine Menschenhände mehr. Das ist allerdings weder eine ganz neue Erkenntnis noch eine schlechte Nachricht. Gerade im Printbereich zieht sich diese Entwicklung seit dem Abschied vom Bleisatz schon über Jahrzehnte hin."
KI schon heute auf Sendung
Es geht bei den bedrohten Jobs allerdings längst nicht mehr nur um die Print-Branche. Mein Kollege beim Deutschlandfunk, Christoph Sterz, berichtete gestern bei @mediasres über den Duisburger Regionalsender "Studio 47", der komplette Nachrichtenclips von einer Software automatisiert texten, schneiden und einsprechen lässt – basierend auf wenigen Stichworten und Bildern. Ab April soll das Programm bundesweit an den Markt gehen.
Ein weiteres Beispiel ist "Radio Helgoland": Der Kanal sende seit dieser Woche komplett KI-basiert, berichtet Markus Weidner bei teltarif.de – inklusive KI-generierter Moderatorinnen und Moderatoren (mit eigenen Biografien auf der Webseite des Senders). Ein erstes Testhören kam mir etwas anstrengend vor, zwischendurch gab es auch lange Sendelöcher. Initiator Thore Laufenberg hat sich allerdings das Ziel gesetzt, dass man irgendwann keinen Unterschied zu anderen Radiosendern mehr hört. Ihm bietet die Technologie die Möglichkeit, ein eigentlich schon eingestampftes Radioprojekt wieder ans Laufen zu bringen, heißt es in dem Artikel:
"Das Konzept habe auch Vorteile. So erfolge die Themenauswahl klaren und nachvollziehbaren Regeln. Die Moderatoren werden nicht krank und gehen nicht in den Urlaub. Einmal eingerichtet sei der Aufwand zum Betrieb des Senders sehr klein."
Der Geschäftsführer von "Studio 47" argumentiert in dem Beitrag von Christoph Sterz wiederum, dass dem Redaktionsteam durch die technische Unterstützung mehr Zeit für andere Aufgaben bleibe, zum Beispiel für die Vorbereitung von Interviews oder aufwändige Recherchen. In Zeiten von Spardiktaten und Gewinneinbrüchen werden sich Medienhäuser aber womöglich eher für das Modell Helgoland entscheiden, wenn es darauf ankommt – aufwändige Recherche muss man sich leisten wollen.
Höchste Zeit für journalistische Bot-Armeen
Vielleicht sehen wir in ein paar Jahren dann das, was wir auch bei anderen Automatisierungsprozessen erlebt haben: Wenn es viel billige Massenware gibt, zählt irgendwann wieder das Handgemachte. Dann gibt es neben KI-Redaktionen vielleicht auch Textmanufakturen, die mit ihren von Menschen erdachten Inhalten ein besonders qualitätsbewusstes Publikum anziehen.
Das Problem daran ist, dass Journalismus nicht irgendeine Ware ist, sondern als Säule der Demokratie möglichst viele Menschen erreichen sollte. Mindestens so sehr wie das mögliche Wegfallen unserer Jobs (das sich ja vielleicht visionär gedacht auch mit einer allgemeinen 20-Stunden-Woche lösen ließe) sollte uns also beschäftigen, wie KI den Journalismus an sich verändern wird. Das muss gar nicht zum Schlechten sein: Wenn Bot-Armeen millionenfach Desinformation verbreiten, müssen vielleicht auch seriöse Medienhäuser aufrüsten, um dagegenzuhalten. Das philippinische Nachrichtenportal Rappler zum Beispiel, das von der Friedensnobelpreisträgerin Maria Ressa gegründet wurde, hat im Vorlauf der letzten Wahlen Tausende automatisierte Texte über lokale Kandidatinnen und Kandidaten erstellen lassen. Wobei diese Texte als KI-generiert gekennzeichnet waren, wie dieses Beispiel zeigt.
Zum Schluss zurück zu meiner Ausgangsfrage: Ob Sie auch mit einem KI-generierten Altpapier glücklich werden könnten, hängt letzten Endes mit der Frage zusammen, warum Sie uns lesen. Wenn Sie das Altpapier nur überfliegen, um sich einen schnellen Überblick über lesenswerte Links des Tages zu verschaffen, sind Sie mit einer KI bald vielleicht wirklich besser beraten. Wenn Ihnen aber auch an unseren Kommentaren und Einschätzungen etwas liegt, dann wäre es doch etwas merkwürdig, sich die von einem Algorithmus zu erhoffen. Denn mit welchem Recht sollte eine von einer Software zusammengeschriebene Meinung in den gesellschaftlichen Diskurs überhaupt einfließen dürfen?
Altpapierkorb
+++ Einen lesenswerten Blick auf den YouTube-Algorithmus haben Sebastian Meineck und jocca* bei Netzpolitik.org geworfen: Mit einer Auswertung beweisen sie, dass bei politischen Suchbegriffen vor allem Inhalte von großen Medienhäusern angezeigt werden – vor allem von Öffentlich-Rechtlichen. Der Artikel geht unter anderem der Frage nach, ob dieses Prinzip freie Content-Creator, die kein Medienhaus im Rücken haben, benachteiligt. Oder ob es nicht gerade gut ist, dass zu relevanten Themen wie Corona vor allem professionell produzierte journalistische Inhalte angezeigt werden.
+++ Der rbb hat bald eine neue Programmdirektorin: Martina Zöllner folgt auf Jan Schulte-Kellinghaus. Das hat der neu gewählte Rundfunkrat des Senders gestern in seiner ersten Sitzung entschieden. Mehr zur Vita der "Neuen" steht in der dazugehörigen Pressemitteilung, unter anderem war sie lange beim SWR und zuletzt rbb-Kulturchefin. Dass die Laufzeit ihres Vertrags bemerkenswert kurz ist, weiß Alexander Krei bei DWDL zu berichten. Die Wahl eines oder einer Vorsitzenden schob der Rundfunkrat gestern noch auf.
+++ Erinnern Sie sich noch daran, wie Jan Böhmermann in seiner Sendung den Videomacher und Geschäftsmann Fynn Kliemann heftig kritisierte – unter anderem wegen des Verkaufs falsch deklarierter Atemschutzmasken? Nun habe die zuständige Staatsanwaltschaft ein Verfahren gegen Kliemann vorläufig eingestellt, berichten diverse Medien, unter anderem das ZDF. Kliemann müsse allerdings 20.000 Euro für gute Zwecke zahlen. Das Verfahren gegen seinen ehemaligen Geschäftspartner laufe weiter.
+++ Zum von einigen hoch gelobten Faktencheck, mit dem Louis Klamroth bei "Hart aber fair" Aussagen von Sahra Wagenknecht zu Kriegsverbrechen konterte, gibt es nun einen Weiterdreh: Die Redaktion hat nach Kritik ihren eigenen Faktencheck korrigiert, wie unter anderem "Spiegel online" berichtet.
+++ "Literaturkenntnis schützt vor Neuentdeckungen." Dieser schöne Satz stammt von dem Historiker Magnus Brechtken, der die jüngsten Veröffentlichungen rund um die gefälschten Hitler-Tagebücher des "Stern" im Interview mit Joachim Heinz von der KNA (€) als "Banalität" einordnet.
+++ Wie die ARD-Audiothek in einer konzertierten Aktion junge Hörerinnen und Hörer mit Mystery- und Fantasy-Inhalten anzulocken versucht, beschreibt Stefan Fischer in der SZ (€).
+++Das vom Justizministerium finanzierte Portal "Libra" ist wieder einmal Thema in der FAZ (€). Jochen Zenthöfer berichtet dort über das Gutachten einer Juraprofessors, der das Projekt für verfassungswidrig erklärt hat. Dass die FAZ-Redaktion das Thema so genau im Blick hat, könnte damit zu tun haben, dass sie mit "FAZ Einspruch" ein eigenes Rechtsportal betreibt.
Das nächste Altpapier kommt am Montag von Jenni Zylka. Schönes Wochenende!