Kolumne: Das Altpapier am 10. Februar 2023 Floskel-Alarm in der ARD
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10. Februar 2023, 09:22 Uhr
Für ihre neuesten Reformversprechen ernten die ARD-Spitzen viel Spott – sogar der ZDF-Intendant stichelt mit. Bertelsmann-Chef Rabe gibt sich derweil selbstsicher. Heute kommentiert Annika Schneider die Medienberichterstattung.
Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.
ARD will "Aufbruch" mit "gebündelten Kräften"
Ich weiß nicht, ob jemand eine ARD-Pressekonferenz schon einmal für eine Runde Floskelbingo genutzt hat – beim Pressegespräch, das gestern auf die Intendantentagung folgte, hätte es bis zum ersten "Bingo" nicht lange gedauert. Auf "Aufbruch", "Roadmap" und "Exzellenz" zu tippen, hätte sich in jedem Fall gelohnt. Auch so Floskelperlen wie "Wenn man den Euro an einer Stelle ausgibt, hat man ihn an anderer Stelle nicht" (ARD-Programmdirektorin Christine Strobl) waren diesmal dabei.
Handfeste Aussagen zu den Reformplänen der ARD waren hingegen in dem anderthalbstündigen Gespräch dünn gesät. Beispiel Spartenkanäle: Dass die ARD einen oder mehrere von ihnen bald nur noch digital ausspielen könnte, ist seit dem entsprechenden Beschluss der Rundfunkkommission bekannt – welchen es zuerst treffen könnte, wurde wohl besprochen, leider aber nicht konkretisiert. Selbst beim Datum zog sich der ARD-Vorsitzende Kai Gniffke auf die immer gleiche Formulierung zurück: Eine Flexibilisierung solle noch in diesem Jahr "in die Wege geleitet" werden.
Ähnlich unkonkret blieb es bei so ziemlich allen Themen, zu denen die anwesenden Medienmenschen gerne mehr erfahren hätten: Wie stehen die Senderchefs zum Druck aus der Medienpolitik, es mit der Bedarfsanmeldung bei der KEF bitteschön trotz Inflation nicht zu übertreiben? Wie und wo sollen die "Kompetenzzentren" entstehen, in denen bald senderübergreifend die Blöcke Klima, Verbraucher, Gesundheit und Hörspiel beackert werden? Welche Programme könnten gestrichen werden, wenn Geld vom Linearen ins Non-Lineare verschoben wird?
Richtig konkret wurde es nur bei der Ankündigung, dass "tagesschau24" ab dem 24. April auch zwischen 22.50 und 0.30h live berichterstatten wird. Wow, wenn das keine Schlagzeile hergibt. Alle anderen Ankündigungen sind nicht neu oder fallen als journalistischer Küchenzuruf so banal aus, dass sich davon niemand hinter dem Thermomix hervorlocken lassen dürfte.
Trotz oder gerade wegen der dürren Inhalte wurden die ARD-PK-Äußerungen (und die dazugehörigen Pressemitteilungen) fleißig kommentiert. Am treffendsten bringt es wohl die "Übermedien"-Überschrift von Frederik von Castell auf den Punkt:
"Die ARD hat fast schon angefangen, mit dem Anfangen anzufangen"
Im so betitelten Kommentar schreibt er über die Ankündigungen der Senderspitzen, es bleibe
"viel beim Futur, bei PR-Agentursprech, und ich werde das Bild von Schülern beim Referat nicht los, die die nächtlich-eiligen Wikipedia-Copy-Paste-Ergüsse wortreich vor der Klasse präsentieren, während sie sie selbst das erste Mal lesen."
Auch Steffen Grimberg nimmt die PK in seiner taz-Kolumne aufs Korn, wenn er schreibt (der Text war kurz online, steht aktuell aber nur in der Print-Ausgabe):
"Die ARD setzt jetzt jedenfalls auf 'die größte Reformagenda in ihrer Geschichte', wie es der neue ARD-Vorsitzende Kai Gniffke vom SWR formuliert: 'Wir starten das in einer Mischung aus Mut und Demut.' Das ist prima, zumal die ARD gefühlt seit 2017 jedes Jahr demütig die größte Reform ihrer Geschichte ausruft. Jetzt will sie zum Beispiel 'die Mediathek ernst nehmen'. Hat sie das etwas bisher nicht?"
Auch Claudia Tieschky kann sich in ihrem Text für die "Süddeutsche Zeitung" (€) einen leicht spöttischen Unterton nicht verkneifen:
"Die schnellste Veränderung hat die ARD offensichtlich bei der PR geschafft. In den Pressemitteilungen wird nicht weniger als eine 'neue ARD' angekündigt; und bei der längst fälligen und nun beschlossenen stärkeren Zusammenarbeit der Anstalten geht es laut Mitteilung um Großes: 'Im Maschinenraum der ARD wird an der Zukunft des Journalismus gearbeitet.'"
Sachlichere Zusammenfassungen der ARD-Ankündigungen finden sich bei Michael Hanfeld in der FAZ, bei Joachim Huber im "Tagesspiegel" sowie – etwas kürzer – bei DWDL. Dort erwähnt Uwe Mantel auch den Plan der ARD
"zum 'relevantesten Streaming-Angebot' des Landes zu werden. Dazu brauche man aber Kooperationen mit anderen Partnern – zunächst natürlich im öffentlich-rechtlichen Bereich, grundsätzlich hofft man aber, dass sich auch private Medienhäuser anschließen. Kai Gniffke schwebt ein 'fairer, transparenter, von Respekt geprägter Marktplatz für Medienhäuser in Deutschland' vor."
Auch hier wäre es interessant gewesen, mehr zu erfahren. Bleibt die Frage, ob die ARD-Granden die versammelten Medienjournalisten (auch die ihrer eigenen Häuser) nicht ernst nehmen, wenn sie ständig versuchen, die immer gleichen Phrasen und Schlagwörter als echten Fortschritt zu verkaufen. Wobei die Ziererei natürlich ganz praktische Gründe hat: Wenn nicht einmal der ARD-Vorsitzende in allen Sendern etwas zu sagen hat und bei jeder Äußerung, mit der er sich zu weit aus dem Fenster lehnt, Prügel fürchten muss, ziehen sich eben alle auf Diplomatie und damit den kleinsten gemeinsamen Reformnenner zurück. Der Glaubwürdigkeit der Öffentlich-Rechtlichen tun sie damit keinen Gefallen.
ZDF startet spaciges Projekt
Probleme wie dieses hat das nicht-föderale ZDF naturgemäß nicht. Intendant Norbert Himmler hat DWDL-Gründer Thomas Lückerath ein langes Interview gegeben, in dem er damit auch nicht hinter dem Busch hält – was fast schon leicht gehässig klingt:
"Wenn die ARD sagt, dass sie 100 Millionen Euro einsparen könne, wenn man im Jahr 2023 endlich die SAP-Systeme innerhalb der ARD harmonisiere, dann kann ich nur sagen: Das ZDF kann da nichts einsparen, weil unsere Systeme seit Jahren funktionieren und die Verwaltung schon einheitlich und schlank aufgestellt ist."
In dem Interview zum anstehenden 60. Geburtstag des ZDF geht es nicht nur um Reformen, sondern auch um nie umgesetzte Pläne für einen Freizeitpark auf dem ZDF-Gelände und das Geflecht aus öffentlich-rechtlichen Produktionsfirmen. Und Himmler spricht über ein diese Woche angekündigtes Forschungsprojekt des Senders, das schon vom Namen her nach purer Innovation klingt: "Public Spaces Incubator".
Dafür arbeitet das ZDF mit öffentlich-rechtlichen Sendern aus Kanada, der Schweiz und Belgien zusammen, außerdem mit der gemeinnützigen Organisation New_Public, deren Ziel es laut ZDF-Pressemitteilung ist, "gesunde öffentliche digitale Räume zu gestalten und zu fördern".
Die Projektpartner wollen gemeinsam eine öffentlich-rechtliche Alternative zu den großen Social-Media-Plattformen entwickeln. Oder, wie Himmler es bei DWDL ausdrückt:
"Public Space steht für Kommunikation jenseits kommerzieller Beeinflussung in einem Raum, den wir als Öffentlich-Rechtliche garantieren, schützen und auch kuratieren. Wir wollen einen hassfreien Kommunikationsraum schaffen für den gesellschaftlichen Diskurs. Dieser muss, wie wir gerade wieder merken, frei sein von kommerziellen oder politischen Interessen. Aber ich möchte klar sein: Es gibt noch keine Vorstellung, wie das aussehen könnte. Da zerbrechen sich jetzt sehr kluge Menschen bei New Public und bei uns und unseren Partnern die Köpfe."
Mehr Infos zu dem Projekt hat ZDF-Verwaltungsratmitglied Leonhard Dobusch in einem Q&A bei Netzpolitik.org zusammengetragen (wo er aus "Spaces" im Projekttitel allerdings "Space" gemacht hat). Leonhard Dobusch beantwortet die Frage, wie realistisch es ist, dass die öffentlich-rechtlichen Plattformen tatsächlich "social" werden, also auch Funktionen für Debatte und Austausch bekommen, so:
"Die Voraussetzungen sind sogar ziemlich gut, weil schon heute Millionen Menschen über Profile in den Mediatheken verfügen (vor allem zur Altersverifikation) und längst an der Zusammenführung des technischen Unterbaus zwischen ARD und ZDF gearbeitet wird. Es muss das Rad also nicht völlig neu erfunden werden, sondern vorhandene Angebote schrittweise ausgebaut und erweitert werden."
Abwärtsspirale nach Gruner+Jahr
Zu guter Letzt noch die neuesten Äußerungen zum Altpapier-Thema der Woche, den Umbaumaßnahmen bei Gruner+Jahr in Hamburg. Bertelsmann-Chef Thomas Rabe hat dazu dem "Spiegel" (€), namentlich Isabell Hülsen und Anton Rainer, ein Interview gegeben. Er verteidigt seine Entscheidung, räumt aber auch Fehler ein – unter anderem bei der Zusammenlegung von RTL Deutschland und Gruner+Jahr:
"Unser erster Ansatz war, sämtliche Redaktionen zu integrieren. Das war nicht richtig, und das korrigieren wir jetzt. Wir führen Redaktionen jetzt nur dort zusammen, wo echte Synergien entstehen – bei RTL, ntv, 'Stern', 'Geo' und 'Capital'. Es spricht ehrlich gesagt eher für uns, dass wir den eingeschlagenen Weg ändern, wenn wir feststellen, er funktioniert nicht."
Im Gespräch stecken noch weitere spannende Aspekte, auf die ich an dieser Stelle nicht alle eingehen kann. Sauer aufstoßen wird vielen G+J-Anhängern sicherlich eine Passage über den geschäftlichen Erfolg von Bertelsmann (zu dem indirekt auch Anteile am "Spiegel" gehören):
"Wir haben 2022 erstmals die Umsatzmarke von 20 Milliarden Euro überschritten, wir haben 15 Milliarden Euro Eigenkapital, so viel wie nie. Wir haben mehr Mittel denn je für Investitionen. Bertelsmann steht also extrem gut da."
Kritik an der jüngsten Entscheidung kam ja nicht nur von Gewerkschaften, sondern auch von Hamburgs Mediensenator Carsten Brosda. Er hat in der SZ (€) Anna Ernst nun noch einmal ein längeres Interview gegeben und sagt über den geplanten Umbau unter anderem:
"Das ist eine hochsymbolische Entscheidung. Das Haus, das noch vor einem Jahr gesagt hat, wir bauen einen nationalen Medienchampion, sagt jetzt: Wir bauen bundesweit 1000 Stellen ab. Die Gefahr besteht natürlich, dass sich neben den unmittelbar harten Auswirkungen eine Spirale in Gang setzt, die irgendwann wieder die Frage auslöst: Lohnt es sich überhaupt noch, in Journalismus zu investieren? Oder ist das irgendwann ganz am Ende? Und das wäre ein Problem, das weit über Hamburg hinausginge."
Altpapierkorb
+++ Kurz noch einmal zurück zur ARD-Pressekonferenz von gestern: Einen ganz eigenen Aspekt der Veranstaltung hat sich Joachim Huber für seinen Kommentar im "Tagesspiegel" herausgepickt: Er ärgert sich, dass die ARD den Jahrestag des Angriffs auf die Ukraine schon am 13. Februar und damit vor dem eigentlichen Stichtag, dem 24. Februar, begeht: "Der 13. Februar erscheint als willkürliches, gegriffenes Sendedatum, geschichtsvergessen und zweitrangig wahrgenommen im Vergleich mit dem Spaß- und Stretching-TV." (Kommasetzung stammt von ihm!)
+++ Peter Allgayer, Richter am Bundesgerichtshof, hat in der FAZ (€) einen Gastbeitrag zum Zusammenspiel der deutschen Medienpolitik mit den Vorgaben der EU geschrieben.
+++ Über einen Wasserschaden in Millionenhöhe beim ZDF in Mainz, möglicherweise ausgelöst durch Sabotage, berichtet Lars Wienand bei t-online.de.
+++ Netflix macht Ernst: Dass der Konzern gegen geteilte Accounts vorgehen will, war bekannt, nun testet er das Projekt in Spanien und Portugal, wie unter anderem "Spiegel" und RND berichten.
+++ Die "Welt" widmet sich mal wieder einem ihrer Lieblingsthemen: Matthias Heine schreibt (€) über das "Gendern" bei den Öffentlich-Rechtlichen.
+++ Der russische Propaganda-Sender RT hat sich auf den Medienseiten zuletzt rar gemacht. Kurt Sagatz schaut im "Tagesspiegel" noch einmal drauf und rein.
+++ Wie angekündigt: Meta hat die Sperre von Donald Trump bei Facebook und Instagram anscheinend aufgehoben, nachzulesen zum Beispiel bei "Zeit online".
+++ "Die Schattenseiten eines Star-Reporters": Unter dieser Überschrift schreibt Stefan Kornelius in der SZ (€) über den US-Journalisten Seymour Hersh, der einst große Rechercheerfolge erzielte, jetzt aber eher spekulativ unterwegs ist. Mit seiner jüngsten These spielt der 85-Jährige nun der russischen Propaganda in die Karten (FAZ).
Das nächste Altpapier kommt am Montag von Klaus Raab. Schönes Wochenende!