Kolumne: Das Altpapier am 21. Februar 2023 Das ZDF, wie es pilchert und böhmermannt
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21. Februar 2023, 09:58 Uhr
Die Serie "Der Schwarm" sorgt nach Frank Schätzings Vorwürfen immerhin für schöne Meinungsvielfalt. ZDF-Entertainer Jan Böhmermann teilt wieder aus und wird wieder kritisiert. Bayerische Medienwächter versuchen, Twitter-Chef Elon Musk beizukommen. Heute kommentiert Christian Bartels die Medienberichterstattung.
Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.
Wieder Wirbel wegen Böhmermann
Natürlich ist das ZDF vor allem der Krimisender. Niemand in Europa und darüber hinaus stößt noch mehr Fernsehkrimis aus – ausgenommen vielleicht unsere ARD, mit der sich das ZDF nicht gerade publizistischen Wettbewerb liefert, aber einen mit sehr ähnlichen Inhalten um dasselbe Publikum.
Andere Programmfarben bedient das ZDF aber auch. Gerade sorgt der Unterhaltungskünstler Jan Böhmermann wieder für Aufsehen. In der jüngsten Ausgabe seines linear am späten Freitagabend gesendeten "ZDF Magazin Royale" ging es um den von der UNO entsandten "Hohen Repräsentanten für Bosnien und Herzegowina", Ex-Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt. Der bekommt schon lange viel Kritik zu hören. Die ZDF-Show für ihre Schmidt-Kritik nun aber auch:
"Viele der dort aufgestellten Behauptungen treffen so nämlich nicht zu. Auch wenn das gewiss nicht die Absicht von Böhmermanns Team gewesen sein wird, lässt sich die Sendung auch als Teil eines Machtkampfes verstehen, bei dem es einer kleinen, aber energischen Lobbygruppe in Deutschland darum geht, Schmidt abzulösen und durch einen anderen Kandidaten zu ersetzen",
schreibt der Südosteuropa-Korrespondent der "FAZ", Michael Martens. Was ja dem Muster entspräche, wie Böhmermanns Show Bundesinnenministerin Nancy Faeser behilflich war, den Cybersicherheitsbehördenchef Schönbohm (auf einen anderen hochbezahlten Posten) loszuwerden, auch ohne dass es dafür lange aufrechterhaltbarer Vorwürfe bedurfte.
Die "FAZ" bezieht sich nicht zu letzt auf einen vieldiskutierten und langen (23-folgigen) Twitter-Thread des aus Bosnien-Herzegowina stammenden, durch den hörenswerten Podcast "Ballaballa-Balkan" bekannten Krsto Lazarevic.
"Wichtiges Thema - gut, dass sie es aufgegriffen haben. Leider haben sich auch Fehler und Verkürzungen eingeschlichen",
schrieb Lazarevic, der als Grünen-Politiker grundsätzlich gewiss nicht unzufrieden mit den Öffentlich-Rechtlichen ist, erst mal. Dann listete er allerhand gut belegte und (nicht nur, aber auch mit großem Minik-Kino des Presenters Böhmermann) illustrierte Beispiele auf, die "so verkürzt" sind, "dass es falsch ist", wo ein "sehr großer Unterschied ... unterschlagen", es "ungenau bis falsch" oder etwas "komplett unterschlagen" wird.
Inzwischen eskaliert es. Ebenfalls auf Twitter warf die ZDF-Show Lazarevics Kritik in noch mehr Tweets vor, "unzulässig verkürzt und fehlerhaft" zu sein, worauf dieser beklagt, "mit Strohmännern in die Nähe von Genozidleugnern" gerückt zu werden, und dann eine Kampagne der öffentlich-rechtlichen Show ("Ich habe leider keine 2,7 Millionen Follower und eine Redaktion, die ich gegen eine Einzelperson aufhetzen kann, die in ihrer Freizeit einen Thread geschrieben hat").
Inzwischen läuft da eine heftige, asymmetrische Auseinandersetzung vorm höchstgradig komplizierten Hintergrund des so kleinen wie komplex strukturierten Staats Bosnien-Herzegowina. Und das im allenfalls mittelgut für so was geeigneten Echtzeit-Medium Twitter (um das es weiter unten nochmals gehen wird)...
Erste "Der Schwarm"-Kritiken
Manchmal zeigt das ZDF sogar auf seinen Fiktion-Sendeplätzen keine Krimis. Morgen endlich startet in der Mediathek die Serie "Der Schwarm" – die mit mehr als 40 Millionen Euro Budget "aufwendigste Fernsehproduktion aller Zeiten im deutschsprachigen Raum", wie "Die Zeit" das Interview anteaserte, das idealtypische Vorab-Aufmerksamkeit schaffte. Buchvorlagen-Autor Frank Schätzing machte darin vorige Woche nämlich unter der schönen Überschrift "Es pilchert mehr, als es schwärmt" der Serie heftige Vorwürfe. Z.B.:
"Manches ist kinoreif, anderes rühr- und redseliges Beziehungskisten-TV. Es pilchert mehr, als es schwärmt. Gute Schauspielerriege, aber unterfordert. Die globale Dimension der Bedrohung wird nicht spürbar, von Aktualität oder einer intelligenten Alien-Strategie ganz zu schweigen. Man hätte dem Narrativ des Romans mehr vertrauen sollen, der Maximaleskalation des Thrillers"
statt den aufs "Beruhigen" angelegten Fernsehkrimi-Dramaturgien.
Schnell folgten routinierte Reaktionen einiger Serien-Macher, die offenkundig wissen, was Schätzing ärgert. "In unserem ausgeprägten Bemühen, einem modernen, klima-bewussten Publikum gerecht zu werden, für das weder Herkunft, Rasse, Geschlecht, sexuelle Orientierung usw. von Bedeutung sind, haben wir uns dafür entschieden, den Figuren ein gewisses emotionales Gewicht zu verleihen", teilte etwa Produzent/"Showrunner" Frank Doelger mit (dwdl.de). "Vor zwanzig Jahren hätte das Ensemble ganz anders ausgesehen. Heutzutage möchte man unterschiedliche Kulturen und Ethnien reinbringen", sagte Co-Regisseurin Barbara Eder im "Tagesspiegel"-Interview.
Nun kommen erste Serien-Kritiken rein. In der "Süddeutschen" (€) schreibt Gerhard Matzig sprachgewaltig von einer "achtsamen Badewannentragödie" sowie von "Rosamunde-Pilcher-Momenten":
"Diese TV-Serie lebt ... von explizit ausgestellten Gefühlen. Der Mann ist schwarz, klug, gut aussehend, achtsam. Die Frau ist weiß, klug, gut aussehend, achtsam. Die Stühle sehen auch gut aus. Aus den 1000 Seiten des Buches wurden erst alle komplizierten Wissenschaftsaspekte gestrichen (500 Seiten weniger), dann der Humor (100 Seiten weniger), dann die Action (300 Seiten weniger) - aus den verbleibenden 100 Seiten wurde alles getilgt, was nicht divers ist. Zum Beispiel alte weiße Männer."
So werde "sogar der Weltuntergang ... am Ende tatsächlich langweilig", so die "SZ". Nee, keineswegs langweiliger Untergang, meint dwdl.de-Chef Thomas Lückerath, ein enger Freund des real existierenden Fernsehens:
"Der Sog des Katastrophenfilms in Serienlänge funktioniert, die Visualisierungen werden immer unheimlicher und versprechen mit Blick auf die finalen beiden Folgen viel, wobei abzuwarten ist wie die Serienversion konkret endet. Stand jetzt ist 'Der Schwarm' großes Kino in Serie. Nicht ohne Grund war das Buch von Schätzing schließlich ein Bestseller und allen gekränkten Eitelkeiten und erwartbaren Reflexen des Feuilleton zum Trotz, macht dieser atmosphärisch inszenierte Weltuntergang einen Heidenspaß. Wenn man das Sushi beiseite legt",
das man beim "Schwarm"-Schauen nicht verzehren sollte. Gelassen dazwischen, jedoch klar auf der skeptischen Seite steht Carolina Schwarz von der "taz":
"Neben durchaus beeindruckenden Landschaftsaufnahmen und Bildkompositionen drängen sich wenig gelungene Computeranimationen und Studioaufnahmen. Diese sind so merkwürdig, dass sie einen wie bei dem Walangriff auf das Ausflugsboot aus der Geschichte reißen. Ein ähnlicher Rausschmeißer sind die Dialoge ..."
Und "Europudding-TV-Niveau wie vor 20 Jahren, als Schätzing sein Buch schrieb", sah Peter Zander für Funkes "Berliner Morgenpost". Immerhin sorgt die "Schwarm"-Serie also für Meinungsvielfalt – derzeit keine Stärke der deutschen Öffentlich-Rechtlichen. Womöglich sollten auch Zeitgenossen, die eigentlich einen weiten Bogen um Produktionen des Krimi- und Pilchers-Senders machen, mal ein paar Blicke in "Der Schwarm" werfen und sich eine eigene Meinung bilden.
"SZ"-Feuilleton vs. "FAZ"-Feuilletonist
Einen schönen Beitrag zur Meinungsvielfalt lieferte kürzlich das "Süddeutsche"-Feuilleton. Das aktuelle Buch des umtriebigen "FAZ"-Feuilletonisten Patrick Bahners, "Die Wiederkehr. Die AfD und der neue deutsche Nationalismus", kam neulich hier wegen einer lobenden Besprechung der "Zeit" vor. Nun verfasste "SZ"-Nachrichtenchef Jens Schneider einen Verriss, der sich gewaschen hat. Bahners' Buch wolle
"alles sein...: eine Warnung vor einem weiteren Aufstieg dieser unseligen Partei, eine Analyse ihrer Inhalte und Methoden und eine Erklärung für ihre Entstehung - in dieser Selbstüberforderung verliert sich das Buch dann in einem Gewirr aus Thesen, Assoziationen und Anekdoten. Es ist ein für den Leser anstrengendes, exemplarisches Scheitern an einer zweifelsohne diffusen Materie. Wie viele vor ihm folgt Bahners dem verständlichen Impuls, dass man vor einem weiteren Erstarken der AfD gar nicht genug warnen kann."
Womöglich spielt alte Rivalität unter überregionalen Tageszeitungen, die sich tatsächlich publizistischen Wettbewerb liefern (müssen), auch eine Rolle. Dass scharfe Kritiken, die gut beschreiben, was jemand schlecht findet, einen Eigenwert besitzen, der entweder aufs kritisierte Werk selbst oder auf die (ja auch auf Aufmerksamkeit angewiesene) Gattung, der es angehört, gespannt macht, könnte womöglich ein Kollateralnutzen der Hannoveraner Dackelkot-Attacke sein. Falls nun wer auf Bahners' Buch gespannt ist: Es ist bei Klett-Cotta erschienen.
Boostern, Blocken & Bayerns Medienwächter
In elektronischen Medien wird Meinungsvielfalt zunehmend ausgeblendet. Bloß Chefs und Eigentümer, zum Beispiel von Twitter, können ihre Meinungen wieder einblenden und "boost"-ern lassen, wie ein seit Corona geläufiger Anglizismus lautet. Vom Mätzchen des Twitter-Eigentümers und -Lenkers Elon Musk, seinen eigenen Tweets noch mehr Sichtbarkeit verschaffen zu lassen als sie ohnehin haben, berichtete als erstes wohl platformer.news. Michael Moorstedt geht in seiner "Netzkolumne" ("SZ" wiederum) davon aus und dann zur inzwischen von Bots und Apps angebotenen Dienstleistung, individuell mutmaßlich unangenehme Meinungen bzw. deren Inhaber komplett ausblenden zu lassen, über:
"Führt das nicht unter Umständen auch dazu, dass man es sich zu leicht machen könnte? Dass man unliebsame Meinungen ausblendet, selbst das 'Ja, aber' eines zivilisierten Gesprächspartners als womöglich blockierenswerte Einlassung auffasst? Längst unterhalten die jeweiligen Weltanschauungslager eigene ellenlange Listen, durch deren Nutzung man präemptiv die Anhänger der Gegenseite aus seinen Social-Media-Feeds entfernen kann. Wer sich auf diesen Listen, die oft Zehntausende Nutzerkonten umfassen, wiederfindet, ist dabei nicht mehr nachzuvollziehen."
Das sind gute Fragen. Ähnlich spannend ist, ob deutsche Medienwächter wie die nun deshalb engagierten bayerischen einen Weg finden, Twitter und Musk mit ihrem jungen, bisher noch nirgends bewährten Rechtsbegriff der "Diskriminierungsfreiheit" beizukommen. Oder ob sie doch wieder nur unterstreichen, wie irrelevant schwerfällig förderalistische deutsche Medien-Regulierungs-Bemühungen international sind. Vermutlich handelt es sich um eine der besten Gelegenheiten überhaupt. So plump wie Musk werden nicht viele andere Medienkonzern-Manager agieren.
Altpapierkorb (Karneval, übertarifliche MDR-Gehälter, ÖRR-Transparenz, Freie & Frauen im Journalismus)
+++ Wie sich ARD und ZDF grundsätzlich unterscheiden, zeigt dieser von Boris Rosenkranz extrahierte Ausschnitt der ZDF-, nein: ARD-Sendung "Mainz, wie es singt und lacht".
+++ Die "FAZ" meldet kurz, was die "Mitteldeutsche Zeitung" länger berichtet und per Pressemitteilung überregional verbreitete: Beim MDR werden fast so "reichlich übertarifliche Gehälter" gezahlt wie beim RBB lange wurden. "Nach MZ-Berechnungen hat der beitragsfinanzierte MDR im Jahr 2021 mindestens 5,4 Millionen Euro für außertarifliche Gehälter gezahlt".
+++ "Aktuell gibt es einen Flickenteppich an verschiedenen Regelungen und die Anwendbarkeit der Informationsfreiheits- oder Transparenzgesetze ist nicht in Bezug auf alle Landesrundfunkanstalten, das ZDF und das Deutschlandradio gewährleistet. Der HR (Hessen), Radio Bremen und der SR (Saarland) sind informationspflichtig, soweit sie Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnehmen ... Der WDR ... ist informationspflichtig, es sei denn journalistisch-redaktionelle Informationen oder Ergebnisse der Prüfung des Landesrechnungshofs ... sind betroffen. In Berlin und Brandenburg gibt es in den Informationsfreiheitsgesetzen ... keine explizite Regelungen zu Rundfunkanstalten. Hier ist von einer Informationspflicht des RBB auszugehen, ... aber": Da startet fragdenstaat.de eine Initiative für mehr tatsächliche Transparenz im öffentlich-rechtlichen Rundfunk, von der man hoffent-/sicherlich noch hören wird.
+++ Die "SZ" bleibt dran am "Kahlschlag bei Gruner + Jahr" (Altpapier gestern) und berichtet heute ausführlich, dass dieser "vor allem Frauen und Freie" trifft. "'Durch diese Entwicklungen können freie Journalisten immer weniger allein vom Journalismus leben', sagt Matthias von Fintel, Leiter des Bereichs Medien, Journalismus und Film der Gewerkschaft Verdi".
+++ Österreich will seine Rundfunkgebühr auf eine "Haushaltsabgabe" à la Deutschland umstellen. Das ist Thema der "FAZ" und, naturgemäß ausführlicher, in österreichischen Medien. "Es braucht mehr als ein neues Finanzierungsmodell, um die Notwendigkeit eines öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu erklären", kommentiert der "Standard".
+++ Der Springer-Konzern wird seine "Welt" in der deutschen Ausgabe der "Weltmarke" "Politico" aufgehen lassen, prophezeit Zeitungsveteran Franz Sommerfeld bei meedia.de (und "Ulf Poschardt, dessen Kommentare so berechenbar sind wie die von Heribert Prantl, erhielte ... eine Kolumne für seinen unermüdlichen Kampf um die Freiheit der Porsche-Fahrer").
+++ "Da sind zum Beispiel die Fernsehredakteure, die sich vor zwei oder drei Jahrzehnten noch lautstark darüber aufregten, wenn plötzlich eine Auslandskorrespondentin in ihrem Alter auf dem Bildschirm erschien: 'Wer will die Alte denn noch sehen?', war in solchen Fällen noch ein freundlicher Kommentar. Inzwischen sagt die neue Generation der Fernsehredakteure: 'Wir brauchen jüngere Gesichter, wir wollen ja auch das junge Publikum erreichen' - und schon wundert sich kaum noch jemand darüber, dass so wenig Frauen über 50 im Fernsehen zu sehen sind", kommentiert dann noch "epd medien"-Redaktionsleiterin Diemut Roether unter der Überschrift "Seltenes Exemplar: Die alte weiße Frau".
Neues Altpapier gibt's wieder am Mittwoch, ebenfalls von Christian Bartels.