Das Altpapier am 1. Februar 2023: Porträt des Altpapier-Autoren Ralf Heimann
"Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Autor Ralf Heimann kommentiert im aktuellen Altpapier die wichtigsten Medienthemen des Tages. Bildrechte: MDR | MEDIEN360G

Kolumne: Das Altpapier am 2. Februar 2023 Hauptsache, es knallt

02. Februar 2023, 11:21 Uhr

Benjamin Fredrichs Rücktritt als "Katapult"-Chef erscheint genauso entschlossen, wie er sein Magazin geführt hat. Doch zurück bleiben viele Fragen. Eine der rätselhaftesten ist, wie es jetzt weitergeht. Heute kommentiert Ralf Heimann die Medienberichterstattung.

Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.

Das Kalkül der Aufmerksamkeit

Zwei Tage, nachdem Benjamin Fredrich als Geschäftsführer und Chefredakteur des "Katapult"-Magazins zurückgetreten ist, bleiben viele offene Fragen. Dabei hat Fredrich eigentlich genau das getan, was man sich von anderen in solchen Situationen wünschen würde. Er hatte gleich die Verantwortung übernommen und Konsequenzen gezogen, nachdem Stefan Niggemeier am Montag die Vorwürfe von Journalistinnen und Journalisten öffentlich gemacht hatte (Altpapier), die Fredrich für den Ukraine-Ableger seines Magazins angeworben, aber später wieder entlassen hatte.

Fredrich hatte seinen Rückzug in einem langen, teilweise selbstkritischen, etwas larmoyanten, vor allem aber offensiven Blogbeitrag erklärt, an dem man viel kritisieren kann. Aber er hat den Rückzug nicht in vielen endlosen Salamischritten hinausgezögert, bis am Ende keine andere Möglichkeit blieb.

Aber reagiert Fredrich tatsächlich mit der gleichen gnadenlosen Konsequenz, mit der er nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine vor einem knappen Jahr Hilfsaktionen, Transparenz, den Ukraine-Ableger seines Magazins und einen Gehaltsverzicht seines Teams angekündigt hatte? Oder stimmt der Eindruck auch hier nicht so ganz? Und folgt all das, was gerade passiert, doch vor allem dem Kalkül der Aufmerksamkeit. Wer gleich reinen Tisch macht, wischt im besten Fall auch die Vorwürfe mit vom Tisch.

Wer nur scheinbar reinen Tisch macht, provoziert mindestens weitere Recherchen. Und hier ist tatsächlich an einigen Stellen der Eindruck entstanden, dass anfangs doch nicht alles vom Tisch geräumt werden sollte – und möglicherweise soll es das auch weiterhin nicht. Anton Rainer, der für den "Spiegel" berichtet, ist etwa aufgefallen, dass Fredrich in seinem Blogbeitrag einräumt, das Büro in Odesa sei gescheitert. Gegenüber Niggemeier hatte er das noch abgestritten.

Niggemeier selbst kritisiert für Übermedien in einem Kommentar:

 "Fredrich stellt in keiner Weise Transparenz her: Wie viel Geld hat 'Katapult Ukraine' genau eingenommen? Wohin genau ist es geflossen?"

Davon, dass "jeder Cent", der auf das Konto von "Katapult Ukraine" ging, "an Journalisten und Medien in der Ukraine" gehen sollte, sei längst keine Rede mehr.

Niggemeier kritisiert weiter:

"Fredrich behauptet, 'dass man bei KATAPULT von außen immer in unser Innerstes gucken konnte' und dass er 'möchte, dass es so bleibt'. Aber man konnte bei 'Katapult Ukraine' nie ins Innere schauen."

Fredrich dagegen wirft Niggemeier vor, er stelle das ganze Ukraine-Projekt als gescheitert dar. In 14 Punkten führt er auf, was alles gelungen sei. Doch auch das wirft Fragen auf. Vor allem eine: Mit welchem Geld ist all das passiert?

In Punkt sieben steht etwa:

"Wir haben die Stadt Greifswald finanziell bei der Erstaufnahme der ersten Geflüchteten unterstützt."

Niggemeier fragt: "Wie viel Geld ist zum Beispiel für die Unterstützung der Stadt Greifswald 'bei der Erstaufnahmeausstattung' verwendet worden?" Und er fragt: "Welche Journalisten und Medien haben tatsächlich Geld bekommen?"

Alles nur für die Außenwirkung?

Fredrich hat diese Fragen bislang nicht vollständig beantwortet. Er hat verraten, dass 30 Personen monatlich 1.650 Euro bekommen haben sollen. Wie lange das Geld geflossen ist? "Bei manchen länger, bei manchen kürzer". Das sei keine Transparenz, schreibt Niggemeier.

Auch auf die Frage, wie viele Menschen er eingestellt hat, wie er es mehrfach öffentlich behauptet hatte, gibt Fredrich keine deutliche Antwort. Er deutet lediglich an, dass die Ankündigung wohl so nicht ganz richtig war. Sein Eingeständnis: "Ja, ich habe mich bei der Formulierung 'einstellen' verschätzt."

Das klingt, als ginge es hier lediglich um ein Wortfindungsproblem. Tatsächlich geht es um einen Vorwurf, den die frühere "Katapult Ukraine"-Redaktionsleiterin Roksana Panashchuk schon im ersten Übermedien-Artikel formuliert:

"Das einzige, was man wirklich von mir wollte, war, dass ich Medien Interviews über das 'Katapult Ukraine'-Projekt gebe."

In anderen Worten lautet der Vorwurf: Es geht vor allem um die Außenwirkung. Und möglicherweise auch darum, Geld für ein anderes Projekt zu sammeln. Panashchuk:

"Ich vermute, er wollte nur Geld, um seine Journalistenschule bauen zu können. Ich glaube, er hat uns benutzt, um Geld zu sammeln."

Am Ende muss das gar nicht die Absicht gewesen sein. Es ist auch möglich, dass Fredrich einen Mechanismus überstrapaziert hat, der ihm in den vergangenen acht Jahren viele Erfolge beschert hat. Er hat sich möglicherweise zu sehr darauf verlassen, dass große Aufmerksamkeit zu Geld und damit zu Möglichkeiten werden kann, wenn man sie richtig einsetzt.

Aufmerksamkeit ergibt sich, wenn man Dinge anders macht als andere, konsequenter, leidenschaftlicher, wenn man Gutes tut, und wenn man sich dazu auch auf Konflikte einlässt. Und Fredrich hat nicht nur angekündigt: Er hat in einer Zeit, in der alle von der Zukunft im Internet sprachen, ein Papiermagazin gegründet, das sich mit etwas so vermeintlich Langweiligem wie Sozialwissenschaften beschäftigt. Hätte er vorher Fachleute gefragt, alle hätten bloß mit dem Kopf geschüttelt. Fredrich hatte trotzdem Erfolg. Er weiß also anscheinend, was er macht.

Das so entstandene Vertrauen ist ein Kredit. Und wenn man einen Grundstock davon angehäuft hat, ergibt sich irgendwann schon durch neue Ankündigungen neues Kapital. Schwindet der Glaube an die Glaubwürdigkeit und daran, dass aus Ankündigungen auch tatsächlich etwas Erfolgreiches wird, fällt schnell alles in sich zusammen.

Plädoyer für die Wiedervorlage

Medien haben hier eine wichtige Rolle. Sie können dabei helfen, große Aufmerksamkeit und Möglichkeiten zu schaffen. Dabei folgen sie ihrem eigenen Interesse. Erfolgsgeschichten lassen sich wunderbar erzählen. Und je größer der Erfolg, desto besser läuft auch später die Geschichte vom Scheitern.

Oft reichen Ankündigungen aus, um über Projekte zu berichten, denn je spektakulärer die Ankündigung, desto besser lässt sich daraus eine gute Überschrift machen. Die wiederum führt zu Aufmerksamkeit. Und von der leben auch Medien.

Oft endet allerdings mit der Ankündigung die Aufmerksamkeitsspanne. Das liegt zum einen daran, dass es zur Berichterstattung oft einen Hinweis braucht. Aber es liegt auch daran, dass die Hinweise, auf die Medien reagieren, in vielen Fällen Pressemitteilungen sind. Und da steht meistens nicht drin: Hat alles nicht so funktioniert, wie wir uns das vorgestellt haben.

Das hier ist also auch ein bisschen ein Plädoyer für die Wiedervorlage. Hätten Medien besser verfolgt, was aus dem Projekt "Katapult Ukraine" wird, wäre wahrscheinlich schon früher aufgefallen, dass das Projekt weggenickt ist.

Und was bedeutet das jetzt? Es könnte sich in den kommenden Monaten lohnen, das Projekt im Blick zu behalten und unter Umständen auch nachzufragen, wie es denn voran geht. Eine Frage, die sich unmittelbar stellt ist: In welcher Weise wird Fredrich sich um das Projekt Ukraine kümmern, wie er es in seinem Blogbeitrag angekündigt hat?

Im Impressum von "Katapult Ukraine" steht Fredrich weiter als Geschäftsführer. Wenn er seine Ankündigung wahr macht, wird das bald nicht mehr so sein. Aber was ist er dann? In welcher Funktion wird er sich um das Ukraine-Projekt kümmern? Tritt er weiter als Gründer auf, macht der Rücktritt auf dem Papier wahrscheinlich keinen so großen Unterschied. Stellt das Magazin ihn ein, war das "Das war’s, Leute" doch wieder eine Ankündigung, die so nicht ganz stimmte. In jedem Fall braucht Fredrich Geld, um etwas bewegen zu können. Werden das die Spenden sein, über deren genaue Verwendung er jetzt keine Auskunft geben mag?

Antworten auf diese Fragen fehlen noch. Auch Antworten auf einige weitere. Oft lässt der öffentliche Druck mit einem Rücktritt nach. Dann enden Recherchen, das vermeintliche Ziel, das Eingeständnis, ist ja erreicht. Aber das Ende der Recherchen kann auch ein Kalkül sein. Theoretisch kann der Gedanke auch gewesen sein: Besser gleich zurücktreten, bevor sie noch etwas genauer hinsehen.

Hier ist die Frage: Wie wird "Katapult" damit umgehen? Vor allem: Wie wird "Katapult" damit umgehen, wenn die Person, die das Scheitern zu verantworten hat, auch ohne Funktion weiter irgendwie mit drinhängt?

Ein Anfang wäre vielleicht ein zweiter Transparenzbericht, der dann auch tatsächlich ganz transparent ist.


Altpapierkorb (Anja Reschke, Angry German Kid, RBB, WDR-Verwaltungsrat, Reformdebatte, Klimaleitfaden)

+++ Anja Reschke hat jetzt eine Late-Night-Show, aber so richtig überzeugen konnte sie die Kritiker in ihrer Premiere nicht. Cornelius Pollmer schreibt (€) auf der SZ-Medienseite: "Man sieht auch bei Reschke Fernsehen, dass Anja Reschke eine sehr gute Moderatorin ist, sehr präsent, sehr eloquent. Im Großen ist das Problem dieses neuen Formats aber auch, dass nicht einmal eine so starke Persönlichkeit als Host hilft, wenn man vorher nicht wusste, was für eine Sendung man eigentlich machen will." Claudius Seidl urteilt in der FAZ (€): "Politik und Entertainment wolle man verbinden — und dass die Show weder das eine noch das andere zu bieten hat, liegt weniger an Anja Reschke als an ihren Leuten, vor allem an denen, die es im Team anscheinend nicht gibt: Gagschreiber, Experten für Timing, Inszenierung."

+++ Norman Kochanowski hat als 14-Jähriger ein Video aufgenommen, in dem er vor Wut seine Tastatur zerstört. Der Wutausbruch ist gespielt, doch das wissen die meisten nicht. Das Video verbreitete sich im Netz, bescherte Kochanowski den Namen "Angry German Kid" und richtete in seinem Leben großen Schaden an. Das NDR-Medienmagazin "Zapp" erzählt in einem 23-minütigen Beitrag, was genau passiert ist, und wie es dazu kommen konnte.

+++ Der RBB will sich offenbar von Produktions- und Betriebsdirektor Christoph Augenstein trennen, weil der die umstrittene Umlage kassierte, die der Sender auszahlte, als seine Intendantin Patricia Schlesinger den ARD-Vorsitz übernahm, berichten Jan C. Wehmeyer und Tobias Fuchs für das Magazin "Business Insider".

+++ Tom Buhrow kündigt im WDR-Rundfunkrat an, dass durch die Inflation und höhere Kosten eine "Mittelverknappung" von "auf einen Schlag zwanzig bis fünfundzwanzig Prozent" drohe, wenn der Rundfunkbeitrag nicht steigen werde, wie mindestens fünf Landesregierungen es sich wünschen, schreibt Oliver Jungen (€) im letzten Absatz seines Textes über die WDR-Rundfunkratssitzung, in der es sonst vor allem um CDU-Politiker ging, die sich über einen Moderator ärgern, weil der eine Beziehung zu einer Klimaaktivistin hat, und über einen Komiker, der über die CDU schimpft. Buhrow, der nicht als Privatmann, sondern in seiner Rolle als WDR-Intendant an der Sitzung teilnahm, findet, das sei alles Privatsache und will sich nicht einmischen. Jungen schreibt mit Blick auf den Komiker Jean-Philippe Kindler, der mit seiner CDU-Kritik nach Meinung des CDU-Manns Florian Braun die Grenze zur "Hassbotschaft" klar überschritten habe: "(…) eine Mitteilung, dass man den Bürgerkriegstonfall der Kindler-Äußerung nicht gutheiße, hätte den WDR noch nicht im Treibsand versinken lassen."

+++ Karsten Rudolph, Geschichtsprofessor und WDR-Verwaltungsratsmitglied, schreibt in einem interessanten Beitrag für den Blog "Medienpolitik.net", die Debatte über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk werde nur dann aus der "Debattenroutine" ausbrechen, wenn es gelinge "medienpolitische Weichenstellungen aus dem Arkanum staatlicher Spezialgremien herauszuführen". Weil der Rundfunkkommission dieser Weg aber zu riskant erscheine, lege sie sich lieber einen Zukunftsrat zu. Die Medienpolitik gehöre aber auf die Tagesordnungen der Parlamente. "Denn eine echte Reform bedeutet, Entscheidungen zu treffen, die genuin politischer Natur sind", schreibt Rudolph, und das könnten letztlich nur "demokratisch legitimierte Institutionen leisten, aber keine exekutivföderalistischen Kommissionen".

+++ Die der "Fridays for Future"-Bewegung nahestehende Gruppe "Psychologists and Psychotherapists for Future" hat einen Leitfaden entwickelt, der Medien helfen soll, besser über die Klimakrise zu berichten. Die Gruppe schlägt unter anderem Infokästen vor, wie sie schon bei der Berichterstattung über Suizide zum Einsatz kommen. Sebastian Wellendorf hat für das Deutschlandfunk-Medienmagazin "@medias" mit der Psychotherapeutin Lea Dohm über den Leitfaden gesprochen, die diesen mitinitiiert hat.

Das Altpapier am Freitag schreibt René Martens.

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